Schweigen

das Nichtssagen
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 25. November 2005 um 20:47 Uhr durch 84.57.67.140 (Diskussion) (In der Gegenwart). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.

Schweigen ist ein kommunikativer Akt, bei dem nicht gesprochen wird und bei dem auch keine Laute erzeugt werden. Schweigen hat mehrere Funktionen. Einmal gibt es Zeit, sich eine Antwort zu überlegen. Zum anderen deutet es das Ende eines eigenen Sprechaktes an. Während man einem anderen zuhört, schweigt man ebenfalls meist. Im übertragenen Sinne gilt das auch auf andere Arten der Kommunikation, wie das Schweigen eines Rundfunksenders oder das Schweigen einer Raumstation. Auch Waffen können schweigen.

Dem Schweigen geht oft Verstummen voraus.

Arten des Schweigens

Schweigen als Aufmerksamkeit

Schweigen kann angespannte Aufmerksamkeit bedeuten.

Oft wird Schweigen situationsbedingt gefordert. Zum Beispiel schweigen heute die Mitarbeiter in Büros, um die für das Nachdenken erforderliche Ruhe zu gewährleisten.

In Theatern und in Kinos schweigen die Zuschauer meist, um sich auf die Handlung zu konzentrieren und die anderen Zuschauer nicht zu stören.

Schweigen als Aussageverweigerung

Angeklagte und dessen Angehörige haben vor Gericht ein Zeugnisverweigerungsrecht. Damit soll verhindert werden, dass Angeklagte gegen ihren Willen zu belastenden Aussagen gezwungen werden.

Angehörige bestimmter Berufsgruppen unterliegen einer Schweigepflicht. Sie dürfen keine Einzelheiten aus ihrer beruflichen Tätigkeit veröffentlichen, die ihnen als Berufsgeheimnis anvertraut wurden. Dazu gehören das Arztgeheimnis, Bankgeheimnis, Beichtgeheimnis, Betriebsgeheimnis usw.

Schweigen als Dialogverweigerung

Schweigen kann Verweigerung einer Antwort bedeuten. Man spricht dann in Konfliktsituationen von "eisigem" Schweigen. Langwieriges Schweigen kann in Ehekonflikten auftreten. Nicht-miteinander-Reden kann lange dauern. Einer muss den ersten Schritt tun. Dieser Schritt ist riskant, denn er kann auch auf Ablehnung stoßen und damit die negativen Emotionen verstärken. Bisweilen wird in diesem Fall Schweigen als Strafe eingesetzt.

Auch in der Politik spielt Schweigen eine Rolle. So haben nach dem Irakkrieg die Führungskräfte der USA und der Bundesrepublik lange nicht miteinander geredet.

Schweigen als Konsensbildung

Schweigen kann situationsabhängig Zustimmung oder Ablehnung einer Frage signalisieren. Wenn bei einer nichtformellen Abstimmung auf die Frage "Hat jemand etwas dagegen?" niemand antwortet, so wird das als Zustimmung gewertet.
Dazu das bekannte Zitat von Papst Bonifatius VIII. (um 1235–1303): „Qui tacet, consentire videtur.“ („Wer schweigt, scheint zuzustimmen.“) Er drückte sich vorsichtig aus; denn es könnte ja sein, dass beispielsweise jemand zum Schweigen gezwungen wird.

Andererseits wird ein Schweigen auf eine Aufforderung zur Zustimmung (etwa „Sind Sie damit einverstanden?“) eher als Ablehnung gewertert. Schweigen auf eine Frage wird also meist gleich oder ähnlich einer ablehnenden Antwort auf die Frage verstanden.

Das bewusste gemeinsame Schweigen zum Gedenken an bestimmte Ereignisse wird als Schweigeminute bezeichnet.

Schweigen aus Unsicherheit

Plötzlich auftretendes Schweigen kann eine gespannte Stimmung signalisieren.

