Zigeunerfeindlichkeit, Antiziganismus bzw. Zigeunerverfolgung ist eine vielschichtige Erscheinung, die aus Stereotypen und Ressentiments besteht. Zigeunerfeindlichkeit (Antiziganismus) ist dabei eine der zählebigsten Einstellungen gegen eine Minderheit und eine der verbreitetsten Formen der Xenophobie.
Definition
Der Antiziganist schreibt den Zigeunern negative Stereotype wie Diebstahl, Unzuverlässigkeit, Schmutz und vermeintlich positive Stereotype wie magische Fähigkeiten, eine exotische und erotische Ausstrahlung sowie rhythmische und musikalische Fähigkeiten zu. Typisch sind Stereotype der ländlichen Bevölkerung wie "Holt die Wäsche herein, die Zigeuner kommen". Weitere Opfer von Antiziganismus sind die Jenischen, Traveller und Quinqui die einen eigenen kulturellen Kreis bilden und mit halbnomadischen Roma-Gruppen wie z.B. den Kalderasch oder den Lowara gewisse soziologische Übereinstimmungen in der Lebensweise haben ohne mit ihnen ethnisch verwandt zu sein. Sinti und Roma sehen sich darüber hinaus durch gesetzliche Verfügungen gegen Landfahrerei, die Regelementierung von freiem Camping und durch andere Einschränkungen der fahrenden Lebensweise von offizieller Seite diskriminiert. Doch selbst seßhafte Sinti und Roma sind zahllosen Vorurteilen ausgesetzt. Diese beziehen sich meist aus den realen oder unterstellten nichtsesshaften Lebensstil der Sinti und Roma sowie auf die daraus abgeleiteten angeblichen Verhaltensweisen.
Das Problem der korrekten Bezeichnung der Bevölkerungsgruppe
Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma wendet sich gegen die Verwendung des Begriffs Zigeuner, da es im deutschen Sprachgebrauch negativ belegt ist und meist als Schimpfwort gebraucht wird. Aus diesem Grund verwendet man heute meist den Begriff "Sinti- und Roma". Auch dies ist jedoch nicht gänzlich unproblematisch, weil damit andere Gruppen wie etwa die Manusch oder die Kalé nicht umfaßt werden. Die Sinti Allianz Deutschland bevorzugt den Begriff Zigeuner als neutrale Bezeichnung aller ziganischen Völker sieht und verwendet ihn auch als Selbstbezeichnung. Andere verweisen darauf, dass in vielen weiteren Sprachen die Bezeichnung "Zigeuner" die Gesamtheit aller Stämme und Volksgruppen meint und zum Beispiel oft auch die Manusch, Jenischen oder Kalé miteinbezieht, die ebenfalls als "Zigeuner", "weiße Zigeuner" oder "Zigeunermischlinge" verfolgt worden seien.
Geschichte der Zigeunerfeindlichkeit
Vom Mittelalter bis zum Ersten Weltkrieg
Übergriffe und Feindseligkeiten gegen Zigeuner lassen sich schon im Mittelalter nachweisen. Denn schon Mitte des 15. Jahrhunderts wurden sie unter Gewaltanwendung aus den Städten vertrieben.Noch in der frühen Neuzeit waren sie alsbald von der Rechtssprechung ausgeschlossen. Denn zunächst wurden sie mit anderen wandernden Berufsleuten wie Sängern, Spielleuten, Schaustellern, Herolden und Gauklern, Quacksalbern und Chirurgen als „fahrendes Volk“ besonderer Gesetzgebung unterworfen und diskriminiert. Und auf einem Reichstag in Freiburg im Breisgau 1497/98 wurden alle Zigeuner für vogelfrei erklärt.
In einer Gegenreaktion organisierten sie sich in teilweise recht rigiden „Königreichen“ selbst.
1539 wurden sie aus Paris vertrieben, 1563 erfolgte die Vertreibung aus England unter Androhung der Todesstrafe.
Unter der sesshaften Bevölkerung Europas verbreiteten sich bald Märchen, die Zigeuner entführten Kinder, was die Xenophobien der Menschen weiter schürte und auch dem Hass auf die Zigeuner - den Antiziganismus - Vorschub leistete. Im Laufe der Zeit kam es immer wieder zu Übergriffen auf die Zigeuner. Morde waren dabei keine Seltenheit und wurden in der Regel in Tradition der Vogelfreiheit auch nicht bestraft.
