Als Arier (von altiranisch ar gut, rein, edelmütig mit yan der Sohn von; also Aryan = "Sohn von Reinem") wurde im Europa des 19. und 20. Jahrhunderts ein hypothetisches Volk bezeichnet, von dem alle hellhäutigen Europäer (Kaukasier) abstammen sollten.
Ursprung des Begriffs
Der Ursprung dieser Vorstellung war linguistisch: Zu Anfang des 19. Jahrhunderts wurde bemerkt, dass viele Sprachen in Europa (Latein, Germanische Sprachen, Keltische Sprachen, Slawische Sprachen, Griechische Sprache) sowie in Persien und Indien viele Gemeinsamkeiten in Vokabular und Grammatik aufweisen. Außerdem wurde eine bemerkenswerte Ähnlichkeit in der Mythologie und des Kultes dieser Völker festgestellt. Hieraus wurde die Vermutung einer gemeinsamen Vergangenheit und Ursprache dieser indogermanischen Sprachen (auch indoeuropäische Sprachen genannt) entwickelt; diese Feststellung ist nach einigen Bearbeitungen und Umformulierungen heute allgemein anerkannt. Weiter wurde anhand persischer und indischer Schriftstücke und Überlieferungen festgestellt, dass die Sprecher dieser Sprache sich selbst wahrscheinlich als Arier (Arya) bezeichneten. Alternativ spricht man heute auch von den Proto-Indoeuropäern.
Im 19. Jahrhundert geschah dann ein weiterer Argumentationssprung von der Linguistik zur Ethnologie: Man behauptete, dass die Menschen, die eine vom Indogermanischen abstammende Sprache sprächen (also de facto fast alle Europäer) auch genetisch von diesem durch die Sprachwissenschaft erschlossenem Ursprungsvolk abstammen. Insofern wurden hellhäutige Menschen als Nachkommen der Arier identifiziert. Juden, obwohl in Europe ebenfalls von heller Hautfarbe, wurden aus dieser Definition ausgeschlossen, da ihre ursprüngliche hebräische Sprache semitisch, und nicht Indogermanisch ist.
Über den Lebensraum dieser Sprachgruppe wurde zu jener Zeit weit spekuliert. Aufgrund des hohen Alters der Altiranischen Sprache und des Sanskrit wurde eine Verbindung mit Persien oder der Indus-Kultur gesehen. Der Gebrauch des Begriffes Aryan in Inschriften und alten Schriften wurde dahingehend gedeutet, dass eine arische Vorgängerkultur existiert habe.
In Europa wurde daraufhin nach dem Ursprung dieser Europäischen 'Rasse' gesucht, obwohl offensichtlich auch Menschen in Asien von ihnen abstammten. Die am meisten verbreitete Theorie sieht die Arier als ein nomadisches Reitervolk aus den Steppen Eurasiens, dass sich sowohl nach Süden als auch nach Westen ausbreitete, und so seine Sprache und Kultur verbreitete. Weiter wurde angenommen, dass diese Menschen als überlegene Eroberer kamen, da sie mit ihren Pferden und Streitwagen militärisch im Vorteil waren. Jedoch kann man eine Kultur nicht zweifelsfrei mit einer Sprache identifizieren, solange keine Schriftzeugnisse überliefert sind.
Begriff im Nationalsozialismus
Die Theorie, die Arier hätten ihren Ursprung in den Steppen Russlands gehabt, wurde von deutschnationalen Kreisen im damaligen Deutschland weitgehend abgelehnt. Es wurde ohne wissenschaftliche Grundlage argumentiert, die Arier seien ursprünglich in Deutschland oder Skandinavien heimisch gewesen, oder zumindest dass dort die ursprünglichen Eigenschaften insbesondere rassischer Art besonders klar erhalten seinen. Daneben wurden die Arier, wiederum eher aus Wunschdenken heraus denn aus objektiven Gründen, den Goten, Wandalen oder anderen Stämmen der Völkerwanderung nahegebracht. Alle nicht-arischen, insbesondere semitische Gruppen, galten demnach als "fremd" in den arischen Gesellschaften.
Die Ideologie des Nationalsozialismus missdeutete den Begriff Arier als eine rein germanische 'Herrenrasse', deren Mission es sei, alle angeblich 'nichtarischen' Völker zu unterwerfen oder auszulöschen. Die Nationalsozialisten rechtfertigten mit dieser zentralen Ideologie die Verfolgung und Vernichtung der semitischen Juden, sowie die Deklassierung der Slawen zu 'Untermenschen'. Dabei verwandten sie abermals einen ursprunglich linguistischen Begriff (nämlich "semitisch") in rassistischer Weise. Mit der Idee der Reinhaltung der arischen Rasse wurden weiter der Mord oder die Sterilisation geistig behinderter oder einfach nur unerwünschter Menschen betrieben (siehe auch Euthanasie).
