Die Gedächtniskirche in Speyer wurde in den Jahren 1893 bis 1904 zur Erinnerung an die im Jahr 1529 in Speyer vollzogene Protestation errichtet.


Die Auseinandersetzungen zwischen Protestanten und Katholiken im ausgehenden 19. Jahrhundert hatten ihre Auswirkungen auch auf den Kirchenbau. Die Gedächtniskirche sollte eine Hauptkirche der gesamten protestantischen Christenheit werden. Zwischen der ersten Idee und der Grundsteinlegung zur Gedächtniskirche vergingen mehr als 35 Jahre heftiger Diskussionen.
Anlass
Der Bau der Gedächtniskirche war eine Reaktion auf die bauliche Erneuerung und Ausmalung des Speyerer Doms in den Jahren 1846 bis 1856. Ursprünglich sollte die Dreifaltigkeitskirche unweit des Doms renoviert werden, dann aber fiel die Entscheidung anstelle der Instandsetzung dieser aus der Barockzeit stammenden Kirche einen Neubau in Angriff zu nehmen.
Zur Errichtung der so genannten Retscher-Kirche wurde ein Bauverein gegründet, der mit Genehmigung des bayerischen Königs Maximilian II. im Jahr 1857 mit einem Spendenaufruf an die Öffentlichkeit trat. Die Geldspenden waren jedoch vorerst recht gering denn die Protestanten mussten zur gleichen Zeit das Luther-Denkmal in Worms finanzieren, das 1868 im Beisein des preußischen Königs und des Kronprinzen, des späteren Kaisers Wilhelm I. enthüllt wurde. Bei diesem Ereignis knüpfte die Speyerer Gemeinde ersten Kontakte mit dem preußischen Königshaus, die später von erheblicher Bedeutung sein sollten.
Nachdem sich herausgestellt hatte, dass die Reichsversammlung von 1529 nicht im so genannten Retscher getagt hatte, war man mit dem Neubauprojekt nicht mehr an die Altstadt gebunden. 1883 wurde vom »Verein zur Erbauung der Gedächtniskirche der Protestation von 1529« der Bauplatz der heutigen Kirche bestimmt.
Die Protestationskirche sollte nicht hinter dem Dom zurück stehen. Deshalb musste eine Bauform gefunden werden, die ganz anders als der romanische Dom war. Auf die Ausschreibung bewarben sich 45 Architekten aus dem ganzen Deutschen Reich. Die fünf Architekten, die in die engere Wahl kamen, propagierten alle den neugotischen Baustil. 1884 fiel dann die Entscheidung zugunsten der Architektengemeinschaft von Julius Flügge und Carl Nordmann aus Essen.
Architektur
Als die Gelder für den Bau 1890 noch nicht beisammen waren, wandte sich der Bauverein an den protestantischen Kaiser Wilhelm II., der versprach, für die Fertigstellung der Kirche zu sorgen. Am 24. August 1893 fand die Grundsteinlegung statt. Nach elfjähriger Bauzeit konnte die Gedächtniskirche am 31. August 1904 eingeweiht werden.
Die Gedächtniskirche vertritt die doktrinäre Neugotik. Sie verwendet verhältnismäßig reine historische Formen und entlehnt ihr Formenvokabular hauptsächlich den hochgotischen Kathedralen.
Maße
- Gesamtlänge von Kirche und Turm 72 m
- Gesamtlänge des Kirchen-innern 51 m
- Breite im Langhaus 24 m
- Breite im Querhaus 45 m
- Gewölbehöhe im Mittelschiff 22 m, in der Vierung 24 m, in den Seitenschiffen 20 m
- Turmhöhe 100 m
Lage
Die Gedächtniskirche liegt im Südwesten der Stadt Speyer außerhalb der alten Stadtmauer vor dem ehemaligen Landauer Tor, wo im 19. Jahrhundert eine neue Vorstadt mit Wohnbauten im Stil der Gründerzeit entstand. Der Bau steht frei wie der Speyrer Dom im Osten der Stadt.
Baumaterialien und Gestaltung
Die Gedächtniskirche ist in grauem Sandstein ausgeführt. Sie ist eine dreischiffige gewölbte Halle über dem Grundriss eines lateinischen Kreuzes. Die Gewölbe sind wegen des geringeren Gewichtes aus künstlichem Tuffstein gemauert. Vor dem kurzen Langhaus steht der 100 Meter hohe Glockenturm, in seinem Erdgeschoss die Gedächtnishalle.
Die Fassaden sind ohne feste Kontur. Es dominiert die im Sinn der Hochgotik aufgespaltene Form, die keine größere Flächen stehen lässt, sondern den ganzen Baukörper in einem Wechsel von Strebepfeilern und Fensterwänden umgibt. Die Dächer sind mit verschiedenfarbig glasierten Ziegeln gedeckt, die ein kleinteiliges Rautenmuster bilden.
Gedächtnishalle
Im Erdgeschoss des Turms ist die Gedächtnishalle untergebracht. Diese hat wie der Turm einen sechseckigen Grundriss. Die Anlage der Gedächtnishalle vor dem Haupteingang ist bewusst gewählt. Denn an keiner anderen Stelle konnte man die Zeugen der Protestation, deren Statuen nicht im Kircheninnern aufgestellt werden durften, dem Kirchenbesucher besser vor Augen führen.
