Weihnachtsfrieden (Erster Weltkrieg)

kurzzeitige Feuerpause zwischen großteils britischen und deutschen Soldaten am 24. Dezember 1914 und den folgenden Tagen
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Der Weihnachtsfrieden war ein von der Befehlsebene unautorisierter Waffenstillstand zwischen Soldaten der Kriegsparteien am 24. Dezember 1914 und an den folgenden Tagen und fand an weiten Teilen der West- (vor allem zwischen Deutschen und Briten) aber auch der Ostfront statt. Spricht man heute vom Weihnachtsfrieden des Jahres 1914, so meint man vor allem die Ereignisse an der Front zwischen Messines und Neuve Chapelle, an der sich Deutsche und Engländer gegenüberlagen.

Hintergrund

Die Ereignisse des Jahres 1914 sind vor allem in der britischen kollektiven Erinnerung gespeichert und werden oft in einer romantischen Verklärung, verkürzt und ungenau überliefert. Die Realität kann leider nicht mehr so einfach wiedergegeben werden. Berichte der Geschehnisse sind oft unzusammenhängend oder widersprechen sich, manche Überlieferungen wurden im Laufe der Zeit ausgeschmückt, und die offiziellen Stellen ergeben kaum verwertbare Informationen. Einen grundlegenden Gedanken der am Waffenstillstand teilnehmenden Soldaten kann man heute jedoch immer noch nachvollziehen: die Suche nach Gemeinschaftlichkeit und Humanität im Spannungsfeld zwischen dem höchsten christlichen Friedensfest und einem menschenverachtenden Krieg.

Auslösende Elemente des Waffenstillstandes

Viele Soldaten aller Kriegsparteien waren 1914 enthusiastisch und voller Siegesgewissheit als Freiwillige in den Krieg gezogen und hatten gehofft, bis Weihnachten wieder zu Hause zu sein. Der Krieg, der als kurzer Feldzug versprochen und propagiert worden war, hatte alle bisher geführten und bekannten Muster "ritterlicher" Schlachten des 19. Jahrhunderts durchbrochen und war schon während der ersten Monate zu einem industrialisierten Töten geworden, bei dem man durch massiven Einsatz von Schnellfeuergewehren, Bajonetten, Minen, Artillerie und Maschinengewehren auf die komplette physische Vernichtung allen gegnerischen Lebens zielte.

Die Gräben der Westfront Ende 1914

Der Krieg, der von deutscher Seite als schnelles Umfassungsmanöver der französischen Armeen und der englischen Interventionskräfte geplant gewesen war (Schlieffenplan), hatte nach der Schlacht an der Marne ein anderes Gesicht bekommen: die Streitkräfte gingen mehr und mehr zu einer defensiveren Grundhaltung über. Nachdem die Versuche beider Seiten, den Gegner in einer offenen Flanke anzugreifen, im Norden bzw. am Ufer der Nordsee (Wettlauf zum Meer) gescheitert waren, war der Bewegungskrieg Ende 1914 in einem zunächst unzusammenhängenden, aber immer mehr sich vervollständigenden Grabensystem zum Erliegen gekommen.

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Das Schlachtfeld von Messines

Schnelle Siege durch taktische oder strategische Bewegungen bzw. Überflügelungen waren nicht mehr zu erringen. Die Soldaten lagen sich nun zwischen der Schweiz und der Nordsee in Schützengräben gegenüber. Diese waren zu diesem Zeitpunkt noch nicht zu dem fast perfekten Bollwerk der späteren Jahre geworden, das aus mehreren hintereinander liegenden Linien, MG-Nestern, Drahtverhauen, Unterständen, Stacheldrahthindernissen und Minenfallen bestand. Die Gräben glichen Ende 1914 eher improvisierten Schutzstellungen, in denen die Soldaten mehr oder weniger leicht zum Ziel eines gegnerischen Scharfschützen oder einer feindlichen Handgranate werden konnten. Diese Art der Kriegsführung war den Soldaten der Kriegsparteien nicht einmal als marginales Element ihrer Ausbildung bekannten, obwohl sie bereits während des Burenkrieges von den Buren gegen die Engländer mit Erfolg angewendet worden war. Die Soldaten mussten sich in einer neuen, ihnen nicht vertrauten Situation der kämpfenden Bewegungslosigkeit zurechtfinden, die zudem durch das extrem schlechte Wetter im Herbst 1914 verschärft wurde: viele Schutzgräben der nördlichen Westfront waren zu eisigen Schlammlöchern geworden, in denen die Soldaten ihren Gegner - da der Krieg bis Weihnachten beendet gewesen sein sollte - ohne entsprechende Ausrüstung bekämpfen mussten und sollten. Nach nur fünf Monaten war die Westfront mehr oder weniger stabilisiert eingefroren. 47 Monate sollten noch vergehen, bis der Krieg zu Ende war.

