Polynom

Summe von Vielfachen von Potenzen mit natürlichzahligen Exponenten einer Variablen
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In der Mathematik ist ein Polynom („mehrnamig“, von griech. πολύ polý „viel“ und νόμος nomos „Satzung, Gesetz“) eine Summe von Vielfachen von Potenzen mit natürlichzahligen Exponenten einer Variablen, die meist mit bezeichnet wird. Eine Übersicht über wichtige in unterschiedlichen Disziplinen der Mathematik und Physik betrachtete Polynome findet sich im Artikel Liste spezieller Polynome.

In der elementaren Algebra identifiziert man diesen Ausdruck mit einer Funktion in (einer Polynomfunktion), in der abstrakten Algebra unterscheidet man streng zwischen diesem Begriff und dem eines Polynoms als Element eines Polynomrings. In der Schulmathematik wird eine Polynomfunktion auch als ganzrationale Funktion bezeichnet (siehe auch rationale Funktion).

Dieser Artikel erklärt außerdem die mathematischen Begriffe: Grad eines Polynoms, Leitkoeffizient, Normieren eines Polynoms, Polynomglied, Absolutglied, Binom; sowie Nullstellenschranke, Cauchy-Regel, Newton-Regel, gerade und ungerade Potenz.

Graph einer Polynomfunktion 5. Grades

Polynome in der elementaren Algebra

Definition

In der elementaren Algebra ist eine Polynomfunktion eine Funktion   der Form

 ,

wobei als Definitionsbereich für die Variable   jede beliebige  -Algebra in Frage kommt, wenn   der Wertebereich der Koeffizienten ist (siehe unten). Häufig ist dieser jedoch die Menge der ganzen, der reellen oder der komplexen Zahlen.

  • Als Grad des Polynoms wird der höchste Exponent   bezeichnet, für den der Koeffizient   des Monoms   nicht null ist. Dieser Koeffizient heißt Leitkoeffizient. (Die übliche Schreibweise   für den Grad des Polynoms   ist vom englischen Begriff degree abgeleitet. In der deutschsprachigen Literatur findet sich häufig auch die aus dem Deutschen kommende Schreibweise   oder  .)
  • Für das Nullpolynom, bei dem alle   Null sind, wird der Grad als   definiert.
  • Ist der Leitkoeffizient 1, dann heißt das Polynom normiert oder auch monisch.
  • Ist der Inhalt 1, dann heißt das Polynom primitiv.

Der Koeffizient   heißt Absolutglied.   wird als lineares Glied bezeichnet,   als quadratisches Glied und   als kubisches.

Einfaches Beispiel

Das Polynom

 

ist eine Polynomfunktion dritten Grades (der höchste Exponent ist 3).

In diesem Beispiel ist 9 der Leitkoeffizient (als Faktor vor der höchsten Potenz von x), die weiteren Koeffizienten lauten: 1, 7 und -3,8.

Bezeichnung spezieller Polynome

Polynome des Grades

  • 0 werden konstante Funktionen genannt (z. B.  ).
  • 1 werden lineare Funktionen genannt (z. B.  ).
  • 2 werden quadratische Funktionen genannt (z. B.  ).
  • 3 werden kubische Funktionen genannt (z. B.  ).
  • 4 werden quartische Funktionen genannt (z. B.  ).

Eigenschaften

  • Polynome sind von besonderer Bedeutung, weil sie die einfachste, nichttriviale Funktionenmenge beschreibt, die einen Ring mit der normalen Addition und Multiplikation als Verknüpfung bildet. Insbesondere ist diese Menge sogar abgeschlossen unter Substitution! Ferner sind diese Funktionen leicht zu differenzieren und integrieren. Die Ableitung eines Polynoms
 
ist das Polynom
 
  • Polynome wachsen als Linearkombinationen von Potenzen (für hinreichend große Werte der Variablen x) langsamer als jede exponentielle Funktion, deren Basis größer als 1 ist, unabhängig von den Koeffizienten.
  • Reelle Polynome ungeraden Grades haben ganz   als Wertemenge, d. h. sie sind surjektiv.
(Wenn man die x-Achse als Zeitachse interpretiert, ergibt sich anschaulich folgendes Bild für diese Polynome: Entweder kommen sie von  , schwanken evtl. ein bisschen (eine oder mehrere Nullstellen) und gehen dann Richtung  , oder sie kommen umgekehrt von  , schwanken evtl. etwas und gehen dann Richtung  .)
  • Reelle Polynome geraden Grades haben einen Wertebereich von
    •   bei positivem Leitkoeffizienten  
    •   bei negativem  
(Wenn man die x-Achse als Zeitachse interpretiert, ergibt sich anschaulich folgendes Bild für diese Polynome: Entweder kommen sie von  , schwanken ein bisschen (lokale Maxima, evtl. Nullstellen) und gehen dann wieder Richtung  , oder sie kommen von  , schwanken ein bisschen (lokale Minima) und gehen dann wieder Richtung  .)
  • Für den Grad von Polynomen   gelten die Gradabschätzungen
 
