Kulturindustrie – Aufklärung als Massenbetrug
Einleitung Kultursoziologie: Was ist Kulturindustrie und was bewirkt sie
Ein Begriff, dem man beim Lesen Adornoscher Werke immer wieder begegnen wird, ist der der Kulturindustrie. Er beschreibt einen Kernbereich der Arbeiten Adornos. Dieser Begriff der Kulturindustrie tritt zum ersten Mal in der "Dialektik der Aufklärung", mit der die frühe Periode der "Kritischen Theorie" beendet ist, auf. Mit Kulturindustrie meint Adorno gesellschaftliche Implikation von kulturellen Ereignissen und von kulturellen Erzeugnissen. Adorno erhoffte, aus den Thesen zur Kulturindustrie eine Antwort auf die Frage zu finden, weshalb die antagonistische, also in sich widersprüchliche, kapitalistische Gesellschaft, so stabil ist. Dieser soziale Kitt, wie ihn Erich Fromm nannte sollte die Kulturindustrie sein, welche als Mittel von Herrschaft und Integration agiert. Diese Integration durch die Kulturindustrie beruht auch auf der Feststellung, dass die Produktion immer auch den Konsum reguliert. Dies sieht er im Geistigen wie im Materiellen, zumal die Kulturindustrie an sich schon starke materielle Tendenzen aufzeigt.
Eine frühe Definition der Kulturindustrie nach Adorno/Horkheimer ist die "willentliche Integration ihrer Abnehmer von oben".
Der Kulturbegriff
Um die Bedeutung des mit sozialem Kitt beschriebenen noch einmal zu konkretisieren, sollten man den Begriff der Kultur kurz erläutern und seine gesellschaftliche Wirkung beschreiben. Der Kulturbegriff als solches ist durchaus umstritten, weshalb man zwei Darstellungen nebeneinander stellen sollte, um diese auf ihre Aussage hin zu überprüfen:
- ENCARTA ENZYKLOPÄDIE 2001
- Kultur (lateinisch cultura: Bebauung, Ausbildung; von colere: hegen und pflegen, bebauen, tätig verehren), im ursprünglichen Sinn die Pflege und Bearbeitung des Bodens (agricultura: Bodenkultur), sodann im übertragenen Sinn die Pflege und Veredelung der körperlichen und geistigen Anlagen des Menschen (Körperkultur, Geisteskultur). Daran anschließend meint Kultur im heutigen, umfassenden Begriffsverständnis die Gesamtheit der einer Kulturgemeinschaft eigenen Lebens- und Organisationsformen sowie den Inhalt und die Ausdrucksformen der vorherrschenden Wert- und Geisteshaltung, auf die diese sozialen Ordnungsmuster gründen.
- ENCYCLOPÆDIA BRITANNICA 2001
- behaviour peculiar to Homo sapiens, together with material objects used as an integral part of this behaviour. Thus, culture includes language, ideas, beliefs, customs, codes, institutions, tools, techniques, works of art, rituals, and ceremonies, among other elements
Vorausgeschickt sei folgendes. Es handelt sich bei beiden Darstellungen jeweils nur um den ersten Absatz der Erklärung, deren vollständige Darstellung würde hier auch den Rahmen sprengen. In der "Encarta"-Enzyklopädie wird als erstes versucht, Kultur auf seinen wortetymologischen Ursprung hin zu definieren. So wird hier zum Beispiel auch auf die ursprüngliche Bedeutung, nämlich der der Bodenkultur verwiesen, während die "Britannica" die Kultur sofort als eine nur dem Menschen affine Verhaltensweise darstellt. Während die "Encarta"-Enzyklopädie zwischen körperlichen und geistlichen Veredelungen unterscheidet, definiert die Britannica Kultur als eine rein geistige, oder zumindest wesentlich sich auf das geistige berufende Sache, die Sprachen, Gedanken, Glauben, Gebräuche, Kunstwerke, Schriften, Rituale und Zeremonien in den Mittelpunkt stellt. Zudem rechnet die "Britannica" auch Werkzeuge und Techniken zu einer Kultur, diese sind natürlich nicht unbedingt geistige Vorgänge, jedoch haben sie auch nichts mit Körperkultur zu tun sondern sind vielmehr die realisierte Gedankenprojektion einer Gesellschaft. Des weiteren lässt die "Britannica" die Organisationsformen einer Gesellschaft im Kulturbegriff außen vor. Nun soll dargestellt werden, welche Wirkung die Kulturindustrie nach Adorno, auf die Gesellschaft hat. Um dies umfassend darstellen zu können bedarf es einer mehrdimensionalen Betrachtung:
• Publikum, Konsumpräferenzen • Warencharakter von Kulturprodukten • Kulturindustrie, Gesellschaft • Kritik, Aktualität, neue Thesen • Einfluss der Ideologie der Kulturindustrie auf die Gesellschaft • Wechselwirkung: Subjekt - Massenkonsumgüter
Die Aktualität von Adornos Thesen stellen dabei selbstverständlich den Abschluss der Betrachtung dar. Zuerst soll nun der Warencharakter von Kulturprodukten dargestellt werden.
