Germanen
Als Germanen werden eine Anzahl von Völkern mit ähnlicher Sprache, Kultur, Abstammung und Lebensgewohnheiten bezeichnet, die seit dem 2. Jahrtausend vor Christus bis bald nach der Zeitenwende in Nord- und Mitteleuropa lebten. Die germanischen Völker selbst bezeichneten sich zunächst nicht als Germanen und hatten wahrscheinlich im dünn besiedelten Mitteleuropa während der längsten Zeit ihrer Geschichte auch kein nationales Zusammengehörigkeitsgefühl. Von den Römern wurden sie oft als große Menschen mit blondem oder rotem Haar bezeichnet.


Ursprünge
Die historischen Überlieferungen über die Germanen beginnen mit den Berichten antiker Schriftsteller im 2. und 1. Jahrhundert vor Christus.
Schrift und Sprache
- Hauptartikel: Germanische Sprachen
Erste eigene schriftliche Überlieferungen der Germanen setzen um 200 nach Christus mit den ältesten urnordischen Runeninschriften ein. Für die Zeit davor geben nur Archäologie und die vergleichende Sprachwissenschaft, Auskunft über die germanischen Völker.
Die Sprachwissenschaft konnte durch sorgfältigen Vergleich der germanischen Einzelsprachen untereinander (vor allem Gotisch, Althochdeutsch, Altenglisch und Altnordisch) und deren Vergleich mit anderen indoeuropäischen Sprachen die germanische Sprache (auch "Protogermanisch" oder "Gemeingermanisch") weitgehend rekonstruieren. Zu den wichtigsten Ergebnissen dieses doppelten Vergleichs gehört:
- In früheren Ansätzen der Sprachforschung wurde zwischen westlichen indoeuropäischen Sprachen Kentum-Sprachen und östlichen Satem-Sprachen unterschieden. Im Rahmen dieser Unterscheidung wurde das Germanische mit dem Keltischen und dem Italischen zur Gruppe der alteuropäischen Sprachen geschlagen. Doch erwies sich der Ansatz einer älteren Sprachgemeinschaft (also einer gemeinsamen "Alteuropäischen Sprache") als nicht haltbar.
- Inzwischen werden Verzweigungsmodelle verwendet, die auch Einflüsse, die sich durch räumliche Nähe und folgendem Kontakt von Sprechern minder verwandter Sprachen ergeben, berücksichtigen. Hierbei bildet das Protogermanische mit den Vorläufern der baltischen und slawischen Sprachen eine Dialektgruppe innerhalb der indoeuropäischen Sprachen.
- Das Protogermanische löst sich dann aus dieser Gruppe, wobei sich vermutlich starke Einflüsse einer uralischen Sprache, unter anderem gerundete Vokale (ä, ö, ü), abzeichnen. Zudem weist das Protogermanische eine auffallend eigenwillige Verwendung (Slang) von Worten indoeuropäischen Ursprungs auf (Beispiel: sehen = (mit den Augen) folgen, vgl. Lateinisch sequi).
- Der protogermanische Wortschatz enthält viele Lehnworte nicht-indoeuropäischen Ursprungs, obwohl Schätzungen dieses Anteils von ehemals ein Drittel nach unten korrigiert wurden. Häufungen von Lehnworten gibt es besonders in den Bereichen sozialer Organisation sowie Navigation und Schifffahrt. Dies kann eine Entstehung als Substrat oder Einwanderersprache nahelegen.
- Auch nach der Herausbildung der germanischen Sprache bestanden Beziehungen insbesondere mit den keltischen Sprachen, was Lehnworte belegen. Auch das Finnische hat bereits früh mehrere germanische Worte entlehnt und in nahezu unveränderter Form bis heute bewahrt, so die Worte kuningas = König (germanisch: kuningaz) und rengas = Ring (germanisch: hrengaz; in beiden Worten steht z für stimmhaftes s).
Begriffsbildung
Die Verwendung des Begriffs "Germanen" ist erstmals vom griechischen Geschichtsschreiber Poseidonios um das Jahr 80 v. Chr. überliefert. Bedeutung und Herkunft des Wortes "Germane(n)" sind immer noch umstritten. Es bieten sich folgende Interpretationen an:
- Es handelt sich ursprünglich um den Namen eines einzelnen, nicht näher bekannten Stammes. So könnte der Name eines kleinen Volksstammes letztlich auf eine ganze Völkerfamilie übertragen worden sein.