und für reelle Polynome oder allgemein für Polynome über einem Integritätsring
 
Für allgemeinere Ringe gilt auch in der letzten Beziehung lediglich  .
  • Mit dem Horner-Schema kann die Auswertung   eines Polynoms an einer bestimmten Stelle   effizient vorgenommen werden.

Nullstellen des Polynoms

Als Nullstellen oder Wurzeln eines Polynoms werden jene Werte von x bezeichnet, für die der Funktionswert   null ist. Sie sind also die Lösungen der Gleichung  . Ein Polynom über einem Körper (oder allgemeiner einem Integritätsring) hat stets höchstens so viele Nullstellen, wie sein Grad angibt.

Allgemeine Eigenschaften

  • Der Fundamentalsatz der Algebra besagt, dass ein komplexes Polynom vom Grad n größer oder gleich 1 mindestens eine komplexe Nullstelle hat (reiner Existenzsatz). Dann hat es genau n Nullstellen (Polynomdivision), wenn die Nullstellen entsprechend ihrer Vielfachheit gezählt werden, beispielsweise hat das Polynom   eine doppelte Nullstelle bei  . Jedes Polynom positiven Grades lässt sich daher in ein Produkt von Linearfaktoren zerlegen.
  • Jede rationale Nullstelle eines normierten Polynoms (höchster Koeffizient ist 1) mit ganzzahligen Koeffizienten ist ganzzahlig und Teiler des Absolutgliedes, etwas allgemeiner gilt der Satz über rationale Nullstellen.
  • Die Nullstellen von Polynomen ersten, zweiten, dritten und vierten Grades lassen sich mit Formeln exakt berechnen (z. B. pq-Formel für quadratische Gleichungen), dagegen lassen sich Polynome höheren Grades nur in Spezialfällen mit Hilfe von Wurzelzeichen exakt faktorisieren.
  • Polynome ungeraden Grades mit reellen Koeffizienten haben immer mindestens eine reelle Nullstelle.

Nullstellenschranken

Die Lage aller Nullstellen eines Polynoms vom Grad n lässt sich durch Nullstellenschranken, in deren Berechnung nur die Koeffizienten und der Grad des Polynoms eingehen, abschätzen.

Reelle Nullstellenschranken

Ein wichtiger Spezialfall sind reelle Nullstellenschranken für reelle Polynome: Eine Zahl   heißt reelle Nullstellenschranke des Polynoms  , wenn alle reellen Nullstellen von f im Intervall   liegen; sie heißt obere reelle Nullstellenschranke von f, wenn alle reellen Nullstellen von f kleiner oder gleich B sind. Analog sind untere Nullstellenschranken erklärt.

Es folgen Beispiele reeller Nullstellenschranken für normierte Polynome  , jedes Polynom kann durch eine Division auf diese Form gebracht werden. Für einige reelle Nullstellenschranken spielt die Teilindexmenge   der echt negativen Koeffizienten von   eine besondere Rolle,   bezeichnet deren Anzahl.

  •   ist eine obere reelle Nullstellenschranke (Cauchy-Regel),
  •   ist eine obere reelle Nullstellenschranke (Newton-Regel),
  •   ist eine obere reelle Nullstellenschranke (Regel von Lagrange und Maclaurin), dabei bezeichnet   den Betrag des betragsgrößten negativen Koeffizienten und   den Exponenten des höchsten Gliedes mit negativem Koeffizienten;
  • Jedes  , das die Ungleichung   erfüllt, ist eine reelle Nullstellenschranke (das so definierte B ist sogar eine Schranke für die komplexen Nullstellen komplexer Polynome). Spezialfälle hiervon sind (s. auch Satz von Gerschgorin)
    •   und
    •  .
Komplexe Nullstellenschranken

