Das Erhabene

Begriff der Ästhetik
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Sublim (lat.; dt. erhaben; Nomen: Erhabenheit oder Das Erhabene) meint im alltäglichen Sprachgebrauch etwas, was nur mit hinreichendem Gespür für das Feine und Außergewöhnliche versteh- bzw. wahrnehmbar ist; in diesem Sinne zeugt das Sublime von großem Einfühlungsvermögen und Verständnis.

Als ästhetische Kategorie hingegen meint es etwas Wahrnehmbares, dessen wesentliche Eigenschaft eine Anmutung von Größe und Erhabenheit, gfs. sogar Heiligkeit ist, die das gewöhnlich "Schöne" transzendiert. Das Sublime bzw. Erhabene ist daher stets auch mit dem Gefühl von Unerreichbarkeit und Unermesslichkeit verbunden. Es löst Erstaunen aus, das mit Ehrfurcht und/oder Schrecken verbunden ist.

Antike bis Burke

Schon bei Aristoteles spielt das Erhabene (Sublime) eine große Rolle in seiner Tragödientheorie. Dezidiert erwähnt wird es in der Antike in einer Abhandlung, die gewöhnlich Longinus zugeschrieben wird. In der Philosophie der Neuzeit wird es prominent vor allem durch Edmund Burke (A philosophical enquiry into the origin of our ideas of the sublime and beautiful, 1757; deutsch: Philosophische Untersuchung über den Ursprung unserer Ideen vom Erhabenen und Schönen). Sein britischer Landsmann Henry Home versuchte in seinen Elements of Criticism eine psychologische und physiologische Deutung des Sublimen. Nach Burke löst das Sublime, das er ausdrücklich vom Schönen abgrenzt, eine "Form von Schrecken oder Schmerz" aus; es erzeuge einen "delightful horror": "Whatever is fitted in any sort to excite the ideas of pain and danger, that is to say, whatever is in any sort terrible, or disconversant about terrible objekts ... is a source of the sublime."

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Eine erhabene Landschaft: der Grand Canyon (Panorama). Viele Besucher vor Ort sind bei diesem Anblick sprachlos und zutiefst ergriffen.

Kant: das Erhabene als "Erhebung" über die Sinnlichkeit

Immanuel Kant, der die Ästhetik in seiner Kritik der Urteilskraft neu begründet, definiert das Schöne als das, was interesselos, aus sich selbst heraus, "ohne Begriffe, als Objekt eines allgemeinen Wohlgefallens vorgestellt wird". Das Schöne rufe ein Lustgefühl hervor, obgleich es weder notwendigerweise nützlich noch moralisch gut ist. Im Rückgriff auf Burke grenzt Kant das Erhabene ebenfalls vom Schönen ab. Für Kant ist ein Objekt erhaben, wenn es erhabene Ideen im Wahrnehmenden hervorruft. Solche Gegenstände findet er vor allem in der Natur, wobei die geistige Verfassung des Betrachters die entscheidende Rolle spiele: "So kann der weite, durch Stürme empörte Ozean nicht erhaben genannt werden. Sein Anblick ist gräßlich; und man muss das Gemüt schon mit mancherlei Ideen angefüllt haben, wenn es durch eine solche Anschauung zu einem Gefühl gestimmt werden soll, welches selbst erhaben ist." - Angesichts des unendlichen Meeres erkennt der Mensch Kant zufolge seine Ohnmacht. Der Übermacht der Natur könne er jedoch die Erkenntnis entgegensetzen, dass, "obgleich der Mensch jener Gewalt unterliegen müßte", seine "Menschheit", das Bewußtsein der "eigenen Erhabenheit der Bestimmung", davon unberührt bleibe. Eben jene geistige Überwindung der sinnlichen Natur des Menschen zeichne das Erhabene aus: "Schön ist das, was in bloßer Beurteilung (also nicht vermittelst der Empfindung des Sinnes nach einem Begriffe des Verstandes) gefällt. Hieraus folgt von selbst, dass es ohne alles Interesse gefallen müsse. Erhaben ist das, was durch seinen Widerstand gegen das Interesse der Sinne unmittelbar gefällt." Maßgeblich für das Erhabene ist eine "Bewegung des Gemüts". Erhaben ist für Kant, "was schlechthin groß ist", "was über alle Vergleichung groß ist". Die "Unangemessenheit unseres Vermögens der Größenschätzung" erwecke das Gefühl eines "übersinnlichen Vermögens in uns".