- Historisch gesichert ist, dass Gaius Iulius Caesar in seinem Buch De bello gallico („Der Gallische Krieg“, 51 v. Chr.) den Namen dokumentarisch festgeschrieben und damit auch weiter verbreitet hat. Damit wurde der Begriff auf alle rechtsrheinischen Völker angewendet. Bis dahin wurden die in Mitteleuropa ansässigen Völker durch die Griechen in Kelten (Westeuropa), und Skythen (Osteuropa) eingeteilt. Erst mit Caesar erkannten auch die Römer, dass es sich bei den Germanen nicht um einen Teil der Kelten handelte, sondern um eine eigene Völkerfamilie.
- Auch ist möglich, dass das Wort ein Zusammensetzung zwischen dem Germanischem Wurfspieß "Ger" und Mann ist
- Eine mögliche gemeingermanische Wortbedeutung von "Ger" ist bisher weder überliefert noch erschlossen. Somit wäre unwahrscheinlich, dass der Begriff aus einer (germanischen) Selbstbezeichnung abgeleitet wurde. Der römischen Historiker Tacitus schreibt dagegen in seinem Buch De origine et situ Germanorum („Über den Ursprung und den Lebensraum der Germanen“, Jahr ca. 98; 2. Kapitel), dass der Name „Germanen“ noch relativ neu sei. Man habe den Namen zunächst für die Tungrer benutzt und anschließend auf alle germanischen Stämme übertragen; Tacitus zufolge seien alle rechtsrheinischen Stämme zuerst von den Galliern als Germanen im umfassenden Sinn bezeichnet worden, was auf eine keltische Herkunft des Wortes hindeutet. Diesen Namen hätten die Volksstämme später auch für sich selber verwendet. In seinem Buch findet sich auch die einzige detaillierte Beschreibung des Germaniens jener Zeit, wo die einzelnen Stämme und Völker zwischen Rhein und Weichsel sowie Donau und Nord- bzw. Ostsee aufgeführt sind.
Neueste Theorien vermuten aufgrund der Namensgebung von Flüssen und Ortschaften, dass der Entstehungsort der germanischen Kultur im Raum nördlich der deutschen Mittelgebirge gelegen haben könnte. Die Mehrheit der Wissenschaftler teilt diese Theorie jedoch nicht.
Von Germanen kann im archäologischen Sinne erst zu der Zeit ganz sicher gesprochen werden, in denen sie in den schriftlichen Quellen erscheinen. Ein "Rückrechnen" und die Suche nach sogenannten "Ur-Germanen" der Stein- und Bronzezeit war in der archäologischen Forschung früher lange Zeit üblich. Diese mit dem Namen von Gustaf Kossinna verbundene Methode wurde nach dem Zweiten Weltkrieg völlig verworfen.
Germanische Lautverschiebung
Jahrzehntelang wurde angenommen, die gemeinsame germanische Sprache (Urgermanisch, Protogermanisch), aus der später die einzelnen germanischen Sprachen entstanden, habe sich um 500 v. Chr. durch die germanische Lautverschiebung aus einem west-indogermanischen Dialekt gebildet. In dieser Lautverschiebung wandelte sich beispielsweise anlautendes "k" über "ch" (wie im Wort ach) zu "h", ebenso "p" zu "f" und "t" zu "th". Ein anderes Merkmal, das alle germanischen Sprachen verbindet und sie von den italischen und keltischen Sprachen unterscheidet, ist die Veränderung des häufigen Kurzvokals o zu a und des Langvokals ā zu ō. Diese Veränderungen können nur stattgefunden haben, solange alle späteren Einzelstämme der Germanen noch in engem Austausch standen.
In der neueren und neuesten Forschung wird diese Lautverschiebung jedoch deutlich später angesetzt, nämlich im ersten Jahrhundert vor Christus. Hauptbeleg dafür ist der Stammesname der Kimbern, die im späten 2. Jahrhundert zusammen mit den Teutonen das Römische Reich von Norden her bedrohten (siehe unten). Beide Völker stammen aus dem Gebiet des heutigen Dänemark. Da der Name Kimbern in lateinischen Texten durchgehend "cimbri" geschrieben wird, nie "chimbri" oder gar "himbri", während in späteren lateinischen Texten sonst ebenso konsequent beispielsweise "chatti" (Chatten, daraus Hessen), "chauci", "cherusci" usw. geschrieben wird, wird heute mehrheitlich angenommen, dass die germanische ("erste") Lautverschiebung im späten 2. Jahrhundert vor Christus noch nicht stattgefunden hat, zumindest aber noch nicht abgeschlossen war. Dieser Befund wird durch einige früh überlieferte Ortsnamen gestützt.
