Dr. Kamal Salibi (*1929 in Beirut, Libanon) ist ein libanesischer Historiker aus christlicher Familie. Er studierte in Beirut Geschichte, promovierte in London und wurde schließlich Professor für Geschichte und Archäologie an der Amerikanischen Universität in Beirut. Inzwischen ist er Direktor des königlich-jordanischen Instituts für interreligiöse Studien.
Jerusalem-These
Neben zahlreichen Publikationen zu historischen Standardthemen sorgte vor allem sein Werk „Die Bibel kam aus dem Lande Asir“ für rege Aufmerksamkeit und heftige Kritik.
Darin hält er für möglich, daß das antike Jerusalem des Alten Testaments in der Zeit vor der Babylonischen Gefangenschaft (586 bis 537 v.Chr.) nicht im Lande Kanaan (heute Israel) bzw. Palästina, sondern stattdessen in der südwestarabischen Region Asir (heute Saudi-Arabien) gelegen haben könnte. Dorthin hätte Moses einst die Hebräer aus der Ägyptischen Knechtschaft geführt und dort habe Salomo den Tempel in al-Šarim (Alt-Jerusalem) errichtet. (Al-Sarim bzw. L-S-R-M sei eine arabisierte Lautverschiebung von R-S-L-M bzw. Jerusalem.) Erst nach der jüdischen Befreiung aus der Babylonischen Gefangenschaft sei ein Neu-Jerusalem in Palästina statt des zerstörten und verfallenen Alt-Jerusalem in Asir errichtet worden.
Kritik und Zustimmung
Zweifellos kann weder Israel zugeben, daß viel Blut vergossen wurde, um die jüdische Heimstadt auf dem "falschen" Gebiet zu errichten, während das "richtige" Gebiet unter arabisch-muslimischer Herrschaft steht, noch kann Saudi-Arabien zugeben, daß die Juden historische "Ansprüche" in unmittelbarer Nachbarschaft zu den heiligen Städten des Islam in Mekka haben. Auch die traditionelle Lehrmeinung kann von ihrem in jahrhundertelangen Auseinandersetzungen nur mühsam erarbeiteten dogmatischen Kompromiß kaum abrücken. Dennoch aber stützten mindestens drei Faktoren Salibis These wesentlich.
Ortsnamen
Salibi fand bei seinen Untersuchungen in Asir nicht nur westarabische Ortsnamen und georgraphische Bezeichnungen, sondern vor allem kanaanitische und aramäische sowie hebräische Ortsnamen, die dem Alten Testament entsprechen. Übertragen auf Westarabien paßten 80% sämtlicher 700 Entfernungsangaben und Landschaftsbeschreibungen der biblischen Orte untereinander deutlich besser als die auf die Geographie Palästinas mühsam passend gemachte Interpretation. Der Spiegel druckte die These nach einer Bestätigung durch Linguisten 1985 ab.
Taima als Hauptstadt des Neubabylonischen Reiches
Nach der Eroberung Jerusalems durch Nebukadnezar II. verlegte dessen Nachfolger Nabonid 550 v.Chr. die Hauptstadt des Reiches von Babylon in die nordarabische Wüstenoase Teima (saudische Provinz Dschauf). Nach traditioneller Lehrmeinung handelte es sich bei Taima lediglich um den äußersten babylonischen Außenposten fernab sowohl der alten Hauptstadt als auch der neuen Eroberungen. Das erscheint politisch ungeschickt, zumindest aber sinnlos.
Die Verlegung der Residenz läßt sich nur damit erklären, daß Taima auf halber Strecke der Karawanen-Wege (Weihrauchstraße) zwischen Babylonien und Syrien bzw. Ägypten einerseits sowie Asir und Jemen andererseits lag. Altarabische Quellen bestätigen, daß südlich von Taima z.B. auch Khaibar (Chaibar), Medina (Yathrib) und weitere westarabische Städte unter babylonische Herrschaft gefallen waren. Taima hätte also in der Mitte, nicht am Rande des Babylonischen Reiches gelegen, mit al-Sarim im Süden.
Nachbarschaft zu Mekka und Saba
Nach biblischer und koranischer Auffassung habe Urvater Abraham für seine verstoßene Nebenfrau Haggar und ihren Sohn Ismail die Kaaba als Haus erbaut. Ismail und Israil (Jakob) blieben aber „Nachbarn“. Später habe Jerusalems König Salomon seine Geliebte, die Königin von Saba, mehrmals im Monat besucht und es habe sogar eine rege jüdische Einwanderung nach Saba stattgefunden, bis ins 20. Jahrhundert gab es eine jüdische Minderheit in Jemen.
Entsprechend überlieferter Maße und Gewichte in der Bibel konnten in einem Tagesmarsch aber nur maximal 40 Kilometer zurückgelegt werden, für die einfache Entfernung Jerusalem-Saba wären daher mehr als 50 Tage nötig gewesen. Von Abrahams Heimat Ur bzw. von Jerusalem nach Mekka ebenfalls weit über 30 Tage. Von al-Sarim in Asir aus allerdings wären sowohl Mekka als auch Saba in jeweils nur drei bis fünf Tagen erreichbar gewesen, mehrfache Besuche der Nachbarn innerhalb eines Monats also tatsächlich möglich.
Bereits im 7. Jahrhundert wurden die Juden durch ein Dekret des Kalifen Umar ibn al-Chattab aus Asir und dem Hedschas bzw. von der gesamten arabischen Halbinsel (außer Jemen) umgesiedelt.
Reaktionen
Selbstverständlich griffen muslimisch-palästinensische Kreise Salibis These bereitwillig auf und schlachteten sie propagandistisch aus, nachdem dieser 1997 PLO-Medien ein Interview gegeben hatte. Salibi, selbst Christ, hat mehrmals versichert, daß es ihm nicht um eine religiös-inhaltliche Neubewertung politischer Ansprüche oder gar um eine Neuinterpretation der Bibel geht, lediglich um längst überfällige historisch-geographische Anpassungen angesichts erdrückender neuer Erkenntnisse.
Literatur
- Kamal Salibi: Die Bibel kam aus dem Lande Asir. Reinbek (Hamburg) 1985. ISBN 3498061798
- Der Spiegel, Nr. 39/1985: Hat die Bibel doch nicht recht? Hamburg 1985
- Kamal Salibi: Die Verschwörung von Jerusalem. München 1993 (Rezension)
- Kamal Salibi: Modern History of Lebanon. London 1965