Schiller: das Erhabene als "Ausgang aus der sinnlichen Welt"

Friedrich Schiller schließt an Kant an und unterscheidet das Erhabene (Sublime) vom Schönen dadurch, das letzteres innerhalb der menschlichen Natur Ausdruck der Freiheit sei; das im Gegensatz dazu von der sinnlichen, berührbaren Welt unabhängige Erhabene erhebe ihn über seine Natur. Das Schöne binde uns an die sinnliche Welt, das Erhabene hingegen befreie uns davon. Schiller zufolge besteht das Erhabene "einerseits aus dem Gefühl unserer Ohnmacht und Begrenzung, einen Gegenstand zu umfassen, anderseits aus dem Gefühle unserer Übermacht, welche vor keinen Grenzen erschrickt und dasjenige sich geistig unterwirft, dem unsere sinnlichen Kräfte unterliegen". Beim Erhabenen fühlten wir uns frei, "weil die sinnlichen Triebe auf die Gesetzgebung der Vernunft keinen Einfluss haben, weil der Geist hier handelt, als ob er unter keinen anderen als seinen eigenen Gesetzen stünde". Das Erhabene "verschafft uns einen Ausgang aus der sinnlichen Welt" und sei gleichzeitig "ein gemischtes Gefühl. Es ist eine Zusammensetzung von Wehsein... und von Frohsein..." - Beim Erhabenen "stimmen Vernunft und Sinnlichkeit nicht zusammen, und eben in diesem Widerspruch zwischen beiden liegt der Zauber, womit es unser Gemüth ergreift": "Der erhabene Gegenstand ist von doppelter Art. Wir beziehen ihn entweder auf unsere Fassungskraft und erliegen bei dem Versuch, uns ein Bild oder einen Begriff von ihm zu bilden; oder wir beziehen ihn auf unsere Lebenskraft und betrachten ihn als eine Macht, gegen welche die unsrige in Nichts verschwindet. Aber ob wir gleich in dem einen wie in dem anderen Fall durch seine Veranlassung das peinliche Gefühl unserer Grenzen erhalten, so fliehen wir ihn doch nicht, sondern werden vielmehr mit unwiderstehlicher Gewalt von ihm angezogen. Würde dieses wohl möglich sein, wenn die Grenzen unsrer Phantasie zugleich die Grenzen unsrer Fassungskraft wären?"

Adorno und Lyotard: die Begrenztheit und Abgrenzung der Kunst

Unter den Philosophen des 20. Jahrhunderts spielt das Sublime bzw. Erhabene insbesondere bei Theodor W. Adorno und Jean-François Lyotard eine herausragende Rolle. Letzerer geht von der auch bei Kant angesprochenen Erfahrung aus, dass das Erhabene in der Kunst die Natur nur unangemessen nachahmen kann. Auch für Hegel war das Erhabene "der Versuch, das Unendliche auszudrücken, ohne in dem Bereich der Erscheinungen einen Gegenstand zu finden, welcher sich für diese Darstellung passend erwiese". Sowohl Lyotard als auch Adorno insistieren darauf, dass eine Transponierung des Erhabenen in die Sphäre des Politischen ausgeschlossen bleiben müsse, weil dies entweder in Terror oder Faschismus münde.

Die Unterscheidung des Erhabenen vom Schönen scheint genuin eine westlich-abendländische Denktradition zu sein; die östliche Philosophie, speziell die chinesische, kennt dergleichen nicht.

Literatur

  • Longinus/Schönberger, Otto (Hrsg. u. Übers.): Vom Erhabenen. - Gr./Dt. - 157 S. Stuttgart: Reclam. - ISBN 3-15-008469-5
  • Burke, Edmund: Philosophische Untersuchung über den Ursprung unserer Ideen vom Erhabenen und Schönen. Hamburg: Meiner, 1989. - ISBN 3-78730-944-6
  • Kant, Immanuel: Kritik der Urteilskraft. Frankfurt/M.: Suhrkamp, 1974. - ISBN 3-518-27657-3 (Bd. 10 der Werkausgabe)
  • Adorno, Theodor W.: Ästhetische Theorie. Frankfurt/M.: Suhrkamp, 2003. - ISBN 3-518-29307-9 (Bd. 7 der Werkausgabe; hier als Taschenbuch)
  • Lyotard, Jean-François: Die Analytik des Erhabenen - Kant-Lektionen. München: Wilhelm Fink, 1994. - ISBN 3-77052-885-9
  • Aguado, María Isabel Peña: Ästhetik des Erhabenen: Burke, Kant, Adorno, Lyotard. Wien: Passagen Verlag, 1994. - ISBN 3-85165-088-3
  • Pries, Christine: Das Erhabene. Weinheim: VCH, Acta humaniora, 1989. - ISBN 3-527-17664-0 (Aufsatzsammlung)