Warencharakter von Kulturprodukten
Adorno bezieht sich bei der Analyse von Kulturprodukten im wesentlichen auf 2 grundsätzliche Methoden der Warenbetrachtung:
- Der Warencharakterdefinition nach Marx, mit der Unterscheidung zwischen Gebrauchswert und Tauschwert
- Andererseits stellt er Kulturware authentischen Kunstwerken gegenüber
Zum ersten Punkt sei folgendes erläutert: In der Nützlichkeit eines Gegenstands, ein menschliches Bedürfnis zu stillen. ist der Gebrauchswert bestimmt: "Die Nützlichkeit eines Dings macht es zum Gebrauchswert". Der Gebrauchswert ist also dem Gegenstand immanent, während der Tauschwert erst durch den Austausch des Produkts unter den Personen entsteht: in diesem Moment ist das Produkt zur Ware geworden. Marx sagt auch, der Austausch - und so der Tauschwert - sind konstitutiv dafür, dass ein Gegenstand eine "Ware" ist. Der Kapitalismus, nach Marx, legt es im wesentlichen auf "Tauschwertproduktion" an, werden seine Produkte doch von vornherein dazu produziert, getauscht zu werden. Das "authentische Kunstwerk", das im 2. Punkt benannt wurde, gilt der Kulturware als Kontrast. Mit diesen zwei Methoden unterzieht Adorno die Kulturindustrie eine kritischen Analyse. Natürlich muss eine derartige Analyse auch in zwei zeitlich begrenzte Epochen geteilt werden, um den Unterschied der Kultur vor und während der einsetzenden Kulturindustrie darzustellen. Adorno tat dies wie folgt :
- bürgerlich- liberales Zeitalter - Spätkapitalismus -- Kunst und Kultur stehen für Emanzipation -- Von Kunst und Kultur ging ein kritischer Impuls aus --- Kunst und Kultur waren widerständig in ihren Haltungen gegenüber machtvollen Gegnern -- Kunst und Kultur waren relativ autonom -- Kunst und Kultur vermochten es sich über die gesellschaftliche Realität hinaus zu entwickeln und so Veränderungsideen zu entwickeln
- Durch die Kulturindustrie hat sich der Gehalt von Kultur verändert -- Der autonome Charakter der Kultur hat sich großenteils aufgelöst - Die Kulturwelt teilt sich in 2 Teile: -- Großer Bereich kulturindustrieller Waren -- Kleiner Bereich authentischer, verbliebener bürgerlicher Kunst - Kulturindustrielle Werke treten daher als Erben der bürgerlichen Kultur an die Stelle dieser als nunmehr "wahrhaftige" Kunst
In dieser allgemeinen Gegenüberstellung erkennt man deutlich, dass sich die Aufgaben, für welche die Kultur in unserer Gesellschaft steht, verändert haben. Während im bürgerlich-liberalen Zeitalter Kunst als eine zwar stets elitäre angesehen werden muss - in der Dialektik der Aufklärung spricht Adorno von der bürgerlichen Kunst, die von Anbeginn mit dem Ausschluss der Unterklasse erkauft wurde - die sich jedoch immer am kollektiven Gemeinwohl orientierte, und diesem zuträglich war. Ihre Impulse