Überreste der menschlichen Zivilisation

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Ruinen nach einer Schlacht

Ende 1914 hatte der Soldat in seinem Schützengraben immer noch die Möglichkeit, die Überreste menschlicher Zivilisation und Kultur in den Frontlinien zu erkennen. Anders als in den späteren Kriegsjahren waren Kirchen und Dörfer noch nicht völlig zerschossen, Felder konnten noch als solche erkannt werden, das später so häufig eingesetzte Trommelfeuer der Artillerie hatte die Erde noch nicht in die für den Ersten Weltkrieg typische Mondlandschaft verwandelt. In einer humanistischen Interpretation der Anfangszeit des Ersten Weltkriegs ist es gängige Lesart, dass die Soldaten sich als gegnerische Kameraden betrachteten und nicht als auszulöschendes Objekt. Der menschliche Wille zur Zivilisation scheint also immer noch greifbar gewesen zu sein und mit ihm ein erkennbarer Wille zu Moral und Ethik.

Die entscheidende Rolle bei der Verstärkung bzw. Verwirklichung dieses Verlangens spielte Weihnachten, das als paneuropäische Fest der Nächstenliebe gesehen werden kann und bei dem nicht nur des gleichen Ideales gedacht wurde, sondern das vielmehr mit weiten liturgischen Übereinstimmungen gefeiert wurde. Dort, wo die Waffen an Weihnachten 1914 ruhten, waren die bei den christlichen Gottesdiensten in den europäischen Ländern gesungenen Weihnachtslieder Auslöser und verbindendes Element, da sie sich der gleichen Melodien in den unterschiedlichen Sprachen bedienten. Ebenfalls christlich motiviert und bei den Soldaten wohlbekannt war auch die Botschaft des neuen Papstes Benedikt XV., der in seiner Antrittsrede im August 1914 um einen Waffenstillstand an Weihnachten gebeten hatte. Diesr Wunsch wurde von den Krieg führenden Parteien abgelehnt, ebenso wie ein ähnliches Ersuchen des Bischofs von Paris.

Vor diesem offenkundigen gemeinsamen Hintergrund scheinen viele der sich gegenüberliegenden Soldaten die Frage nach dem Sinn ihres blutigen und brutalen Einsatzes gestellt zu haben, vor allem da viele Freunde und Bekannte in den Gefechten zum Teil auf grauenvolle Weise verloren worden waren. Diese Sinnkrise ging an vielen Frontabschnitten mit der klaren und realistischen Einsicht Hand in Hand, dass es dem zu bekämpfenden Feind auf der anderen Seite des Niemandslandes nicht besser erging, dass er ebenso unter den Kugeln, Granaten und der Kälte zu leiden hatte, und dass er ebenso Freunde und Kameraden zu beklagen hatte.

Wer ist unser Feind?