Diese Einschätzung hat für die Historische Linguistik recht weitreichende Folgen, etwa für die Datierung des Vernerschen Gesetzes. Die bislang in der Literatur als "Germanisch" bzw. "Gemeingermanisch" bezeichnete Sprache (mit bereits durchgeführter erster Lautverschiebung) bezeichnet demnach nur den - in zügigem Umbruch befindlichen - Sprachzustand kurz vor dem Ende der germanischen Spracheinheit um bzw. kurz vor der Zeitenwende. In den Jahrhunderten davor wurde von den früheren Germanen dagegen ein dem Indoeuropäischen weit ähnlicheres Idiom gesprochen, das nicht überliefert ist, aber in seinen Grundzügen ebenfalls erschlossen werden kann.
Geschichte
Älteste historische Berichte über die Germanen stammen von Begegnungen mit den Griechen und dem Römischen Reich.
Bereits der griechische Reisende Pytheas aus Marseille berichtete um 330 v. Chr. über die Länder um die Nordsee und die dort lebenden Völker. Die ostgermanischen Bastarnen drangen ab ca. 200 v. Chr. nach Südosten in das heutige Ostrumänien vor und wurden ab 179 v. Chr. in Kämpfe der Makedonen und anderer Völker auf dem Balkan verwickelt.
Der Marsch der Kimbern, Teutonen und Ambronen
Um 120 v. Chr. brechen Kimbern, Teutonen und Ambronen in Richtung Süden auf. Die Ursache ist nicht eindeutig geklärt: Die historischen Quellen berichten von einer Sturmflut in Jütland, aufgrund derer die Einwohner ihre Heimat verließen. Allerdings vermutet man heute, dass vielmehr Hungersnöte aufgrund klimatischer Veränderungen dafür verantwortlich waren.
Um 113 v. Chr. treffen die Germanenstämme auf die Römer. Bei der folgenden Schlacht (auch als Schlacht von Noreia bezeichnet) entgehen die Römer der völligen Vernichtung ihrer Truppen nur durch ein plötzlich einsetzendes Gewitter, welches die Germanen als ein warnendes Omen (Grollen) ihres Wettergottes Donar interpretieren.
Es kommt um 109 v. Chr., 107 v. Chr. und 105 v. Chr. noch weitere Male zu Kämpfen zwischen den Römern und den Germanen, bei denen die Römer jedes Mal eine Niederlage erleiden. Erst als sich die Stämme in zwei Gruppen aufteilen, gelingt es den Römern 102 v. Chr., die Teutonen und Ambronen zu besiegen, 101 v. Chr. die Kimbern.
Ausführlicher Beschreibung siehe auch Artikel Kimbern
Ariovist und Caesar
Der Durchbruch der Kimbern und Teutonen durch das damals noch keltische Mittelgebirge führt zur Erschütterung der keltischen Macht in Mittel- und Süddeutschland, so dass später auch andere Germanen, insbesondere Suebische Stämme, in Hessen und das Maingebiet eindringen können. Unter ihrem Führer Ariovist dringen sie auch in Gallien ein, werden jedoch durch Gaius Julius Caesar 58 v. Chr. geschlagen und hinter den Rhein zurückgeworfen.
Im 1. vorchristlichen Jahrhundert macht die römische Eroberung Galliens durch Caesar die Germanen zu direkten Nachbarn des Römischen Reiches. Dieser Kontakt führte in der darauffolgenden Zeit zu ständigen Konflikten: Immer wieder kommt es zu Übergriffen der Germanen auf die Römer. Im Gegenzug führt Caesar im Jahr 55 sowie 53 v. Chr. Strafexpeditionen gegen die Germanen durch. Allerdings erkennt Caesar den Rhein als Grenzlinie zwischen Germanen und Römern an.
Vorstoß des Augustus bis zur Elbe
Doch auch in der Folgezeit kommt die Rheingrenze nicht zur Ruhe. Der römische Kaiser Augustus beschließt deshalb die Verlagerung von Truppen an den Rhein, die bisher in Gallien stationiert waren. Die Rheingrenze bleibt dennoch unsicher.
