Antimilitarismus
Antimilitarismus ist eine dem Pazifismus nahe stehende Überzeugung, die sich gegen militaristische Tendenzen innerhalb von Gesellschaft und Politik wendet. Sie ist damit eine Gegenbewegung zum Militarismus in seinen verschiedenen Ausprägungen.

Der Antimilitarismus sollte vom Pazifismus begrifflich geschieden werden, weil die pazifistische Frage, wie man Frieden schafft, unabhängig von der anti-militaristischen Frage steht, militaristische Tendenzen minimal zu halten. Es gibt sehr viele Widersprüche zwischen Anti-Militaristen und Pazifisten; etwa zu der Frage, ob UN-Friedensmissionen legal sein sollen, denn während Pazifisten UN-Friedensmissionen zur Friedenssicherung befürwörten, sind laut manchen anti-militaristischen Strömungen alle bewaffneten Auslands-Einsätze illegal und jeder militärische Einsatz ist laut Anti-Militaristen immer Krieg.
Gegen militaristische Tendenzen werden von Antimilitaristen verschiedene Argumente angeführt, die sich grob in gesellschaftliche und politische Aspekte unterscheiden lassen.
Gesellschaftliche Aspekte
Für einen der prominentesten Pazifisten der Weimarer Republik, Kurt Tucholsky, war die Dominanz des Militärischen eine Ursache für den typisch deutschen Untertanengeist, der demokratische Entwicklungen behinderte. Nach Ende des Ersten Weltkrieges machte Tucholsky in der Zeitschrift Die Weltbühne den preußischen Militarismus auch für die Missstände an der Front verantwortlich. Er kam zu dem Schluss:
- Worauf es uns ankommt, ist dies: den Deutschen, unsern Landsleuten, den Knechtsgeist auszutreiben, der nicht gehorchen kennt, ohne zu kuschen – der keine sachliche Unterordnung will, sondern nur blinde Unterwerfung. Unser Offizier hat schlecht und recht seinen Dienst getan, und auch den teilweise mäßig genug – aber er hat sich überzahlen lassen, und wir haben auszufressen, was ein entarteter Militarismus uns eingebrockt hat.
Nur durch völlige Abkehrung von dieser schmählichen Epoche kommen wir wieder zur Ordnung. Spartakus ist es nicht; der Offizier, der sein eigenes Volk als Mittel zum Zweck ansah, ist es auch nicht – was wird es denn sein am Ende?
Der aufrechte Deutsche.
Ignaz Wrobel: „Militaria: Offizier und Mann“, in: Die Weltbühne, 9. Januar 1919, S. 38
Ebenfalls wandten sich pazifistische Kreise gegen den Anspruch von Nationalisten und Militärs, die einzigen patriotisch und „vaterländisch“ denkenden Menschen zu sein, um daraus einen politischen Führungsanspruch abzuleiten. Charakteristisch für die starken Gegensätze zwischen Zivil und Militär war vor dem Ersten Weltkrieg die so genannte Zabern-Affäre, die die besondere Stellung des Militärs im Deutschen Reich bestätigte und Soldaten über Zivilisten stellte. Der Schriftsteller Ulrich Rauscher höhnte anschließend über den „braven Bürger“:
- Ob Euresgleichen auch zu Haufen
vor Bajonett und Säbelhieb -
Marsch, Marsch! Hopp, Hopp! - Spießruten laufen:
Ihr seid doch alle leutnantslieb!
Ihr fühlt nur unter Kolbenstößen
Euch wahrhaft wohl im Vaterland.
Verdammt, die sich derart entblößen,
nachdem sie selber sich entmannt!
Euch werde fernerhin in Gnaden
der Säbel übers Hirn gehaut!
Ihr seid des Deutschen Reichs Kastraten!
Hurrah, du Eisenbraut!
Ulrich Rauscher: „Den braven Bürgern“, in: Die Schaubühne, 15. Januar 1914, S. 70
Die Ablehnung des Militärischen lässt sich dabei auf dessen verschiedene Formen wie Paraden, Kriegerdenkmäler, Kriegsliteratur, öffentliche Gelöbnisse und Waffenschauen übertragen. So heißt es bei Tucholsky:
- Jubel über militärische Schauspiele ist eine Reklame für den nächsten Krieg; man drehe diesem Kram den Rücken oder bekämpfe ihn aktiv. Auch wohlwollende Zuschauer sind Bestärkung.