In der Mitte der Gedächtnishalle steht auf einem Sockel aus schwedischem Granit das Bronze-Standbild Martin Luthers, eine Stiftung der deutsch-amerikanischen Lutheraner. Auf sechs Postamenten sind die Statuen der Fürsten, die am 19. April 1529 auf dem Speyerer Reichstag protestiert haben untergebracht:
- Kurfürst Johann der Beständige von Sachsen
- Herzog Ernst von Braunschweig-Lüneburg
- Herzog Franz von Braunschweig-Lüneburg
- Fürst Wolfgang von Anhalt
- Markgraf Georg von Brandenburg
- Landgraf Philipp von Hessen
In den Schnittpunkten der Gewölberippen befinden sich die Wappen der Unterzeichner. In den Bogenzwickeln der Nebenportale hängen die Wappen der vierzehn Reichsstädte, die sich der Speyerer Protestation anschlossen (Straßburg, Augsburg, Ulm, Konstanz, Lindau, Memmingen, Kempten, Nördlingen, Heilbronn, Reutlingen, Isny, St. Gallen, Weißenburg und Windsheim).
Hauptportal
Das zweiteilige Hauptportal zeigt am Mittelpfosten die Sandsteinfigur von König David mit der Harfe, der die Kirchenbesucher mit einem Psalmwort auf einer Textrolle begrüßt und außerdem auf die besondere Bedeutung der Musik in den protestantischen Kirchen aufmerksam macht:
- "Der Herr behüte deinen Ausgang u. Eingang von nun an bis in Ewigkeit" Psalm 121.8
An der Innenseite des Portals steht ein Engel mit geöffnetem Buch, der die hinaus gehenden Kirchenbesucher an die Bewahrung von Gottes Wort erinnern soll:
- "Selig, die Gottes Wort hören u. bewahren"
Innenraum
Der Innenraum der Kirche ist eine in allen Teilen kreuzrippengewölbte Halle, die stark zum Zentralraum tendiert. Der zweigeschossige Aufriss des Inneren ist durch die Empore bedingt, die den Raum fast ganz umläuft und lediglich in der Apsis fehlt. Grundrisse mit kurzem Schiff und Anlage als Emporenhalle sind im protestantischen Kirchenbau weit verbreitet und mit der besonderen Bestimmung der Kirche als Predigtraum zu erklären. Deshalb vermied man aus akustischen Gründen großen Kirchenschiffe und schuf Platz für eine größere Zuhörerschaft mit Emporen.
Ausstattung
Glasfenster
Wie bei hochgotischen Kathedralen sind die farbig gestalteten Fensterwände elementarer Bestandteil des Baues, über dessen Bedeutung sie Aufschluss geben. Die Fenster kommen aus neun bekannten Ateliers in verschiedenen Städten des damaligen Deutschen Reiches.
Die Großfenster über den drei Portalen zeigen in der Mitte Luther, der die päpstliche Bannbulle in Wittenberg verbrennt, in den seitlichen Fenstern Förderer der Reformation: rechts Kurfürst Friedrich der Weise und Franz von Sickingen, links Herzog Ludwig von Zweibrücken und Kurfürst Ottheinrich von der Pfalz.
Die ersten drei seitlichen Fenster nach dem Hauptportal symbolisieren Glaube, Liebe und Hoffnung, die Grundwerte des Christentums:
- Hoffnung: rechts, Steinigung des Märtyrers Stephanus, links das christliche Sterbebett
- Glaube: rechts Szene mit dem Hauptmann von Kapernaum, links die Opferung Isaaks
- Liebe: rechts die Begegnung von Maria und Martha, links das diakonische Wirken
Die Großfenster über der Empore zeigen auf der rechten Seite drei Ereignisse, mit denen den Menschen Leitlinien des christlichen Lebens verkündet wurden:
- Gesetzesübergabe an Moses auf dem Berg Sinai
- Bergpredigt
- Martin Luthers Thesenanschlag im Jahre 1517 in Wittenberg
Die drei gegenüber stehenden Großfenster stellen drei Berufungen dar:
- Berufung des Propheten Jesaja
- Berufung des Apostels Paulus
- Berufung Calvins durch Farel im Jahre 1536
Kanzel
Die Kanzel ist durch einen reichen Aufbau mit verschiedenen Materialien ausgezeichnet. Der Aufgang und der von Freisäulen getragene Kanzelkorb bestehen aus mehreren Marmorsorten. Im Kanzelkorb sind vier Bronzereliefs mit den Darstellungen der Geburt, der Taufe, der Kreuzigung und der Auferstehung Christi eingelassen. Der Kanzeldeckel aus Eichenholz zeigt einen reichen Aufbau in der Art eines gotischen Sakramenthäuschens.
Gestühl
Die Eichenbänke zeigen an den Wangen Dekorationsformen, die auch am Bau vorkommen, und Wappen und Namen der Stifter. Insgesamt umfasst das Gestühl 1.800 Sitzplätze.
Orgel
Die ursprüngliche Orgel ist nicht mehr vorhanden. Die heutige Orgel ist 1979 mit 97 Registern die größte Orgel in Südwestdeutschland.
Literatur
- L. Gümbel: Die Gedächtniskirche der Protestation von 1529 zu Speyer, Ein Dankesdenkmal der gesamten evangelischen Welt. Festschrift für den frohen Tag der Weihe, 31. August 1904, Speyer
- H. Dellwing: Die Gedächtniskirche in Speyer und ihre Restaurierung. In: Denkmalpflege in Rheinland-Pfalz, Jahresberichte 1974/75, S. 117-130.
- H. Dellwing: Die Gedächtniskirche der Protestation, ein Denkmal und seine Entstehung. In: Der Turmhahn, 23, 1979, Heft 1-4. - Katalog der Ausstellung 450 Jahre Protestation zu Speyer 1529-1979, Speyer 1979.
Weblinks
- Speyer.de Gedächtniskirche
- Bauverein Gedächtniskirche e. V.
- Deutsche Post Sondermarke: 100 Jahre Gedächtniskirche Speyer
Siehe auch: Protestation zu Speyer