Existentialismus

philosophische Richtung, die im Zentrum ihres Denkens die Existenz des Menschen im weitesten Sinne hat
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Mit Existenzialismus bezeichnet man im allgemeinen Sinne die französische philosophische Strömung der Existenzphilosophie. Im engeren Sinne wird hiermit die Formulierung der Existenzphilosophie Jean Paul Sartres verstanden, sowie Strömungen aus Literatur (Kafka, Rilke, Camus, Sartre), Theologie (Bultmann) und Pädagogik (Bollnow) die sich des Existenzmotivs bedienen. Da dieser Begriff häufig äquivok benutz wird, findet sich dieser Begriff auch als Bezeichnung für eine allgemeine Geisteshaltung, die den Menschen als Existenz im Sinne der Existenzphilosophie auffasst.

Albert Camus gilt als einer der wichtigsten Vertreter des französischen Existentialismus

Als Hauptbegründer des Existenzialismus in dem oben genannten Sinne gilt Jean Paul Sartre. Als Hauptvertreter des französischen Existenzialismus gelten neben Jean-Paul Sartre und Albert Camus, Simone de Beauvoir und Gabriel Marcel.

Philosophie

Eine der bekanntesten und vielleicht einflussreichsten existentialistischen Äußerungen, die jedoch sinngemäß schon bei Schelling nachgewiesen werden kann, ist die Aussage Sartres, "Die Existenz geht der Essenz (dem Wesen) voraus", aus der Schrift Ist der Existenzialismus ein Humanismus.

Thematisch angenüpft wird hier an die Wesensbestimmung (Essenz) des Menschen in der Philosophie. Durch die Bestimmung des Menschen als biologisches Wesen, als göttliches Wesen, als Vernunftwesen etc., erhält der Mensch vor seiner Existenz zunächst schon eine Bedeutung, eben vernünftig, biologisch, gottähnlich. Der Existentialismus kritisiert diese, der Existenz vorgängige Sinnbestimmung und setzt ihr die Existenz entgegen: der Mensch ist als Mensch nicht zu erfassen, wenn nicht je von seiner eigenen individuellen Existenz ausgegangen wird. Jede Wesenbestimmung enthält, so die Kritik des Existenzialismus, immer schon einen Theoriaspekt, der sich nicht aus einer unmittelbaren Erfahrung der Existenz speist, sondern der Existenz "nachrangig" gebildet wird.

Hieraus erkärt sich auch die Fokussierung des Existenzialismus auf die Themen Angst, Tod, Freiheit, Verantwortung und Handeln als elementar menschliche Erfahrungen. Der Mensch versteht sich selber nur im Erleben seiner selbst. Demnach bezieht sich der Existenzialmus nicht mehr auf eine göttliche oder kosmologische oder quasigöttliche Ordnung, sondern entwickelt seine Theorie vom Einzelnen aus. Zwar wird dadurch eine religiöse Grundhaltung nicht abgelehnt, auch wenn dies häufig durch die Schriften Sartres intendiert wird, Glaube wird vielmehr selber zum existentiellen Erleben.

In den Begriffen Geworfenheit, Selbstentwurf, Freiheit, Selbstbestimmung zeigt sich die Zentrierung des Existenzialismus auf das Problem der Befreihung des Menschen zu seinen eigenen Möglichkeiten hin. Die Notwendigkeit diese Möglichkeit zu sein, zeigt sich in den Erfahrungen der Absurdität, Ekel, Angst, Sorge, Tod, Langeweile und zeigt eindrucksvoll auf, dass gerade dieses subjektive Empfinden das Leben des Menschen bestimmt, Objektivitätsansprüche vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen verblassen.

Sartres Philosophie

"Der atheistische Existentialismus, für den ich stehe, ist zusammenhängender. Er erklärt, dass, wenn Gott nicht existiert, es mindestens ein Wesen gibt, bei dem die Existenz der Essenz vorausgeht, ein Wesen, das existiert, bevor es durch irgendeinen Begriff definiert werden kann, und dass dieses Wesen der Mensch oder, wie Heidegger sagt, die menschliche Wirklichkeit ist. Was bedeutet hier, dass die Existenz der Essenz vorausgeht? Es bedeutet, dass der Mensch zuerst existiert, sich begegnet, in der Welt auftaucht und sich danach definiert.

