Solipsismus
Der Solipsismus (von lat. solus allein und ipse selbst: nur ich selbst) ist ein philosophischer Begriff, der den erkenntnistheoretischen Standpunkt bezeichnet, demzufolge nur das eigene Ich wirklich ist, während die Außenwelt und andere "Ichs" nur Bewußtseinsinhalte ohne eigene Existenz darstellen. In der Philosophie wird oft Max Stirners Buch Der Einzige und sein Eigentum als klassisches Werk des Solipsismus genannt. In der Entwicklungspsychologie (Jean Piaget) meint Solipsismus eine frühkindliche Phase, in der das Kind noch nicht zwischen sich und der Außenwelt unterscheiden kann.
Der Begriff kam im 19. Jahrhundert auf, um ein philosophisches Problem zu benennen, das mit der neuzeitlichen Philosophie selbst in Erscheinung trat und jeder subjektiv-idealistischen Denkweise anhängt. Ausgangspunkt bildet die Philosophie des Descartes und die Lehre des Cartesianismus. Dem Cartesianismus zufolge gibt es nur zwei Arten des Seins, das denkende Ich (res cogitans) und die Welt der Dinge (res extensa). Logisch und erkenntnistheoretisch ist es nun unmöglich, von der Existenz des einen denkenden Ich auf die Existenz weiterer Ichs zu schließen. Was nicht nur für den alltäglichen Verstand absurd klingen mag, hat sich als eine ernste Provokation der jüngeren Philosophiegeschichte erwiesen (cf. Jean-Paul Sartre, Das Sein und das Nichts, darin das zentrale Kapitel „Die Klippe des Solipsismus“). Bei Ludwig Wittgenstein wird das Thema im Zusammenhang mit dem Privatsprachenargument behandelt, in der Phänomenologie mit dem Problem der Fremdwahrnehmung.
Beschreibung
Das Universum des Solipsisten kann, zur besseren Einordnung, in zwei Teile eingeteilt werden: Der Teil, der sich als das bewusste Denken, und der Teil, der sich als unbewusstes Denken manifestiert.
Dem Solipsismus zufolge verhält sich der unbewusste Teil des Denkens genauso komplex und unberechenbar, als ob er „äusserlich“, also überhaupt kein Bestandteil des eigenen Selbst, wäre. Der Wille zwischen dem realistischen Universum und dem Universum des Unterbewusstseins zu unterscheiden kollabiert, wenn man realisiert, dass die Idee eines „äusserlich“ und eines „unbewussten“ lediglich unterschiedliche Begrifflichkeiten darstellen, die unkennbare, noumenale Ereignisse außerhalb der bewussten Erkenntnis beschreiben. Dies führt zur Schlussfolgerung, dass das Unbewusste nicht das eigene Selbst, sondern eine fremdartige, noumenale Entität darstellt.
In der Philosophie nach Hegel wird, häufig gestützt auf eine subjektivistische Interpretation sinnesphysiologischer Ergebnisse, von subjektiv-idealistischen Strömungen die angebliche Subjektivität der Qualitäten mit dem Argument verteidigt, dass die Verneinung der Objektivität der Eigenschaften den Dualismus von Physischem und Psychischem aufhebe. Diese Tendenz kann unmittelbar von der Betrachtung der Qualität des Dings in den Solipsismus führen, da diese letztlich in die Verneinung der objektiven Realität führt.
Schlussfolgerungen
Die wissenschaftliche Empirie spielt nicht nur in den eigentlichen empirischen Erfahrungs-Wissenschaften, insbesondere in der Naturwissenschaft und Medizin, sondern auch in der Philosophie eine Rolle. So wie, laut Kant, Erfahrung die Grundlage der ganzen theoretischen Philosophie bildet, kann durch bloße Erfahrung eine rein philosophische Erkenntnis nicht geschaffen werden. Erfahrungen, seien sie noch so sehr gehäuft, aus allen Teilen der Welt und aus allen Zeiten zusammengerafft, bilden nur eine Masse von Einzelheiten, welcher jene Ordnung und höhere Einheit abgeht, ohne welche überhaupt keine wissenschaftliche, geschweige eine philosophische Erkenntnis denkbar ist. Es sei also nötig, mit dem reinen Denken an die gesammelte Erfahrung heranzutreten und die durch diese gefundenen Begriffe einer regelmäßigen Bearbeitung zu unterwerfen.
