Unter Imperialismus (von lat. imperare „befehlen“; imperium „Herrschaftsgebiet“; z.B. Imperium Romanum) versteht man die Bestrebungen eines Staates, seinen Einfluss auf andere Länder oder Völker auszudehnen. Dieser Machterweiterungspolitik können unter anderem ökonomische, bevölkerungspolitische, sozialpolitische, nationalistische und geistig-kulturelle Motive zugrunde liegen.
Imperialismus kann als ein universelles Phänomen aufgefasst werden, welches nicht auf einzelne Geschichtsabschnitte und Völker festzulegen ist. In der Geschichtswissenschaft wird dennoch ein zeitlicher Schwerpunkt auf das Zeitalter des Imperialismus (etwa von den 1880er Jahren bis 1914/18) gelegt.
Begriffsgeschichte
Geläufig wurde der Begriff „Imperialismus“ im Zusammenhang mit der europäischen Expansionswelle zwischen 1840 und 1914. Imperialismus bedeutet eigentlich Weltreich-/Kolonialreich-Bildung nach dem Muster des Imperium Romanum der Antike: Eine Macht beherrschte die damals bekannte Welt.
Erstmals wurde das Wort „Imperialismus“ für die Großmachtbestrebungen Napoléon Bonapartes benutzt. Der deutsche Historiker Wolfgang Mommsen beschreibt mit Blick auf die europäischen Staaten deren Entwicklung in den Jahren 1885 bis 1914 unter dem Titel „Zeitalter des Imperialismus“. Unstrittig ist jedoch, dass sich Ende des 19. Jahrhunderts das Streben nach Kolonien in Europa gleichsam „globalisierte“. Ebenfalls unstrittig ist, dass die dadurch ausgelösten internationalen Spannungen zwischen den europäischen Großmächten zum 1. Weltkrieg beitrugen und dass mit ihm das „Zeitalter des klassischen Imperialismus“ endete.
Was das Deutsche Reich anbelangt, blieb der sprachliche Eindruck bislang unbeachtet, der vom kaiserlichen Deutschland ausging – die englische Bedeutung von kaiserlich lautet imperial, weswegen die kaiserliche Reichsregierung im englischsprachigen Ausland folgerichtig Imperial German Government genannt wurde – eine zugleich Anstoß gebende, ja herausfordernde Wortwahl.
Nach dem Ersten Weltkrieg wurde der Begriff „Imperialismus“ ganz allgemein für Bestrebungen benutzt, die – z.B. aus ideologisch-missionarischen Gründen – eine Weltherrschaft oder zumindest die Herrschaft über großräumige Gebiete außerhalb des eigenen Stammlandes anstreben. So sprach bzw. spricht man insbesondere vom Sowjet-Imperialismus und vom US-Imperialismus. Im heutigen Zusammenhang der Diskussion, ob die aktuellen Bestrebungen der USA als Neo-Imperialismus bezeichnet werden können, wird mit Blick auf das „Zeitalter des Imperialismus“ von „historischem Imperialismus“ gesprochen.
In der marxistischen Geschichtstheorie wird seit Rosa Luxemburg und W. I. Lenin der Imperialismus als besondere Entwicklungsstufe (Stadium) des Kapitalismus interpretiert, nach Lenin sei zudem die staatsmonopolistische Phase dieses Imperialismus (Stamokap) die letzte Phase des Kapitalismus überhaupt.
Als Gegenbewegung gegen die im Zeitalter des Imperialismus errichteten Kolonialreiche etablierte sich der Nationalismus, der die Unabhängigkeit von fremden Mächten anstrebte und oft auch erreichte.
Imperialismus vor dem 19. Jahrhundert
Antike Großreiche
Die ersten imperialen Ausdehnungen ergaben sich durch die Machtkonzentration bei der Bewältigung großer Bewässerungsbauwerke und Dammanlagen in China (Hoangho), Indien (Indus), Mesopotamien (Euphrat und Tigris) und Ägypten (Nil), nach Wittfogel in den „hydraulischen Kulturen“. Namengebend wurde dann das Wachstum Roms. Nach dem Prinzip divide et impera (lat. = „teile und herrsche“) gaben sie den eroberten Gebieten allerdings auch eine gewisse Mitbestimmung durch eine Selbstbestimmung der Bevölkerung oder eine eigene Regierung, die durch einen Statthalter vertreten war. Mit der Pax Romana konnten die Römer also ihre eroberten Gebiete durch Machtteilung mit den lokalen Ethnien befrieden. Für die Römer ergab sich durch diese Ausweitung ein Flächenreich.