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Der Hunne als Bedrohung des englischen Heimes

Nachdem diese erste Einsicht in die unsinnige Zerstörung des menschlichen Lebens und das Bewusstsein des gemeinsamen menschlichen Leids auf fruchtbaren Boden gefallen waren, stellten sich viele Soldaten die Frage, ob der von der eigenen Propaganda als so bestialisch dargestellte Gegner denn wirklich dieser vernichtenswürdige Dämon sei, den erbarmungslos zu töten man per Befehl verpflichtet war. Keine der Seiten war in der herabwürdigenden Darstellung des Feindes zimperlich, sei es das Bild vom Kinder fressenden Hunnen oder die Darstellung der blutrünstige Marianne. Aber diese brutalisierenden Fremdbilder verloren im Angesicht des Schlamms, des eigenen Blutes, des sterbenden Feindes, der ständigen unsichtbaren Gefahr aus der Luft mehr und mehr an Wirkung. Der Erkenntnis des gemeinsamen Leides folgte die zivilisatorische Erkenntnis, dass der Gegner ein Mensch ist und kein Dämon, dass er aus dem gleichen Kulturkreis stammt und auch keine Kriegs-, sondern in gleicher Weise Weihnachtslieder singt.

Tradition zwischen den Gräben

All diese Elemente müssen mehr oder weniger stark als Auslöser in Betracht gezogen werden, um den Waffenstillstand am 24. Dezember 1914 zu erklären. Es kann heute nicht mehr nachvollzogen werden, wie und durch wen er begonnen wurde, aber festzustehen scheint, dass er im Raum Ypern seine Ursprünge gefunden hatte.

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Deutsche und Engländer am 24. Dezember 1914

Hier lagen die Truppen des Britischen Expeditionsstreitkräfte "British Expeditionary Force (BEF)" an ihrem 27 Kilometer langen Frontabschnitt, den sie nach der ersten Flandernschlacht halten mussten, oft nur 50 bis 100 Meter von den deutschen Linien entfernt. Durch diese Nähe war es hier leicht möglich, den Feind anzurufen, zu beleidigen oder aber auch ins sinnvolle Gespräch zu kommen. Belegt ist, dass es in diesen ersten Kriegsmonaten - auch vor dem Weihnachtsfrieden - eine gewisse Tradition gab, dass an ruhigeren Abschnitten deutsche und britische Truppenteile temporär den Krieg einstellten, sei es um Gefallene zu beerdigen, Verwundete zu verpflegen oder einfach aus Kriegs- und Zerstörungsmüdigkeit. Dieses Verhalten ist selbst für solche Soldaten dokumentiert, die gerade aus verlustreichen Gefechten zurückgekommen waren.

Dies war Ausdruck einer langen Tradition zwischen den Soldaten gegnerischer Parteien: im Französisch-Britischen Krieg saßen die Gegner am gleichen Lagerfeuer und spielten Karten, im Krimkrieg teilten sie Essen, Verpflegung und Tabak, im Amerikanischen Bürgerkrieg angelten sie am gleichen Fluss und sammelten zusammen Beeren . Im Burenkrieg ist sogar ein Fußballspiel zwischen Buren und Engländern überliefert.

Unter diesen Aspekten steht der Waffenstillstand 1914 nicht allein und ist insofern Ausdruck eines Gefühl des Leben und Leben Lassen, selbst wenn es ein herausragendes Beispiel der Menschlichkeit im Krieg ist.

Der Waffenstillstand

Geschenke und Pakete auf beiden Seiten

Am 23. Dezember 1914 wurde dies verstärkt durch den Wunsch, die aus der Heimat angekommenen Weihnachtsgeschenke in Ruhe und ohne Todesangst öffnen zu können. Jeder englische Soldat erhielt ein Päckchen seines Königs, in dem er unter anderem eine Princess Mary box fand, eine Metalldose mit dem gravierten Profil der Tochter Mary von George V., die gefüllt war mit Schokolade, Scones, Zigaretten, Tabak und einer Glückwunschkarte der Prinzessin selbst.

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Deutsche Offizier in einem britischen Graben

Ein Faksimile des Königs stellte Georg V. als Truppenvater dar, der seinen Truppen wünscht: "May God protect you and bring you safe home". 355.000 dieser Princess Mary boxes waren 1914 verschickt worden.