Für komplexe Polynome   sind als Pendant zu den reellen Nullstellenschranken Kreise um den Nullpunkt der komplexen Zahlenebene üblich, deren Radius so groß zu wählen ist, dass alle (bzw. je nach Anwendung auch nur „einige“) komplexen Nullstellen des Polynoms auf der Kreisscheibe mit diesem Radius liegen. Eine Zahl   heißt komplexe Nullstellenschranke des Polynoms  , wenn alle Nullstellen von f auf der Kreissscheibe um den Nullpunkt mit Radius   liegen (oder anders formuliert: wenn der Betrag jeder Nullstelle kleiner oder gleich   ist). Ein Ergebnis für komplexe Polynome ist:

  • Jedes  , das die Ungleichung   erfüllt, definiert einen Kreis in der komplexen Ebene mit Radius   um den Nullpunkt, der genau   komplexe Nullstellen enthält (Folgerung aus dem Satz von Rouché). Diese Ungleichung ist für   immer lösbar, aber nicht notwendig für jeden Index  .
  • Im Fall   ergibt sich die schon für reelle Polynome angegebene Schranke für den Betrag aller Nullstellen. Alle dort angegebenen direkten Berechnungen von   gelten weiter.
  • Im Fall   ergibt sich ein Kreis, der keine Nullstellen enthält.   ist dann eine Schranke für alle Nullstellen des „reziproken“ Polynoms  .

Lösungsformeln

Prinzipiell gibt es mehrere Möglichkeiten, die Nullstellen eines Polynoms zu bestimmen. Allgemeine Iterationsverfahren, wie das Newton-Verfahren und die Regula Falsi oder auf Polynome spezialisierte Iterationsverfahren, wie das Bairstow-Verfahren oder das Weierstraß-(Durand-Kerner)-Verfahren sind einerseits auf jedes Polynom anwendbar, verlieren allerdings bei mehrfachen oder dicht beieinanderliegenden Nullstellen an Genauigkeit und Konvergenzgeschwindigkeit.

Für quadratische Gleichungen, kubische Gleichungen und quartische Gleichungen gibt es allgemeine Lösungsformeln, für Polynome höheren Grades gibt es Lösungsformeln, sofern diese spezielle Formen haben:

  • Reziproke Polynome haben die Form
 
d. h. für den  -ten Koeffizienten gilt  ; anders gesagt: die Koeffizienten sind symmetrisch. Für diese Polynome und solche, die eine leichte Modifikation dieser Symmetriebedingung erfüllen, kann die Nullstellenbestimmung mit Hilfe der Substitution   (bzw.  ) auf eine Polynomgleichung reduziert werden, deren Grad halb so groß ist. Für Details siehe reziprokes Polynom.
  • Binome haben die Form  
Setzen wir   als reell voraus, so sind die   Lösungen Vielfache der komplexen  -ten Einheitswurzeln:
 
 ,

wobei   durchläuft.

  • Polynome, die nur gerade Potenzen von   enthalten, haben die Form:
 
Die Lösung erfolgt durch die Substitution  . Hat man eine Lösung für   gefunden, so ist zu berücksichtigen, dass daraus zwei Lösungen für   abzuleiten sind:
  und  
  • Polynome, die nur ungerade Potenzen von   enthalten, haben die Form:
 
Hier ist offensichtlich 0 eine Nullstelle des Polynoms. Man dividiert das Polynom durch   aus und behandelt es dann wie ein Polynom  -ten Grades, welches nur gerade Potenzen von   enthält.

Polynome in der linearen Algebra

Polynome in der abstrakten Algebra

Definition

In der abstrakten Algebra definiert man ein Polynom durch die Folge seiner Koeffizienten:

Ein Polynom über einem kommutativen Ring   ist eine Folge   von Elementen aus  , bei der fast alle Glieder 0 sind.

Die Menge aller Polynome über   bezeichnet man mit  . Definiert man nun auf der Menge   eine Addition „ “ und eine Multiplikation „ “ (genauer gesagt, eine additive und eine multiplikative Operation) durch

 
 

so wird   mit diesen Verknüpfungen selbst zu einem kommutativen Ring, dem Polynomring (in einer Variablen) über  .