In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts hatten sich die meisten sesshaften Europäer immer noch nicht damit abgefunden, dass es auch Menschen gab, die anders lebten. Man versuchte nun, die umherziehenden Zigeuner zu zwingen, sesshaft zu werden. Die Methoden dieser humanitären Maßnahme waren brutal. So trennte man in der Schweiz mit Gewalt Kinder von ihren Eltern, um sie in (Um)erziehungsheime zu geben. Die Organisation nannte sich Hilfswerk für die Kinder der Landstraße. 1975 gab man die erfolglosen Versuche wieder auf.
Bis ins 19. Jahrhundert war die europäische Bevölkerung weitgehend an ihr Dorf oder ihre Stadt ortsgebunden, z.B. aufgrund von Leibeigenschaft, von Grundbesitz, Bürgerrecht einer Stadt oder auch aufgrund gesetzlicher Regelungen. Gegenseitige soziale Kontrolle im Wohnumfeld, die Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe und der "richtige" Glauben waren in dieser Zeit wichtige Grundlagen des Zusammenlebens.
Alle ortsungebundenen Bevölkerungsteile, wie fahrende Händler, Schausteller, Vagabunden etc. wurden damals generell als ausserhalb der Gesellschaft stehend betrachtet und mehr oder weniger diskriminiert.
Bei den "Zigeunern" kamen fremde ethnische Herkunft, fremdes Aussehen, fremde Bräuche und Sitten, unterschiedlicher Glauben und weitgehender Entzug gegenüber sozialer Fremdkontrolle und oft Armut hinzu.
Mit Ende der Leibeigenschaft in Rumänien suchten nach 1864 viele Zigeuner vom Stamm der Roma ihr Glück im Westen.
Während des Ersten Weltkriegs kämpften auch viele Zigeuner auf beiden Seiten. Roma, die kriegsuntauglich waren, wurden zu öffentlichen Arbeiten zwangsverpflichtet. Löhne wurden nur in Naturalien ausbezahlt, wobei die Entlohnung niedriger war als die der übrigen Bevölkerung. Allen wandernden Roma wurden Pferde und Wagen abgenommen.
Zwischen den Weltkriegen
Die Roma wurden erfasst und registriert: durch Personenzählungen, Anlegen von Fotokarteien, und das Nummerieren von Häusern. Schon 1922 erging ein Erlass der Burgenländischen Landesregierung (Österreich), dass alle Roma in ihren Heimatgemeinden festzuhalten seien und die Zuwanderung von neuen Gruppen zu verhindern sei. 1925 wurden alle Roma fotografiert.
1936 wurde in Wien die Internationale Zentralstelle zur Bekämpfung der Zigeunerplage geschaffen: Ihre erste Aufgabe war, die Roma datenmäßig zu erfassen. Im Burgenland wurden bereits Vorarbeiten geleistet: Vor 1938 waren bereits 8.000 Roma über 14 Jahren mit Fingerabdrücken in der Zigeunerkartothek erfasst. Die Grundlage für die systematische Verfolgung und Vernichtung in der NS-Zeit war somit schon gegeben.
Nationalsozialismus
Während der Zeit des Nationalsozialismus waren die Sinti und Roma eine der Hauptopfergruppen der nationalsozialistischen Rassenpolitik und somit Opfer eines gezielten Völkermordes. Durch gezielte Massentötung in den Vernichtungslagern sollte das Volk ausgerottet werden. Sinti und Roma sprechen davon als Porajmos (Das Verschlingen). Zunächst wurden die antiziganistischen Maßnahmen, die auf lokaler Ebene schon während des Kaiserreichs und der Weimarer Republik durchgeführt worden waren, systematisiert. Es entstanden Sammellager für die nicht-sesshaften Zigeuner, so etwa auf dem Heinefeld in der Nähe von Düsseldorf oder in Berlin-Marzahn. Die nationalsozialistische Politik ging jedoch mit ihrer rassenbiologisch motivierten Verfolgung, die sich etwa in Zwangssterilisationen und Eheverboten ausdrückte, weit über die bis dahin übliche Kriminalisierung der Zigeuner hinaus. In der von Robert Ritter und seiner Assistentin Eva Justin geleiteten rassenhygienische Forschungsstelle wurden die in Deutschland lebenden Zigeuner nach ihrer Abstammung erfasst und ihre körperlichen Eigenschaften vermessen. Die pseudo-wissenschaftliche Forschung war dabei immer eng mit polizeilichen Zielsetzungen verbunden. Schon vor Ausbruch des Krieges wurden Zigeuner als "Asoziale" in Konzentrationslagern, zum Beispiel in Dachau interniert. Die nationalsozialistische Zigeunerpolitik eskalierte schließlich in der Massentötung der Zigeuner in Vernichtungslagern. Die Zigeuner wurden so mit anderen Gruppen zusammen Opfer des nationalsozialistischen Holocausts. In Auschwitz-Birkenau existierte ein eigener Lagerabschnitt für die Zigeuner. Sie wurden dort auch zu Opfern von grausamen medizinischen Versuchen, die unter anderem von Dr. Mengele geleitet wurden. Wieviele Zigeuner insgesamt während der NS-Diktatur umkamen, ist nicht bekannt, da über die Zahl der in der Sowjetunion, in Polen, Ungarn und Serbien Ermordeten keine gesicherten Angaben vorliegen. Alleine innerhalb Deutschlands wurden jedoch zwischen 1938 und 1945 etwa 15000 Menschen als "Zigeuner" oder "Zigeunermischlinge" umgebracht.