Wenn der Mensch, so wie ihn der Existentialist begreift, nicht definierbar ist, so darum, weil er anfangs überhaupt nichts ist. Er wird erst in der weiteren Folge sein, und er wird so sein, wie er sich geschaffen haben wird. Also gibt es keine menschliche Natur, da es keinen Gott gibt, um sie zu entwerfen. Der Mensch ist lediglich so, wie er sich konzipiert - ja nicht allein so, sondern wie er sich will und wie er sich nach der Existenz konzipiert, wie er sich will nach diesem Sichschwingen auf die Existenz hin; der Mensch ist nichts anderes als wozu er sich macht. Das ist der erste Grundsatz des Existentialismus. Das ist es auch, was man die Subjektivität nennt und was man uns unter eben diesem Namen zu Vorwurf macht. Aber was wollen wir denn damit anderes sagen, als dass der Mensch eine größere Würde hat als der Stein oder der Tisch? Denn wir wollen sagen, dass der Mensch zuerst existiert, das heißt, dass er zuerst ist, was sich in eine Zukunft hinwirft und was sich bewusst ist, sich in der Zukunft zu planen.

Der Entwurf Der Mensch ist zuerst ein Entwurf, der sich subjektiv lebt, anstatt nur ein Schaum zu sein oder eine Fäulnis oder ein Blumenkohl; nichts existiert diesem Entwurf vorweg, nichts ist im Himmel, und der Mensch wird zuerst dasein, was er zu sein geplant hat, nicht was er sein wollen wird. Denn was wir gewöhnlich unter Wollen verstehen, ist eine bewusste Entscheidung,die für die meisten unter uns dem nachfolgt, wozu er sich selbst gemacht hat. Ich kann mich einer Partei anschließen wollen, ein Buch schreiben, mich verheiraten, alles das ist nur Kundmachung einer ursprünglicheren, spontaneren Wahl als was man Willen nennt.

Der Mensch ist voll und ganz verantwortlich. Aber wenn wirklich die Existenz der Essenz vorausgeht, so ist der Mensch verantwortlich für das, was er ist. Somit ist der erste Schritt des Existentialismus, jeden Menschen in Besitz dessen, was er ist, zu bringen und auf ihm die gänzliche Verantwortung für seine Existenz ruhen zu lassen. Und wenn wir sagen, dass der Mensch für sich selber verantwortlich ist, so wollen wir nicht sagen, dass der Mensch gerade eben nur für seine Individualität verantwortlich ist, sondern dass er verantwortlich ist für alle Menschen... Aber damit wollen wir ebenfalls sagen, dass, indem er sich wählt, er alle Menschen wählt. Tatsächlich gibt es nicht eine unserer Handlungen, die indem sie den Menschen schafft, der wir sein wollen, nicht gleichzeitig ein Bild des Menschen schafft, so wie wir meinen, dass er sein soll. Wählen, dies oder jenes zu sein, heißt gleichzeitig, den Wert dessen, was wir wählen, bejahen, denn wir können nie das Schlechte wählen. Was wir wählen, ist immer das Gute, und nichts kann für uns gut sein, wenn es nicht gut für alle ist.

Der Mensch, der sich bindet und der sich Rechenschaft gibt, dass er nicht nur der ist, den er wählt, sondern außerdem ein Gesetzgeber, der gleichzeitig mit sich die ganze Menschheit wählt, kann dem Gefühl seiner vollen und tiefen Verantwortlichkeit schwerlich entrinnen.