Ignaz Wrobel: „Über wirkungsvollen Pazifismus“, in: Die Weltbühne, 11. Oktober 1927, S. 555
Politische Aspekte
Es ist nicht ausgemacht, dass nicht-militaristische Staaten weniger Kriege führen als militaristische. So war das Deutsche Reich von 1871 bis 1914 in wenige militärische Auseinandersetzungen involviert, während Staaten, in denen das Militär nicht so dominant war (die USA, Frankreich) zahlreiche Kriege forcierten (zivilistisch aber bellizistisch waren). Angesichts der Kriegsbegeisterung, die 1914 in Deutschland herrschte, schien die Gesellschaft jedoch sehr stark auf einen Krieg vorbereitet gewesen zu sein und ihn nahezu herbeigewünscht zu haben. Von daher lässt sich argumentieren, dass die starke militärische Prägung des Deutschen Reiches die Regierung sicherlich in ihrer Auffassung bestärkte, einen großen europäischen Konflikt eingehen zu können. Auch die Entscheidung, die Neutralität Belgiens zu missachten, machte deutlich, dass militärischen Gesichtspunkten höhere Priorität als politischen Verträgen gegeben wurde. Anders als in den demokratischen Staaten der Entente kam es in Deutschland im Kriegsverlauf zu einem völligen Primat des Militärischen über die Politik, die von 1916 an zu einer Art Militärdiktatur durch Erich Ludendorff und Paul von Hindenburg führte. Der französische Ministerpräsident Georges Clemenceau soll dagegen den Spruch geprägt haben, wonach der Krieg eine viel zu wichtige Angelegenheit sei, um sie den Militärs zu überlassen.
Gegen Ende des Ersten Weltkrieges begrüßte der Journalist Robert Breuer (alias Germanicus) daher die Niederlage des Deutschen Reiches, weil im Falle eines Sieges das Militär vermutlich Staat und Gesellschaft vollständig beherrscht hätte:
- Man stelle sich nur einmal vor, was aus Deutschland geworden wäre, wenn wir in einem einzigen sieghaften Anrennen Europa unter die Füße bekommen hätten. Den Leutnant in Ehren: aber wäre es dann überhaupt noch möglich gewesen, ohne gebrochene Kniee der Uniform zu begegnen?
Germanicus: „Ein verlorener Krieg?“, in: Die Weltbühne, 31. Oktober 1918, S. 401
In der Weimarer Republik kamen radikale Pazifisten dennoch zu der Überzeugung, dass der Aufbau einer deutschen Reichswehr prinzipiell abzulehnen sei, weil der preußische Militarismus noch ungebrochen weiter existiere und trotz starker Beschränkungen einen neuen Krieg vorbereite. Tucholsky verglich die deutschen Militärs daher häufig mit Feuerwehrleuten, die selbst die Brände legen wollten, die sie zu löschen beauftragt seien. Diese Kritiker behielten recht, denn die Nationalsozialisten mussten die seit langem ausgearbeiteten Aufrüstungs- und Kriegspläne nur noch in die Tat umsetzen.
In den 1950er Jahren konnte mit pazifistischen und antimilitaristischen Argumenten die Wiederbewaffnung Deutschlands nicht verhindert werden. Im Zuge dieser wurde die Bundeswehr nach dem Prinzip vom „Staatsbürger in Uniform“ und unter dem Primat der Politik über die Streitkräfte als Parlamentsarmee aufgestellt.
In der Bundesrepublik setzen sich insbesondere die Zeitung Graswurzelrevolution und die ihr verbundenen Gruppen seit 1972 publizistisch und aktionistisch für den Antimilitarismus ein.
Forderungen von Antimilitaristen
Antimilitaristen unterscheiden sich stark in ihren Strömungen nach dem, was sie fordern.
Forderungen von Antimilitaristen sind unter anderem:
- weltweite Abruestung - Ausstieg aus der Atom-Energie als Voraussetzung zu nuklearer Abruestung - Ablehnung der politisch motivierten Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung - Abschaffung der Wehrpflicht, um einer Gesellschaft keinen Krieg gegen deren Interessen aufzubefehlen - möglichst haeufige Ablehnung von Auslandseinsaetzen von dem Exekutiven: Polizei und Militaer.
