Harzhornereignis

Kampf zwischen römischen Legionären und Hilfstruppen sowie Germanen um 235 n. Chr. am Westrand des Harzes
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 12. Juli 2012 um 19:49 Uhr durch ZéroBot (Diskussion | Beiträge) (Bot: Ergänze: sv:Slaget vid Harzhorn). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.

Das Römische Schlachtfeld bei Kalefeld ist ein archäologischer Fundplatz nahe dem Kalefelder Ortsteil Wiershausen im Landkreis Northeim in Niedersachsen.

Auf einer Fläche von 2,0 × 0,5 km (Stand April 2009) wurden im Erdreich Fundstücke gefunden, die auf ein Gefecht zwischen Römern und Germanen in der ersten Hälfte des 3. Jahrhunderts n. Chr. hindeuten, weshalb der Schauplatz in der Forschung auch oft als Schlachtfeld am Harzhorn bezeichnet wird. Ende 2010 wurde in etwa 3 Kilometer Entfernung ein weiteres umfangreiches Fundareal entdeckt. Beide Fundorte werden von den mit den Untersuchungen beauftragten Wissenschaftlern als spektakuläre Entdeckung von außerordentlicher wissenschaftlicher Bedeutung bewertet, es sei neben der Fundregion Kalkriese das am besten erhaltene antike Schlachtfeld in Europa.[1] Es biete weltweit die einzigartige Möglichkeit, archäologische Hinterlassenschaften einer im Gefecht befindlichen römischen Armee zu untersuchen.[2] Es handelt sich neben den Römerlagern Hedemünden und Bentumersiel sowie der Fundregion Kalkriese um eine der wenigen größeren römischen Fundstellen im norddeutschen Raum.

Ausgrabungsareal auf dem Kamm des Harzhornes

Entdeckung

 
Lage des Fundgebietes

Laut einer Sage befand sich am Harzhorn, einem Geländesporn über dem Nettetal unweit des Kalefelder Ortsteils Wiershausen, einst eine Burg. [3] In ihr sollen die Ritter Oldit und Dudit gelebt haben. Als ihre Burg im Dreißigjährigen Krieg zerstört wurde, gründeten sie Oldenrode und Düderode. Auf der Suche nach dieser mittelalterlichen Burg entdeckten Hobbyarchäologen als Sondengänger im Jahr 2000 den Fundbereich auf dem Harzhorn. Erst die Zuordnung eines der Fundstücke als vermutlich römisch veranlasste die Entdecker im Juni 2008, die zuständige Kreisarchäologin in Northeim zu informieren.[4]

Die im Spätsommer 2008 einsetzenden archäologische Untersuchungen deuteten darauf hin, dass das Gebiet im frühen 3. Jahrhundert nach Christus Schauplatz einer militärischen Auseinandersetzung war. Die Präsentation der Fundstücke im Dezember 2008 sorgte deutschlandweit für Aufsehen. In Medienberichten war aufgrund der Pressemitteilung des Niedersächsischen Ministeriums für Wissenschaft und Kultur[5] von einem archäologischen Jahrhundertfund und der Römerschlacht bei Kalefeld die Rede.

Lage

 
Der Vogelberg mit dem Harzhorn von Nordosten gesehen, im rechten Bildbereich steil abfallende Hänge
 
Der Vogelberg mit flach abfallenden Hängen von Südwesten gesehen

Das Fundgebiet befindet sich etwa einen Kilometer nordöstlich von Wiershausen auf dem etwa 2 km langen und bewaldeten Höhenzug Vogelberg, der in Ost-West-Richtung verläuft. Das engere Fundgebiet ist der östliche Bereich des Vogelberges, der hier die Bezeichnung Harzhorn trägt und spornähnlich in Richtung Osten ausgebildet ist. Die Erhebung läuft als natürliche Barriere auf den östlich gelegenen Harz zu und kann in Nord-Süd-Richtung nur durch einen schmalen Pass auf der Route einer historischen Handels- und Heerstraße durchquert werden. Diesen Passbereich nutzen heute die Bundesautobahn 7 und die Bundesstraße 248 auf einem etwa 300 m breiten Geländestreifen.