Augustus ändert deshalb seine Taktik: Er beabsichtigt, das Römische Reich bis an die Elbe auszudehnen. Zwischen 12 und 9 v. Chr. führt Drusus, Stiefsohn von Augustus, mehrere Feldzüge gegen die Germanen durch und unterwirft die Friesen, Chauken, Brukterer, Marsen und Chatten. Trotz der Feldzüge des Drusus gerieten aber die wenigsten Germanenstämme wirklich in dauerhafte römische Abhängigkeit. Nachdem Drusus beim Rückzug bei einem Sturz von seinem Pferd stirbt, setzt sein Bruder Tiberius 8 v. Chr. die Feldzüge fort. Im Jahre 4 n. Chr. gelingt es ihm, die bis dahin aufständischen Cherusker zu unterwerfen. Nun galt Germanien bis zur Elbe als unterworfen, es wurden repräsentative römische Städte östlich des späteren Limes gegründet, beispielsweise im heutigen Waldgirmes in Hessen. Der lateinische Name dieser Siedlung ist sowenig bekannt, wie etwa die lateinischen Namen der Kastelle in Haltern, Anreppen oder Marktbreit am Main.
Ein letzter großer Feldzug im Jahre 6 n. Chr. sollte das Reich des Markomannenkönigs Marbod in Böhmen zerschlagen. Er war kein Gegner Roms, legte jedoch Wert auf seine Unabhängigkeit. Eine Zerschlagung seines Reiches wäre wahrscheinlich der Schlussstein der römischen Unterwerfung der Germanen gewesen. Von Mainz mainaufwärts und dem Raum Wien Richtung Nordwesten bewegten sich zwei große römische Marschsäulen. Doch die Operation musste wegen eines überraschenden, großen Aufstandes in Pannonien, dem heutigen Ungarn, abgebrochen werden. Dennoch galt Germanien bis zur Elbe weiterhin als römische Provinz.
Die Varusschlacht
Nachdem der Widerstand der Germanen gebrochen schien, wurde Publius Quinctilius Varus damit beauftragt, römisches Recht einzuführen und Steuern zu erheben. Als Statthalter war er dort gleichzeitig Oberbefehlshaber über die rheinischen Legionen. Varus, der sich zuvor in der römischen Provinz Syrien den Ruf eines brutalen und korrupten Verwaltungsfachmanns erworben hatte, brachte bald die Germanen gegen sich auf. Gegner der Besatzung ließ er mit aller Härte des römischen Rechts bestrafen. Die von ihm eingeführten Steuern wurden von den Germanen zudem als zutiefst ungerecht empfunden, die eine solche Abgabe nur für Unfreie kannten.
Unter diesen Umständen gelang es dem Cheruskerfürst Arminius, der die römischen Bürgerrechte und Ritterwürden besaß, mehrere germanische Stämme zu einen. Arminius nutzte das Vertrauen, das ihm Varus entgegenbrachte aus und lockte diesen in einen Hinterhalt. In der darauffolgenden Schlacht ("Varusschlacht" oder "Schlacht im Teutoburger Wald" genannt) verloren die Römer drei Legionen (etwa 25.000 Soldaten). Laut den Überlieferungen des Sueton soll Augustus daraufhin ausgerufen haben: "Quinctili Varus, legiones redde!" ("Quintilius Varus, gib mir die Legionen zurück!"). Der römische Eroberungsversuch scheiterte damit im Jahre 9 n. Chr. Germanien blieb danach bis zur Völkerwanderung von der römischen Kultur wenig beeinflusst.
Die Römisch-Germanischen Beziehungen nach der Varusschlacht
Unter Germanicus unternahmen die Römer zwischen 14 und 16 n. Chr. weitere Vorstöße über die Rheingrenze hinweg. Ob es sich dabei um Strafexpeditionen oder die Fortsetzung der römischen Expansionspläne handelte, ist umstritten.
In den Folgejahren kam es immer wieder zu kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Germanen und Römern: Im Jahr 29 schlugen die Römer einen Aufstand der bis dahin römerfreundlichen Friesen nieder. Im Jahr 69 mussten sogar Truppen aus Spanien und Britannien für Verstärkung sorgen, um die Revolte der Bataver (Bataveraufstand) unter Führung des Iulius Civilis niederzuschlagen.
Im Jahre 83 entschloss sich Kaiser Domitian, die römische Grenze zwischen Rhein und Donau weiter gegen Norden zu verschieben. Nach Beendigung der Chattenkriege begannen die Römer mit dem Bau des Limes, der im Süden durch die so genannte Sybillenspur, den Lautertal-Limes, mit dem Alblimes verbunden war, die Grenzen zwischen Germanien und dem römischen Reich zu sichern. Im selben Zeitraum entstanden die Provinzen Germania Superior (Obergermanien) und Germania Inferior (Untergermanien).