So ist der Solipsismus als Idealismus - im Gegensatz zum Realismus - zunächst eine Erkenntnistheorie, die eine äußere, vom Bewusstsein unabhängige Realität für unerkennbar hält.
Eine bedeutsame Schlussfolgerung, die aus dem Solipsismus gezogen werden kann, ist die von Arthur Schopenhauer: Wille sei die Wesenheit einer unerreichbaren, externen Realität, und somit eine Illusion. Der Mensch kann sich frei definieren, wenn er es aber tue, so sei es sein Schicksal, es zu tun und nicht sein Wille. Der Wille als solcher wird nicht negiert, jedoch als Phänomenon des noumenalen Unbewussten erachtet.
„Die Welt ist meine Vorstellung“ gilt Schopenhauer als erster Hauptsatz seiner Philosophie. Es gibt für ihn nichts Beobachtetes ohne Beobachter, kein Objekt ohne ein Subjekt. Die Welt, als Vorstellung betrachtet, zerfällt in Subjekte und Objekte, die sowohl untrennbar voneinander als auch radikal voneinander verschieden, jedoch letzten Endes beide nur Erscheinungen des metaphysischen Willens sind, der das Wesen der kosmischen Welt ist, das sich, in Subjekt und Objekt erscheinend, gleichsam selbst anschaut.
Dem Menschen als höchster Erscheinungsform des noumenalen metaphysischen Willens ist die Möglichkeit gegeben, die Illusion des persönlichen Willens aufzuheben, und so in einen Zustand des Nichtseins, des Nirvana zu gelangen. Hier zeigt sich der starke Einfluss der indischen Philosophie auf sein Denken.
Kritik
Egoismus. – Der Solipsismus hält nur die eigene Subjektivität für Realität oder zumindest für das einzig Erkennbare und stellt somit ein subjektivistisches Extrem des Idealismus dar. Von Kritikern des Solipsismus wird eine solche Haltung meist als extremer Egoismus wahrgenommen, da er andersartige Denkweisen subjektiviert und relativiert.
Realität. – Nach Ansicht der Kritiker zieht der Solipsismus die Realität von Fremdpsychischem nicht ernsthaft in Betracht, da vom eigenen auf ein anderes Bewusstsein nur per vager Analogie geschlossen werden könne, und Kommunikation mit Fremdpsychischem nur über die symptomatische Manifestation im Bewusstsein des Beobachters stattfinden könne, also innerhalb dessen subjektiven Erfahrungsfeldes.
Diktatur. – Es wird von Kritikern ebenfalls angeführt, dass einigen historischen Personen aufgrund ihres Handelns eine solipsistische Weltanschauung zugeschrieben werden könne, so den Diktatoren Adolf Hitler oder Alexander der Große. Auch die fiktive Figur des Sternenkaisers in Andreas Eschbachs Romanen lebe eine extreme, solipsistische Weltanschauung, da er das gesamte Universum dazu einspanne, seine persönlichen Lebensziele zu verwirklichen.
Nach Ansicht der Solipsisten seien solche Individuen, sollte denn ihre Weltanschauung tatsächlich solipsistischer Natur gewesen sein, gerade deshalb so gefährlich, da deren Machtanspruch von den Menschenmassen nicht subjektivistisch-solipsistisch, sondern absolutistisch oder kollektivistisch, nach dem Prinzip der Unterordnung unter einen absoluten Herrscher oder das Kollektiv, interpretiert worden sei.
Sprachtheorie. – Gegen den Solipsismus lässt sich auch sprachphilosophisch zu argumentieren versuchen. Kritiker werfen dem Solipsismus vor, er verstricke sich in einen Widerspruch, indem er eine Sprache zu seiner Formulierung erfordere. Dies setze eine intersubjektive Welt voraus, deren Existenz der Solipsismus leugne.
