Militärdiktatur

autoritäres Regime, in dem die politische Führung allein vom Militär oder Teilen des Militärs ausgeübt wird
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Eine Militärdiktatur ist ein autoritäres Regime, in dem die politische Führung allein vom Militär oder Teilen des Militärs ausgeübt wird. Sie besitzt Gemeinsamkeiten mit der Stratokratie, ist aber nicht mit ihr identisch. In einer Militärdiktatur hat das Militär die gesamte Regierungsgewalt in Form einer Junta (Offiziersgruppe) oder eines einzelnen Offizier inne und kontrolliert diktatorisch die Gesellschaft, Medien und Politik. Der Begriff Junta stammt aus dem Spanischen und bedeutet „Regierung“, „Verwaltung“. Hier bedeutet es im engeren Sinne eine Form der Oligarchie, das heißt, einige Wenige (das Militär) dominieren den Staatsapparat. Eine Militärdiktatur entsteht meistens durch einen Putsch, der sich gegen die jeweils bestehende Ordnung und die damit verbundene Regierung richtet. Häufig zeichnen sich Militärdikaturen durch die Unterdrückung der politischen Opposition aus, was regelmäßig von Gewaltmaßnahmen begleitet wird.

Weltkarte mit, je nach Regierungsform, unterschiedlich eingefärbten Flächen
Staats- und Regierungsformen der Welt
  • Parlamentarische Monarchie
  • Parlamentarische Republik
  • Parlamentarisches Direktorialsystem
  • Parlamentarische Republik mit parlamentsgebundener Exekutivgewalt
  • Semipräsidentielle Republik
  • Präsidentielle Republik
  • Konstitutionelle Monarchie
  • Absolute Monarchie
  • Einparteiensystem
  • Islamische Republik
  • Militärdiktatur/Militärjunta
  • Übergangsregierung
  • Keine eigenständige Regierung
  • (Angaben de jure laut Verfassung, nicht zwangsläufig de facto. Stand: 2024)

    Verbreitung und Kategorisierung

    Militärdiktaturen traten in den letzten Jahrzehnten vor allem in den Entwicklungsländern auf. Besonders charakteristisch und bedeutend sind sie für die politische Entwicklung Lateinamerikas im 20. Jahrhundert, in dem alle Staaten Lateinamerikas eine mehr oder weniger lange Zeit durch eine Militärdiktatur regiert wurden. Im Rahmen der vergleichenden Regierungslehre berechnete der Politikwissenschaftler Gabriel Almond 1993, dass Ende der 80er Jahre über ein Drittel und Anfang der 90er Jahre über ein Viertel der Staaten von Militärregimen regiert wurden. Innerhalb dieses politikwissenschaftlichen Fachbereichs unterscheidet man solche Herrschaftsformen nach der Ausprägungsintensität des vorherrschenden Autoritarismus und ihren Regierungszielen.

    Militärdiktaturen neuen Typs

    Datei:Que digan dónde estan.jpg
    Plakat mit Fotos von unter der argentinischen Militärdiktatur (1976-1983) „verschwundenen“ Menschen (Desaparecidos) von 2005.

    Historisch gesehen sind Militärregime keine Neuerscheinung der Nachkriegsgeschichte, allerdings bildete sich in den 1960er Jahren vor allem in Lateinamerika ein neuer Typ von Militärdiktaturen. Sie unterschieden sich von den traditionellen Militärdiktaturen in ihren Herrschaftszielen, die jetzt hauptsächlich die Legitimation ihrer Macht aus einer angeblichen oder tatsächlichen Bedrohung von Staat und Gesellschaft durch sogenannte systemfeindliche Gruppierungen, die in der Regel – jedoch nicht nur – im politischen Spektrum links standen, herleiteten. Die Militärdiktaturen traten dabei oft als Retter von Staat, Wirtschaft und Kultur auf und setzten sich meist für politische Strukturreformen ein. So bezeichneten etwa die argentinischen Militärs die von ihnen angestoßene Entwicklung als Prozess der Nationalen Reorganisation. Wie im argentinischen Fall besonders deutlich hervortrat, ging die Machtergreifung und Machtausübung des Militärs zumeist mit exzessiver Gewalt und außergesetzlichen Maßnahmen einher (siehe Schmutziger Krieg und Desaparecidos). Im Zusammenhang mit der übermäßigen staatlichen Gewaltanwendung entwickelten die beiden amerikanischen Politikwissenschaftler R.D. Duvall und Michael Stohl im Jahr 1983 den Begriff Staatsterrorismus, der sich aber natürlich nicht nur auf Militärdiktaturen bezieht.

    Besonders bekannt sind die Vorgänge während der Militärdiktaturen in Chile unter General Augusto Pinochet (1973–1989) und Argentinien in der Zeit von 1976 bis 1983, wo zehntausende Menschen spurlos verschwanden, die so genannten Desaparecidos. Während des Bürgerkriegs in El Salvador ab 1980 ermordeten die Todesschwadronen der von den USA unterstützten Militärregierung systematisch rund vierzigtausend Oppositionelle (etwa 0,8 % der Bevölkerung), um eine Machtübernahme linker Gruppen zu verhindern.[1] Ähnliche Dimensionen, jedoch mit noch höheren Opferzahlen, hatte der Bürgerkrieg in Guatemala.

    Siehe dazu auch: Die Ära der Juntas in Lateinamerika

    Ideologien der Militärdiktaturen

    Datei:Junta Militar.jpg
    Die Generäle der argentinischen Militärjunta sahen sich als Retter des Vaterlands und der christlich-konservativen Werte vor dem Kommunismus, womit sie auch ihren „schmutzigen Krieg“ gegen Oppositionelle rechtfertigten, der etwa 30.000 zivile Opfer forderte.