Die deutsche Armee erhielt ebenfalls ein staatliches und stattliches Geschenkpaket, das eine kaiserliche Meerschaumpfeife enthielt, Offiziere erhielten ein Päckchen mit Zigarren. Daneben bekamen alle Soldaten der Westfront die Zuwendungen der Städte oder Landkreise aus denen sie stammten und natürlich die Pakete ihrer Familien mit warmen Kleidern, Essen, manchmal Alkohol, Zigaretten, Briefen usw. Zudem hatte die Oberste Heeresleitung (OHL) zehntausende Miniaturweihnachtsbäume an die deutschen Fronten versendet, die alle an Weihnachten angezündet werden sollten.

Die Zuteilung dieser staatlichen Unterstützungspakete war in Frankreich und Belgien nicht so gut organisiert wie für die deutschen und britischen Truppen. Zusammen mit dem Umstand, dass ihre Länder besetzt waren, ist dies eventuell eine Erklärung, warum diese Soldaten sich in sehr viel geringerem Maße an dem Waffenstillstand beteiligt hatten.

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Deutsches Weihnachtsfest an der Front 1914

Nachdem die Soldaten sich zum ersten Mal seit langem wieder hatten satt essen können und mit dem Gefühl, dass die Welt für einen Moment wieder so war, wie sie es in Friedenszeiten gekannt hatten, wollten sie nun auch wieder an der weihnachtlichen Tradition des Teilens teilhaben. Ein Korrespondent einer englischen Zeitung schrieb, es wäre einigen Deutschen gelungen, einen Schokoladenkuchen über das Niemandsland zu befördern, der nur zu gerne von den Briten angenommen worden war. Es scheint ebenfalls ein deutscher Soldat gewesen zu sein, der seinen britischen Kameraden auf englisch zurief, dass die Deutschen um eine bestimmte Uhrzeit (einige Quellen geben 07h30 an) ihre Lieder singen wollten, und dass der "Tommy" doch deshalb nicht schießen solle. Als Zeichen wollte er Kerzen auf den Grabenrand stellen. Die Briten akzeptierten den Wunsch. Als das Konzert der Deutschen beendet war, applaudierten die Gegner und wurden von den Deutschen aufgefordert, mitzusingen. Einer der Briten schrie, er würde eher sterben als Deutsch zu singen, worauf die Deutschen lachend zurückriefen, dass es sie umbringen würde, falls er tun würde. Die Briten begannen auf Englisch zu singen und viele Deutschen stellten jetzt nach und nach ihre Tannenbäume auf die Grabenränder.

24. Dezember - Feinde im Niemandsland

Der Morgen des 24. Dezember brachte einen klaren Tag, der ständige Regen hatte aufgehört, an einigen Stellen des Sektors wurde zwar noch geschossen, an den meisten jedoch war eine unheimliche Stille eingekehrt, die nur durch das Zurufen der gegnerischen Soldaten unterbrochen wurde. Erste mutige Männer riefen den Feind an, damit sie ihre Gefallenen bergen konnten. Es wurde nicht geschossen, als sie unbewaffnet ins Niemandsland vorstießen.

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Gemeinsames Begräbnis der Gefallenen

Nachdem die Toten beerdigt waren, begannen die Soldaten miteinander zu sprechen, vor allem auf Englisch, da viele Deutsche durch die vom Kaiser propagierte Nähe zu England die Sprache gelernt hatten oder sogar in Großbritannien gearbeitet hatten.

Entgegen der verbreiteten Annahme, nur einfache Soldaten hätten aus Protest gegen ihren "Status" als Kanonenfutter ihre Waffen niedergelegt, nahmen viele Offiziere an den Ereignissen teil und führten stellenweise sogar aktiv die Verhandlungen.