Wenn in einer Gruppe alle schweigen, weil niemand zu reden beginnen möchte, entsteht oft eine peinliche Situation. Diese Situation muss von den Gesprächsteilnehmern gemeistert werden. Das kann zum Beispiel geschehen, indem bereits vorher festgelegt wird, wer gegebenenfalls die ersten Fragen stellt. Oft entsteht Schweigen, wenn gefragt wird: "Hat jemand eine Frage?" Viele wollen nicht als erste reden, um nicht aufzufallen. Wenn erst einmal eine Diskussion in Gang gekommen ist, entwickelt sie oft eine Eigendynamik.

Schweigegelübde

Bekannt sind Schweigegelübde aus religiösen Gründen, die zu bestimmten Tageszeiten oder über längere Zeit gelten.

Siehe auch: Schweigerose

Schweigen aus Angst vor Isolation

Der englische Sozialphilosoph Thomas Hobbes schrieb in seinem 1650 veröffentlichten Buch »The Elements of Law«, Schweigen könne man als Zeichen von Zustimmung auslegen, denn es sei ja so leicht, nein zu sagen, wenn man nicht zustimme. Hobbes irrt sich darin, daß es leicht sei, nein zu sagen. Manche Menschen leiden, wenn sie meinen, daß sich andere auf Grund einer Meinungsäußerung von ihnen abkehren. Die Furcht vor Isolation erscheint als die treibende Kraft, die den Prozeß der Schweigespirale in Gang setzt. Schweigen ist für Menschen mit schwachem Selbstbewußtsein und geringem Interesse an Politik, d.h. für Mitläufer, eine Möglichkeit, gut gelitten zu bleiben und nicht durch eine Meinungsäußerung isoliert zu werden. Schweigen wirkt für Mitläufer verlockend, weil man es auch als Zustimmung auslegen kann.

Erzwungenes Schweigen

Jemanden durch Gerichtsurteile zum Schweigen verurteilen

Noch heute ist es in der römisch-katholischen Kirche üblich, einen Priester zu einem zeitlich befristeten Bußschweigen zu verurteilen.

Jemanden durch Machtmißbrauch zum Schweigen bringen

Im Altertum und Mittelalter

In früheren Zeiten gab es den „Brauch“, bestimmten Boten oder Dienern die Zunge herauszuschneiden, um sie zum Schweigen zu bringen, das Reden zu verhindern. Auch die Todesstrafe wurde angewendet, um Gegner "zum Schweigen zu bringen".

In der Gegenwart

Die Menschenrechte garantieren u.a. auch die Presse- und Meinungsfreiheit sowie die Freiheit von Kunst, Wissenschaft, Forschung und Lehre, um Zensur zu verhindern. Dennoch werden nicht nur in totalitären Systemen, sondern auch in Demokratien Bürger zum Schweigen gebracht. Ein herausragendes Beispiel ist die Fraktionsdisziplin oder der Fraktionszwang.

Im Zusammenhang mit der Rechtschreibreform nehmen Zeitungsverleger ihr „Hausrecht“ wahr und fordern von den Journalisten die Einhaltung der neuen Rechtschreibung. „Tendenzschutz“ des Verlegers nennt man das. Der Journalist Ulrich Schacht bezeichnete daher die Zeitungen als „‚Sturmgeschütze der Demokratie' - mit von den eigenen Kanonieren vernagelten Rohren!“ Man könnte auch von Untertanengeist sprechen, wenn an die Stelle der Pressefreiheit der Tendenzschutz der Verleger tritt.

Schweigen in der darstellenden Kunst

Schweigen ist ein wichtiges Element zweier Kunstformen:

  • Beim Stummfilm konnte aufgrund technischer Beschränkungen kein gesprochenes Wort verwendet werden. Bei den meisten dieser Filme wurden allerdings als gesprochen zu denkende Texte auf Zwischentafeln eingeblendet, so dass es sich nicht um wirkliches Schweigen handelt. Trotzdem ist auch hier zu beobachten, dass im Vergleich zum Tonfilm ein größeres Gewicht auf Gestik und Mimik gelegt wurde.