Strömungen des Antimilitarismus
Es gibt zahlreiche Strömungen im Antimilitarismus. Antimilitarismus ist eine Überzeugung, die besonders dort als Gegenbewegung auftritt, wo eine Macht aufrüstet, aufrüsten will oder bereits aufgerüstet hat.
Anarchistische Antimilitaristen
Anarchisten befürworten eine klassenlose Gesellschaft und sehen in dem Militär und allem, was dem Militär ähnelt, eine der höchsten Stellen einer Klassengesellschaft, die die Unterschicht mit Waffen unterdrückt. Die meisten anarchistischen Strömungen sind antimilitaristisch und lehnen jede Militärdiktatur ab.
Linke Antimilitaristen
Antimilitarismus ist ein Bestandteil der Partei " Die Linke " . Der Bundesarbeitskreis "BAK - Antimilitarismus und Frieden" setzt sich für den Abzug aus Afghanistan, Abrüstung und andere antimilitaristische Maßnahmen ein.
Antimilitarismus ist auch eine linke Position.
Der Bundesarbeitskreis "Antimilitarismus und Frieden" der Partei Die Linke kurz BAK-AuF setzt sich in Deutschland für den Antimilitarismus ein.
Antimilitaristen für nukleare Abrüstung
Antimilitaristen und Atomkraft-Gegner setzten sich bei Castor-Transporten für den Atom-Ausstieg und für die nukleare Abrüstung ein.
Bekannte Antimilitaristen
Einer der bekanntesten Antimilitaristen, Karl Liebknecht, definierte den Militarismus als die Summe "aller friedensstörenden Tendenzen des Kapitalismus" (vgl. Liebknecht). Dieser erfülle einen doppelten Zweck, nämlich als innerer Militarismus zum Schutz der Kapitalistenklasse, und als äußerer Militarismus zur imperialistischen Eroberung neuer Ausbeutungsgebiete. Der Marxismus erklärte den Militarismus hauptsächlich ökonomisch oder ignorierte ihn einfach als einen "Nebenwiderspruch" des Kapitalismus. Die Überwindung des Kapitalismus würde auch gleichsam den Militarismus beenden. Gegen diese Strömung im Marxismus richtete sich später die Kritik, daß die Staatsgewalt nicht nur ein intervenierendes Mittel der Klassenherrschaft ist, sondern "ebenfalls ein gesellschaftliches Verhältnis - und zwar wesentlich ein internationales. Produktionsverhältnis und Destruktionsverhältnis sind zwei Seiten desselben gesellschaftlichen Verhältnisses. ... Bürokratismus und Militarismus sind die zivile, 'ökonomische' und die militärische, 'außerökonomische' Seite desselben gesellschaftlichen Gewaltverhältnisses..." (Jahn 1974, S.136)"
Auch Erich Mühsam war ein bekannter anarchistischer Antimilitarist.
Demokratische vorbeugende Maßnahmen gegen Militarismus
In demokratisch organisierten Gesellschaften wird die Rolle des Militärs von der der innerstaatlichen Sicherheitskräfte (Polizei) abgegrenzt. Außerdem bestehen Schutzmechanismen, um das Militär zu kontrollieren. Dies zeigt sich in der Eigenschaft einer sogenannten Parlamentsarmee. Dagegen sind in vielen repressiven Staaten diese beiden Funktionen vermischt und das Militär übernimmt innenpolitische Aufgaben. Ausdruck für diesen Dualismus ist die Gendarmerie. Gendarmen sind ebenfalls häufig Teil der Streitkräfte wie in Frankreich oder unterstanden historisch einmal dem Verteidigungsressort wie die frühere Bundesgendarmerie in Österreich. Verfassungs- und verwaltungsrechtliche Normen stellen dabei sicher, dass solche Einheiten im Frieden dem Innen- bzw. dem Justizressort unterstehen.
Siehe auch
Anti-Kriegs-Museum, Friedensbewegung
Literatur
- Ernst Friedrich:Krieg dem Kriege! (1924)
- Karl Liebknecht: Militarismus und Antimilitarismus (1907)
- Wolfram Beyer: Was ist eigentlich Anti-Militarismus?. Zuerst erschienen im Lexikon der Anarchie
- Manifest gegen die Wehrpflicht und das Militärsystem (dreisprachig)
- Die Linke: BAK Antimilitarismus und Frieden