Linksextremismus

politische Sammelbezeichnung
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Linksextremismus ist ein Sammelbegriff von Anhängern der parlamentarischen Demokratie und der marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung für Ideologien und Aktivitäten von radikalen Gegnern der parlamentarischen Demokratie und der marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung. Der Begriff unterscheidet nicht zwischen ganz unterschiedlichen Gegnern der bestehenden Ordnung, wie z. B. Anarchisten und Kommunisten, sondern hält allein diese Gegnerschaft als Unterscheidungsmerkmal einer inkriminierten extremen Linken von einer nicht inkriminierten gemäßigten Linken fest.

Der Begriff Linksextremismus beschreibt also nicht positiv eine politische Richtung, sondern er fasst lediglich negativ die Abweichung von einer vorgegebenen Norm, die in der bestehenden gesellschaftlichen und staatlichen Ordnung gesehen wird, als das gemeinsame Merkmal eigentlich höchst unterschiedlicher Gruppierungen; so werden Anarchisten und Kommunisten, die sich womöglich gegenseitig heftig befehden, einseitig unter dem Kriterium, dass sie Gegner der bestehenden Ordnung seien, zusammengefaßt.

Der Sammelbegriff Linksextremismus stammt aus der Totalitarismustheorie der westdeutschen Nachkriegszeit. Er wird vor allem vom Verfassungsschutz von Bund und Ländern verwendet, um Bedrohungen aus dem linken Spektrum zu kategorisieren. Ihm nahestehende Extremismusforscher wie Eckhard Jesse beziehen ihn auf politische Orientierungen, die in ihrem Sinne die "Freiheitlich-Demokratische Grundordnung" ablehnen und aktiv auch gewaltsam bekämpfen.

Was umfasst Linksextremismus?

Im Gegensatz zu Rechtsextremisten, die bisweilen von für sie naturgegebener Ungleichheit der Menschen ausgehen und eine kulturelle, nationale oder rassische "Volksgemeinschaft" anstreben, bejahen Linksextremisten theoretisch die fundamentale Gleichheit aller Menschen und stellen daher internationalistische gegen nationalistische politische Ziele in den Vordergrund.

Sie sehen die repräsentative Demokratie dabei nicht als politischen Ausdruck einer realisierten Gleichberechtigung, sondern als Herrschaftsinstrument zur Verhinderung wirklicher Gleichheit an. Sofern sie sich auf den Marxismus beziehen, betrachten sie die "formale" oder "bürgerliche" Demokratie als einen bloßen "Überbau" der kapitalistischen Klassengesellschaft, der deren ausbeuterischen Charakter verdecken und schützen solle.

Mit dieser Einschätzung geht allerdings - und das unterscheidet Linksextremisten von demokratischen Sozialisten, aber auch Kommunisten - eine Abwertung traditioneller Politikformen zur Überwindung der Klassenherrschaft einher. Linksextreme Gruppen und Personen sind oft nicht in der Arbeiterbewegung verwurzelt und beteiligen sich kaum an der mühsamen Alltagsarbeit in Betrieben, Gewerkschaften und Linksparteien, deren repräsentative oder hierarchisch aufgebaute Organisationsmodelle sie ablehnen. Sie bevorzugen die direkte Konfrontation mit den Staatsorganen und glauben, dass damit eine revolutionäre Entwicklung in Gang gesetzt werden könnte.

Dabei verstärken sich ihre gesellschaftliche Isolation und damit ihre Gewaltneigung bis hin zum Terrorismus. Im Ergebnis erreichen gewaltbereite Linksextremisten ohne die Menschen, die sie vorgeblich befreien wollen, darum oft nur die Zementierung der Verhältnisse, gegen die sie kämpfen. Insofern vertreten sie entgegen ihrem Anspruch nicht die Interessen einer unterdrückten Mehrheit, sondern nur den abstrakten Machtkampf einer isolierten Minderheit. Gleichwohl stellen sie durch das ihnen innewohnende Gewaltpotenzial auch eine latente Bedrohung für andersdenkende Menschen dar, die sich Machtansprüchen des Linksextremismus widersetzen.