Schweigen in Rechtsangelegenheiten

Im Privatrecht bzw. Zivilrecht gilt der Grundsatz, dass Schweigen nicht als Willenserklärung zur Begründung eines Rechtsverhältnisses ausgelegt wird, so dass man in der Regel durch Schweigen oder Nichtreagieren weder Verträge abschließen noch ändern kann. Verträge kommen durch übereinstimmende Willenserklärungen (Angebot und Annahme) zustande.

Von diesem Prinzip gibt es wichtige Ausnahmen, die vor allem auf der Verhältnismäßigkeit und dem Grundsatz beruhen qui tacet, consentire videtur, ubi loqui debuit atque potuit - Wer schweigt, wo er (wider-)sprechen sollte und konnte, dem wird Zustimmung unterstellt.

Wenn es zum Beispiel – besonders in Massengeschäftsbeziehungen wie bei Banken oder Telefongesellschaften – für einen Partner sehr aufwendig wäre, die explizite Zustimmung des anderen Partners (insbesondere einer Vielzahl von ihnen) einzuholen, kann eine Änderung einer bestehenden Geschäftsbeziehung rechtswirksam dadurch erreicht werden, dass ein Partner den anderen davon benachrichtigt und der andere sich nicht äußert. In diesem Fall kann unterstellt werden, dass er sie stillschweigend akzeptiert hat.

Ebenso gilt, dass bei Geschäften, die aus Leistung und Gegenleistung bestehen, grundsätzlich eine Leistung als akzeptiert und damit die Verpflichtung des anderen Vertragspartners als erfüllt gilt, wenn kein Einwand vorgebracht wird. Dies gilt auch dann, wenn etwas anderes geleistet wird, als angefordert wurde. Dieses Prinzip der stillschweigenden Akzeptanz gilt allerdings nicht unbegrenzt; insbesondere kann es in individuellen Verträgen ausgeschlossen werden. Dies wird oft bei Projektgeschäften getan, zum Beispiel beim Kauf von Industrieanlagen, im Baugewerbe, und bei der Entwicklung von Individualsoftware, wo meist vereinbart wird, dass der Kunde eine Lieferung oder Teillieferung ausdrücklich als in Ordnung anerkennen muss, bevor die Lieferpflicht als erfüllt gilt.

Auch im öffentlichen Recht kann Schweigen als Zustimmung ausgelegt werden. Bescheide von Behörden und Gerichtsurteile werden rechtswirksam, wenn man sie stillschweigend hinnimmt, anstatt Widerspruch einzulegen, Klage zu erheben oder in die Berufung zu gehen. Davon zu unterscheiden ist die Versäumung von Rechtsmittelfristen, durch die ein Nachholen der Äußerung unzulässig wird (Sachvortrag im Prozess, Einlegen von Rechtsmitteln usw.).

Im Strafrecht gilt der Grundsatz, dass es das Recht jedes Angeklagten ist, zu schweigen, ohne dass ihm das zum Nachteil ausgelegt werden darf, entsprechend dem Prinzip, dass die Staatsanwaltschaft die Schuld zu beweisen hat, nicht der Angeklagte sie zu widerlegen. In der Praxis kann Aussageverweigerung zwar zu einem höheren Strafmaß führen, als bei einem Geständnis verhängt worden wäre (bei dessen Vorliegen oft Schuldeinsicht als mildernder Umstand angenommen wird). Allerdings gilt dies auch für Leugnung, so dass das Schweigen an sich nicht ursächlich ist.

Metaphorische Anwendung

Das Wort "Schweigen" wird oft in übertragenem Sinn gebraucht. "Die Waffen schweigen.", "Die Götter schweigen.", "Das Schweigen der Lämmer".

Ein bekanntes Zitat aus dem Drama Hamlet von William Shakespeare heißt: Der Rest ist Schweigen.

Literatur

Siehe auch

Vorlage:Wiktionary1 Schweigen-Rechtenbach