Vergleichbarkeit von Zigeunerverfolgung und Judenverfolgung
Die Vergleichbarkeit von Zigeunerverfolgung und Judenverfolgung ist in der Öffentlichkeit wie in der Forschung umstritten. Besonders heftig wurde diese Frage im Zusammenhang mit der Diskussion um das Mahnmal für die von den Nazis ermordeten Sinti und Romadiskutiert . Dabei sorgte für Unmut, daß im Begleittext auf Bundestagsbeschluss die Bezeichnung Zigeuner verwendet wurde.
Aktuelle Entwicklungen
Auch nach dem Krieg werden die Zigeuner weiter stark diskriminiert. Offene Verfolgung ist zwar selten geworden, in allen Ländern Europas ist jedoch eine stille Diskriminierung gegenwärtig. Eine Lobby haben die Sinti und Roma kaum, der teilweise neu entfachte Nationalismus agiert eher gegen sie. Auch in den meisten westeuropäischen Ländern haben Sinti und Roma im Zuge von Xenophobie und Antiziganismus bis heute unter Diskriminierung und Vorurteilen zu leiden. In vielen offiziellen Reden bekommen Sinti und Roma Unterstützung, im Alltag selten. Die teilweise rigorosen wirtschaftliche Maßnahmen in einigen Ländern treffen sie besonders hart, es gibt Regionen, in denen sich die Arbeitslosigkeit der Marke 100 % nähert, und die schulische Bildung der Sinti und Roma ist oft genug katastrophal. Die traditionellen Berufe der Sinti und Roma werden nicht mehr gebraucht. Manche Roma sind noch heute Staatenlose und erleiden daher rechtliche Nachteile. Das EU-Parlament weist in der Entschließung zur Lage der Roma in Europa "auf die weite Verbreitung der Zigeunerfeindlichkeit und ihre diskriminierenden Auswirkungen auf die Chancen im Bereich Beschäftigung, Bildung und soziale Dienste für die am meisten benachteiligte ethnische Minderheitengruppe in der Europäischen Union" hin. Praktikable Lösungen des Problems bietet allerdings auch das Parlament nicht an.
In vielen Ländern Ostmitteleuropas, Osteuropas und Südosteuropas, insbesondere in der Tschechischen Republik, der Slowakei, Rumänien und im Kosovo, stehen Sinti und Roma am Rande der Gesellschaft und leben vielfach in eigenen Romasiedlungen oder Ghettos, die oft im Zuge gezwungener Sesshaftmachung in minderer Qualität und mit schlechter Infrastruktur errichtet wurden. Die schweigende Mehrheit glaubt eher negativen Vorurteilen und Schlagzeilen der Boulevardpresse. Daher sind sie in diesen Ländern auch nach wie vor massiven Diskriminierungen und Verfolgungen ausgesetzt.
Da die Slowakei seit Mai 2004 Mitglied der Europäischen Union ist und Rumänien im Jahr 2007 wahrscheinlich Mitglied wird, gewinnt das Thema Minderheitenschutz eine größere Bedeutung. Bedingung und Kriterium für die Aufnahme in die Staatengemeinschaft ist die Respektierung der Minderheiten. In Rumänien arbeitet man zur Zeit an einem Gesetzesentwurf zu diesem Thema. Bei einer Umfrage in England sagten im Jahr 1993 2/3 der englischen Bürger aus, eine Nachbarschaft von „gypsies“ abzulehnen. In Deutschland löste eine von Martin Walser editierte Tatortfolge ("Armer Nanosh" von 1989) löste wegen antiziganistischer Inhalte, unter anderem wegen der verwendeten Bezeichnung „das Volk der roten Unterhosen“ und diverser klischeehafter Darstellungen, einen Eklat aus und wurde vom Zentralrat der Sinti und Roma in Deutschland scharf verurteilt. Allerdings soll im Jahr 2006 ein Mahnmal in Berlin für jene Menschen errichtet werden, die während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft als Zigeuner verfolgt und ermordet wurden. Ein Mahnmal für die ermordeten Zigeuner Europas existiert bis heute nicht.