Das Fundgebiet befindet sich nicht im Bereich des tieferliegenden Passes, sondern auf dem Höhenzug Harzhorn, wo die Hänge steil nach Norden abfallen und nur an wenigen Stellen passierbar sind. Laut der Arbeitshypothese vom Dezember 2008 (siehe unten) hätten germanische Truppen den Passbereich für die Richtung Süden heimkehrenden Römer versperrt. Die römischen Truppen hätten daraufhin den Pass über den Höhenzug umgangen und dort unter anderem über den steilen Nordhang einen Durchgang mit einem erfolgreichen Infanterieangriff und Fernwaffenunterstützung (Torsionsgeschütze, Pfeile) freigekämpft.

Forscherteam

Nach der ersten Fundmeldung 2008 bildete sich zur Suche und Koordination des weiteren Vorgehens ein Forscherteam. Ihm gehören die Kreisarchäologin des Landkreises Northeim Petra Lönne, der Bezirksarchäologe Michael Geschwinde vom Niedersächsischen Landesamt für Denkmalpflege (Stützpunkt Braunschweig) sowie vom Landesamt der Grabungstechniker Thorsten Schwarz und der Prospektionstechniker Michael Brangs an.

In Erweiterung dazu bildete sich das Forschungsprojekt Harzhorn zur weiteren wissenschaftlichen Begleitung [6] [7] Ihm gehören der provinzialrömische Archäologe Günther Moosbauer von der Universität Osnabrück, der Numismatiker Frank Berger vom Historischen Museum Frankfurt, Felix Bittmann vom Niedersächsischen Institut für historische Küstenforschung, der niedersächsische Landesarchäologe Henning Haßmann und der Prähistoriker Michael Meyer vom Institut für prähistorische Archäologie der Freien Universität Berlin an. Beratend wirkt der emeritierte Althistoriker Horst Callies von der Universität Hannover mit. Finanziell gefördert wird das Forschungsprojekt Harzhorn durch das Forschungsförderprogramm „PRO Niedersachsen“ des Niedersächsischen Ministeriums für Wissenschaft und Kultur.

Funde

 
Zwei kleinere Ausgrabungsbereiche auf dem Harzhorn
 
Ausgrabungsbereich am steilen Nordhang mit Besuchergeländer, Fundstelle des Pferde-/Maultierskeletts

Seit den ersten Funden im Jahre 2008 hält die Suche im näheren und weiteren Untersuchungsgebiet um das Harzhorn an. Da anhand der bisherigen Fundstücke die Anwesenheit einer größeren römischen Armeeeinheit anzunehmen ist, wird nach weiteren Kampfplätzen, Auf- und Abmarschwegen sowie nach Lagerplätzen geforscht, ohne dass ein Ende der Fundsuche absehbar ist. Die archäologische Prospektion dazu führt ein Team der Kreisarchäologie Northeim und des Niedersächsischen Landesamtes für Denkmalpflege durch. Zum Einsatz kommt dabei die Schlachtfeldarchäologie, deren wichtigstes Werkzeug zur Erforschung von Schlachtfeldern das Metallsuchgerät ist. Auf diese Weise ist der größte Teil der bisher rund 2000 Artefakte (Stand: 2011) gefunden worden, die vorbehaltlich weiterer Untersuchungen aus dem fraglichen Zeitraum stammen.