waren es, die eine Fortentwicklung der Gesellschaft ermöglicht haben. Ab dem Zeitalter des Spätkapitalismus veränderte sich diese Aufgabe als Motor der Gesellschaft, der seinen Wert vor allem in sich immanent hat - einen Gebrauchswert in der Hinsicht, dass das Bedürfnis nach gesellschaftlicher Gerechtigkeit erfüllt wird - hin zu einem Produkt des Marktes, dessen Wert daraus sich ergibt, wie häufig es getauscht wird. Diese Kunst hat ihren autonomen Charakter verloren, indem sie sich als Mittel zum Zweck (der Generierung von Kapital) hat abstempeln lassen. Für das Erreichen eben dieses Zwecks hat die Kulturindustrie, an welche die Autonomität der Kunst verloren ging, ein mittlerweile globales Netzwerk geschaffen. Dieses besteht in seiner Grundstruktur aus der Kulturproduktion, welche Kulturwaren produziert: eben den Kulturwaren, die überall auf der Welt verteilt werden. Zweitens schafft sie den Kulturmarkt, der als Bindglied zwischen den Waren und den Konsumenten agiert, welche schließlich das vierte Bindeglied dieses Strukturnetzwerks darstellen:
Künstler - Vermittler - Geldgeber - Vermittler - Fabrikbesitzer Kulturproduktion Kulturware Kulturmarkt - Großhändler - Einzelhandel - Konsument
Dieses auf das Wesentliche beschränkte "Produzent-Konsument"-Diagramm stelle ich nun einmal dem gleichen Sachverhalt gegenüber, so wie er sich zu Zeiten der bürgerlich- liberalen Gesellschaft darstellte:
Künstler (Mäzen) --- Konsument
Schon an der Anzahl der Leute, die in die Aktivität des Künstlers als Arbeitende (und als davon lebende) mitbeteiligt sind - oben sind nur ein kleiner Ausschnitt von diesen Leuten aufgelistet - erkennt man, dass eine Identifikation eines jeden einzelnen mit dem Kunstwerk unmöglich ist, diese also dieses als strikte Ware betrachten, die sie mit ihrer Eigenschaft ergänzen (sagt man es zugespitzt: Wie ein Fließbandarbeiter, der dem Auto seine ihm anvertraute Schraube beifügt). Eine weitere Eigenschaft in diesen Ketten ist die des Geldgebers: Er kommt in beiden Darstellungen vor, ist aber unterschiedlich benannt. Die unterschiedliche Nomenklatur ergibt sich aus der Rolle, die selbiger in den Kreisläufen einnimmt, welche nicht unterschiedlicher sein kann. Die Beziehungen zwischen den Akteuren der oben gezeichneten Schaubilder sind sehr komplex und eine komplette Darstellung dieser Beziehungen kann hier nicht erfolgen, ich will aber anhand des auf der nächsten Seite folgenden Schaubildes darstellen, wie sich einzelne Akteure in der präkulturindustriellen Zeit und in der kulturindustriellen Zeit verhalten. Einen Universalanspruch auf Richtigkeit hat diese Rollendarstellung freilich nicht: es gibt immer wieder Künstler, die sich autonom zu dieser Industrie bewegen und so aus dem Raster fallen.
