Luftsicherheitsgesetz

deutsches Bundesgesetz, das Flugzeugentführungen und Terroranschläge auf den Luftverkehr verhindern soll
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Das Luftsicherheitsgesetz ist ein deutsches Bundesgesetz, das Flugzeugentführungen, terroristische Anschläge auf sowie Sabotageakte gegen den Luftverkehr verhindern und dadurch die Luftsicherheit erhöhen soll.

Das Gesetz ist rechtlich und ethisch umstritten. Derzeit prüft das Bundesverfassungsgericht, ob das Luftsicherheitsgesetz – wie von verschiedenen Seiten behauptet – gegen das Grundgesetz verstößt. Bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist das Gesetz wirksam.

Basisdaten
Titel: Luftsicherheitsgesetz
Abkürzung: LuftSiG
Art: Bundesgesetz
Geltungsbereich: Bundesrepublik Deutschland
Rechtsmaterie: Gefahrenabwehrrecht
FNA: 96-14
Datum des Gesetzes: 11. Januar 2005 (BGBl. I S. 78)
Inkrafttreten am: 15. Januar 2005
Letzte Änderung durch: Artikel 49 des Gesetzes zur
Umbenennung des Bundesgrenzschutzes
in Bundespolizei vom 21. Juni 2005
(BGBl. I S. 1818)
Inkrafttreten der
letzten Änderung: 1)
1. Juli 2005
1) Bitte beachten Sie den Hinweis zur geltenden Gesetzesfassung!

Allgemein

Das Luftsicherheitsgesetz wurde am 11. Januar 2005 als Artikel 1 des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben erlassen. Es ist am 15. Januar 2005 in Kraft getreten.

Es beruht auf der EU-Verordnung 2320/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung gemeinsamer Vorschriften für die Sicherheit in der Zivilluftfahrt vom 16. Dezember 2002. Forciert wurde die Verabschiedung dieses Gesetz allerdings auch durch einen besorgniserregenden Zwischenfall im Frankfurter Luftraum. Am 5. Januar 2003 kreiste ein verwirrter Hobby-Pilot mit einem Motorsegler über den Wolkenkratzern des Frankfurter Bankenviertels und drohte damit, sein Flugzeug in eines der Hochhäuser stürzen zu lassen. Mit dem kleinen Segler hätte der Pilot zwar keinen wirklich großen Schaden anrichten können, aber dennoch brachte die Bundesregierung dann ab 2004 das Luftsicherheitsgesetz auf den Weg. Das Luftsicherheitsgesetz hat vorrangig den Zweck, Anschläge wie die Terroranschläge am 11. September 2001 in den USA in Deutschland zu verhindern. Dazu ermächtigt und verpflichtet das Gesetz die Luftsicherheitsbehörden, die Fluggesellschaften und die Flughafenbetreiber, bestimmte Sicherheitsmaßnahmen zu ergreifen.

Das Gesetz erlaubt als äußerste Maßnahme den Abschuss von entführten Flugzeugen, wenn diese als „fliegende Waffen“ gegen Menschen eingesetzt werden sollen. Es ist deshalb politisch, rechtlich und ethisch umstritten.

Der Verteidigungsminister ist nach dem Gesetz dazu ermächtigt, entführte Passagierflugzeuge von der Bundeswehr abschießen zu lassen. Die Voraussetzung dafür ist, dass mit dieser Maßnahme „die Verhinderung eines besonders schweren Unglücksfalls“ bewirkt werde. Kritiker monieren diese Formulierung jedoch als zu schwammig. Unter Juristen sorgt diese Klausel ebenfalls für Unruhe, denn das Luftsicherheitsgesetz sieht für den Ernstfall nichts anderes vor, als eine staatlich angeordnete Tötung vieler menschlicher Leben.

Bundespräsident Horst Köhler bereitete die Ausfertigung des Gesetzes Unbehagen; er ließ das Gesetz von den Juristen des Bundespräsidialamtes länger als üblich prüfen (was an für sich nur ein rein formeller Akt darstellt). Dennoch unterschrieb Köhler das Luftsicherheitsgesetz schließlich, regte aber gleichzeitig an das Gesetz vom Bundesverfassungsgericht überprüfen zu lassen.

Regelungen

Das Luftsicherheitsgesetz regelt die Kontrolle von Personen und Sachen im Flughafen bzw. auf dem Flugplatz (§ 5 LuftSiG), gibt vor, welche Personen auf ihre Zuverlässigkeit hin zu überprüfen sind (§ 7) und schreibt vor, welche Sicherungsmaßnahmen die Flughafen- und Flugplatzbetreiber und die Fluggesellschaften zu ergreifen haben (§§ 8–9).