Ideen zur "arischen Rasse" gab es aber nicht nur in Deutschland, zuerst tauchte sie in Frankreich auf (Arthur de Gobineau), dann in England (Neville Chamberlain). In Indien suchte die britische Kolionalregierung die Zusammenarbeit mit der Elite. Die hohen Kasten galten dabei als Nachkommen der Arier, die die dunkelhäutigen Dravidier nach Süden verdrängt hätten. Diese These ist in Indien seit Jahrtausenden Grund für gesellschaftliche Spannungen.
Die Theosophie, eine von Helena Blavatsky and Henry Olcott auf hinduistischen Ideen gegründete mythologisch-religiöse Weltanschauung des ausgehenden 19. Jahrhunderts nahm ebenfalls Ideen über die Arier auf. Laut der Russin Helena Blavatsky kamen die Arier weit aus dem Norden, aus Hyberborea. Auch glaubten viele dieser so genannten Theosophen und Ariosophen der Ursprung der Arier sei Atlantis gewesen, die Arier somit die Atlanter. Die darin entwickelte Vorstellung der Arier als Gottes ausgewähltem Volk zur Befreiung der Welt fand über die Guido von List-Gesellschaft ihren Weg nach Deutschland, wo durch Vermischung mit nationalistischen Elementen dem Nationalsozialismus eine seiner Grundlagen bereitet wurde.
Begriffsgebrauch heute
Der Begriff war und ist im Zoroastrismus, im Buddhismus, im Hinduismus und im Jainismus in Gebrauch. Hier bezeichnet er keine Rasse, sondern ist Ehrenbezeichnung für einen "edlen" oder "geistlichen" Menschen. So bezeichnete sich der frühere Schah von Persien in diesem Sinne als 'Licht der Arier'.
Aufgrund des Missbrauchs, den die Nationalsozialisten mit dem Begriff "Arier" getrieben haben, verwendet man die Bezeichnung heute nicht mehr als Synonym für "Indogermane".
Dass es je eine identifizierbare Volksgruppe gegeben hat, die man als Arier bezeichnen kann, wird von manchen Wissenschaftlern bestritten. In der wissenschaftlichen Literatur werden als Arier Kulturgruppen bezeichnet, aus denen vedische und zoroastrische Glaubenssysteme hervorgegangen sind. Linguistisch werden die von Sanskrit abgeleiteten sprachen als Indoarische Sprachen bezeichnet. Die Sprecher der ursprünglichen Indoeuropäischen Sprache nennt man Proto-Indoeuropäer.
In Gruppen, die eine Überlegenheit der "Weissen Rasse" über andere Menschen propagieren wird der Begriff "Arier" dagegen auch heute noch als Bezeichnung der "Weissen Rasse" benutzt.
Literatur
- "Die Indoeuropäer" von Reinhard Schmoeckel, ISBN 3-404-64162-0 (Anm.: Erkenntnisse der Wissenschaft)
- "In Search of the Indo-Europeans: Language, Archaeology and Myth" von J. P. Mallory, ISBN 0500276161 (Anm.: Erkenntnisse der Wissenschaft)
- "Das Ende Alteuropas. Der Einfall von Steppennomaden aus Südrussland und die Indogermanisierung Mitteleuropas" von Marija Gimbutas, in "Archeolingua", series minor 6. Budapest 1994, auch als Buch ISBN 3851241711 (Anm.: Erkenntnisse der Wissenschaft)
- "The Kurgan Culture and the Indo-Europeanization of Europe: Selected Articles Form 1952 to 1993" von Marija Gimbutas u.a., ISBN 0941694569 (Anm.: Erkenntnisse der Wissenschaft)
- "Das Atlantidische Weltbild - Nationalsozialismus und Neue Rechte auf der Suche nach dem versunkenen Atlantis", ISBN 3931300048 (Anm.: Über den pseudo-mythologischen Hintergrund rechtsradikaler Arier-Fantastereien)
- "Schwarze Sonne" von Rüdiger Sünner, ISBN 3451052059 (Anm.: Über die okkulten Hintergründe der Rassenideologie und Arier-Fantastereien im Nationalsozialismus)