Am Nordhang des Harzhorn fanden sich größere Konzentrationen an Waffen, die auf ein sehr heftiges Aufeinandertreffen der Gegner deuten. So steckten in einem kleinen Hangbereich etwa 40 Katapultprojektile aus Torsionsgeschützen in der Erde. Anhand ihrer Ausrichtung ließ sich die Schussrichtung rekonstruieren. [8] Insgesamt handelt es sich bei den Fundstücken größtenteils um Waffen und Waffenteile, darunter rund 50 Pfeilspitzen, etwa 130 Katapultprojektile, Speerspitzen, Rüstungsteile sowie Nägel von Legionärssandalen (Caligae). Weitere Funde waren römische Hufeisen, Reste eines Kettenhemdes, eine silberne Hülsenscharnierfibel, Zeltheringe und eine Gürtelgarnitur. 11 gefundene Münzen waren für die zeitliche Einordnung von Bedeutung. Darunter befanden sich neun Silberdenare aus der Zeit der severischen Kaiser und zwei Münzen, deren Prägung sich auf 228 n. Chr. unter Kaiser Severus Alexander festlegen ließ. Im weiteren Umfeld des Harzhorns wurden weniger Waffenteile im Boden geortet, was auf schwächeres Kampfgeschehen, Plünderung oder Überlagerung durch Hangabrutsche schließen lässt. Für die Störung von Fundsituationen kommt an manchen Stellen auch die mittelalterliche Anlage von Wölbackerfluren bis hinauf in steilere Hanglagen infrage.

Die archäologischen Ausgrabungen unter Leitung des Prähistorikers Michael Meyer nehmen Angehörige des Instituts für prähistorische Archäologie der Freien Universität Berlin vor, wobei in den Jahren 2009, 2010 und 2011 jeweils mehrwöchige Grabungskampagnen stattfanden. Sie konzentrierten sich auf mögliche Befestigungsanlagen, Knochenfunde und Bereiche, in denen die Prospektion mit Metallsuchgeräten bisher keine Fundstücke verzeichnen konnte. An einem Steilhang fanden die Archäologen Reste eines römischen Trosswagens, der im Gefecht hinuntergestürzt sein könnte. Dabei wurden neben Wagenteilen Hufschuhe aus Eisen gefunden, die auf Maultiere als Zugtiere schließen lassen. In einer lehmverfüllten Grube wurde der vollständige Vorderbereich eines Pferde- oder Maultierskeletts ausgegraben.

Für die Fundstücke herrschen im basischen Bodenmilieu mit Kalkstein im Untergrund und einer dünnen Oberbodendeckschicht größtenteils ideale Erhaltungsbedingungen. In anderen Bereichen hat anscheinend die Humusschicht zur Fundzersetzung beigetragen.

Weiteres Fundgebiet

 
Verbotsschild zu Metalldetektoren und Raubgrabungen im archäologischen Untersuchungsgebiet

Bereits im Jahre 2009 begannen im weiträumigen Umfeld der Fundstelle Prospektionen, bei denen auch das historische Wegenetz berücksichtigt wurde. Die systematische Suche, insbesondere mit Metalldetektoren, wurde auf einen Umkreis von bis zu 10 km in Richtung Seesen und Northeim ausgedehnt. Dabei lieferte das eingesetzte Airborne Laserscanning-Verfahren ein plastisches Geländemodell unter Ausschaltung der störenden Vegetation durch Wald. 2010 kam es in rund 3 km Entfernung vom Harzhorn zur Entdeckung eines weiteren Fundareals. Die genaue Lage ist aus Rücksicht auf den Grundeigentümer und aus Befürchtung vor Fundsammlern bisher nicht bekannt gegeben worden. Zu den dort gemachten Funden gehören unter anderem ein Teil eines römischen Helms und zwei Denare, die sich in das Zeitspektrum der bereits gefundenen Münzen am Harzhorn einfügen. Zwei dort gefundene Pila waren vermutlich im Kampf verbogen. Außerdem wurden eine kleine Axt und ein Nackenjoch eines Zugtieres gefunden. Wegen der gefundenen Wagen- und Zugtierausrüstungen lässt dies auf ein Gefecht des römischen Trosses schließen, bei dem vor allem Nahkampfwaffen, wie Lanzen, zum Einsatz kamen.

Ein außergewöhnlicher Fund war eine gut erhaltene, fast 2,5 kg schwere und nahezu 45 cm lange, römische Dolabra. Auf einer Seite waren die Zeichen LEG IIII S A eingraviert.[9] Der Archäologe Günther Moosbauer entschlüsselte[10] gemeinsam mit dem Althistoriker Rainer Wiegels die Inschrift.[11] Sie ordneten das Werkzeug anhand der eingeschlagenen Schriftzeichen der Legio IIII Flavia Severiana Alexandriana (bzw. Legio IIII Flavia Felix) zu.[12] [13] Diese Einheit, die im 3. Jahrhundert in ihrem Stammlager Singidunum (heute Belgrad) in der römischen Provinz Obermoesien stationiert war, galt als besonders schlagkräftig.[14] Der Fund wird als weiterer Beleg für die Beteiligung von Legionären an dem Gefecht gewertet. [15] Prinzipiell ist zwar möglich, dass die Dolabra zuletzt in fremden Händen war, doch kann dies als unwahrscheinlich gelten.