Imperiale Großreiche Arabiens, der Mongolei und des Osmanischen Reiches
Zu den Imperialismen können die Eroberung Nordafrikas durch frühislamische Araber, die mongolische Ausdehnung nach Westen, die Expansion der Bantu-Völker im östlichen und südlichen Afrika und die Expansion des Osmanischen Reiches gezählt werden.
Kolonialisation des amerikanischen Kontinents
Kolumbus und Cortez entdeckten Mittelamerika und trieben die Ausbeutung der ortsansässigen Azteken für Spanien voran. Ziel war also die Eroberung der „unzivilisierten“ Bevölkerung, die, im Gegensatz zu den spanischen Behauptungen, doch schon sehr fortschrittlich war. Die Spanier unter Cortez versklavten die Azteken. Sie agierten nach den Prinzipien Erobern (von Land), Vernichten (der Kultur) und Errichten (eigener Staaten). Die Portugiesen hingegen errichteten Stützpunkte bei den fremden Kulturen und nutzten diesen Kontakt eher wirtschaftlich.
Zeitalter des Imperialismus
Als "Zeitalter des Imperialismus" (auch „klassischer Imperialismus“ oder "Hochimperialismus") versteht die Geschichtswissenschaft die in der Zeit von den 1880er Jahren bis zum Ausbruch des ersten Weltkrieges stattfindende territoriale Ausdehnung europäischer Groß- und Mittelmächte sowie der USA und Japan. Seine Triebfedern waren zunächst vornehmlich wirtschaftlicher und strategischer, in seinem Verlauf zunehmend nationalpsychologischer Natur. Der in dieser Zeit stattfindende formelle Kolonialismus vor allem in Afrika (Wettlauf um Afrika) stellt dabei nur einen Teil des Imperialismus dar, der ebenso durch informelle wirtschaftliche Durchdringung (etwa in China und dem Osmanischen Reich) und das wachsende Konkurrenzempfinden zwischen den imperialistischen Mächten gekennzeichnet war.
Dem Hochimperialismus ging die Phase des Frühimperialismus voraus, deren Beginn etwa bei 1815 angesetzt wird und die vor allem von Formen des informellen Imperialismus geprägt war.
Man kann drei Arten des klassischen Imperialismus unterscheiden: 1. Vom Handelsstützpunkt zum Herrschaftsgebiet mit Ansätzen einer eigenen Industrie (Bsp. Indien) 2. Beherrschung unter Wahrung des Anscheins der Souveränität und Autonomie (Bsp. China zur Zeit der „Ungleichen Verträge“) 3. wirtschaftliche Beherrschung souveräner Staaten ohne eigene Industrie (Bsp. Balkanstaaten, Türkei)
Die Zunahme des europäischen Imperialismus unter der Führung Großbritanniens erfolgte im Zuge der industriellen Revolution. Der sich ergebende Fortschritt in der Schwerindustrie spielte auch in der Schifffahrt eine zunehmend größere Rolle. Die Dampfschifffahrt ermöglichte neue Dimensionen. Kohle, Stahl und Eisen wurden zu einem wichtigen Machtindikator. Großbritannien versuchte sich durch die Industrialisierung vom Agrar- zum Industriestaat zu verändern. Die Zunahme der Massenproduktion erforderte neue Absatzmärkte, so dass man hoffte diese in den Kolonien zu finden. In den Kolonien befanden sich auch viele ungenutzte Agrarflächen, die gigantische Gewinnspannen ermöglichten. Bis 1914 war ein Viertel des Erdballs von der als Pax Britannica verherrlichten britischen Weltmacht beherrscht.
Die französischen imperialistischen Bestrebungen ergaben sich vor allem in Konkurrenz zum englischen Erzfeind. Das Erreichen eines Weltmachtstatus hatte oberste Priorität. So entstand vor allem auch eine Konkurrenz in den Kolonien (etwa in der Faschoda-Krise).
