Künstlerbuch
Künstlerbücher sind eigenständige Kunstwerke. Sie können als Originalarbeit von Künstlerhand geschaffen werden oder nach der Idee des Multiples in autorisierten Auflagen erscheinen.
Das Aufkommen der Künstlerbücher
Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts beginnen die Künstler der verschiedenen Kunstströmungen mit dem Medium Buch zu experimentieren. Sie entziehen dem Buch den Informationsgehalt und berauben es somit seiner Funktion. Das Künstlerbuch berichtet nicht mehr über Kunst, sondern wird selbst zum künstlerischen Ausdrucksmittel.
Egal, ob in kleiner nummerierter Auflage oder als Industrieprodukt in großer Serie entstehen Konzeptbücher, Objektbücher, Collagen, Leporellos, Schriftrollen, Hefte, Loseblattsammlungen, intermediale Schachteln, Multiples, Objekte aus verschiedensten Materialien oder was auch immer der Künstler als Buch definieren will. Die Form des Kodex als traditionelle Erscheinungsform des Buches, wird von den Künstlern dabei variiert oder in Frage gestellt.
Gerade die vielfältigen Möglichkeiten, in denen ein Buch erscheinen kann, sowie das Interaktive, also das in die Hand nehmen und Blättern, lassen den Umgang mit Künstlerbüchern zur intensiven Erfahrung werden.
Die Theorie
Der mexikanische Künstler und Schriftsteller Ulises Carrión hat 1975 erstmals in einem Essay "die neue kunst des büchermaches" definiert. In mehreren Kapiteln legt er statementhaft dar, "was ein buch ist" wobei er näher auf die Rolle von "prosa und dichtung", "raum", "sprache", "strukturen" und "das lesen" eingeht. Ursprünglich hat er den Essay in spanisch geschrieben (publiziert in Plural No. 41 in Mexico City). In leicht verkürzter Form ist er 1975 in Kontexts No 6/7 in Amsterdam auf Englisch erschienen. Eine deutsche Übersetzung (von Hubert Kretschmer) wurde erstmals in der Frankfurter Kunstzeitschrift Wolkenkratzer im Oktober 1982 (Heft 3/82) publiziert. Die englische [1] und deutsche [2] Version des Essays befinden sich auf der Webseite des "Archivs für künstlerische Bücher und mehr"[3].
Die Protagonisten
Zu den Protagonisten der Künstlerbücher zählen
- die Konzeptkünstler John Baldessari, Daniel Buren, Jochen Gerz, Gilbert & George, Joseph Kosuth, Sol Lewitt, Richard Long, Edward Ruscha, Timm Ulrichs oder Lawrence Weiner;
- die Künstler der Pop art, z.B. Jim Dine, Allen Jones, Eduardo Paolozzi, Lucas Samaras, Claes Oldenburg oder Andy Warhol;
- die rund um den Kunstkritiker Pierre Restany gruppierten Noveaux Realistes, insbesondere Christo, Niki de Saint-Phalle und Daniel Spoerri;
- die Fluxus-Künstler Joseph Beuys, George Brecht, Robert Filliou, Al Hansen, Dick Higgins, Allan Kaprow, Milan Knizak, Jackson Maclow, Ben Vautier, Wolf Vostell oder Emmett Williams
und viele Künstler anderer Kunstströmungen und nicht so einfach einzuordnende Einzelgänger wie Marcel Broodthaers, Ulises Carrión und Dieter Roth.
Abgrenzung zu Malerbüchern
Abzugrenzen vom Künstlerbuch sind von Künstlern illustrierte Bücher, sog. Malerbücher aber auch Handpressendrucke, z.B. die von Friedensreich Hundertwasser und Salvador Dalí illustrierte Bibel, die von David Hockney mit vorzüglichen Radierungen illustrierten Six Fairy Tales der Brüder Grimm oder das von Walasse Ting herausgegebene Werk 1¢-Life. Auch Malerbücher, z.B. das mit farbenfrohen Scherenschnitten gestaltete Malerbuch Jazz von Henri Matisse werden nicht zu den Künstlerbüchern gezählt.