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Deutsche Jäger und britische Fusiliers

Einer dieser aktiv Beteiligten war Leutnant Kurt Zehmisch vom 134. Infanterieregiment, ein Französisch- und Englisch sprechender Lehrer aus Weischlitz in Sachsen, der in sein Tagebuch notierte, dass er seinen Leute befohlen hatte, während der Weihnachtsfeiertage nicht auf die Gegenseite zu schießen, und dass sie die Kerzen und Tannenbäume auf die Gräben zu stellen hatten. Er schrieb weiter, dass die Briten durch Pfeifen und Klatschen ihre Zustimmung mitteilten, und dass er - wie die meisten seiner Kameraden - die ganze Nacht wach geblieben war. Später am nächsten Tag hielt er fest, dass einige Briten mit einem Fußball aus ihrem Graben gekommen seien, den sie hin und her geschossen hätten, und dass er und der kommandierende Offizier der Engländer in Übereinstimmung waren, dass all dies unvorstellbar und unglaublich wunderbar sei.

Viele kommandierende Generale beider Seiten hingegen, allen voran der Chef des BEF, Sir John French, erließen scharfe Disziplinierungsbefehle gegen die eigene Truppe. Andere hingegen betrachteten die Ereignisse eher gelassen und in der standhaften Überzeugung, dass nach Weihnachten wieder geschossen würde. Erstaunlich ist, dass die Hierarchie der beiden Krieg führenden Parteien ähnlich ambivalent reagierte.

Einzelne Ereignisse und Erinnerungen

In der Nähe des Dorfes Fromelles trafen sich Mitgliedern des von den Deutschen sehr gefürchteten Gordon Highlander Regiments in einem etwa 80 Meter breiten Niemandsland und begannen zusammen ihre Toten zu beerdigen. Ein gemeinsamer Gottesdienst wurde gefeiert, Psalm 23 wurde gesprochen, zuerst in Englisch vom Regimentspfarrer und dann auf Deutsch von einem englischen Studenten der deutschen Sprache. Die Deutschen standen auf einer Seite, die Engländer auf der anderen, alle hatten ihre Kopfbedeckungen abgelegt, erinnert sich der second lieutenant Arthur Pelham Burn in seinem Tagebuch: "The Germans formed up on one side, the English on the other, the officers standing in front, every head bared. Yes, I think it was a sight one will never see again." (Quelle: Tagebucheintrag 1914, zitiert aus Malcolm Brown, Shirley Seaton: Christmas Truce: The Western Front December 1914)

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Darstellung des Waffenstillstandes in einer englischen Zeitung

An derselben Stelle notierte ein englischer Hauptmann, Captain R.J. Armes, in einem Brief, dass er vereinzelte Schüsse und ein Geschütz in der Ferne hörte, dass sonst aber Stille war. Er erlaubte einigen Soldaten die Deutschen zu treffen, welche dann im Niemandsland Tabak austauschten und redeten.

An einer anderen Stelle übergaben sächsische Soldaten zwei Fässer Bier ihren englischen Kameraden von den Royal Welch Fusiliers. Captain C. I. Stockwell notierte in das Batallionstagebuch, dass plötzlich ein halbes Dutzend Sachsen auf den Schützengräben ohn Waffen gestanden hätten. Er lief zu seinen Soldaten, die mit Gewehren im Anschlag die Befehle ihres Hauptmanns abwarteten, während die Sachsen schrieen: "Don't shoot. We don't want to fight today. We will send you some beer." ("Nicht schießen. Wir kämpfen heute nicht. Wir schicken euch Bier rüber."). Dann sei ein Fass auf den Schützengraben geliftet worden, das von drei Mann in die Mitte des Niemandslandes gerollt wurde. Ein deutsche Offizier war erschienen und ging auf das Fass zu. Stockwell tat es ihm gleich, sie grüßten sich formell in der Mitte des Niemandslandes. Der deutsche Offizier sprach kein Wort Englisch und sagte auf Deutsch, sie (die Engländer) sollten das Bier ruhig nehmen, es wäre noch viel davon da. Im Austausch ließ Captain Stockwell mehrere plum-puddings an die Deutschen schicken. Ein deutscher Soldat hatte den Offizieren Gläser und zwei Flaschen Bier gebracht. Sie stießen an und gingen danach zu ihren Linien zurück. Den ganzen Abend wurde auf beiden Seiten gesungen.