Siehe auch
Literatur
- Arnold, Hermann: Ein Menschenalter danach - Anmerkungen zur Geschichtsschreibung der Zigeunerverfolgung, 1977
- Hohmann, Joachim Stephan: Geschichte der Zigeunerverfolgung in Deutschland, 1981; 1988
- Hohmann, Joachim Stephan: Ihnen geschah Unrecht Zigeunerverfolgung in Deutschland, in: Tribüne, 1982
- Müller-Hill, Benno: Tödliche Wissenschaft die Aussonderung von Juden, Zigeunern und Geisteskranken 1933-1945, 1984; 1985; 1988; 1989
- Strauß, Eva: Die Zigeunerverfolgung in Bayern 1885-1926, 1986
- Wippermann, Wolfgang: Das Leben in Frankfurt zur NS-Zeit. Die nationalsozialistische Zigeunerverfolgung, 1986
- Ayaß, Wolfgang: Feinderklärung und Prävention Kriminalbiologie, Zigeunerforschung und Asozialenpolitik, 1988
- Zimmermann, Michael: Von der Diskriminierung zum "Familienlager" Auschwitz - die nationalsozialistische Zigeunerverfolgung, in: Dachauer Hefte, 1989
- Arnold, Hermann: Die NS-Zigeunerverfolgung ihre Ausdeutung und Ausbeutung; Fakten, Mythos, Agitation, Kommerz, um 1989
- Schenk, Michael: Rassismus gegen Sinti und Roma zur Kontinuität der Zigeunerverfolgung innerhalb der deutschen Gesellschaft von der Weimarer Republik bis in die Gegenwart, 1994
- Gharaati, Mohammad: Zigeunerverfolgung in Deutschland mit besonderer Berücksichtigung der Zeit zwischen 1918-1945, 1996
- Zimmermann, Michael: Rassenutopie und Genozid. Die nationalsozialistische 'Lösung der Zigeunerfrage', Hamburg 1996. ISBN 3-7672-1270-6
- Wippermann, Wolfgang: Wie die Zigeuner. Antisemitismus und Antiziganismus im Vergleich. Berlin: Elefanten Press 1997.
- Krekovičová, Eva: Zwischen Toleranz und Barrieren das Bild der Zigeuner und Juden in der slowakischen Folklore, 1998
- Solms, Wilhelm: Zur Dämonisierung der Juden und Zigeuner im Märchen, in: Sinti und Roma in der deutschsprachigen Gesellschaft und Literatur, 2001
- Winckel, Änneke: Antiziganismus. Rassismus gegen Roma und Sinti im vereinigten Deutschland, 2002, Unrast Verlag, ISBN 3-89771-411-6
- Vodička, Karel: Die Zigeuner des Monsignore Tiso. Roma-Verfolgung im 'Schutzstaat' Slowakei 1939-1945, in: Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung, 2004
- Stengel, Katharina: Tradierte Feindbilder die Entschädigung der Sinti und Roma in den fünfziger und sechziger Jahren, 2004
- Zimmermann, Michael: Die nationalsozialistische Verfolgung der Juden und "Zigeuner". Ein Vergleich. Überlegungen zur Diskussion um das Mahnmal für die ermordeten Sinti und Roma, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft «Berlin», 2004
- Hund, Wulf D. (Hrsg.): Zigeunerbilder. Schnittmuster rassistischer Ideologie, o.J., Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung e.V., ISBN 3-927388-74-2
- Hund, Wulf D. (Hrsg.): Zigeuner. Geschichte und Struktur einer rassistischen Konstruktion, o.J., Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung e.V., ISBN 3-927388-53-X
Weblinks
- http://www.bpb.de/publikationen/01365084347268951310790272390291,4,0,Sinti_und_Roma_als_Feindbilder.html Bundeszentrale für politische Bildung: Sinti und Roma als Feindbilder]
- Entwurf eines Berichts (PE 362.680v01-00) von Martine Roure als Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates zum Europäischen Jahr der Chancengleichheit für alle (2007) – Beitrag zu einer gerechten Gesellschaft
- Ulrich Kronauer: Bilder vom „Zigeuner“ in rechtssprachlichen Quellen und ihre Darstellung im „Deutschen Rechtswörterbuch“
- Die Roma in Nachschlagewerken: Ein Vorschlag zur Korrektur
- "Kein Platz für Zigeuner" auf Osttiroler Campingplatz (Der Standard vom 31.08.2005 über Rassismus und Diskriminierung in Österreich im 21. Jahrhundert)
- Die Deportation der Sinti aus Hildesheim im März 1943