Rollenverteilung: Mäzen - Geldgeber; Künstler ' Künstler mit der Rolle des Konsumenten (Bis liberal-bürgerliche Gesellschaft)
Ab spätkapitalistische Gesellschaft Mäzen/Geldgeber - Künstler - Konsument
- unterstützt den Künstler in zweierlei Hinsicht:
- mit Geld
- mit guten Verbindungen
- agiert als Konsument
- agiert als gesellschaftlicher Kritiker in Reihen des Establishments
- unterstützt den Künstler um dessen Willen oder um den Willen der Kunst
- ist finanziell und gesellschaftlich nicht abhängig vom Erfolg des von ihm unterstützten Projekts
- Seine Kunstwerke entstehen nur durch sein Einwirken
- Seine Kunstwerke sind meist Unikate
- will mit seiner Kunst Gesellschaftskritik praktizieren
- will sein Werk mit Aussagen verknüpfen
- betreibt die Kunst der Sache wegen
- hat enge Beziehung zum Mäzen
- hat oft enge Beziehung mit dem Künstler
- tritt meist selbst als Mäzen auf
- identifiziert sich mit dem Kunstwerk
- identifiziert sich mit der Aussage, die hinter dem Kunstwerk steht
- kommt aus einer relativ kleinen, reichen und intellektuellen Schicht
- unterstützt den Künstler mit Geld
- muss durch Verbindungen meist erst kennen gelernt werden
Neuer Typus: Vermittler (natürlich gab es solche auch schon früher, ihre Rolle ist aber ebenso anders wie die des Geldgebers
- agiert nicht in der Form als Konsument, wie der Mäzen es klassisch tat
- ist Teil des Establishments, kritisiert, dies aber nicht, sondern ist Integrator: Integriert Künstler in eben dieses
- will sein Geld vermehren
- Unterstützt den Künstler, um Geld zu verdienen
- will sich in eine "bessere" (im Sinne einer materiell begünstigten) Gesellschaft integrieren
- kennt sein Umfeld, in dem er künstlerisch agiert, nicht vollständig
- Seine Kunst entspringt nicht alleine seinen Gedanken
- Seine Kunstwerke werden in großen Zahlen kopiert
- kennt den Künstler meist nur oberflächlich
- wird durch Medien zum Kauf beeinflusst
- verfügt meist nicht über die Fähigkeiten, Kunst nach ihrer Qualität zu bewerten
- kommt aus der großen Masse der Leute, weil Kopien der Kunstwerke für sie auch erschwinglich sind
Diese Darstellungen führen die Veränderung, welche mit dem entstehen einer Kulturindustrie einherging, durchaus auf, müssen jedoch um einen weiteren Einfluss ergänzt werden: den der Medien. Um diesen Einfluss geeignet zu visualisieren, wird im folgenden ein Rumpf der oberen Darstellung, verwandt, der aber nur Statthalter für die gesamte Darstellung ist:
Geldgeber Künstler Vertreiber Konsument
Man sieht den enormen Einfluss der Kultur auf den Kunstentwicklungsvorgang. Dieser leitet sich davon ab, dass jedes einzelne Kettenglied sich in Wechselwirkung mit den Kulturprodukten befindet. Und so kann man weiter gehen als Adorno wenn er sagt, Kulturindustrie ist willentliche Integration ihrer Abnehmer von oben; Kulturindustrie ist auch direkte Machterweiterung Dritter. Dieser Einfluss der Medien ist in der vorkulturindustrialisierten Epoche nicht zu erkennen. Dies hat zwei Hauptgründe:
- Der Buchdruck (die gesamte Technologie) war nicht in dem Maße entwickelt, dass große meinungsbildende Zeitungen - geschweige denn, Radio, Fernsehen, etc. - sich entwickeln konnten
- Die Kommunikationsmöglichkeiten waren nicht in dem Ausmaß entwickelt, in dem man durch Mundpropaganda eine gezielte Meinungsbildungskampagne starten hätte können.
Mit dem Aufkommen der Industrialisierung, dem Erweitern der Kommunikationsmöglichkeiten und dem Auftreten von ersten überregionalen Zeitungen war demzufolge die Situation des Kulturbetriebs eine ganz neue. Ohne diese Situation wäre eine Kulturindustrie gar nicht möglich gewesen. Somit ist jedes Kulturprodukt, darunter die Massenmedien im besonderen, der Kulturindustrie ausgeliefert - und umgekehrt. Industrie und Produkt sind immer in einem derartigen Maße miteinander verknüpft, sodass sie als Eines gesehen werden können. Medien, wie alle Kulturprodukte, sind auch ein Produkt der Kulturindustrie. Kulturprodukte der Kulturindustrie richten sich also, so Adorno, nicht nach dem eigenen Gehalt und stimmigen Gestaltung, sondern vielmehr nach der Verwertung. Die gesamte Praxis der Kulturindustrie überträgt das Profitmotiv blank auf das geistige Gebilde. [...] Geistige Gebilde kulturindustriellen Stils seien, so Adorno resümierend, nicht länger auch Waren, sondern sind sie seien es durch und durch. Zu fragen ist auch inwiefern Waren der Kulturindustrie, selbst immer auch als ihre Werbung geltend, bzw. oft selbst nur Werbung, sich voneinander unterscheiden. Unterscheiden diese sich wie zwei Werbespotts verschiedener Waschmittelfirmen - durch Kulissen und Schauspieler - oder unterscheiden sie sich grundlegend? Hier konstatiert Adorno: "Wenn irgend etwas in der Welt, dann hat die Kulturindustrie ihre Ontologie, ein Gerüst starr konservierter Grundkategorien, die etwa am kommerziellen Roman des England vom Ende des siebzehnten und Anfang des achtzehnten Jahrhunderts sich ablesen lassen." Aus eben dieser Schlussforderung ergibt sich auch das, was Adorno in dem Kontext mit Industrie bezeichnete: eine schlichte Standardisierung von künstlerischen Vorgängen. In ihrer Konformität, sich ergebend aus der Produktentstehung heraus, hat Kunst eben ihren Charakter als kritisches Gesellschaftsmoment verloren und sich hin zur Ware entwickelt.
