Vedanta

eine der sechs Schulen für hinduistische Philosophie
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Vedānta (Sanskrit, m., वेदान्त, vedānta) ist die wichtigste Richtung der indischen Philosophie und heißt wörtlich übersetzt: „Ende des Wissens“, „Vollendung des Wissens“. Innerhalb des Vedānta gibt es mehrere Richtungen, von denen Advaita die bedeutendste ist. Vedānta gehört zu den sechs klassischen orthodoxen philosophischen Systemen (Darshanas) und ist neben dem Samkhya die wichtigste indische Philosophie.


Grundlagen

Bereits in den Upanishaden kristallisieren sich die zentralen Begriffe Atman (innerstes Sein des Menschen) und Brahman (Prinzip des Universums als Ganzes) heraus. Atman und Brahman werden oft identifiziert: „Diese Seele (Atman) ist Brahman“, „Das bist du“, „Ich bin Brahman“. Die Natur des Brahman ist satya („Wahrheit“), jñāna („Erkenntnis“, „Bewusstein“), anānta („Unendlichkeit“) oder ānanda („Glückseligkeit“). Hier stellt sich die Frage nach den individuellen Seelen (jivātman) und paramātman, d. h. Brahman, und nach der Beziehung der Welt der Vielfältigkeit zum einen letzen Sein. In den Upanishaden gibt auch es Ansätze, die dieser Welt eine eigene, von Brahman unterschiedliche Wirklichkeit zusprechen. Bei der Lösung dieser Frage kam es zu den unterschiedlichen Vedānta-Systemen.


Advaita-Vedānta

Bei Advaita-Vedānta (Sanskrit, m., अद्वैत वेदान्त, advaita vedānta, advaita = „Nicht-Dualität“) handelt es sich um ein monistisches System, da die Welt auf ein Prinzip zurückgeführt wird. Der bekannteste Gelehrte des Advaita-Vedānta war Shankara (788–820 n. 0), der ältere Upanishaden, wie z. B. die Kathā-Upanishad, kommentierte und die Vedānta-Philosphie weiterentwickelte. Wichtige Texte des Vedānta sind die Brahmasutras (1./2. Jh. n. 0) und die Vedāntasutrāni. Advaita ist eng mit dem Jñāna-Yoga („Yoga des Wissens“) verbunden; als Bezug dienen die 108 Upanishaden, die den abschließenden Teil der Veden bilden.

Wesentliches Charakteristikum von Advaita-Vedānta ist die Wesensidentität von Atman (der individuellen Seele) und Brahman (der Weltseele). Der Erkenntnisprozess des Menschen (und Weg zur Erlösung) besteht darin, diese Einheit zu erkennen, deshalb die Bezeichnung Advaita-Vedānta („Nicht-Zweiheit“). Dualität tritt dort auf, wo avidyā („Unwissenheit“) herrscht. Die wahre Erkenntnis, die diese Unwissenheit überwindet, führt zur Advaita-Erfahrung und damit zur Befreiung (moksha). Shankaras wichtigster Beitrag besteht in der Entwicklung des Brahman-Begriffs ohne alle Qualitäten (nirguna), d. h. ein Brahman, dem man keine Attribute zuschreiben kann. Daher sind auch sat (reines „Sein“), cit (reines „Bewusstsein“) und ānanda (reine „Glückseligkeit“) keine das Brahman qualifizierenden Attribute; sie konstituieren vielmehr das Wesen des Brahman.

Der wahre Atman ist verschleiert. Das Denkorgan geht eine klebrige Verbindung mit der Wahrnehmung ein. Ziel ist die Reinigung des „Diamantkerns“ Atman vom Schleim. Jedoch ist der Diamant ständig existent und nie von kosmischer Kraft getrennt und verändert sich nicht. Der Mensch ist das Produkt der eigenen Taten, des eigenen Karma, nicht von göttlicher Gnade. Karma ist das Begehren, woraus der Mensch entsteht.