Andererseits versuchen viele Gruppen, die von Staatsbehörden als "linksextrem" eingestuft werden, Freiräume innerhalb der Gesellschaft zu erkämpfen und dort ihre Utopien zu leben. Dazu gehören zum Beispiel die Hausbesetzerbewegung, viele linksalternative Gruppen innerhalb der Ökologie- und Antiatombewegung sowie viele den Globalisierungsgegnern nahestehende Gruppen. Die regierungsamtliche Definition des Linksextremismus gewährleistet also keine ausreichende Differenzierung zwischen gewaltbereiten Systemgegnern und Gruppen, die auf friedliche und basisdemokratische Weise eine andere Gesellschaft anstreben.

Linksextremismus in der Bundesrepublik Deutschland

Die Nachkriegssituation in Westdeutschland war auch durch die nachhaltige Zerstörung von radikaldemokratischen, sozialistischen und kommunistischen Bewegungen im Faschismus bestimmt. Im Kalten Krieg wurde dann ein pauschaler Antikommunismus zum Gründungskonsens der bundesrepublikanischen Demokratie, während die diktatorische DDR die Führungsmacht der Sowjetunion beschwor und glorifizierte. So setzte die amtliche bundesdeutsche Ideologie Linksextremismus, Kommunismus und Demokratiefeindschaft stets gleich.

In dieser innenpolitischen Lage konnten Ansätze zu einer weitergehenden Demokratisierung von Ökonomie, Staat und Gesellschaft, die einer Machtkonzentration und "Formierung" (Ludwig Erhardt) begegnen wollten, nur schwer Fuß fassen. Arbeiterbildung, basisdemokratische Parteistrukturen oder Austausch mit Akademikern hatten in den 50er Jahren noch kaum Chancen.

Erst die Studentenbewegung durchbrach den antikommunistischen Konsens und politisierte eine neue Generation. Dabei wurden die Zusammenhänge zwischen Außen- und Innenpolitik, Vietnamkrieg und Bildungsnotstand erstmals angreifbar. Ein indirektes Ergebnis war die Ablösung der langjährigen CDU/CSU-Regierung durch die SPD-FDP-Koalition 1969. Doch die Hoffnungen, die Willy Brandt mit seiner Regierungserklärung weckte - "mehr Demokratie wagen" -, erfüllten sich für manche nur unzureichend: Die Integration eines Teils der radikalisierten antiautoritären Studenten in das politische System der Bundesrepublik misslang.

So ging aus dem "Linksradikalismus" der APO der "Linksextremismus" in Gestalt des Individualterrors der "Roten Armee Fraktion" hervor. Diese spezifisch bundesdeutsche Variante hatte mit dem Anarchismus und Marxismus, deren Theorien im 19. Jahrhundert entfaltet wurden, faktisch nichts zu tun. Ihre theoretische Basis war ein Konzept der "antiimperialistischen Stadtguerilla", bei dem Methoden des Guerillakampfes aus der "Dritten Welt" in die "Metropolen" der deutschen Industriegesellschaft übertragen wurden. Damit sollte der demokratische Staat als in Wahrheit faschistisches Machtgebilde "entlarvt" werden. Darum konzentrierten sich die Linksterroristen bei ihren Aktionen auf hervorgehobene Repräsentanten von Wirtschaft und Staat, die eine Verbindung zum Nationalsozialismus hatten oder denen sie eine solche unterstellten.

Die in den 1970ern kulminierenden Anschläge der RAF führten zu massiven Kontroversen innerhalb der linken Szene über den Einsatz jeder Art von Gewalt. Teilweise wurde Gewalt gegen "Sachen" von Gewalt gegen "Personen" zu unterscheiden versucht und die Letztere meist abgelehnt. In der Praxis war diese Unterscheidung jedoch kaum durchführbar: zum Einen, weil auch Gewalt gegen Sachen - z.B. Castortransporte und Bahnstrecken - Menschen gefährdete, zum Anderen, weil die Unterscheidung in der öffentlichen, von Medien und Parteien bestimmten Gewaltdefinition keinen Rückhalt fand. Vielmehr setzte sich die Einschätzung von Verfassungsschützern durch, dass nicht nur expliziter Terrorismus, sondern auch K-Gruppen, "Antiimperialisten" und "Autonome", ja selbst betont gewaltfreie Gruppen wie die "Graswurzelrevolution" als Linksextremisten einzustufen und zu bekämpfen seien.