Neueste Forschungen (ab etwa 1995) deuten allerdings darauf hin, dass der Neckar-Odenwald-Limes nicht schon um 83/85 unter Domitian, sondern erst um das Jahr 98 unter Kaiser Trajan angelegt wurde. Vor allem fehlt bis heute auch nach über hundertjähriger Forschung ein zuverlässig datierter römischer Fund von der Neckar-Odenwald-Linie vor dem Jahre 98, sei es eine Inschrift, ein Militärdiplom oder ein dendrochronologisch datierbarer Holzfund. Außerdem passt der Neckar-Odenwald-Limes militärtechnisch zu anderen Anlagen aus der Zeit Kaiser Trajans, während für die Zeit Domitians ähnlich enge Parallelen fehlen.
Um das Jahr 122 wurde die römisch-germanische Grenze unter Kaiser Hadrian zwischen dem mittleren Neckar und der Donau bei Eining um etwa 20 bis 40 Kilometer nach Norden verschoben. Die letzte römische Expansion in Germanien, die Verschiebung des Neckar-Odenwald-Limes um rund 25 Kilometer nach Osten unter Kaiser Antoninus Pius, ist inzwischen recht sicher auf das Jahr 159 datierbar.
Die Markomannenkriege
Im 2. Jahrhundert n. Chr. fanden zwei entscheidende Veränderungen rechts des Rheins statt: Zum einen schlossen sich die zerstrittenen germanischen Stämme zu Großstämmen zusammen, zum anderen drückten die Germanen immer stärker gegen die römischen Grenzen.
167 fielen die Markomannen, Quaden, Langobarden, Vandalen, Jazygen und weitere Stämme in die römische Provinz Pannonien ein und lösten damit die Markomannenkriege (167 bis 180) aus. In insgesamt vier Feldzügen schlug der römische Kaiser Marc Aurel die Germanen vernichtend. Man vermutet, dass die Römer planten, zwei neue Provinzen einzurichten. Nach dem Tod Marc Aurels 180 kehrte sein Sohn Commodus jedoch wieder zur Defensivpolitik zurück und schloss Friedensverträge mit den Germanen.
Viele Historiker sehen die Markomannenkriege als die Vorboten der großen Völkerwanderung. Ausgelöst wurde der zunehmende Bevölkerungsdruck auf die römischen Grenzen durch die Wanderungen der Goten zum Schwarzen Meer und der Vandalen in Richtung Donau. Die Ursachen für diese aufkommende Wanderbewegung germanischer Stämme konnten bisher nicht geklärt werden, denkbar wären z.B. Hungersnöte.
Die germanischen Stämme
Versuche, die Germanenstämme, die zu dieser Zeit in Norddeutschland und Südskandinavien lebten, zu klassifizieren, führten zu Einteilungen in Nord-, West- und Ostgermanen oder auch Elb-, Wesergermanen.
Nordgermanen
Zu den Nordgermanen zählen die skandinavischen Stämme. Aus ihnen gingen später die Dänen, die Schweden, die Norweger und die Isländer hervor (siehe auch: Skandinavier). Archäologisch werden die Nordgermanen in die Ost- und Westnordische Gruppe aufgeteilt.
Westgermanen
Zu den Westgermanen zählen die:
- elbgermanischen Stämme (Sueben): Markomannen, Quaden, Hermunduren, Semnonen und Langobarden
- nordseegermanischen Stämme (bei Tacitus Ingaevonen): Chauken, Angeln, Warnen, Friesen, und Sachsen
- rheinwesergermanischen Stämme: Cherusker, Bataver, Brukterer, Chamaven, Chattuarier, Chatten, Ubier, Usipeter, Sigambrer, Angrivarier und Tenkterer (siehe auch Nordwestblock)
Ostgermanen
Zu den Ostgermanen südlich der Ostsee zählen ursprünglich die Goten, Vandalen, Burgunder, Heruler, Skiren, Bastarnen, Rugier, Gepiden und andere. Archäologisch werden die Ostgermanen in die folgenden Kulturgruppen eingeteilt: Przeworskkultur (im südlichen Polen), Wielbarkkultur (Willenbergkultur) oder Weichsel(mündungs)germanen(Weichselmündung) und die Odermündungsgruppe.
Durch den Einfall der Hunnen aus den Steppen Asiens und die verstärkte Ausbreitung der slawischen Völker aus der osteuropäischen Tiefebene wurden die Ostgermanen zunehmend gen Süden und Westen gedrängt, wo sie in Konflikt mit den dort ansässigen Stämmen gerieten.