Jedes Ringelement   kann mit dem Polynom   identifiziert werden (genauer:   ist zu einem Teilring von   isomorph). Mittels der Multiplikation von Elementen dieses Teilrings und beliebigen Polynomen wird der Polynomring damit zu einem Modul über  , der gerade die abzählbare direkte Summe des Rings, selbst als Modul aufgefasst, ist. Ist der Ring   unitär (d. h. besitzt er ein Einselement 1) und setzt man  , so gilt für jedes Polynom   nach der Definition der Addition und Multiplikation in  

 

wobei wir   setzen und   für   schreiben (was durch die obige Bemerkung gerechtfertigt ist).

Zusammenhang mit der analytischen Definition

Bedenkt man nun, dass nach der Voraussetzung eine natürliche Zahl   existiert, so dass   für alle   gilt, so lässt sich nach den obigen Überlegungen jedes Polynom   über einem kommutativen unitären Ring eindeutig schreiben als  .   ist jedoch keine Funktion, wie in der Analysis oder elementaren Algebra, sondern eine unendliche Folge (ein Element des Ringes  ) und   ist keine „Unbekannte“, sondern die Folge  . Man kann jedoch   als „Muster“ benutzen, um danach eine Polynomfunktion (d. h. ein Polynom im gewöhnlichen analytischen Sinne) zu bilden. Dazu benutzt man den sogenannten Einsetzungshomomorphismus.

Man sollte allerdings beachten, dass verschiedene Polynome dieselbe Polynomfunktion induzieren können. Ist beispielsweise   der Restklassenring  , so induzieren die Polynome  

 

und

das Nullpolynom  

beide die Nullabbildung  , das heißt:   für alle  .

Für Polynome über den reellen oder ganzen Zahlen oder allgemein jedem unendlichen Integritätsring ist ein Polynom jedoch durch die induzierte Polynomfunktion bestimmt.

Auch die Menge der Polynomfunktionen mit Werten in   bildet einen Ring (Unterring des Funktionenrings), der jedoch nur selten betrachtet wird. Es gibt einen natürlichen Ring-Homomorphismus von   in den Ring der Polynomfunktionen, dessen Kern die Menge der Polynome ist, die die Nullfunktion induzieren.

Verallgemeinerung

Allgemein versteht man jede Summe von Monomen der Form   als Polynom (in mehreren Unbestimmten):

 
Lies: „Groß-p von Groß-x-1 bis Groß-x-n (ist) gleich die Summe über alle i-1 bis i-n von a-i-1-bis-i-n mal Groß-x-1 hoch i-1 bis Groß-x-n hoch i-n“

Die Größe   heißt der Totalgrad eines Monoms  . Haben alle (nichtverschwindenden) Monome in einem Polynom denselben Totalgrad, so heißt es homogen. Der maximale Totalgrad aller nichtverschwindenden Monome ist der Grad des Polynoms.

Die maximale Anzahl der möglichen Monome eines bestimmten Grades[1] kann man mit folgender Formel berechnen:

 
Lies: „n+k-1 über k“ oder „k aus n+k-1“

wobei   die Anzahl der vorkommenden Variablen und   der Grad ist. Anschaulich wird hier ein Problem von Kombinationen mit Wiederholung (Zurücklegen) betrachtet.

Summiert man die Anzahl der möglichen Monome des Grades   bis  , erhält man für die Anzahl der möglichen Monome in einem Polynom bestimmten Grades folgende Formel:

 
Lies: „n+k über k“ oder „k aus n+k“

Sind alle Unbestimmten in gewisser Weise „gleichberechtigt“, so heißt das Polynom symmetrisch. Gemeint ist: wenn das Polynom sich bei Vertauschungen der Variablen nicht ändert.

Auch die Polynome in den   Unbestimmten  über dem Ring   bilden einen Polynomring, geschrieben als  .

Geht man zu unendlichen Reihen der Form

 
Lies: „f (ist) gleich die Summe von i gleich Null bis Unendlich von a-i (mal) (Groß-) x hoch i“

über, erhält man formale Potenzreihen.

Lässt man auch negative Exponenten zu:

 
Lies: „f (ist) gleich die Summe von i gleich minus (Groß-) n bis Unendlich von a−i (mal) (Groß-) x hoch i“

dann erhält man formale Laurentreihen.

Literatur

  • Beutelspacher: Lineare Algebra. 6. Auflage.
  • Holz, Wille: Repetitorium der Linearen Algebra, Teil 2.
  • Gerd Fischer: Lehrbuch der Algebra.

Einzelnachweise

  1. Ernst Kunz: Einführung in die algebraische Geometrie. S. 213, Vieweg+Teubner, Wiesbaden 1997, ISBN 3-528-07287-3.