Dostojewski hatte geschrieben:„ Wenn Gott nicht existierte, so wäre alles erlaubt." Das ist der Ausgangspunkt des Existentialismus. In der Tat, alles ist erlaubt, wenn Gott nicht existiert, und demzufolge ist der Mensch verlassen, da er weder in sich noch außerhalb seiner eine Möglichkeit findet, sich anzuklammern. Vor allem findet er keine Entschuldigungen. Geht tatsächlich die Existenz der Essenz voraus, so kann man nie durch Bezugnahme auf eine gegebene und feststehende menschliche Natur Erklärungen geben; anders gesagt, es gibt keine Vorausbestimmung mehr, der Mensch ist frei, der Mensch ist Freiheit. Wenn wiederum Gott nicht existiert, so finden wir uns keinen Werten, keinen Geboten gegenüber, die unser Betragen rechtfertigen. So haben wir weder hinter uns noch vor uns, im Lichtreich der Werte, Rechtfertigungen oder Entschuldigungen. Wir sind allein, ohne Entschuldigungen. Das ist es, was ich durch die Worte ausdrücken will: Der Mensch ist verurteilt, frei zu sein. Verurteilt, weil er sich nicht selbst erschaffen hat, anderweit aber dennoch frei, da er, einmal in die Welt geworfen, für alles verantwortlich ist, was er tut. Der Existentialist glaubt nicht an die Macht der Leidenschaft. Er wird nie denken, dass eine schöne Leidenschaft ein verwüstender Wildbach ist, der den Menschen unvermeidlich zu gewissen Taten führt und der deshalb eine Entschuldigung ist. Er denkt, der Mensch sei für seine Leidenschaft verantwortlich... Er denkt also, dass der Mensch ohne irgendeine Stütze und ohne irgendeine Hilfe in jedem Augenblick verurteilt ist, den Menschen zu erfinden. Der Existentialismus ist nichts anderes als eine Bemühung, alle Folgerungen aus einer zusammenhängenden atheistischen Einstellung zu ziehen. Er versucht keineswegs, den Menschen in Verzweiflung zu stürzen. Aber wenn man, wie die Christen, jede Haltung des Unglaubens Verzweiflung nennet, so geht der Existentialismus von der Urverzweiflung aus. Der Existentialismus ist mithin nicht ein Atheismus im Sinne, dass er sich erschöpfte in dem Beweis, Gott existiere nicht. Eher erklärt er: Selbst wenn es einen Gott gäbe, würde das nichts ändern; das ist unser Standpunkt. Nicht, als ob wir glaubten, dass Gott existiert, aber wir denken, dass die Frage nicht die seiner Existenz ist; der Mensch muss sich selbst wieder finden und sich überzeugen, dass ihn nichts vor ihm selber retten kann, wäre es auch ein gültiger Beweis der Existenz Gottes. In diesem Sinne ist der Existentialismus ein Optimismus, eine Lehre der Tat, und nur aus Böswilligkeit können die Christen, ihre eigene Verzweiflung mit der unsern verwechselnd, uns zu Verzweifelten stempeln." (Jean-Paul Sartre)

Einige Aphorismen und Sprüche mit existenzialistischen Zügen

Max Stirner:

  • Was soll nicht alles Meine Sache sein! Vor allem die gute Sache, dann die Sache Gottes, die Sache der Menschheit, der Wahrheit, der Freiheit, der Humanität, der Gerechtigkeit; ferner die Sache Meines Volkes, Meines Fürsten, Meines Vaterlandes; endlich gar die Sache des Geistes und tausend andere Sachen. Nur Meine Sache soll niemals Meine Sache sein. „Pfui über den Egoisten, der nur an sich denkt!"
  • Ich brauche gar nicht an jedem, der seine Sache Uns zuschieben möchte, zu zeigen, dass es ihm nur um sich, nicht um Uns, nur um sein Wohl, nicht um das Unsere zu tun ist. Seht Euch die Übrigen nur an. Begehrt die Wahrheit, die Freiheit, die Humanität, die Gerechtigkeit etwas anderes, als dass Ihr Euch enthusiasmiert und ihnen dient?
  • ...Und an diesen glänzenden Beispielen wollt Ihr nicht lernen, dass der Egoist am besten fährt? Ich Meinesteils nehme Mir eine Lehre daran und will, statt jenen großen Egoisten ferner uneigennützig zu dienen, lieber selber der Egoist sein.
  • Gott und die Menschheit haben ihre Sache auf Nichts gestellt, auf nichts als auf Sich. Stelle Ich denn meine Sache gleichfalls auf Mich, der Ich so gut wie Gott das Nichts von allem Andern, der Ich mein Alles, der Ich der Einzige bin.
  • Hat Gott, hat die Menschheit, wie Ihr versichert, Gehalt genug in sich, um sich Alles in Allem zu sein: so spüre Ich, dass es Mir noch weit weniger daran fehlen wird, und das Ich über meine "Leerheit" keine Klage zu führen haben werde. Ich bin [nicht] Nichts im Sinne der Leerheit, sondern das schöpferische Nichts, das Nichts, aus welchem Ich selbst als Schöpfer Alles schaffe.