Wirtschaft
Die Germanen waren hauptsächlich sesshafte Bauern und gingen, im Gegensatz zu einer weit verbreiteten Vorstellung, nur selten zur Jagd. Sie lebten hauptsächlich von der Eigenproduktion, aber neben der Landwirtschaft gab es auch Handwerker wie Schmiede, Töpfer und Tischler. Das Rad war bereits seit indoeuropäischer Zeit bekannt, es gab im Germanischen sogar zwei Worte dafür. Geld kannten die Germanen nicht, ihr Handel beschränkte sich auf reine Naturalienwirtschaft. Hauptwertgegenstand war wie bei den Römern das Vieh. Davon zeugt bis heute die Bedeutung des englischen Wortes fee = Gebühr (ursprünglich eben: Vieh!).
Nach neusten Erkenntnissen soll sich in der Nähe des heutigen Berlins bereits eine Art Hütten"industrie" entwickelt haben. Der dort produzierte Stahl soll von hoher Qualität gewesen sein und soll vor allem in das Römische Reich exportiert worden sein.
Gezüchtet wurden hauptsächlich Rinder, Schafe, Schweine und Ziegen sowie Pferde. Außerdem war den Germanen die Bienenzucht ebenso wie die Webkunst bekannt. Ebenfalls wussten die Germanen, wie Käse zubereitet wird. Die germanische Sprache kannte ein eigenes Wort für Weichkäse, das in den skandinavischen Sprachen im Wort "Ust" bzw. "Ost" (= Käse) fortlebt. Für Hartkäse entlehnten sie das lateinische Wort caseus (= Käse).
Obwohl der Pflug bereits seit etwa Christi Geburt bekannt war, setze er sich bei den Germanen nur langsam durch. Für die Ernährung war besonders die Gerste von großer Bedeutung. Die Äcker ließen sie regelmäßig brach liegen und sie wussten um den Nutzen der Düngung. Getreide wurde hauptsächlich in Form von Brei gegessen, Brot konnte sich bis ins Mittelalter nur die Oberschicht leisten.
Die Produktivität war wesentlich geringer als bei den Römern. Tacitus etwa berichtet: "Vieh gibt es reichlich, doch zumeist ist es unansehnlich. Selbst den Rindern fehlt die gewöhnliche Stattlichkeit und der Stirnschmuck" (Kapitel 5). Deshalb kam es oft zu Hungersnöten und viele Germanen litten an Unternährung, was zu einer deutlich verringerten Lebenserwartung führte. Es wird vermutet, dass dies eine der Hauptursachen der germanischen Wanderbewegungen ist (wie etwa der Zug der Kimbern und Teutonen), die schließlich mit der großen Völkerwanderung ihren Höhepunkt erreichte.
Mythologie
Siehe Artikel Germanische Mythologie.
Lebensweise der Germanen
Die Germanen wohnten in relativ kleinen Siedlungen. Aus den Bestattungsplätzen der Germanen schließen Archäologen, dass die Größe von Siedlungen bei etwa zweihundert Menschen lag. Die Siedlungen entwickelten sich selten planmäßig: Dort wo bereits ein Germane siedelte, kamen bald weitere hinzu. Ein Erbe dieser Siedlungsweise sind bis heute die so genannten Haufendörfer in Deutschland und anderen Ländern der germanischen Kulturkreises. Häufig wurden die Dörfer durch eine Art Zaun, selten durch eine richtige Palisade umgeben. Nur in den Grenzregionen zum Römischen Reich wurden mit Beginn der Feindseligkeiten und gegenseitigen Übergriffe die Dörfer mit Wällen oder Palisaden geschützt und bewacht.
Aus Ausgrabungen ist bekannt, dass die Germanen in Holzhäusern in Skelettbauweise wohnten. Da im Gegensatz zu Steinhäusern das Holz mit der Zeit verrottet, geben lediglich die archäologisch nachweisbaren Pfostenlöcher einen Aufschluss über den genauen Aufbau der Häuser. Die verbreitetste Art war das germanische Langhaus, das aufgrund seines Verhältnisses von Länge und Breite so bezeichnet wird. Unter seinem Dach beherbergte es sowohl die Familie als auch alle Halbfreien und Sklaven, als auch Tiere, die lediglich durch eine Wand getrennt waren. Dies hatte vor allem den Vorteil, dass die Tiere dazu beitrugen, das Haus in den kalten Wintermonaten mitzuheizen. Der Wohnraum besaß keine weiteren Trennwände, in seiner Mitte befand sich eine Feuerstelle. Der Rauch konnte über eine Öffnung im Dach abziehen, Fenster besaßen die germanischen Häuser nicht.
