Disposition (Orgel)

Konzeption einer Orgel
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Als Disposition bezeichnet man die Gesamtanlage einer Orgel. Diese setzt sich aus den einzelnen Registern, aber auch aus technische Details wie Art der Spiel- und Registertraktur, Manualverteilung, Spielhilfen und der verwendeten Stimmung zusammen.
Die Disposition wird für jede Orgel individuell vom Orgelbauer in Rücksprache mit dem Auftraggeber zusammengestellt und unterscheidet sich in ihren Grundzügen in unterschiedlichen Epochen und Strömungen der Musikgeschichte. Praktische Gegebenheiten wie Akustik des Kirchenraumes, vorhandener Platz und auch die finanziellen Möglichkeiten sind weitere maßgebliche Aspekte. Gegebenfalls sind auch noch die Richtlinien des Denkmalschutzes zu beachten.

Da jede Orgel normalerweise eigens für ihren Aufstellungsort entworfen und gebaut wird, gibt es kaum Orgeln mit absolut identischen Dispositionen.


Barock

Für Orgeln aus der Barockzeit kann man die Register je nach Klangfarbe und Verwendung in drei funktionelle Gruppen einteilen, die aber gleichermaßen auf die gesamte Orgel verteilt werden:

  • Die erste Gruppe bildet mit dem typischen "Orgelklang" hervortretende Stimmen, die auf einen kräftigen Gesamtklang, das so genannte "Plenum", ausgelegt sind. Hierzu gehören die Prinzipale, Oktaven und Mixturen,
  • Die zweite Gruppe hat eher sanfte, flötenartige Töne, die sich hervorragend mischen lassen. Es sind die weiten offenen, die konischen, die Gedackten Stimmen in all ihren Variationen
  • Die dritte Gruppe sind die Stimmen, die am besten solistisch zu verwenden sind, wie Aliquote, Zungenstimmen und Streicher (wenig verbreitet!)

Ein typisches Merkmal von barocken Orgeln ist das sogenannte Werkprinzip. Dies sagt nicht anderes aus, als dass jedes Teilwerk (Hauptwerk, Rückpositiv, aber auch das Pedal) zum einen möglichst selbstständig, zum anderen aber auch gleichwertig neben den anderen Orgelwerken ist. Demnach ist jedes Teilwerk sowohl als Tutti-, als auch als Solo- oder Begleitwerk zu verwenden, sie unterscheiden sich nur durch die Klangcharakteristik. Eine weitere dynamische oder funktionelle Unterteilung (Hauptwerk, Schwellwerk, Nebenwerk, Echowerk) entwickelt sich erst in der Romantik.

Aufgrund der rein mechanischen Spieltraktur kommt es zu weiteren Besonderheiten:

  • Manualanordnung: Bei einer dreimanualigen Orgel mit Rückpositiv, Hauptwerk und Brustwerk ist das Hauptwerk immer das mittlere Manual, da sich anderenfalls die Spieltrakturen der Werke kreuzen würden.
  • Werkgröße: Jedes zusätzliche Register auf einer Windlade erhöht das Spielgewicht der Taste, daher sind hier natürliche Höchstgrenzen gesetzt, da eine Orgel sonst nicht spielbar wäre. Als 'Faustregel' rechnet man mit maximal 10-12 Registern pro Windlade.
  • Koppeln: Bei einer dreimanualigen Orgel beschränken sich die Manualkoppeln auf III-II sowie I-II. Eine Manualkoppel III-I war technisch noch nicht realisierbar.

Im Vordergrund der barocken Orgel steht die Durchsichtigkeit des Klanges; daher waren die Register mit hoher Fußtonzahl sowie Aliquote als Soloregister weit verbreitet. Im Klangideal sollten sich die einzelnen Pfeifen nicht angleichen, was vor sich vor allem auf polyphoner Musik positiv auswirkte.