In einem in der Times veröffentlichten Brief erklärte ein deutscher Leutnant Niemann, dass in seinem Sektor bei Frelinghein-Houplines ein Fußballspiel ausgetragen wurde, das 3:2 für die Deutschen ausgegangen war. Dies war eindeutig eines der Symbole des Weihnachtsfriedens und trug zur Legendbildung bei. Der Wahrheitsgehalt kann nicht bestätigt werden. Sicher ist jedoch, dass es zu einem unorganisierten Gekicke zwischen den Gegnern kam, das allerdings nicht auf ein Tor geschweige denn mit Schiedsrichtern gespielt wurde.

Entsprechend mehreren Berichten gab es im Niemandsland weiterhin mindestens ein gemeinsames Schweinegrillen, mindestens einen Frisörsalon für Deutsche und Engländer, mehrere Fußballspiele und unzähliges Austauschen von kleinen Geschenken, wie Tabak, Zigaretten und Schokolade.

An einer französischen Front brachte ein Deutscher einen betrunkenen Franzosen zu seiner Stellung zurück und legte ihn vor dem Stacheldrahtverhau nieder.

Die meisten Berichte stammen aus englischer Feder, der bekannteste stammt von Captain Sir Edward Hulse (gefallen 1915) von den Scots Guards, der als er aus dem Hauptquartier zurückgekommen war feststellen musste, dass Verbrüderungen im Gange waren. Als Zigaretten von den Schotten angeboten wurden, fragte ein Deutscher, ob der Tabak aus Virginia stammen würde. Nachdem dies bejaht worden war, sagte er unter dem Gelächter der Schotten und Deutschen, er rauche nur türkischen Tabak: "Scots and Huns were fraternizing in the most genuine possible manner. Every sort of souvenir was exchanged addresses given and received, photos of families shown, etc. One of our fellows offered a German a cigarette; the German said, "Virginian?" Our fellow said, "Aye, straight-cut", the German said "No thanks, I only smoke Turkish!"... It gave us all a good laugh." (Quelle: Batallionstagebuch der Scots Guards Dezember 1914, zitiert aus: ebenda))

Ende des Waffenstillstandes

Man geht heute davon aus, dass mindestens 100.000 Soldaten der an der Westfront kämpfenden Parteien, an dem Waffenstillstand teilgenommen haben, hauptsächlich jedoch Briten und Deutsche. Der Waffenstillstand und die Verbrüderungen wurden vor allem am 23. und 24. Dezember 1914 beobachtet, vereinzelt konnte man längere Feuerpausen beobachten, einige sogar bis in den Januar 1915. Wie es die soldatische Tradition des 19. Jahrhunderts vorschrieb, gab es an weniger bedeutsamen Sektoren der Front auch inoffizielle und kurze Abmachungen zur Pflege der Verwundeten und Bergung der Toten, die niemals in den Berichten der Armeeführungen auftauchten.

Der allgemeine Waffenstillstand endete an einigen englischen Abschnitten erst am 27. Dezember ("Boxing Day"), an bestimmten schottischen am Neujahrstag, da dies von den schottischen Soldaten als ein besonderes Fest gefeiert wurde. Der Batallionsbericht des Captain J. C. Dunn und des Captain C. I. Stockwell von den Royal Welch Fusiliers, welche die Fässer Bier bekommen hatten, kann als authentisch und beispielhaft gelten: Um 08h30 wurden drei Schuss in die Luft gefeuert und die Engländer hissten eine Flagge mit der Aufschrift "Merry Christmas". Auf der anderen Seite der Front erschien ein deutscher Hauptmann der ein Tuch in die Höhe hielt, auf dem "Thank you" geschrieben stand. Beide salutierten und gingen in ihre Gräben zurück. Ein deutscher Soldat schoss zweimal in die Luft, danach war wieder Krieg.

Konsequenzen

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Der Daily Mirror zu den Ereignissen

Auf beiden Seiten der Front hatte der Waffenstillstand kein disziplinatorisches Nachspiel. In der deutschen Presse wurde es niemals erwähnt, obwohl Aufzeichnungen der OHL die Vorfälle belegen. Die englische und französische Berichterstattung war freizügiger, jedoch wurde das Ausmaß zu einer kleinen Verbrüderung an einem unwesentlichen Frontabschnitt reduziert.