Das 1871 begründete Deutsche Reich entwickelte erst nach der Ablösung Bismarcks 1890 eine imperialistisch orientierte Politik. Im Jahr 1897 forderte der spätere Reichskanzler Bernhard von Bülow im Reichstag einen deutschen „Platz an der Sonne“. Diese Prämisse eines nationalen Prestigedenkens sollte die deutsche "Weltpolitik" bis 1914 prägen.
Die deutsche Kolonialpolitik begann hingegen schon 1884/85. Bismarck verlieh mehreren afrikanischen Gebieten (Deutsch-Südwestafrika, Deutsch-Ostafrika, Kamerun, Togo) sowie Neuguinea einen deutschen Reichsschutz, der von Bismarck zunächst nur wirtschaftlich motiviert war. Innerhalb weniger Jahre wurden diese Gebiete allerdings in formelle Kolonien umgewandelt. In der Zeit der "Weltpolitik" konnten später nur noch wenige, kleinere Gebiete (etwa Kiautschou) erworben werden. Die von Deutschland erworbenen Kolonien waren wirtschaftlich und strategisch uninteressant, da sie weder über größere Bodenschätze noch über agrarische Nutzflächen verfügten.
1905 kam es zur ersten Marokkokrise, weil Deutschland französischen Bestrebungen, Marokko dem französischen Kolonialreich beizufügen, unter Berufung auf internationale Verträge entgegentrat. 1911 kam es nach dem Einmarsch französischer Truppen in die marokkanischen Städte Rabat und Fez und der Entsendung des deutschen Kanonenbootes Panther (Panthersprung nach Agadir) zur zweiten Marokkokrise. Deutschland erhielt als Kompensation Teile des französischen Äquatorialafrikas zur Abrundung seiner kamerunischen Besitzungen, sah sich aber außenpolitisch isoliert. Insbesondere die von Alfred von Tirpitz zwischen 1898 und 1912 durchgesetzten, imperialistisch motivierten Flottengesetze hatten schon zuvor die deutsch-englischen Beziehungen schwer belastet.
Der russische Imperialismus unterschied sich in seiner Form deutlich von den Imperialismen der anderen Staaten. Er war ein reiner Binnenimperialismus und bezog sich nur auf die Territorialvergrößerung in Sibirien bis hin zur Insel Sachalin. Im Süden stießen Russlands Truppen in die zum größten Teil noch unkartographierten Gebiete des Kaukasus, Nordpersiens, Afghanistans, Samarkands, Taschkents und in die Nordmongolei vor. Eine der wichtigsten Triebfedern dieser Ausdehnung war das russische Bestreben, einen eisfreien Hafen zu erlangen, um so im Konzert der Mächte eine zu dieser Zeit so wichtige, ganzjährig verfügbare Flotte stationieren zu können (Hier sind besonders die Ausdehnung nach Osten und die Gründung Wladiwostoks [Beherrscherin des Ostens], sowie die Politik um die Meerengen am Bosporus zu betrachten - vgl. auch Navalismus).
1904 wurde ihr Vormarsch durch Japan, England sowie Österreich Ungarn gestoppt.
Hinzu kam die Vorstellung, mit einer Südausdehnung auch in eine gewisse Verhandlungsposition gegenüber Großbritannien zu kommen. Mit Druck auf die Peripherie (Nordpersien, Afghanistan und Nordindien) wurde der zentrale Nerv des britischen Königreichs bedroht: Die Seewege nach Indien und die Kronkolonie selbst. So erhofften sich die Zaren ein Einlenken Großbritanniens in der Meerengenfrage.
Gerade diese Verlagerung der großmächtigen Konfliktfelder in den Osten Asiens legte die Grundlage für eine spätere Eskalation in Zentraleuropa, die ohne die Geschehnisse am Rand der Interessensspähren überhaupt nicht verständlich erscheint: Der 1. Weltkrieg.