Romantik

Die Romantik hatte ein vollkommen anderes Orgelideal. Im Gegensatz zur Barockorgel sind hier die 8'-Lagen mehrfach mit verschiedenen, Orchesterinstrumente nachahmenden Stimmen besetzt, die höheren Lagen treten dafür zurück. Im Vordergrund stand das Ideal der "Vermischung" - die Orgel sollte wie ein Orchester klingen, es sollen keine Brüche im Klang mehr erkennbar sein.

Daher tauchen in romantischen Orgeln gehäuft Streicher und überblasende Flöten auf. Streicherstimmen sind sehr eng mensurierte Pfeifen, in deren Obertonspektrum der zweite Teilton (die Oktave) vorherrscht. Streicher können auch eine Schwebung bilden, Vox coelestis bzw. Voix céleste ("himmlische Stimme") genannt, bei der bewusst zwei Pfeifenreihen leicht gegeneinander verstimmt werden, wodurch ein "schwebender" Ton entsteht. Überblasende Flöten sind weit mensurierte offene Lippenpfeifen, die doppelt so lang sind wie normale offene Pfeifen derselben Tonhöhe; ihr Klang ist besonders füllig. In größeren romantischen Orgel trifft man auch oft sogenannte Hochdruckregister an wie z. B. Tuba mirabilis, Trompette en chamade, Stentorgambe oder -flöte oder Royal Trumpet. Außerdem verfügen alle größeren romantischen Orgeln über zahlreiche Spielhilfen und technische Besonderheiten. Typisch ist das so genannte Schwellwerk: ein Teil der Pfeifen befindet sich innerhalb der Orgel in einem Kasten mit jalousieartigen Schwelltüren, die mittels eines Fußtrittes am Spieltisch geöffnet oder geschlossen werden können. Dies macht erstmals eine stufenlose Dynamik der Lautstärke möglich. Viele romantische Orgeln verfügen zudem über eine Crescendowalze, die es ermöglicht, mittels einer mit dem Fuß zu bedienenden Walze oder eines Balanciertritts nach und nach alle Register der Orgel zuzuschalten, ohne die entsprechenden Registerknöpfe einzeln von Hand bedienen zu müssen. Viele romantische Orgelwerke und Komponisten setzten eine Crescendowalze voraus (Max Reger). Außerdem verfügt die romantische Orgel häufig über Sub- und Superoktavkoppeln. Diese bewirken, dass beim Anschlagen eines Tones und bei geschalteter Suboktavkoppel der gleiche Ton eine Oktave tiefer mitklingt. Bei gezogener Superoktavkoppel erklingt der gleiche Ton eine Oktave höher mit (Oktavierung). Zahlreiche technischen Neuerungen (Elektrik, Pneumatik, neue Baumaterialien) machten es möglich, immer größere Instrumente zu bauen. Es seien als Beispiele hier die Steinmeyer/Eisenbarth-Orgel des Domes zu Passau (heute 233 Register), die berühmte Wannamaker-Orgel in Philadelphia (Lord & Taylor Department Store, 357 Register) oder die größte Orgel der Welt in der Atlantic City Convention Hall mit 337 Registern bei 449 Pfeifenreihen (ranks) und rund 32.000 Pfeifen genannt.

In der Romantik fanden die ersten Umbauten von Orgeln im größeren Stil statt. Oft wurden barocke Orgeln, die als zu "schreiig" empfunden wurden, romantisiert, in dem dort streichende bzw. andere romtische Register anstelle hoher Aliquoten eingebaut und die Intonation verändert wurde. Auch wurden wertvolle barocke Orgeln noch bis in die 30er Jahre pneumatisiert oder elektro-pneumatisch umgebaut (z. B. Naumburg Wenzelskirche.)

Neuzeit

Im Rahmen der Orgelbewegung (initiert untern anderem durch Albert Schweitzer) kam es in Deutschland ab ca. 1930 zu einer allgemeinen Rückbesinnung zum Barockideal.

In den 30er-50er Jahren waren die Mensuren z.T. übertrieben weit, jedoch fanden sich bereits barocke Register in den Dispositionen. Die Intonation entsprach noch der der Romantik, die Rückkehr zur mechanischen Schleiflade war noch nicht vollzogen.