Friedrich Nietzsche:

  • Wie? Ein großer Mann? Ich sehe immer nur den Schauspieler seines eignen Ideals.
  • Es gibt gar keine moralischen Phänomene, sondern nur eine moralische Ausdeutung von Phänomenen...
  • Man liebt zuletzt seine Begierde, und nicht das Begehrte.
  • Über das, was »Wahrhaftigkeit« ist, war vielleicht noch niemand wahrhaftig genug.
  • Wer sich zum Schauen und nicht zum Glauben vorherbestimmt fühlt, dem sind alle Gläubigen zu lärmend und zudringlich: er erwehrt sich ihrer.
  • »Die Erkenntnis um ihrer selbst willen« - das ist der letzte Fallstrick, den die Moral legt: damit verwickelt man sich noch einmal völlig in sie.
  • Heute möchte sich ein Erkennender leicht als Tierwerdung Gottes fühlen.
  • Die Gefahr im Glücke. - »Nun gereicht mir alles zum besten, nunmehr liebe ich jedes Schicksal - wer hat Lust, mein Schicksal zu sein?«
  • Und nun schämt sich euer Geist, dass er euren Eingeweiden zu Willen ist und geht vor seiner Scham Schleich- und Lügenwege.

Jean-Paul Sartre:

  • Existieren, das ist dasein, ganz einfach; die Existierenden erscheinen, lassen sich antreffen, aber man kann sie nicht ableiten
  • Denn die dialektische Totalisierung muss die Handlungen, die Leidenschaften, die Arbeit und die Bedürfnisse ebenso wie die ökonomischen Kategorien umfassen, sie muss gleichzeitig den Handelnden wie das Ereignis in den historischen Komplex einordnen, ihn im Verhältnis zur Richtung des Werdens definieren und genauestens den Sinn der Gegenwart bestimmen.
  • Wenn die Existenz dem Wesen vorausgeht, das heißt, wenn die Tatsache, dass wir existieren, uns nicht von der Notwendigkeit entlastet, uns unser Wesen erst durch unser Handeln zu schaffen, dann sind wir damit, solange wir leben, zur Freiheit verurteilt...
  • Das "Paradoxe unserer historischen Situation" bestehe darin, dass "unsere Freiheit heute [...] lediglich der freie Entschluss, die Freiheit zu erkämpfen", sei.
  • Der Marxismus wird zu einer unmenschlichen Anthropologie degenerieren, wenn er nicht den Menschen als seine Grundlage reintegriert
  • ... es gibt keine Auswege zu wählen. Ein Ausweg, der wird erfunden
  • Nicht die "Härte einer Situation und die von ihr auferlegten Leiden" sind Motive "dafür, dass man sich einen andern Zustand der Dinge denkt, bei dem es aller Welt besser ginge; im Gegenteil, von dem Tag an, da man sich einen anderen Zustand denken kann, fällt ein neues Licht auf unsere Mühsale und Leiden und entscheiden wir, dass sie unerträglich sind.

Kritik

Als bekannteste Kritiker des Existenzialismus gelten Theodor Adorno und Roger Scruton. Letzterer wirft Sartre und Anderen Inkonsequenz vor, sie sprächen davon dass es keine Moral gäbe und trotzdem deuten ebendiese einige ihrer Sichtweisen moralisch aus.

Bekannte Vertreter

Autoren

Philosophen

Psychologen

Regisseure

Theologen

Siehe auch