Fundbewertung und Arbeitshypothese

Die verantwortlichen Wissenschaftler glauben, dass die gefundenen Artefakte römischen Legionären und Auxiliartruppen zuzuordnen sind. Zunächst wollten Archäologen nicht völlig ausschließen, dass es sich um eine Auseinandersetzung germanischer Stämme gehandelt habe, ausgerüstet mit Waffen aus römischer Produktion.[16] Durch andere Funde, etwa aus dem Thorsberger Moor in Schleswig-Holstein, weiß man, dass im 3. Jahrhundert zahlreiche innergermanische Konflikte ausgetragen wurden, wobei die Krieger römische Waffen benutzten. Weitere Funde, darunter die zahlreichen Katapultprojektile aus Ballisten (Torsionsgeschütz) unter den Fundstücken am Harzhorn, sprechen nach Ansicht der Wissenschaftler jedoch inzwischen eindeutig dafür, dass hier eine größere römische Einheit, bestehend aus Infanterie, Bogenschützen, schwerer Kavallerie und Artillerie, in einen heftigen Kampf verwickelt worden war; denn davon, dass Germanen diese römische Kriegstechnik je eingesetzt hätten, ist bislang nichts bekannt. Die Stärke der Römer wird derzeit auf mindestens zwei Kohorten (1000 Mann) bis hin zu 8000 Mann geschätzt. Auch andere Fundstücke belegen inzwischen eindeutig die Präsenz kaiserlicher Soldaten. Da sie Torsionsgeschütze und Reisewagen mitführten, kann es sich bei ihnen nicht nur um einen Stoßtrupp gehandelt haben. Aus zeitgenössischen literarischen Quellen wie Herodian weiß man, dass die kaiserlichen Truppen im frühen 3. Jahrhundert oft in mehreren Säulen von jeweils einigen tausend Mann marschierten; um eine solche Marschsäule könnte es sich auch in diesem Fall gehandelt haben.

Einer Arbeitshypothese zufolge ist es wahrscheinlich, dass sich die römischen Truppen auf dem Rückmarsch aus dem Norden befanden. Der nach Süden führende Pass war offenbar von Feinden versperrt worden, wobei durch die bisherigen Ausgrabungen aber bisher keine Spuren einer Sperre, wie Verhaue oder Pfostenlöcher von Palisaden, nachgewiesen wurden. Die Legionäre mussten sich ihren Weg unter massivem Waffeneinsatz über den Höhenzug erkämpfen, statt durch die zu damaligen Zeit möglicherweise versumpfte Niederung zu marschieren. Zunächst dürfte versucht worden sein, die Anhöhe zu stürmen; nach dem mutmaßlichen Scheitern dieser ersten Attacke verlegten sich die Römer wohl auf den Einsatz von Fernwaffen. Umgekehrt ist auch möglich, dass der Einsatz der Ballisten dem Sturmangriff der Infanterie voranging. Die Fundsituation spricht dabei für einen Erfolg der römischen Einheit dank ihrer überlegenen Militärtechnik. Dass die Römer aber zugleich relativ viel auf dem Schlachtfeld zurückließen, deutet darauf hin, dass man sich weiterhin bedroht fühlte und trotz des mutmaßlichen Sieges rasch weiterzog.

Das 2010 entdeckte weitere Fundareal etwa 3 km vom Harzhorn entfernt mit Zeichen einer bewaffneten Auseinandersetzung lässt ebenfalls darauf schließen, dass es eine weiträumige Militäroperation der Römer gab, die - wie erwähnt - mutmaßlich in mehreren Marschsäulen marschierten.