Staat und Gesellschaft
Die Germanen kannten kein Verwaltungsstaatswesen im römischen oder heutigen Sinne. Die Reiche der germanischen Stämme waren ähnlich dem Personenverbandsstaat organisiert. Die Staatsangehörigen schworen ihrem König Treue und waren damit an das Reich gebunden. Der Staat wurde nicht über eine räumliche Ausdehnung definiert, sondern über seine Menschen und deren Stellung zum Herrscher. Desshalb waren die Reiche stark mit dem jeweiligen König verbunden und der Tod des Königs bedeutete oft auch den Untergang des Reiches.
Die Gesellschaft war patriarchalisch organisiert und das Haus hatte eine besondere Stellung in ihr. Die Macht des Königs reichte nur bis zum Hausherrn aber alle im Haus lebenden unterstanden dem Hausherrn bedingungslos.
Darstellende Kunst
Schrift
Die Schrift wurde den Germanen erst relativ spät bekannt. Das einzig zusammenhängende schriftlich erhaltene Werk vor dem Ende der Völkerwanderung ist die Wulfilabibel aus dem 4. Jahrhundert. Da die Goten keine eigene Schrift besaßen, entwickelte Wulfila ein Alphabet, das sich aus griechischen, lateinischen und runischen Schriftzeichen zusammensetze.
Die Runen, die ab dem 2. Jahrhundert aufkamen, wurden hauptsächlich als magische Zeichen benutzt. Längere Schriften sind selten, häufig wurden Runen in Waffen (Lanzenspitzen, Schwerter) oder Fibeln geritzt.
Die schriftlichen Quellen über die Germanen gehen hauptsächlich auf römischen und griechischen Ursprung zurück, insbesondere auf Tacitus.
Mythen und Wahrheit
Im 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden die Germanen im deutschsprachigen Raum immer wieder als Übermenschen dargestellt und ihr idealisiertes Bild zu nationalistischen Zwecken missbraucht. Insbesondere der Nationalsozialismus bediente sich dieses Klischees über die Germanen in extremer Weise und erhob ihre Nachkommen, die sie als "Arier" bezeichneten, zur "Herrenrasse".
Die Darstellung der Germanen geht hauptsächlich auf antike Autoren wie Tacitus und Caesar zurück. Sie beschrieben die Germanen als blonde, blauäugige Riesen, die über fast übermenschliche Kräfte verfügten.
Durch Skelett- und Moorfunde lässt sich belegen, dass die Germanen tatsächlich größer als die Römer waren. Die rötlich-blonde Haarfarbe der Moorleichen entstand dagegen zumeist durch die Säuren des Moores.
Allerdings übertreiben die antiken Quelle teilweise: So zeigen die gefundenen Skelette, dass die Germanen zwar größer als die Römer waren, diese aber durchschnittlich nur um ungefähr einen Kopf überragten. Auch kräftemäßig waren sie den Römern offenbar überlegen. Sehr gut erhaltene Moorleichen bestätigen aber auch eine Vermutung des Tacitus: Ihr Durchhaltevermögen war geringer, bei längeren Kämpfen siegte manchmal die Erschöpfung über den Kampfeswillen.
Der Gesundheitszustand der Germanen war oft schlecht: Gelenkerkrankungen und Bandscheibenschäden waren bei den Germanen sehr verbreitet.
Die antiken Autoren sind sich einig, dass sich die Germanen häufig dem Alkoholgenuss hingaben. Die verbreitetsten Getränke waren Met und Bier. Hohe Festtage begingen die Germanen häufig mit einem Gelage. Selbst die Götter, so glaubten sie, würden sich dem Alkoholgenuss hingeben. So bemerkt schon Tacitus in seiner Germania:
- Als Getränk dient ein Saft aus Gerste oder Weizen, der durch Gärung eine gewisse Ähnlichkeit mit Wein erhält...
und bezogen auf den hohen Alkoholkonsum:
- Wollte man ihnen, ihrer Trunksucht nachgehend, verschaffen, soviel sie wollen, so könnte man sie leichter durch ihr Laster als mit Waffen besiegen.
Reichsgründungen
In der Zeit der Völkerwanderung gründeten unterschiedliche Germanenstämme Reiche in Frankreich, Italien und Spanien, und wanderten auch nach Britannien. Auf dem europäischen Festland ging aus diesen Reichen später das Frankenreich hervor.