Das Publikum
Aus dem im vorangegangen Kapitel beschriebenen Warendasein ergibt es sich, dass die Ware Kultur auch als solche ihre Konsumenten finden muss. Waren finden dann ihren Konsumenten, wenn dieser in ihnen einen Nutzen sieht - oder glaubt, in ihnen einen Nutzen zu sehen. Das Streben aus der Situation des Künstlers oder des Apparates, der ihn umgibt, heraus, einen Abnehmer zu erreichen, führt zu einer Anpassung an diesen Abnehmer. Dadurch wiederum verliert die Kultur die Funktion des kritischen Moments der Gesellschaft und wird zu einem Integrativen. (WARUM?! "Es ist doch möglich, ein populäres (beliebtes) Produkt zu schaffen, dass gesellschaftskritisch oder gesellschaftssprengend wirkt ... oder?") Das Publikum agiert aber in diesem Austauschprozess nicht fordernd, sondern lässt sich sozusagen bedienen von der Kultur. Kultur, so Adorno, fällt in den Lebensbereich der Freizeit. Freizeit aber ist nur die regenerative Phase, die der Arbeitsphase Untertan ist. Als regenerative Phase soll sie also möglichst wenig Energie in Anspruch nehmen. Dafür versucht die Kultur schon sich selbst anzuleiten. Das Publikum, der Konsument, so wie ich ihn schon im vorangegangenen Kapitel gegenübergestellt habe, lässt also ebenso diesen kritischen Zeitgeist vermissen, wie die Kultur selbst es tut.
Wechselwirkung: Subjekt <-> Massenkonsumgüter
Eine Manipulation, das stand für Adorno fest, geht von der Kulturindustrie aus. Diese aber ist keineswegs eine beabsichtigte, noch eine kontrollierte und in eine Richtung strebende; vielmehr schleicht diese Manipulation leise voran. Nichtsdestotrotz höhlt dieses tropfende Wasser auf den Stein der Gesellschaft diesen mit Sicherheit aus. Diesen manipulativen Effekt konstatiert Adorno an zwei Momenten:
- Das Individuum wird von der Kulturindustrie auf die Konsumentenrolle minimiert
- Die Kulturindustrie speist die Konsumenten mit trivialen, oberflächlichen Nichtigkeiten
Damit wird aber auch klar: Es handelt sich bei der Kulturindustrie um eine von Eliten geführte Kulturprägung und nicht um das, was der Vorgängerbegriff Massenkultur aussagen kann, es handelt sich nicht um eine Kultur der Massen, nicht um eine Volkskultur. Adorno schreibt dies auch in "Kulturkritik und Gesellschaft":
"Wir (er bezieht sich auf sich selbst und Horkheimer, NSM) ersetzen den Ausdruck (Massenkultur, NSM) durch "Kulturindustrie", um von vornherein die Deutung auszuschalten, die den Anwälten der Sache genehm ist: dass es sich um etwas wie spontan aus den Massen selbst aufsteigende Kultur handele, um die gegenwärtige Gestalt von Volkskunst".