Zeitliche Einordnung

Datei:065 Maximinus I Thrax.jpg
Denar mit dem römischen Kaiser Maximinus Thrax

Wegen des frühen Fundes einer Münze, die den Kaiser Commodus (180-192) abbildet, sowie aufgrund der Ausrüstungsgegenstände vermuteten die Wissenschaftler zunächst, dass der Kampf nach 180 n. Chr. (Herrschaftsantritt des Commodus) stattgefunden haben müsse. Als hypothetische Datierung wurde anfangs allgemein das frühe 3. Jahrhundert erwogen, wobei etwa die Zeit der Germanienfeldzüge der römischen Kaiser Caracalla (211-217) oder Maximinus Thrax in Frage kam. Neue Fundmünzen aus der Zeit der Kaiser Elagabal (218-222) und Severus Alexander (222-235) erlauben inzwischen eine weitere zeitliche Eingrenzung; sie schließen den Germanienkrieg Caracallas nun als Kontext aus und deuten nunmehr mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit auf die Regierungszeit des Kaisers Maximinus Thrax (235-238) hin.[17] Der Numismatiker Frank Berger datierte die Schlacht zunächst etwas vorsichtiger auf den Zeitraum zwischen 230 und 235 n. Chr. Die jüngste bislang gefundene eindeutig datierbare Münze, ein Silberdenar aus dem Jahr 228, bildet als Schlussmünze einen Terminus post quem (siehe oben). Damit ist der frühestmögliche Zeitpunkt des Gefechts festgelegt.[18] Einige gefundene Speerspitzen hatten zudem noch alte, unverkohlte Holzreste in ihrem Schaft, die mit der C14-Methode auf ein Alter von etwa 1.800 Jahren (+/- 30 Jahre) datiert wurden. Ähnlich, mit der Enddatierung auf 240 n. Chr., fiel die Analyse von ausgegrabenen Knochenresten eines Zugtieres aus.

Damit ergibt sich in der Kombination des numismatischen und archäologischen Befundes mit den Ergebnissen der naturwissenschaftlichen Untersuchungen ein Zeitfenster von 228 bis etwa 240 n. Chr. Der aktuellen Einschätzung zufolge (2011) wird für am wahrscheinlichsten gehalten, dass das Kampfgeschehen am Harzhorn sich im Sommer oder Herbst 235 n. Chr. ereignete und in den Kontext des großen Germanienfeldzugs des Maximinus Thrax gehört.[19]

Geschichtliche Einordnung

Bedeutsam ist in diesem Zusammenhang die Nachricht der spätantiken Historia Augusta (Max. duo. 12,1), Kaiser Maximinus sei im Jahr 235 von Mainz aus mit seinen Truppen zwischen 300 (trecenta) und 400 (quadringenta) Meilen tief in germanisches Gebiet vorgestoßen, was in der Tat dem nördlichen Niedersachsen entspräche. Da man eine solche Operation aber für unmöglich hielt, wurde diese Angabe der Handschriften in den neuzeitlichen Editionen des Textes stets zu triginta und quadraginta (30 bzw. 40 Meilen) "korrigiert" - angesichts der Funde von Kalefeld vermutlich ein schwerer Irrtum.[20] 233 hatten Germanen römisches Gebiet verwüstet, 235 kam es dann unter dem neuen Kaiser Maximinus zu dem bereits von Severus Alexander vorbereiteten Gegenschlag Roms. Dafür, dass die Legio IIII Flavia Felix in diesem Feldzug eine besondere Rolle spielte, spricht der Umstand, dass sie von Maximinus den Ehrennamen Legio IIII Flavia Maximiniana erhielt, also nach ihm selbst benannt wurde.[21] Dies könnte eine Auszeichnung für besondere Tapferkeit, mutmaßlich während des Germanienfeldzuges, gewesen sein.