Sprache ist ein essentielles Werkzeug, um mit anderen Individuen kommunizieren zu können. Warum aber benötigt das Gedankengebäude des Solipsisten eigentlich eine Sprache, wenn andere Individuen angeblich nicht wirklich existieren?
Nach Ansicht der Solipsisten ist Sprache ein Phänomenon symbolischer Geräusche, und entspringt einer noumenalen Welt der unkennbaren, unwissbaren Muster und Formen. Der Solipsist stellt sich andere Individuen vor, um der Langeweile zu entkommen, vielleicht imaginiert er andere Subjekte, die in Wirklichkeit nur Computerprogramme des Biocomputers, also des unbewusten Denkens sind, die er eine Zeit lang absichtlich vergessen hat, um eine Sprache erfinden zu können, die es ihm ermöglicht mit diesen isolierteren Manifestationen innerhalb seine Bewusstseins zu kommunizieren.
Philosophische Probleme seien nichts anderes als „Scheinprobleme“ d. h., lediglich „Sprachverwirrungen“, die durch eine Rekurrierung auf die normale, also umgangssprachliche Verwendungsweise der Begriffe und Wörter aus der Welt geschafft, gleichsam "wegtherapiert" werden könnten. Dies werde möglich, indem man die internen Spielregeln eines Sprachspiels, also die Regeln der Verwendungsweise der einzelnen Wörter und Sätze darin aufdecke. Siehe auch: Wittgenstein
Vergleich mit anderen Denkweisen
Erkenntnistheorie. – Im erkenntnistheoretischen Subjektivismus wird der Standpunkt vertreten, dass die menschliche Erkenntnis ausschließlich beziehungsweise vornehmlich durch das menschliche Subjekt bedingt ist. Als Konsequenz führt dieser Standpunkt zu einer Form des Solipsismus, der die Existenz beziehungsweise die Erkennbarkeit objektiver Zusammenhänge und Gesetzmäßigkeiten weitgehend negiert.
Platon vertrat eine objektiv-idealistische, eng mit der Religion verbundene Weltanschauung, nach der wahres Sein nur den ewigen und unveränderlichen Ideen zukomme, während die Gegenstände der materiellen Welt lediglich Nachbildungen, Abschattungen der Ideen seien und eine Mittelstellung zwischen Sein und Nichtsein einnehmen. Die Erkenntnis der Ideen wird bei ihm durch eine immaterielle Seele vollzogen, die ihr Werk am besten verrichten kann, wenn sie von den Einflüssen des Körpers befreit ist. Alles Erkennen ist nur ein Wiedererinnern, denn die Seele besitzt bereits alle Erkenntnisse.
Existenzialismus. – Der Solipsismus weist deutliche Parallelen zum Existenzialismus auf, jedoch verortet er die Fähigkeit des Menschen sich selbst zu definieren, die er nicht bestreitet, im noumenalen Unbewussten. Der Existenzialismus besteht darin, dass nichts einen ewigen Wert hat, jegliche Ideologie oder materielles Objekt nur subjektiv einen Wert verkörpert. Die Freiheit des Subjekts, sich zu entscheiden, steht im Mittelpunkt. Jegliche Art von versuchtem „Objektivismus“ gilt als hochgespielter Subjektivismus.
Der Solipsismus leugnet jedoch die Existenz einer noumenalen Welt des ursächlichen Urgrundes – deren Existenz ja durch das Anerkennen des Fremdpsychischen per vager Analogie impliziert wird – nicht, allerdings leugnet er deren Erkennbarkeit. Der Solipsismus stellt die Frage, inwieweit es überhaupt sinnvoll sei, das nicht Erkennbare, Noumenale erkennen zu wollen.
Radikaler Konstruktivismus. – Der Radikale Konstruktivismus vertritt einen erkenntnistheoretischen Standpunkt, der dem Solipsismus teilweise nahe steht. Die radikale Interpretation macht explizit, dass für den Aufbau von Wissen keine Realität erkannt werden muss. Wissen ist viabel, solange es mir dient. Dabei ist bedeutungslos, ob und wie das Wissen einer oder der Realität entspricht.