Kontrolle von Personen und Fracht

Die Luftsicherheitsbehörde hat in den nicht allgemein zugänglichen Bereichen des Flughafens bzw. Flugplatzes besondere Befugnisse: Sie darf Personen durchsuchen, die sich in diesen Bereichen aufhalten oder diese betreten wollen. Außerdem darf die Luftsicherheitsbehörde auch Fracht, Gepäckstücke und Postsendungen durchsuchen und durchleuchten. Die Behörde kann die Durchsuchungen entweder von eigenen Mitarbeitern vornehmen lassen oder dritte Personen, zum Beispiel das Sicherheitspersonal des Flughafens, mit der Durchsuchung beauftragen. Die dritte Person wird dann als so genannter Beliehener hoheitlich tätig.

Zuverlässigkeitsüberprüfungen

Neu geregelt werden die Zuverlässigkeitsüberprüfungen von Bediensteten an Flughäfen, Flugplätzen und bei den Fluggesellschaften. Selbst Flugpraktikanten, Flugschüler und Mitglieder von Flugsportvereinen werden durch die Luftsicherheitsbehörden überprüft. Davon ausgenommen sind jedoch Piloten, die nur die Ultraleichtflugzeug- oder Segelfluglizenz besitzen, bzw. Flugschüler, die diese erwerben wollen.

Personen, deren Zuverlässigkeit nicht von einer Luftsicherheitsbehörde bestätigt worden ist, dürfen die nicht allgemein zugänglichen Bereiche des Flugplatzes nicht betreten und keine Tätigkeit im Flughafen, auf dem Flugplatz oder in einem Flugzeug aufnehmen. Betroffen davon sind insbesondere die Flugzeugcrew (Piloten und Flugbegleiter), das Boden- und Sicherheitspersonal, Reinigungskräfte und Warenlieferanten. Angehörige dieser Personengruppen können ihre Tätigkeit ohne positive Zuverlässigkeitsüberprüfung faktisch nicht ausüben.

Zur Überprüfung dürfen die Luftsicherheitsbehörden Auskünfte bei den Polizeivollzugs- und Verfassungsschutzbehörden, dem Bundeskriminalamt, dem Bundesamt für Verfassungsschutz, dem Bundesnachrichtendienst, dem Militärischen Abschirmdienst, dem Zollkriminalamt, der Birthler-Behörde sowie beim Bundeszentralregister einholen. Bei der Zuverlässigkeitsüberprüfung von Ausländern können sich die Luftsicherheitsbehörden auch an die Ausländerbehörden und das Ausländerzentralregister wenden. Bestehen im Einzelfall Zweifel an der Zuverlässigkeit des Betroffenen, so kann die Luftsicherheitsbehörde Auskünfte bei der Staatsanwaltschaft einholen.

Verbotene Gegenstände

Das Mitführen von gefährlichen Gegenständen wird durch das Luftsicherheitsgesetz unter Strafe gestellt.

Zu den verbotenen Gegenständen gehören alle Waffen aller Art, insbesondere Schuss-, Hieb- und Stoßwaffen, ferner Munition, Sprengstoff, brennbare Flüssigkeiten sowie ätzende und brennbare Stoffe.

Ebenfalls nicht zulässig ist das Mitführen von "Gegenständen, die ihrer äußeren Form oder Kennzeichnung nach den Anschein von Waffen, Munition oder explosionsgefährten Stoffen erwecken", beispielsweise von Spielzeugpistolen.

Verboten sind auch alle Gegenstände, die in der Anlage zur EU-Verordnung 2320/2002 vom 16. Dezember 2002 aufgeführt sind. Dazu gehören beispielsweise Baseballschläger, Elektroschockgeräte, Eispickel, Wanderstöcke, Rasiermesser, Scheren mit langer Klinge, Milzbranderreger, Pockenviren und Senfgas.

Strafbar macht sich, wer einen dieser Gegenstände im Handgepäck oder am Körper mit sich führt und damit ein Flugzeug oder einen nicht allgemein zugänglichen Flughafenbereich betritt. Strafbar ist nicht nur das absichtliche oder bewusste Mitführen, sondern auch fahrlässiges Handeln. Das Strafmaß reicht von Geldstrafe bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe.