Die Historia Augusta berichtet weiter, man habe germanische Verbände in einer großen "Schlacht im Moor" (proelium in palude) besiegen können, an der der Kaiser persönlich beteiligt gewesen sei. Maximinus sei zeitweilig von seinem Heer getrennt worden und in einen Sumpf geraten, bevor seine Truppen ihn hätten befreien können. Dabei sei es zu einem schweren Gefecht gekommen, das angesichts des sehr feuchten Geländes geradezu einer Art Seeschlacht geglichen habe. Ob diese knappe, literarisch überformte Schilderung sich auf das Schlachtfeld bei Kalefeld beziehen lässt, ist bislang unklar. Fest steht aber, dass der Kaiser seinen Feldzug als großen Sieg feiern ließ und dem römischen Senat in einem schriftlichen Bericht mitteilte, er habe Germanien bezwungen (Max. duo. 12,5).

Der griechische Geschichtsschreiber Herodian, der im Unterschied zum Verfasser der Historia Augusta (dem sein Werk als eine Quelle diente) ein Zeitgenosse der Ereignisse war, berichtet:

Vorlage:Zitat-la

Als es Winter wurde, zog sich der Kaiser mit seinen Männern an den Rhein zurück. In den beiden folgenden Jahren bekämpfte er die germanischen Stämme nördlich der Donau; doch die Feldzüge fanden ein abruptes Ende, als Maximinus im Sechskaiserjahr 238 den Tod fand.[22]

Folgen für die Geschichtswissenschaft

Die Ereignisse bei Kalefeld spielten sich über 200 Jahre nach der Varusschlacht und den Feldzügen des Germanicus (bis 16 n. Chr.) ab. Diese Vorgänge stellten das Ende des römischen Versuchs dar, den gesamten Raum bis zur Elbe fest in das Imperium einzubeziehen. Allerdings dehnten die Römer in der darauffolgenden Zeit ihre Grenzbefestigungen auf germanisches Gebiet aus, um die Verteidigungslinien zu verkürzen, und integrierten damit auch das fruchtbare Dekumatland in ihr direktes Herrschaftsgebiet. Doch römischer Einfluss reichte über die Provinzgrenzen hinaus. Gerade die jüngere Forschung betont das hohe Maß an Interaktion zwischen dem Römischen Reich und der Magna Germania.

Dass enge Kontakte zwischen dem Inneren Germaniens und dem Imperium Romanum bestanden, ist also im Grunde nichts Neues. Die eindeutige Feststellung einer so späten römischen Militäraktivität so weit östlich des Rheins (auf dem Gebiet der Magna Germania) hätte dennoch eine bedeutende Wirkung auf die bisherige Darstellung der römischen Geschichte auf heutigem deutschem Boden,[23] nicht zuletzt in Hinblick auf die Bewertung literarischer Quellen zu diesem Zeitraum.

Römische Quellen – namentlich Cassius Dio, Herodian und die besagte Historia Augusta – berichten von größeren Feldzügen östlich des Rheins und nördlich der Donau im 3. Jahrhundert, insbesondere für die Regierungszeit der Kaiser Caracalla (im Jahr 213) und, wie gesagt, Maximinus Thrax (im Jahr 235). Dies ist unter Althistorikern seit langem bekannt. Für diese literarische Überlieferungen fehlte bis 2008 aber ein archäologischer Beleg in der Magna Germania. Vor allem aber war sich die Forschung über den tatsächlichen Radius dieser Militäroperationen im unklaren und nahm in aller Regel nur sehr begrenzte militärische Unternehmungen in relativer Nähe zum Limes an. Die wenigen anderslautenden Hinweise in literarischen Quellen galten als unglaubwürdige Übertreibung.

Hierin liegt die hauptsächliche historische Bedeutung des Fundortes bei Kalefeld: Wenn sich die bisherige Interpretation der Funde bestätigen sollte, so war das Innere Germaniens tatsächlich noch im dritten Jahrhundert Ziel weiträumiger römischer Militäroperationen. Dass römische Legionäre in dieser Zeit nicht nur im Limesvorland operierten, sondern bis ins heutige Norddeutschland vorstießen, hätten bis 2008 die wenigsten Forscher für möglich gehalten. Literarischen Quellen zufolge dienten die römischen Feldzüge nämlich vor allem der begrenzten Vorfeldsicherung der römischen Reichsgrenze an Rhein und Donau sowie (im Rahmen von Vergeltungsfeldzügen) dem Schutz des Dekumatlandes, das nach 260 dennoch geräumt wurde. Erwägen muss man nun aber, dass sich der direkte römische Einfluss, gegebenenfalls eben militärisch untermauert, womöglich auch 225 Jahre nach der Varusschlacht viel weiter in das Innere Germaniens erstreckte, als man lange Zeit annahm.