An Weihnachten 1915 gab es wiederum Versuche der Truppen zu einer Wiederholung des Geschehens, das diesmal von den Befehlshabern jedoch mitunter unter Androhung von Kriegsgericht nicht mehr geduldet wurde. Ab dem Jahr 1916 erstarben schließlich auch die inoffiziellen, kleinen Waffenstillstände zwischen Kämpfern, das Niemandsland war zu einer ständigen Kampfzone geworden, in der Menschen starben, aber nicht mehr gerettet wurden, die Soldaten hatten sich an den Krieg im Graben und das entmenschlichte Töten an der Front gewöhnt.

Retrospektive

Die Bedeutung des Waffenstillstands wurde nach dem Weltkrieg lange Zeit, vor allem in England, heftig diskutiert. Ein bewegendes Urteil lieferte der Teilnehmer Murdoch M. Wood vor dem britischen Parlament 1930, dass sie niemals wieder zu den Waffen gegriffen hätten, wenn es nach ihnen gegangen wäre: "The fact is that we did it, and I then came to the conclusion that I have held very firmly ever since, that if we had been left to ourselves there would never have been another shot fired."

Heute interpretiert man als Pragmatiker den Weihnachtsfrieden als kurzes Aufbäumen einer untergehenden Zeit und als hoffnungsloser Versuch der Menschlichkeit in einem vernichtenden Krieg. Als Romantiker will man auf der anderen Seite die christlichen Ideale der Soldaten der Westfront nicht vergessen, die versuchten, dem Schlachten ein Ende zu setzen.

Welche Position man einnehmen will, sei dahingestellt, fest steht, dass der Weihnachtsfrieden Gegenstand von Legendenbildung und Mythologisierung geworden ist, so dass die wahren Details und Tatsachen hinter den Idealen verschwinden und schwer zu erkennen sind. So wurde das Fußballspiel zwischen den Gegnern von einst, das allerdings nicht als Spiel betrachtet werden kann, zum 90. Jahrestag des Geschehens auf dem Schlachtfeld nachgespielt. In Neuville-Saint-Vaast besiegte ein französisches Team, Varietes Club de France, aus zur Ruhe gesetzten Spielern eine internationale Auswahl, Selection of Fraternity, 5:2 vor etwa 2.000 Zuschauern. Das Wetter war klar und es fror, wie vor 90 Jahren.

Der Filmemacher Christian Carion (Joyeux Noel) beantragte eine Drehgenehmigung für die Originalstätten. Diese wurde abgelehnt mit der Begründung, dass Frankreich keinen Film unterstützen würde, der eine Rebellion thematisiert. Er drehte seinen Film in Rumänien.

Es sind keine Überlebende bekannt, die direkt in die Ereignisse verstrickt gewesen waren. Der letzte, wenngleich inaktive Teilnehmer war Alfred Anderson, der 2005 im Alter von 109 Jahren verstorben ist. Er diente als Soldat im Scottish Black Watch Regiment und erinnerte sich in einem privaten Interview kurz vor Ende seines Lebens, dass er - in Reserve - plötzlich die unheimliche Stille gehört hatte. Der Interviewer: "It was very cold and very still. He said he could hear these voices shouting, carried over on the night air. What he could hear was total stillness, which he found very eerie." (Quelle: BBC-Interview März 1996, zitiert nach: ebenda)

Literatur

  • Michael Jürgs: Der kleine Frieden im Großen Krieg ISBN 3-442-15303-4
  • Malcolm Brown, Shirley Seaton: Christmas Truce: The Western Front December 1914 Pan Books Ltd; Revised edition (December, 1999)
  • Stephen Wunderli et al: Silent Night, Holy Night: The Story of the Christmas Truce Mormon Tabernacle Choir
  • Stanley Weintraub: Silent Night: The Story of the World War I Christmas Truce Plume Books (November, 2002)