Diese Eliten sind jedoch nicht dahingehend gesinnt, die Kultur, ihres kritischen Einflusses wegen, zu beherrschen und sie in die Trivialität zu treiben, sondern sie sind Akteure des Kapitalismus, der durch die Struktur seiner selbst "versucht", alles zur Ware zu machen. Damit, dass Kultur zur Ware degeneriert wurde, muss der, welcher in seiner Freizeit die Kultur in Anspruch nehmen will, also Konsument, rechnen. Der Konsument wiederum muss von der Industrie mit dem bedient werden, was er will, was er versteht, was ihn nicht verwirrt, mit eingängigen Melodien, einfach gestrickten Krimis und Filmen, bei denen man von Anfang an weiß, wer am Ende lachen wird. Genau dies ist nun die Wechselwirkung zwischen dem Subjekt und der Kulturindustrie. Dieser Kreislauf, oben schon häufig und immer wieder beschrieben, ist der Teufelskreis, aus dem der Ausweg nicht gefunden wurde, und aus dem ein Ausweg möglicherweise gar nicht existiert.
Diese Wirkung und die Wirkung, die hin zur Passivität des Publikums, wie ich diese oben beschrieben habe, führen, um eine Folge dieser Wechselwirkungen zu beschreiben, nicht nur wie schon oben angeführt zu einer mangelnden Fähigkeit der kritischen Betrachtung, sondern auch zu einer intellektuellen Stagnation im allgemeinen.
Einfluss der Ideologie, die Kulturindustrie affirmiert, auf die Gesellschaft
Die Folgen der Kulturindustrie auf die geistige Haltung der Gesellschaft sind nicht nur die geistige Stagnation, es sind vielfältige andere. Man kann diese unterteilen in:
- Einfluss auf das Subjekt: Kulturindustrie wirkt hier als Vermittler zwischen Industrie und Publikum. In dieser Vermittlerposition hat sie auch einen Einfluss auf die Bewusstseinsbildung der Menschen, denn was durch Kulturobjekte nicht verbreitet wird, die, wie schon konstatiert wurde, teilhaben an dem Wesen der Kulturindustrie, geschieht heutzutage nicht.
- Die Wirkung im Subjekt: Durch die mangelnde Fähigkeit, kritisches Denken zu betreiben, wird auch verhindert, dass der Mensch dieser Kulturindustrie mit Widerspruch entgegentritt.
Die Kulturindustrie ist also auch, bildet sie wie in 2. aufgeführt, die Fähigkeit zurück, kritisch zu denken, ist also herrschaftsstabilisierend. Und diese Herrschaftsstabilisierung ist nicht ein Mitläufer der Wirkungen der Kulturindustrie, sondern das Wesen der Kulturindustrie. Sie suggeriert ihre Gedanken dem Publikum, den Konsumenten, ein. Die Kulturindustrie erreicht mit dieser Suggestivkraft, dass sie selbst den Menschen die Maßstäbe definiert, nach denen diese die Kulturindustrie bemessen sollen. Adorno bringt dazu in der Minima Moralia ein treffendes Beispiel:
- "Es gehört zum Mechanismus der Herrschaft, die Erkenntnis des Leidens, das sie produziert, zu verbieten, und ein gerader Weg führt vom Evangelium der Lebensfreude zur Errichtung von Menschenschlachthäusern so weit hinten in Polen, dass jeder der eigenen Volksgenossen sich einreden kann, er höre die Schmerzensschreie nicht mehr."
Dies ist der Verblendungszusammenhang, den Adorno immer wieder konstatiert, und der im höchsten Sinne undemokratisch ist. Wer würde erlauben, dass der welcher ein Gesetz bricht, sich selbst das Gesetz schafft, das zur Bemessung seiner Schuld heranzuziehen ist? Neben dem herrschaftsstabilisierenden Moment ist der Kulturindustrie auch noch etwas anderes immanent: Die Ablenkung der Menschen vom Wesentlichen(dem Kulturobjekt) hin zum Sekundären. Adorno konstatiert, dass "anstelle des Genusses ein Dabeisein und Bescheidwissen" tritt. Thomas Gebur gibt dazu folgendes Beispiel:
"Der Opernbesuch verkommt zum gesellschaftlichen Ereignis; der Tauschwert einer Premiere besteht in Sehen und Gesehen werden. [...] Es (das Werk, die Oper NSM) ist nur noch Anlass eines Events."