In den 50er und 60er Jahren (Neobarock) mussten daher viele romantische Orgeln neuen Instrumenten mit sehr steiler Disposition weichen; diese wurden teilweise fabrikmäßg in "Serie" hergestellt. Stellenweise wurden dort auch hohe Aliqouten (Septime, None) verwendet (Helmut Bornefeld), die in orginalen Barockdispositionen nicht vorhanden waren. Auch die Mensuren waren deutlich, wenn nicht sogar übertrieben eng gegenüber den Vorbildern. Die Intonationsart war eine völlig neue und hatte mit der barocken Intonationsweise nicht mehr viel gemein. Die Orgeln zeichnen sich im Gegensatz zum Barock durch oft unerträgliche Spitzigkeit und schwachem Baßfundament bei dabei fehlender Kraft in der Mittellage aus.

Viele romantische, ja auch spätbarocke Werke deren Disposition nicht barock genug erschien, wurden in dieser Zeit "barockisiert", in dem die Disposition dahingehend verändert wurde, das z.B. die verpönten Streicher durch hohe aliquoten ersetzt wurden, oft mit fragwürdigen Methoden und Erfolg. (Klassisches Beispiel ist das "Absägen" eines Violoncello 8' zum Choralbaß 4' im Pedal.)

Gleichzeitig wurde nach dem zweiten Weltkrieg mit sogenannten Multiplexorgeln versucht, Kosten und Platz beim Orgelbau zu sparen. Dieses Prinzip finden wir bei den Kino-Orgeln der 20er und 30er Jahre. Da hier aus einer Pfeifenreihe im Transmissions- und Extensionsverfahren verschiedene Register aus einer Pfeifenreihe erzeugt wurden, konnte das Konzept musikalisch nicht überzeugen, weil die Eigencharakteristik der einzelnen Register nicht mehr gegeben war.

Seit den 80er Jahren wird vermehrt mit einer Art „Universalorgel“ experimentiert, die für alle Arten und Stile von Orgelliteratur geeignet sein soll. Bei größeren Orgeln (ab ca. drei Manualen und 40 Registern) kommt man zu recht schlüssigen musikalischen Ergebnissen, indem man ein neutrales Hauptwerk zum Beispiel mit einem barocken Rückpositiv und einem französisch-romantischen Schwellwerk verbindet. Bei kleineren Orgeln geht die Vermischung der verschiedenen Epochen meistens nicht überzeugend auf; hier baut man tendenziell wieder rein stilecht nach historischen Vorbildern auch wenn hier durchaus gelegentlich Einzelregister aus anderen Epochen eingesetzt werden.

In neuster Zeit geht der Trend auch wieder dahin, bei Generalüberholungen von "barockisierten" Orgeln diese in den Originalzustand zurückzuführen, wodurch wieder sehr schöne Instrumente aus der Romantik und dem späten Barock zurückgewonnen werden konnten.

Technische Fortschritte gibt es nur im Bereich der Spielhilfen. Die Elektronik hat größere Setzeranlagen ermöglicht, teilweise sind auch schon Kirchenorgeln midifiziert worden. In kleinen Orgeln (bis etwa 10 Register) wird vermehrt die Wechselschleife eingesetzt, die es ermöglicht, die Register eines Werkes auf zwei Spielmanuale zu verteilen.

Zumindest hingewiesen sei noch auf verschiedene Versuche, echte Orgeln mit Digitalorgeln zu kombinieren (Kombinationsorgel). Aufgrund der naheliegenden Probleme (Stimmung, Vermischungsfähigkeit) haben diese sich nicht durchsetzen können.

Hörempfehlung

Auf der CD Passacaglia BWV 582 (ASIN: B000024BOT) befinden sich mehrere Fassungen der berühmten Passacaglia von Johann Sebastian Bach, unter anderem jeweils eine Einspielung auf einem barocken und romantischen Instrument. Da es sich um das gleiche Stück handelt, sind die Unterschiede im Klangideal sowie die technische Umsetzung direkt zu vergleichen.

Siehe auch