Rechtliche und moralische Fragen

Besonders umstritten ist das Luftsicherheitsgesetz wegen der Legitimierung des Abschusses von Flugzeugen, die entführt worden sind, und bei denen die Gefahr besteht, als Mittel eines terroristisches Anschlages verwendet zu werden. Denn eine Abwägung „Leben gegen Leben“ wäre mit Artikel 1 des Grundgesetzes (Unantastbarkeit der Menschenwürde) und Artikel 2 Abs. 2 S. 1 des Grundgesetzes (Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit) nicht vereinbar. Der Gesetzgeber war sich der rechtlichen Problematik dieser Regelung bewusst. In § 21 des Luftsicherheitsgesetzes wird deshalb ausdrücklich klargestellt, dass die Grundrechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit nach Maßgabe dieses Gesetzes „eingeschränkt” werden. (Siehe auch: Zitiergebot.)

Kritiker halten es für verfassungsrechtlich und moralisch zweifelhaft, ob die Rettung unschuldiger Menschen am Boden eine Tötung unschuldiger Flugzeugpassagiere rechtfertigt. Unter Juristen umstritten ist zudem die Frage, ob das Grundgesetz überhaupt einen Einsatz der Bundeswehr bzw. der Luftwaffe zur Verhinderung von Terroranschlägen erlaubt.

Der deutsche Bundespräsident Horst Köhler teilt diese Zweifel. Er hat das Gesetz zwar unterzeichnet, jedoch zugleich dessen rechtliche Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht empfohlen. Politiker von CDU und CSU haben daraufhin die Einleitung eines Normenkontrollverfahrens vor dem Bundesverfassungsgerichts angekündigt. Die Unionspolitiker stellen dabei das Luftsicherheitsgesetz inhaltlich nicht grundsätzlich in Frage. Vielmehr streben sie eine Änderung des Grundgesetzes an, um die Möglichkeit von Bundeswehreinsätzen im Inland zu erweitern.

Unabhängig davon haben mehrere Privatpersonen, darunter der ehemalige Bundestagsabgeordnete Burkhard Hirsch und Ex-Bundesinnenminister Gerhart Rudolf Baum, Verfassungsbeschwerde gegen das Gesetz eingelegt. Im Gegensatz zu den Unionspolitikern geht es ihnen allerdings weniger um die Frage, unter welchen formalen Bedingungen die Bundeswehr im Inland eingesetzt werden darf. Hirsch und Baum sehen durch das Luftsicherheitsgesetz vielmehr die Grundrechte der Flugzeugpassagiere beeinträchtigt, weil deren Leben angeblich als weniger erhaltenswert als das Leben der Menschen am Boden qualifiziert werde.

Wissenschaftler, die sich eingehend mit dem Luftsicherheitsgesetz befassten, äußerten sich diesbezüglich, dass es jedoch nicht darum gehe, Leben gegen Leben abzuwägen. Vielmehr gehe das Gesetz davon aus, dass die Menschen in den betroffenen Flugzeugen ohnehin nicht mehr zu retten seien, da sie bei terroristischer Entführung wenige Zeit später durch einen gezielten Absturz ums Leben gebracht werden. Wenn also die Luftwaffe den Jet abschießen würde, dann beschleunige sie dabei lediglich den ohnehin vorhersehbaren Tod.

Ein wesentliche Problem besteht allerdings in der Frage, wie man sicher feststellen kann, dass ein Flugzeug auch tatsächlich deswegen entführt wurde, um es zum Absturz (beispielsweise in ein Atomkraftwerk) zu bringen. Rein theoretisch müsste der Abschuss bereits eingeleitet werden, wenn sich der Pilot gegenüber den Fluglotsen nicht mehr meldet. Jedoch passiert genau das nach Angaben der Deutschen Flugsicherung ungefähr viermal im Jahr. Als Kriterium kann das Abreißen des Funkkontakts zwischen Luft und Boden also nicht herangezogen werden. Als weiteres Kriterium wäre dann das Abweichen von der vorgeschriebenen Flugroute in Betracht zu ziehen. Aber selbst wenn dies zusätzlich festgestellt würde, dann könnte es sich immer noch um den Fall einer herkömmlichen Entführung handeln, bei denen die Terroristen nicht den Absturz des Flugzeuges vorsehen und somit auch nicht massenhaft das Leben weiterer Menschen bedroht ist. Für eine sichere Prognose, daß es sich um einen Terrorakt wie beispielsweise die Terroranschläge am 11. September 2001 in den USA handelt, ist also das Zeitfenster sehr knapp.