Hieraus entstand dann das erste Reich auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands, das Ostfrankenreich und später das Heilige Römische Reich, dessen ostwärtige Expansion die Westbewegung der Völkerwanderungszeit umkehrte.
Literatur
- Publius Cornelius Tacitus Germania (De origine et situ Germanorum liber), Stutgart: RECLAM, 2000, Lateinisch/Deutsch ISBN 3-15-009391-0; RECLAMS UNIVERSA-BIBLIOTHEK Nr. 9391 Deutsche Übersetzung Eine Deutsche Übersetzung von Germania (De origine et situ Germanorum liber), jedoch fehlt das nachwort von RECLAM BUCH
- Heinrich Beck/Dieter Geuenich/Heiko Steuer/Dietrich Hakelberg (Hrsg.): Zur Geschichte der Gleichung "germanisch-deutsch". Sprache und Namen, Geschichte und Institutionen. Ergänzungsbände zum Reallexikon der germanischen Altertumskunde 34, Berlin u.a., 2004. ISBN 3110175363. Inhaltsverzeichnis, Rezension von Gregor Hufenreuter in H-Soz-u-Kult, 22.07.2004.
- Hepp, Armin E.: Licht von Mitternacht - Auf den Spuren deutscher Vergangenheit"; Tübingen: Grabert; 1979
- Döbler, Hannsferdinand: Die Germanen. Legende und Wirklichkeit von A–Z. Lexikon zur europäischen Frühgeschichte, München: Orbis, 2000. ISBN 3-572-01157-4 (Hierbei handelt es sich um eine Neuauflage des Buches von 1975. Das Buch entspricht in vielen Fällen nicht mehr dem aktuellen Forschungsstand.)
- Rudolf Simek: Götter und Kulte der Germanen. Beck'sche Reihe 2335, München, 2004.
- Frühe Völker Europas. Thraker, Illyrer, Kelten, Germanen, Etrusker, Italiker, Griechen, Stuttgart, 2003. ISBN 3806217580.
- Maureen Carroll-Spillecke: Römer, Kelten und Germanen. Leben in den germanischen Provinzen Roms, Darmstadt, 2003. ISBN 3534174267.
- Uta von Freeden / Siegmar von Schnurbein (Hrsg.): Spuren der Jahrtausende. Archäologie und Geschichte in Deutschland, Stuttgart, 2002. ISBN 3-8062-1337-2
- Wilfried Menghin / Dieter Planck (Hrsg.): Menschen, Zeiten, Räume. Archäologie in Deutschland, Stuttgart, 2002. ISBN 3886094677.
- Walter Pohl: Die Germanen. Enzyklopädie deutscher Geschichte Bd. 57, München: Oldenbourg, 2000. ISBN 348655705X. (weitere Arbeiten des Autors zu diesem Thema)
- Allan A. Lund: Die ersten Germanen. Ethnizität und Ethnogenese, Heidelberg, 1998. ISBN 3825306852.
- Germanen, Germania, germanische Altertumskunde. Studienausgabe des Artikels aus dem Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, Berlin/ New York, 1998. ISBN 3110163837.
- Krierer, Karl R.: Antike Germanenbilder, Archäologische Forschungen 11, Denkschr. phil.-hist. Kl. 318, Wien: Österreichische Akademie der Wissenschaften, 2004. ISBN 3-7001-3239-5. [1]
Weblinks
- Tacitus: Germania - über die Herkunft und Lage der Germanen
- Porta praehistorica et antiqua Diskussionsforum für Fragen zur Lebensweise, Kleidung, Ernährung und Kultur der Menschen in der Ur- und Frühgeschichte und der Antike.
- Germanen - Blonde Bestien oder nette Naturburschen? Welt der Wunder Special zum Thema Germanen
- Germanen: Unterwegs zu höherer Zivilisation von Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG, 2001
- Umfangreiche Darstellung der Germanen
- Planet Wissen: Römer und Germanen Zusammenfassung der Sendung
- ZDF Mediathek: Völkerwanderung - Sturm über Europa
- http://www.oeaw.ac.at/gema/gb.htm - Germanen-Bibliographie
- Germanen - Die Erben Roms
- Die Germanen - eine Einführung Umfangreicher, wissenschaftlich fundierter Artikel von heidenmacht.de
Siehe auch
Liste der germanischen Stämme, Deutsche Stämme, Germanische Religion, Thing