    Das Aufkommen der neuen Militärdiktaturen ist neben gesellschaftlichen und innenpolitischen Faktoren jeweils vor dem Hintergrund des Kalten Krieges zu sehen. Die dabei an die Macht gekommenen Militärregierungen reduzieren sich aber nicht auf eine anti-kommunistische Abwehrbewegung, sondern stützten sich darüber hinaus auf eine eigene Ideologie, deren wichtigstes Ideologem die „Doktrin der nationalen Sicherheit“ war. Dieses durch geopolitisches Denken geprägte Ideologem steht in der Mehrheit der Militärdiktaturen mit einem für sie typischen Weltbild in Verbindung. Erst durch diese ideologische Grundlage waren die Militärregime in der Lage ihr außergesetzliches Vorgehen zu rechtfertigen und zu legitimieren. Die wesentlichen Elemente dieses Weltbilds sind in Lateinamerika nach Spitta (aktueller Leiter des DAAD-Büros in Mexiko):

    1. katholischer Traditionalismus spanischen Ursprungs
    2. Nationalismus (Überbetonung des ser nacional)
    3. Kult des Militärischen als Erziehungsideal – Sendungsbewusstsein und Messianismus
    4. Rassismus
    5. Antikommunismus

    Ein Beleg für die Bemühungen der Militärs eine aus ihrer Sicht integrative Ideologie zu entwickeln, liefern zahlreiche geopolitische Schriften. Einige berühmte Beispiele sind die Schriften der „Escola Superior de Guerra“ (ESG), einer berühmten Militärakademie in Brasilien und das 1978 veröffentlichte Werk Pinochets mit dem Titel „Geopolítica de Chile“. Die radikale Konsequenz aus dieser Ideologie belegt das Zitat des argentinischen Brigadegenerals Ibérico Saint Jean am Ende des Artikels.

    Beispiele

    Beispiele für Militärdiktaturen sind Spanien (1939-1975), Griechenland (1967-1974), Chile (1973–1990) oder auch Myanmar (1962-2011). Weitere Beispiele finden sich hier.

    Theoretische Erklärungsversuche

    Der Aufstieg von Militärregimen wurde in der Vergangenheit mit verschiedenen Theorien erklärt. Dabei entstehen unterschiedliche Ansätze, je nachdem ob man eher die inneren Prozesse eines Landes, oder die externen Einflüsse betont. Im ersten Fall kann man mit Hilfe der Modernisierungstheorie argumentieren, die vor allem auf ökonomischen Faktoren abhebt. Betont man eher die externen Einflüsse, so lässt sich der Aufstieg der Militärdiktaturen auch dependenztheoretisch begründen, indem man Interventionen aus dem Ausland, Imperialismus oder das putschistische Verhalten der politischen Mittelklasse betont.

    Aktuelle Entwicklung der Militärdiktaturen

    Viele Entwicklungsländer sind anfällig für Putsche und somit auch für Militärdiktaturen. So etablierten sich auch in Lateinamerika in den 1960er, 1970er und 1980er Jahren zahlreiche Militärdiktaturen, die jedoch großteils durch die demokratische Transition Anfang der 1990er Jahre beseitigt wurden. Die Gründe dafür sind meistens soziale und wirtschaftliche Missstände, politische Krisen, Vertrauensverlust der Bevölkerung in die politischen Institutionen und das historisch gewachsene Selbstverständnis des Militärs.

    Seit den 1990er Jahren hat die Zahl der Militärdiktaturen abgenommen, was mit der von Samuel Phillips Huntington beschriebenen „Demokratisierungswellen“ in den 90ern in Verbindung steht. Außerdem bedingte das Ende des Kalten Krieges den Bedeutungsverlust eines ihrer wichtigsten ideologischen Elemente (Anti-Kommunismus).

    Siehe auch

    Literatur

    • Gabriel A. Almond, G. Bingham Powell, Robert J. Mundt (Hrsg.): Comparative Politics. A theoretical framework. HarperCollins, New York NY 1993, ISBN 0-673-52282-2.
    • Raymond D. Duvall, Michael Stohl: Governance by Terror. In: Michael Stohl (Hrsg.): The Politics of Terrorism (= Public administration and public policy 18). 2nd edition, revised and expanded. Dekker, New York NY u. a. 1983, ISBN 0-8247-1908-5, S. 179–219.
    • Samuel P. Huntington: The third wave. Democratization in the late Twentieth Century (= The Julian J. Rothbaum distinguished lecture Series 4). University of Oklahoma Press, Norman OK 1991, ISBN 0-8061-2346-X.
    • Morris Janowitz, Roger W. Little: Militär und Gesellschaft (= Praxeologie 1, ZDB-ID 537175-2). Boldt, Boppard am Rhein 1965.
    • Hans Werner Tobler, Peter Waldmann (Hrsg.): Staatliche und parastaatliche Gewalt in Lateinamerika (= Iberoamericana. Editionen der Ibero-Americana. Reihe 5: Monographien und Aufsätze 31). Vervuert, Frankfurt am Main 1991, ISBN 3-89354-831-9.

    Einzelnachweise

    1. Benjamin Schwarz: Dirty Hands. The success of U.S. policy in El Salvador -- preventing a guerrilla victory -- was based on 40,000 political murders. Buchrezension zu William M. LeoGrande: Our own Backyard. The United States in Central America 1977-1992. 1998, Dezember 1998.