Mit Unterstützung der internationalen Luftfahrtorganisation AOPA haben zudem acht Piloten Verfassungsbeschwerde erhoben. Diese Verfassungsbeschwerden wenden sich in erster Linie gegen die Sicherheitsüberprüfungen des § 7. Die Beschwerdeführer und die AOPA meinen, dass das Luftsicherheitsgesetz die Verordnung (EG) 2320/2002 zu weit interpretiere und deshalb die Schwelle für die Notwendigkeit von Sicherheitsüberprüfungen zu niedrig setze. Die umfassenden Überprüfungen verdächtigten Piloten pauschal als potenzielle Terroristen und diskriminierten sie damit im Verhältnis zu anderen Berufsgruppen in unzulässiger Weise. Durch die detaillierten Nachforschungen bei den verschiedenen Behörden werde zudem der „gläserne Pilot“ erschaffen.

Das Bundesverfassungsgericht verhandelte am 9. November 2005 über die Verfassungsbeschwerden mündlich. Bundesinnenminister Otto Schily erklärte bei seiner Befragung durch das Gericht, dass auf das Gesetz gestütze Abschüsse von Verkehrsflugzeugen praktiv ausgeschlossen seien, da die Vorraussetzungen wegen der dichten Bebauung Deutschkands so gut wie ausgeschlossen seien, lediglich bei Angriffen mit Kleinflugzeugen sei ein Abschuss denkbar. Dies wurde von den übrigen befragten Facheuten, wie dem Inspekteur der Luftwaffe, Generalleutnant Klaus Peter Stieglitz bestritten. Solange das Gericht eine mögliche Verfassungswidrigkeit des Luftsicherheitsgesetzes nicht feststellt, bleibt das Gesetz wirksam. Eine zumindest teilweise Unvereinbarerklärung gilt aber als wahrscheinlich.

Zitate

  • „Der Gesetzentwurf regelt in sehr engen Grenzen auch die Zulässigkeit eines Flugzeugabschusses. Es wäre unredlich und unverantwortlich, einer Klärung gerade in diesem extremen Fall auszuweichen. In einer Demokratie kann nur die Politik eine derart schwere Verantwortung übernehmen. Wir dürfen diese Last nicht den Soldatinnen und Soldaten aufbürden. Nur der Verteidigungsminister kann seinen Piloten einen entsprechenden Befehl geben.“ – Bundesinnenminister Otto Schily
  • „Dieses Gesetz ist die Einführung des finalen Rettungstotschlags. Der Staat gibt sich das Recht, die Opfer einer Straftat zu töten, wenn der Verteidigungsminister meint, dass dies für alle besser sei.“ – Ex-Bundestagsabgeordneter Burkhard Hirsch
  • „Es gibt Güterkollisionen, die sich einer exakten legislatorischen Beschreibung entziehen.“ – Bundestagsabgeordneter Ernst Burgbacher
  • „Damit wird das Leben zugunsten eines anderen Lebens geopfert.“ – Bundespräsident Horst Köhler

Siehe auch

Literatur

  • Alexander Archangelskij: Das Problem des Lebensnotstandes am Beispiel des Abschusses eines von Terroristen entführten Fluzeuges, Berlin, 2005
  • Jens Kersten, Die Tötung von Unbeteiligten – Zum verfassungsrechtlichen Grundkonflikt des § 14 III LuftSiG, in: Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 2005, S. 661 ff.
  • Arndt Sinn: Tötung Unschuldiger auf Grund § 14 III Luftsicherheitsgesetz – rechtmäßig? In: Neue Zeitschrift für Strafrecht 2004, S. 585–593.
  • Anton Meyer: Wirksamer Schutz des Luftverkehrs durch ein Luftsicherheitsgesetz? In: Zeitschrift für Rechtspolitik 2004, S. 203–207.
  • Torsten Hartleb: Der neue § 14 III LuftSiG und das Grundrecht auf Leben. In: Neue Juristische Wochenschrift 2005, S. 1397–1401.
  • Ulrich Sittard, Martin Ulbrich: Das Luftsicherheitsgesetz. In: Juristische Schulung 2005, S. 432–436.
  • Anke Borsdorff, Christian Deyda: Luftsicherheitsgesetz für die Bundespolizei. Luebecker Medien Verlag 2005, ISBN 3-9810551-0-1.
  • Wolfgang Mitsch: Luftsicherheitsgesetz – Die Antwort des Rechts auf den 11. September 2001. In: Juristische Rundschau 2005, S. 274–279.

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