Vishishtādvaita-Vedānta

Vishishtādvaita-Vedānta (Sanskrit, n., विशिष्ताद्वैत वेदान्त, viśiṣtādvaita vedānta, advaita = „Nicht-Dualität“ + vishesha = „Eigenschaften“) bedeutet soviel wie qualifizierter Monismus, was besagen will, dass Gott als Einziges existiert, jedoch bleibt die Pluralität der Welt erhalten und wird nicht wie bei Shankaras Advaita als Illusion betrachtet.

Bedeutendster Vertreter ist Rāmānuja (1017–1137 n. 0). Für Rāmānuja ist alles Brahman, das für ihn Narayana – Gott – ist. Alle Eigenschaften der Schöpfung sind real und stehen unter der Kontrolle Brahmans. Gott kann trotz der Existenz aller Eigenschaften eins sein, da diese nicht unabhängig von ihm existieren können. Sie sind prakaras (Modi), shesha (Zubehör) and niyama (kontrollierte Aspekte) des einen Brahman. In Rāmānujas System besitzt Gott (Narayana) zwei untrennbare prakaras (Modi), nämlich die Welt und die Seelen. Diese verhalten sich zu ihm wie Körper und Seele. Materie und Seelen stellen den Körper Gottes dar. Gott ist ihr Bewohner, die Kontrollinstanz. Materie und Seelen sind untergeordnete Elemente, die Visheshanas, „Eigenschaften“. Gott ist der Visheshya, das, was qualifiziert ist.

Vishishtādvaita und einige verwandte Theorien bilden die theoretische Grundlage des Bhakti-Yoga – des Yoga der göttlichen Hingabe – im Vishnuismus. Er nimmt eine Zwischenposition zwischen Shankaras Advaita- und Madhvas Dvaita-Vedānta ein.

Dvaita-Vedānta

Dvaita-Vedānta (Sanskrit, m., द्वैत वेदान्त, dvaita vedānta, dvaita = „Dualität“) wurde von dem Philosophen Madhva begründet. Der Begriff Dvaita-Vedānta bedeutet: „die nach den Veden entstandene Lehre von der Zweiheit (Dvaita)“. Nach dieser Auffassung ist die individuelle Seele (das Atman) nicht mit der Gottseele (dem Brahman) identisch.

Die Einsichtigkeit dieser Philosophie zeige sich im täglichen Leben, denn im täglichen Umgang miteinander können wir ohne Probleme feststellen, dass wir nicht allmächtig sind und auch keine „geistige Einheit“ unter den Menschen herrscht. Statt dessen sind wir alle Individuen (jivas), von denen jeder einen eigenen Geist hat, eine eigene Wahrnehmung aufweist und eigene Pläne und Ziele verfolgt. Auch untergrabe die Gleichsetzung von Gottseele auf der einen Seite und Menschen-/Tier-/Pflanzenseele auf der anderen Seite die absolute Autorität Gottes (Vishnus), der allein Brahman (das Höchste) sei, und von dessen Gnade allein es abhänge, ob der Mensch erlöst wird. Gottesdienst (puja) und die glaubensvolle Unterwerfung unter ein höheres Wesen (Bhakti-Yoga) seien sinnlos, wenn dieses höhere Wesen identisch mit der (eigenen) Seele ist.

Das Dvaita-Vedānta wurde fortentwickelt von Jayatirtha (1356–1388) und Vyasaraya (1478–1589). Die guru-Linie (sampradāya) und die Anhänger der von Madhva gelehrten Religion sind heute am stärksten vertreten im Distrikt Udipi im indischen Bundesstaat Karnataka.


Siehe auch


Literatur

  • Paul Deussen. Die Sûtra's des Vedânta oder die Shârîraka-Mîmânsâ des Bâdarâyana nebst dem vollständigen Kommentare des Shânkara. Aus dem Sanskrit übersetzt, Berlin 1887.
  • Wilfried Huchzermeyer. Die heiligen Schriften Indiens: Geschichte der Sanskrit-Literatur. Edition-Sawitri.de, ISBN 3-931172-22-8
  • Erich Frauwallner. Geschichte der indischen Philosophie. Salzburg: Otto-Müller-Verlag, 1953.
  • Raphael. Tat Tvam Asi – Das bist du. übers. v. Beate Schleep. Bielefeld: Kamphausen, 2000. ISBN 3-933496-48-9