Evaneszenz

Phänomen, dass Wellen in ein Material, in dem sie sich nicht ausbreiten können, eindringen und unter dessen Oberfläche exponentiell abklingen
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Evaneszente Wellen (von lateinisch evanescere: verschwinden, sich verflüchtigen) sind in der Optik und in der Akustik, z. B. in Rohren oder anderen Leitungen, bekannt.

Evaneszente Welle in der internen Totalreflexionsfluoreszenzmikroskopie

Allgemeine Beschreibung

 
Evaneszente Felder hinter der Grenzfläche bei Totalreflexion. Gelb eingezeichnet sind die Ausbreitungsrichtungen der Wellen.

Trifft eine Welle auf ein Medium, in dem sie sich nicht ausbreiten kann, so fällt ihre Amplitude hinter der Grenzfläche nicht unstetig auf Null, sondern klingt von der Grenzfläche an exponentiell ab, ihr Wellenvektor   ist also komplex. Eine solche Welle heißt evaneszent. Dieser Effekt lässt sich nur wellenmechanisch erklären.

In der Quantenmechanik führt dies dazu, dass sich Teilchen in einem klassisch verbotenen Bereich aufhalten können, da in ihm die Aufenthaltswahrscheinlichkeiten (als Wahrscheinlichkeitsinterpretation einer Wellenmechanik) exponentiell absinken, aber noch vorhanden sind. Dies ermöglicht zum Beispiel den Tunneleffekt.

Evaneszente Wellen treten z. B. in oder hinter Flächen auf, an denen Wellen reflektiert werden. Da keine Energie wegtransportiert wird, gilt dies auch bei vollständiger Reflexion und Totalreflexion an einer Grenzfläche zweier Medien.

Herleitung im Wellenbild mit

An der Grenzfläche, hinter der das evaneszente Feld auftritt, gelten die Stetigkeitsbedingungen für die Tangentialkomponenten des E-Feldes:[1]

 
 

Dabei bezeichnet der Index e die einfallende, der Index r die reflektierte und der Index t den transmittierten  -Vektor. Ebenso sind im Folgenden die Brechungsindizes der Medien beidseitig der Grenzfläche mit den Indizes der zugehörigen Wellenvektoren bezeichnet. Die Grenzfläche sei in der  -Ebene angesiedelt und beschrieben durch  . Es wird hier also ein 2D-Problem behandelt.

Berechnet man das Skalarprodukt in den obigen Stetigkeitsbedingungen und setzt für die  -Komponente des  -Vektors   ein, so ergibt sich, dass die Komponenten tangential zur Grenzfläche (in  -Richtung) bei allen drei Wellenvektoren gleich sind.

 

Die  -Komponente des  -Vektors lässt sich auch mit dem Einfallswinkel   beschreiben, der vom Lot auf die Grenzfläche aus gemessen wird. Der Betrag des Vektors wird durch die Dispersionsrelation beschrieben.

 

Das gleiche gilt für den  -Vektor der transmittierten Welle:

 

Stellt man diese Gleichung nach   um und setzt für   den oben hergeleiteten Ausdruck für   ein, erhält man

 

Der erste Faktor in diesem Produkt ist positiv. Der zweite Faktor wird jedoch negativ, weil der Einfallswinkel   größer ist als der Grenzwinkel der Totalreflexion. Damit wird   imaginär.

 

Nun setzt man für den transmittierten Strahl eine ebene Welle mit Amplitude   an der Grenzfläche an:

Fehler beim Parsen (SVG (MathML kann über ein Browser-Plugin aktiviert werden): Ungültige Antwort („Math extension cannot connect to Restbase.“) von Server „http://localhost:6011/de.wikipedia.org/v1/“:): {\displaystyle \vec{E}_t=\vec{A}e^{-\imath \vec{k}\cdot\vec{r}-i\omega t}=\vec{A}e^{-\beta y}e^{\imath k_{t,x}x-i\omega t}}

Der Term mit   im Exponenten beschreibt den exponentiellen Abfall der Amplitude , je weiter die evaneszente Welle in  -Richtung fortschreitet. Aus   lässt sich auch explizit berechnen, wie stark die Amplitude der evaneszenten Welle in einem bestimmten Abstand hinter der Grenzfläche bereits abgefallen ist. Zur Orientierung bietet sich hier die Eindringtiefe an, nach der die Amplitde der Welle auf   abgefallen ist.

 

Man beachte, dass es sich hierbei um einen Abfall der Amplitude handelt, nicht um die Intensität, also das Betragsquadrat der Amplitude.

Nachweis durch verhinderte Totalreflexion

 
Aufgrund Auskoppelung evaneszenter Felder verhinderte Totalreflexion im Prisma

Bringt man zwei Glasprismen sehr nahe zusammen (siehe Abbildung), kann man Licht messen, wo keines sein dürfte, nämlich hinter dem zweiten Prisma (transmittierter Lichtstrahl). Aufgrund des evaneszenten Feldes hinter dem ersten Prisma kann aber trotzdem Licht transmittiert werden, falls das zweite Prisma in das evaneszente Feld eintaucht. Die Intensität sinkt exponentiell mit dem Abstand der Prismen. Diesen Effekt nennt man verhinderte oder gestörte Totalreflexion (englisch frustrated internal total reflection, FITR), da eigentlich alles Licht nach oben reflektiert werden müsste. Dies ähnelt dem endlich hohen Potentialtopf in der Quantenmechanik, wo die Wellenfunktion im verbotenen Bereich exponentiell abklingt. Daher ist dieser Effekt auch als optischer Tunneleffekt bekannt. Bei speziellen Strahlteilern wird der beschriebene Effekt ausgenutzt, wobei durch den Abstand der Prismen das Verhältnis der Intensitäten zwischen transmittiertem und reflektiertem Strahl sehr genau eingestellt werden kann.

Der Effekt der gestörten Totalreflexion wird bei der ATR-Spektroskopie ausgenutzt, um Verunreinigungen und Fehler von Oberflächen und dünnen Schichten sichtbar zu machen (siehe auch: Evanescent Wave Scattering). Auch die optische Nahfeldmikroskopie und die interne Totalreflexionsfluoreszenzmikroskopie (TIRF) nutzten evaneszente Wellen.

In Lichtwellenleitern befinden sich evaneszente Wellen im niedrigbrechenden Mantel (englisch cladding) der Faser. Der Mantel verhindert einen Strahlungsaustritt aus dem Faserkern, indem er verhindert, dass sich Schmutz oder Wasser dem evaneszenten Feld um den Kern nähern und so die Totalreflexion stören können.

Die aus Lochblech bestehende Tür von Mikrowellenherden muss durch eine zusätzliche Scheibe geschützt werden, da die Mikrowellen (Wellenlänge im Zentimeterbereich) im Ofeninneren zwar nicht durch die Tür gelangen können, jedoch unmittelbar hinter den Löchern evaneszente Felder erzeugen, die bei Annäherung z. B. eines Fingers zur Auskoppelung von Mikrowellen führen würden.

Einzelnachweise

  1. Eugene Hecht: Optik. 4. Auflage. Oldenburg Verlag, München/Wien 2005, ISBN 3-486-27359-0, S. 212–213.