Präsentation

Dauereinrichtung vor Ort

 
Vorstellung neuer Funde bei einer Pressekonferenz im Januar 2012 im Niedersächsischen Landesamt für Denkmalpflege. Von links nach rechts: Günther Moosbauer, Petra Lönne, Michael Wickmann, Johanna Wanka, Stefan Winghart, Henning Haßmann
Datei:Harzhorn Fundstücke mit Harzhornlogo.jpg
Pressepräsentation von Fundstücken auf dem Tisch, dahinter touristisches Logo zur Harzhorn-Schlacht

Nach umfangreichen Prospektionen und Fundbergungen wurde im Mai 2010 das Fundgebiet des Harzhornes der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Seither finden für Besucher regelmäßig Führungen über das Gelände statt, die von ausgebildeten Harzhorn-Guides vorgenommen werden. Außerdem sollen im Fundgebiet für 100.000 Euro Infopunkte eingerichtet werden.[24] Die Fundstücke sind wegen anhaltender Restaurierungen und Untersuchungen bisher (2012) noch nicht ausgestellt.

Seitens des Landkreises Northeim sowie der Gemeinden Kalefeld und Bad Gandersheim ist vorgesehen, das Gelände unter dem Slogan "Römerschlacht am Harzhorn" als archäologisches Freilichtmuseum touristisch zu nutzen. Dazu wurde ein Logo entwickelt und als Markenzeichen gesichert. Die Technische Hochschule Aachen erarbeitete ein touristisches Konzept, das am 9. Mai 2012 bekannt gegeben wurde.[25] [26] Demnach soll die touristische Erschließung in drei Stufen erfolgen. Zunächst ist bis zur geplanten Niedersächsischen Landesausstellung „Römer in Niedersachsen“ 2013 in Braunschweig vorgesehen, auf dem Gelände eine touristische Infrastruktur mit Wegen, Schildern und einer Info-Box aufzubauen. [27] Die zweite Stufe ab 2015 besteht in der regionalen Einbindung mit Radwegen sowie dem Bau eines Aussichtsturms und einer Anbindung an das Römerlager Hedemünden durch eine „Römer-Autobahn“. Am Ende könnte ab dem Jahr 2015 ein Besucherzentrum für fünf Mill. Euro entstehen.

Temporäre Darstellung

Eine öffentliche Präsentation der Schlacht am Harzhorn sowie dem Leben von römischen Legionären und Germanen im 3. Jahrhundert unter besonderer Berücksichtigung von Kaiser Maximinus Thrax ist im Jahre 2013 als Niedersächsische Landesausstellung im Braunschweigischen Landesmuseum geplant,[28][29] wofür das Land Niedersachsen insgesamt 1 Mill. Euro bereit stellt.[30]

Filmdokumentationen

  • Rätsel Römerschlacht, Fernsehdokumentation des NDR Fernsehens von 2008[31]
  • Die Schlacht am Harzhorn - Roms letzter Feldzug nach Germanien (Dokumentation, 2010)[32]
  • Roms Rache, Dokumentation in der Reihe ZDF-History (Ausstrahlung 6. November 2011, online)
  • Terra X - Deutschlands Supergrabungen, ZDF-Fernsehsendung, 2012

Literatur

  • Michael Geschwinde u.a.: Roms vergessener Feldzug. In: 2000 Jahre Varusschlacht. Konflikt. Herausgegeben von Museum und Park Kalkriese. Theiss, Stuttgart 2009, S. 228ff.
  • Ulrike Biehounek: Die Revanche der Römer. In: Bild der Wissenschaft. Heft 6/2010, S. 84–89.
  • Ralf-Peter Märtin: Die Rache der Römer. In: National Geographic, Juni 2010, S. 66–93 (online).
  • Petra Lönne: Das Römisch-Germanische Schlachtfeld am Harzhorn, Landkreis Northeim in: Unser Harz, 12/2011