Nicht also der Inhalt der Oper, den, sollte sie ein klassisches, nicht kulturindustrielles Produkt sein, kaum jemand versteht zählt, sondern die Präsenz und das Geschwätz nebenbei. Gedacht wird nicht mehr, was der Künstler mit der Oper zeigen wollte; gedacht wird, wie dieses Stück auf die Öffentlichkeit wirkt, wie das Wissen um dieses Stück die subjektive gesellschaftliche Stellung beeinflusst; gedacht wird, was das Auftreten, das Teilnehmen an diesem Event einem nützen könnte; gedacht wird, was der andere denkt. Auch dieses ist ein Zeichen dafür, dass Autonomität verloren ging. Adorno spitzt dies zu, indem er schreibt, einst durfte man nicht wagen, frei zu denken; jetzt wäre dies möglich, aber man könne nicht mehr, weil man nur noch denken wolle, was man wollen solle, und eben das würde als Freiheit empfunden.
Kritik, Aktualität, neue Thesen
Im folgenden ein kleines Resümee. Die kulturindustriellen Thesen Adornos, so sind sich viele Wissenschaftler einig, die bedeutendsten, die er aufgestellt hat. Sie haben vor allem auch für Aufsehen in der Gesellschaft gesorgt. Trotz ihrer Bedeutung, Thomas Gebur spricht von der brillantesten Medientheorie bis jetzt, werden die kulturindustriellen Thesen von den Wissenschaftlern nicht mehr vorangetrieben. Ein Vorantreiben wäre aber nötig und wichtig für das Verstehen unserer Gesellschaft. Trotz ihres Alters sind die Thesen noch immer richtig und bestätigt. Lehrmeinung ist dies nicht. Ein Kritikpunkt der die Theorie von Anfang an implodieren lässt ist etwa der, der sagt, Massenkultur wäre ein Mittel zur Demokratisierung von Wissen und Kulturzugang. Aus der selben Richtung kommen Bemerkungen, die Adorno und Horkheimer hochtrabend arrogante Haltung absoluter Verachtung oder ein elitär- avantgardistisches Kulturverständnis vorwerfen. So etwas kann man nur mit Adorno selbst beantworten, wenn er schreibt:
- "Vielfach verändert das verbreitete Bildungsgut durch seine Verarbeitung genau jenen Sinn, den zu verbreiten man sich rühmt. Es gibt in geistigen Dingen keinen Approximationswert der Wahrheit. Das halb Verstandene und das halb Erfahrene ist nicht die Vorstufe der Bildung sondern ihr Todfeind."
Man verkennt Adorno, wenn man ihn nicht so betrachtet, wie er die Gegenstände betrachtet: als ein System, dass mehr ist als seine Einzelteile. Er versuchte, und deswegen sind seine Analysen auch noch immer aktuell, allgemein objektive Thesen aufzustellen, die sich mit dem befassten, was war (und was immer noch ist). Dieses Fokussieren auf die Sache selbst und die hemmungslose Kritik, ohne dem kritisierten etwas entgegenzustellen, wurde ihm, und im übrigen auch seinen Schülern übel genommen. Selbst Studentenführer Rudi Dutschke wurde vorgeworfen, dies aus dem Mund Rudolf Augsteins, "die liberale Demokratie mag nicht perfekt sein, sie mag fehlerhaft sein, doch man vermag in ihr noch zu leben. Herr Dutschke hat ein anderes System vorzulegen, dass dies übertrifft." Dutschke hat darauf keine Antwort gewusst, die dieses Argument wiederlegen solle, er erkannte vielmehr den Versuch Augsteins, sich zu integrieren: "Wir dürfen auch einem Augstein nicht erlauben, sich zu integrieren. Wir müssen ihm auch immer einen Schritt voraus sein, denn wenn er versucht sich total zu integrieren, dann müssen wir ihn total Aufdecken." Eine sehr kämpferische Perspektive, alles in allem nicht sehr souverän. Adorno agiert hier klüger, wenn er schreibt: "Nicht das Gute sondern das Schlechte ist Gegenstand der Theorie." Dieses Schlechte muss auch erkannt werden, da sonst das Leben unmöglich ist, konstatiert er doch in der Minima Moralia: "Es gibt kein richtiges Leben im falschen." Schließlich sagt er auch ganz offen, er hätte kein Problem, im Elfenbeinturm zu leben. Eine ganz neue Dimension haben seine Thesen sicher durch die Globalisierung, die Computer und das Internet bekommen, da daher eine total konforme Kultur in der ganzen westlichen Welt existiert. Ein Alptraum, den Adorno sicher nicht gerne erlebt hätte.
