Hunderttausend Milliarden Gedichte

experimentelles Ensemble von zehn Sonetten
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Cent Mille Milliards de Poèmes sind ein experimentelles Ensemble von 10 Sonetten, das 1961 von Raymond Queneau publiziert wurde. Sonette haben immer 14 Zeilen. Die Sonette dieses Werkes reimen sich nach dem Schema abab abab ccd eed. Das Besondere an diesen Sonetten von Raymond Queneau ist, dass in allen zehn Sonetten die a,b,c, usw. des Reim-Schemas für dieselben Zeilenendungen stehen, d.h. alle zehn Sonette sind nach demselben Reimschema gebaut, nicht nur insofern als sie Sonette sind, sondern auch insofern als sie alle zehn in den entsprechenden Versen immer übereinstimmende Endungen haben, sodass jede beliebige 1. Zeile (aus den zehn 1. Zeilen) mit jeder beliebigen 2. Zeile (aus den zehn 2. Zeilen) kombiniert mit jeder beliebigen 3. Zeile (aus den zehn 3. Zeilen), usw. usf., bis zu einer beliebigen 14. Zeile (aus den zehn 14. Zeilen) wieder ein (bezüglich des ganzen Reimschemas) korrekt geformtes Sonett ergeben. Das ergibt 10*10*10*...*10 = 1014 (= 100'000'000'000'000) Möglichkeiten — daher der Titel. Die einzelnen Verse sind Alexandriner.

Diese Cent Mille Milliards de Poèmes erschienen erstmals am 7. Juli 1961 bei Gallimard, Paris. Das Buch ist speziell ausgerüstet: auf extra starkem Papier gedruckt und die zehn Seiten mit den Sonetten zeilenweise in Streifen geschnitten mit etwas Luftraum zwischen den Zeilen, damit der Leser die Zeilen bequem einzeln umblättern und gemäss der Komposition kombinieren kann.

Literaturwissenschaftlich gehört dieses Werk zur potentiellen Literatur. Raymond Queneau arbeitete über Jahre mit verschiedenen Interessierten an ähnlichen Vorhaben in der Gruppe Oulipo.

Eine Nach-Dichtung beziehungsweise Nach-Komposition dieser Gedichte in deutscher Sprache von Ludwig Harig ist 1984 im Verlag Zweitausendeins unter dem Titel Hunderttausend Milliarden Gedichte erschienen (ebenfalls zeilenweise in Streifen geschnitten). In englischer Sprache gibt es zwei Übersetzungen bzw. Nach-Dichtungen: eine von John Crombie und Stanley Chapman (Stanley Chapman) und eine von Beverley Charles Rowe (Beverley Charles Rowe).

Wenn man bei eingehender Lektüre nach den zehn Einzelsonetten sich immer wieder andere Kombinationen zusammenstellt und liest, stellen sich manchmal überraschende neue Eindrücke ein, manchmal auch ein gewisses Gefühl des déjà-vu und der Langeweile, weil man ja jede einzelne Zeile schon mindestens einmal gelesen hat, einige auch schon mehrmals.

Dieses faszinierende Werk ist ein genialer Hypertext avant la lettre, der sich geradezu aufdrängt, mit Computerunterstützung dargestellt zu werden. Man darf wohl annehmen, dass das auch sehr im Sinne des 1976 verstorbenen Autors wäre. Einiges deutet aber darauf hin, dass die heutigen Inhaber der Urheberrechte diese Idee ablehnen und im Internet aktiv nach Live-Implementationen des Werkes fahnden und deren Entfernung durchsetzen. Siehe hierzu das Gerichtsurteil vom 5. Mai 1997, in dem jemand auf Antrag von Jean-Marie Queneau, des Sohnes von Raymond Queneau, und des Verlages Gallimard verurteilt wurde, weil er die Cent Mille Milliards de Poèmes im Internet veröffentlicht hatte, oder z.B. http://place-des-fetes.joueb.com/news/210.shtml#16)

Ausgaben

  • Raymond Queneau: Cent Mille Milliards de Poèmes. Paris: Gallimard, 1961. ISBN 2-07010467-2
  • Raymond Queneau: Hunderttausend Milliarden Gedichte. Aus dem Französischen übertragen von Ludwig Harig. Frankfurt a.M.: Zweitausendeins, 1984.