Das "autonome" Spektrum - Gruppen mit unterschiedlichem antiimperialistischem oder antifaschistischem Selbstverständnis und einer Gewaltbereitschaft gegen Staatsorgane - versuchte seit etwa 1980, die damals wachsende Friedensbewegung und Anti-Atomkraft-Bewegung für seine Ziele zu beeinflussen. Bei angemeldeten Demonstrationen verursachte der sogenannte "schwarze Block" nicht selten Sachbeschädigungen, bei Gegendemonstrationen gegen Rechtsextremisten kamen oft Gewalt gegen Personen, Prügeleien, Steinwürfe, Brandsätze usw. hinzu. Die Zahl der Autonomen ging jedoch im Gefolge der europäischen Einigung der späten 80er Jahre stark zurück.

Im Kontext neuer sozialer Bewegungen wie der Globalisierungskritiker oder Hartz-IV-Opposition versuchen noch vorhandene radikale oder extreme Gruppen, auf sich aufmerksam zu machen und Anschluss zu finden. Dabei kann jedoch beobachtet werden, dass diese Gruppen ihre radikalen Forderungen teilweise moderateren Zielen unterordnen, um ihre eigentlichen Kernanliegen einer breiteren Öffentlichkeit nahe zu bringen.

Definition des deutschen Verfassungsschutzes

Zur Klärung des Begriffs formuliert Eckhard Jesse als Extremismusexperte für die Bundeszentrale für Politische Bildung, das Bundesministerium des Innern sowie das Bundesamt für Verfassungsschutz: Linksextremismus ist eine Sammelbezeichnung für jene antidemokratischen Strömungen, die nach eigenem Anspruch jegliche Herrschaft des Menschen über den Menschen ablehnen und sei es, dass zentrale Organisationsformen generell als Übel gelten ("Anarchismus"), sei es, dass die "kapitalistische Klassengesellschaft" als Ausgeburt des Bösen firmiert ("Kommunismus"). Der Begriff des "Stalinismus" kann den des Linksextremismus nicht ersetzen, da er nur eine Spielart des Linksextremismus erfasst. Jeder Stalinist ist ein Linksextremist, aber nicht jeder Linksextremist ein Stalinist.

Nach dem Verständnis von Linksextremisten repräsentiere das bestehende politische System Deutschlands eine bestimmte Ausprägung oder Phase des Kapitalismus bzw. Imperialismus, die von ihnen bekämpft wird.

Liste des Verfassungsschutzes

Als linksextrem mit unterschiedlichen Abstufungen werden zur Zeit vom Bundesverfassungsschutz eingestuft:

Unter Beobachtung steht nach wie vor die PDS. Der Präsident des Bundesverfassungsschutzes Heinz Fromm stellte im Gespräch mit der Bild am Sonntag fest, es bestehe kein Anlass, auf die Beobachtung zu verzichten. Ferner sagte er der Zeitung:

Es gibt eindeutig extremistische Bestrebungen innerhalb der PDS, etwa das Marxistische Forum oder die Kommunistische Plattform.

Literatur

Uwe Backes, Eckhard Jesse: Politischer Extremismus in der Bundesrepublik Deutschland, 4. Aufl., Bonn 1996, Klassiker der Extremismusforschung

Patrick Moreau, Jürgen P. Lang: Linksextremismus. Eine unterschätzte Gefahr, Bonn 1996, ISBN 3416025431, bis heute das Standardwerk zum Thema Linksextremismus

Manfred Agethen, Eckhard Jesse, Ehrhart Neubert (Hg.): Der missbrauchte Antifaschismus. DDR-Staatsdoktrin und Lebenslüge der deutschen Linken, Freiburg im Breisgau 2002, ISBN 3451280175, Sammelband von der Konrad-Adenauer-Stiftung mit wissenschaftlichen und journalistischen Beiträgen

Hans-Helmuth Knütter, Stefan Winckler (Hg.): Handbuch des Linksextremismus, Graz-Stuttgart 2001 Aufsatzsammlung aus konservativer und neu-rechter Perspektive

Institut für Staatspolitik: Erosion der Mitte. Die Verflechtung von demokratischer und radikaler Linker im "Kampf gegen Rechts" am Beispiel der Amadeu-Antonio-Stiftung, Albersroda 2004

Siehe auch