Ansatzpunkt für eine Fortentwicklung seiner Thesen wäre dieses Faktum allemal.
Einige Bemerkungen zur Verwendung dieses Kapitels:
Mit diesem Kapitel soll die Abhandlung über die weniger speziellen soziologischen Schriften ihr Ende finden. Diese Darstellung reicht natürlich nicht aus, das gesamte Spektrum von Adornos Philosophie zu reflektieren. Dargestellt wurden nur einige Elemente des Werkes, in der Weise in der es für mich, als Laie und "Adorno- Erfahrer", nicht "Kenner" möglich war. Das Werk hat, gerade im Angesicht des 100. Jahrestags der Geburt Adornos, einen Anspruch in all seinen Facetten dargestellt zu werden. Diesen Anspruch vermag man aber auch innerhalb des Umfangs, den diese Fachbereichsarbeit bietet, nicht anständig zu erfüllen. Vielmehr soll vor allem dieser Abschnitt, so fragmentarisch er ist, als ein Anstoß zum Nachdenken einerseits und als ein Anstoß zum Erfahren des gesamten Werkes Adornos sein, denn sein Werk verdient häufiger gelesen zu werden.
Aktualität der Theorien zur Kulturindustrie
Adorno konstatierte in seinen Thesen zur Kulturindustrie den Warencharakter von Kulturgegenständen. Man kann also von Kulturprodukten im kommerziellen Sinn reden. Die Situation, so wie sie sich heute auf dem Kulturmarkt darstellt, entspricht in wesentlichen Zügen dem, was Adorno angemahnt hat. Es soll nun dargestellt werden, welche Folgen ein Handeln ohne Beachtung Adornoscher Thesen hatte und wie sich seine Thesen auswirken können.
Die Kulturindustrie in der Form, die Adorno erlebt hat, war bei weitem nicht so ausgeprägt wie die, welche man heute erleben kann. Die Wirkung dieser ist mit ihrer verstärkten Ausprägung auch stärker geworden. So gibt es heute etwa viele "Künstler", die marktgerecht, auf oberflächliche Ansprüche der Masse hin, ausgesucht Musik machen. Dadurch, dass der Markt aber nicht dominiert wird von denen, die sich im Gebiet der Musik und der Kultur verstehen, entwickelt sich eine Verarmung dieser. Am Ende ist die Kunst "Musik" nur noch ein Rudiment des Produktes, das keine Rolle mehr spielt. Nunmehr wird von vielen behauptet, es sei freilich so, dass die Musik nicht die innovativste ist, doch ihr Erfolg gäbe ihr eine gewisse Daseinsberechtigung. Dem muss man entgegenhalten, dass nicht die Kunst es sein sollte, die vom Publikum gestaltet wird, sondern umgekehrt die Kunst ihrerseits in gewisser Weise das Publikum gestalten solle. Dabei bezieht man sich auf die gesellschaftliche Bedeutung des Kunstwerkes. Diese ist die eines Mediums der Kritik und eines Mediums der freien Utopie. Wenn aber dieses Medium konventionalisiert wird, bleibt auch dessen progressive Wirkung aus. Eine Stagntion der zivilisatorischen Entwicklung der westlichen Welt ist die Folge.
Diese Argumentationsschiene ist freilich eine elitäre. Solange es genug an freier Kunst gibt, dass diese sich erhält, und solange es genügend Menschen gibt, die diese wertschätzen und unterstützen, solange wird eine Gesellschaft auch die Kulturindustrie verkraften. (!"DAS IST DISKUSSIONSBEDÜRFTIG"!) Dass freie Kunst aber immer weniger vorhanden ist, ist ein Zeichen dafür, dass die Gesellschaft über ihr Verhältnis zur Kulturindustrie nachdenken sollte.
Dies ist der Punkt, in dem Adornos Theorie aktuelle Bedeutung hat. Sie ist ein Mittel der Analyse für derartige Situationen. Obwohl Adorno selten einen besseren Weg aufzeigt, kann eine Rezeption seiner Schriften hier eindeutig etwas bewegen, denn schon das Erkennen der Gefahr dieser kulturellen Verarmung wiegt schwer.