Der japanische Imperialismus gerade gegen Ende des 19. Jahrhunderts wird von der einschlägigen Literatur am wenigsten berücksichtigt, gleichwohl durch seinen Verlauf für die nachfolgenden Ereignisse nicht minder wichtig. Nachdem Japan im Jahre 1854 durch die USA gewaltsam zur Aufgabe seiner Isolation gezwungen worden war, sah sich der feudalistisch organisierte Staat einer übermächtigen Umwelt gegenüber. In einer beispiellosen Entwicklung gelang es, radikale Reformen durchzusetzen und in atemberaubender Geschwindigkeit den technischen Rückstand zu den industrialisierten Staaten aufzuholen. Schon 30 Jahre später war aus Japan eine zu beachtende Territorialmacht geworden, die nicht nur 1894/95 China in einem Krieg besiegen konnte, sondern nach einem gleichberechtigten Bündnis mit Großbritannien 1902 sogar schaffte, die gesamte russische Flotte im russisch-japanischen Krieg 1905 zu zerstören und so die Ambitionen des Zarenstaats in Asien zu stoppen. (Direktes Ergebnis dieses Krieges waren auch die ersten revolutionären Unruhen in Russland, die später dann in die russische Revolution münden sollten, und die Rückwendung der Großmächte nach Europa – sprich: dem Balkan.)
Japan verstand das imperiale Spiel der Geheimdiplomatie zu seinen Gunsten zu nutzen, so dass es seine Ambitionen in Korea und Nordchina schon im Vorfeld zum Ersten Weltkrieg bedienen konnte und dadurch bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs die einzige imperialistische Macht im ostasiatischen Raum blieb.
Mit dem Sieg im Spanisch-Amerikanischen Krieg 1898 treten auch die USA in den Kreis der imperialistischen Weltmächte ein. Der Erwerb der Philippinen und Puerto Ricos sowie die Besetzung Kubas sind ein erster Schritt um mit den europäischen Imperien in Konkurrenz zu treten. Das wurde in der Vergangenheit als erstes von Monroe begründet und bis auf Kleinigkeiten beibehalten. Hier wird der europäischer Imerialismus
Trotz starker antiimperialistischer und isolationistischer Bewegungen in der US-Politik bauen die USA in der Folge ihren Einfluss in der Weltpolitik bis hin zum Eintritt in den 1. Weltkrieg weiter aus.
Gegenwart
Gegenwärtig können die USA als einzige imperiale (nicht notwendigerweise jedoch als einzige imperialistische) Macht bezeichnet werden, wobei man die Stellung der USA nicht mit der der alten „klassischen“ imperialistischen Mächten gleich setzen sollte (Münkler, Imperien). Der Politologe Herfried Münkler warf vor kurzem auch die Frage auf, ob den USA der Sprung über die so genannte augusteische Schwelle gelingen könnte.
Literatur
- Philip S. Foner: The Spanish-Cuban-American War and the Birth of American Imperialism 1895-1902. 2 Bände. New York / London 1972 (sehr detaillierte Untersuchung mit vielen Quellen besonders aus US-amerikanischen Archiven)
- Karl Held (Hrsg.): Imperialismus 1 : Ableitung – Anti-imperialistische Illusionen über Staat und Revolution. München 1979. 102 Seiten, derzeit vergriffen. Online: RTF-Datei zum Download (364.580 Bytes) (Marxistische Analyse)
- Hannah Arendt: Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft. Bd. 2: Imperialismus. München 1986 [engl. Erstausgabe 1951].
- Sönke Neitzel: Weltmacht oder Untergang. Die Weltreichslehre im Zeitalter des Imperialismus, Paderborn [u.a.] : Schöningh, 2000, 453 S., ISBN 3-506-76102-1
- Gregor Schöllgen: Das Zeitalter des Imperialismus. München 2000, 4. Auflage [Oldenbourg Grundriß der Geschichte]. (hervorragende, umfassende und forschungsnahe Gesamtdarstellung mit 1223 Literturhinweisen zu verschiedenen Einzelthemen)
- Michael Mann: Geschichte der Macht. 3 Bände, Frankfurt 1990-1998.
- Alexander Demandt: Das Ende der Weltreiche. München 1997.
- Eric J. Hobsbawm: Das imperiale Zeitalter 1875-1914, Frankfurt a.M.: Fischer 2004 (TB 16391).
- Herfried Münkler: Imperien. Die Logik der Weltherrschaft - vom Alten Rom bis zu den Vereinigten Staaten, Rowohlt, Berlin 2005.
Siehe auch
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