Einzelnachweise

  1. Michael Geschwinde / Petra Lönne / Günther Moosbauer unter Mitarbeit von Michael Brangs und Thorsten Schwarz: Das Geheimnis der Dolabra In: Berichte zur Denkmalpflege in Niedersachsen 4/2011.
  2. Das Schlachtfeld am Harzhorn: Neue archäologische Untersuchungen 2009 und 2010 in: Berichte zur Denkmalpflege 1/2011, S. 25
  3. Sagen aus Olderode - Düderode
  4. Erste Römerfunde vor zehn Jahren in: HNA online
  5. Pressemitteilung vom 15. Dezember 2008
  6. Römisches Schlachtfeld auf dem Harzhorn bei Northeim
  7. Die Römerschlacht am Harzhorn in: History Magazin vom 20. April 2009
  8. Die Revanche der Römer in: Bild der Wissenschaften online, Ausgabe 6/2010
  9. Artikel in der Welt.
  10. Roms vergessene Schlacht in: kreiszeitung.de vom 12. Januar 2012
  11. Geschichte Großgermaniens vor der Neuinterpretation In: Die Welt vom 11. Januar 2012
  12. Michael Geschwinde / Petra Lönne / Günther Moosbauer unter Mitarbeit von Michael Brangs und Thorsten Schwarz: Das Geheimnis der Dolabra In: Berichte zur Denkmalpflege in Niedersachsen 4/2011.
  13. Dietmar Vonend: Das Geheimnis der Dolabra führt in das Jahr 235 in: Berichte zur Denkmalpflege in Niedersachsen 1/2012
  14. Die Axt vom Harzhorn in: FAZ vom 13. Januar 2012, Seite 31
  15. Michael Geschwinde / Petra Lönne / Günther Moosbauer unter Mitarbeit von Michael Brangs und Thorsten Schwarz: Das Geheimnis der Dolabra In: Berichte zur Denkmalpflege in Niedersachsen 4/2011.
  16. Vorsichtige Zweifel äußerte zunächst etwa der Althistoriker Ralf Urban von der Universität Erlangen-Nürnberg: Interview; Artikel in: Der Spiegel online
  17. Artikel im Tagesspiegel
  18. Ralf-Peter Märtin, Die Rache der Römer, in: National Geographic 6/2010, S. 66ff.
  19. Das Schlachtfeld am Harzhorn: Neue archäologische Untersuchungen 2009 und 2010 in: Berichte zur Denkmalpflege 1/2011
  20. Vgl. zu der fraglichen Textstelle auch K.-P. Johne, Die Römer an der Elbe, Berlin 2006, S. 262f., der aber noch einen Kopierfehler und einen bescheidenen Umfang des Feldzugs annimmt.
  21. AE 1952, 186.
  22. Vgl. dazu Henning Börm: Die Herrschaft des Kaisers Maximinus Thrax und das Sechskaiserjahr 238. In: Gymnasium 115, 2008, S. 69-86.
  23. Schlachtfeld entdeckt in: Die Welt, 15. Dezember 2008
  24. Neue Funde bei Dögerode steigern Interesse' In: HNA.de vom 12. Januar 2012
  25. Roms vierte Legion führte Krieg in Germanien in: Die Welt vom 6. Januar 2012
  26. Zwei Schritte fürs Harzhorn in: HNA vom 20. April 2012
  27. Bis 2013 erste Wege, Schilder und Info-Box für Römer-Gelände in: HNA vom 10. Mai 23012
  28. Römische Legion aus Serbien am Harzhorn in: Göttinger Tageblatt vom 11. Januar 2012
  29. Wie die Axt im Germanenwalde In: Newsclick vom 11. Januar 2012
  30. Land fördert Harzhorn in: Deutschland today vom 22. November 2011
  31. Rätsel Römerschlacht
  32. www.cinefacts.de

Koordinaten: 51° 49′ 56,6″ N, 10° 6′ 17,9″ O