Künstlerbücher werden oftmals von einem Künstler konzipiert und hergestellt, der der Konzeptkunst zuzuordnen ist.
Sammlungen
Da Künstlerbücher häufig nicht in das normale Schema von wissenschaftlichen Bibliotheken passen, sich also meist gegen eine ordentliche Registrierung sperren, haben sich einige Museen und Bibliotheken auf das Sammeln künstlerischer Bücher spezialisiert. Europaweit am bekanntesten ist das Archive for Small Press & Communication, das 1999 in den Besitz des Neuen Museum Weserburg Bremen übergegangen ist. Ferner finden sich Künstlerbücher-Sammlungen in der Universitäts-Bibliothek Oldenburg [4], in der Universitätsbibliothek der Universität für angewandte Kunst in Wien, in der Staatsgalerie Stuttgart, hier besonders das Archiv Sohm [5], in der Brandenburgische Kunstsammlungen Cottbus im Kunstmuseum Cottbus [6], der Bayerischen Staatsbibliothek in München und in der Staats- und Universitätsbibliothek Dresden [7].
Weblinks
Eine umfangreiche Linksammlung zum Thema Künstlerbücher bietet das Archiv für künstlerische Bücher an [8] sowie das Portal für Künstlerbücher [9].
Literatur
- Sabine Röder, Hrsg.: Sand in der Vaseline, Künstlerbücher II - 1980-2002, Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln 2002
- Gabriele Koller / Martin Zeiller: Künstlerbücher / Artist's Books, zwischen Werk und Statement. Universität für angewandte Kunst Wien, Wien 2001
- Guy Schraenen, Hrsg.: out of print, An archive as artist concept, Neues Museum Weserburg, Bremen 2001
- Katja Deinert: Künstlerbücher. Historische, systematische und didaktische Aspekte, Verlag Dr. Kovac, Hamburg 1995;
- Eva Meyer-Hermann, Hrsg.: Künstlerbücher I, Krefelder Kunstmuseum, Krefeld 1993
- John Goodwin, Hrsg.: Books by Artists, Printed Matter bookstore at Dia, New York 1992
- Béatrice Hernad und Karin v. Maur: Papiergesänge. Buchkunst im Zwanzigsten Jahrhundert. Künstlerbücher, Malerbücher und Pressendrucke aus den Sammlungen Bayerische Staatsbibliothek München, Prestel, München 1992
- Visible Language, Volume 25 2/3: The Artist's Book, The Text and its Rivals; Guest Editor Renée Riese Hubert; Rhode Island School of Design, Graphic Design Department, Providence RI 1991
- Artur Brall: Künstlerbücher, Artists' Books, Book as Art; Ausstellungen Dokumentationen Kataloge Kritiken. Eine Analyse, Verlag Kretschmer & Großmann, Darmstadt 1986 [10]
- NN: Buchobjekte / Künstlerbücher, Hessische Landes- und Hochschulbibliothek, Darmstadt 1982
- Hubert Kretschmer / Marie-Louise Schaller, Hrsg.: das buch als kunstobjekt, Verlag Hubert Kretschmer, München 1981 [11]
- Peter Weiermair, Hrsg.: Künstlerbücher, Frankfurter Kunstverein, Frankfurt am Main 1981
- Nancy Linn, Hrsg.: Books by Artists, Printed Matter Inc., New York 1981
- Metrònom, Rafael Tous i Giner, Hrsg.: Libres d'Artista / Artist's Books, Barcelona 1981 [12]
- Anne Moeglin-Delcroix, Hrsg.: Livres d' Artistes, Collection Semaphore, Centre Georges Pompidou / Éditions Herscher, Paris 1980
- Hubert Kretschmer, Hrsg.: künstlerbücher dritter teil, buchobjekte, Produzentengalerie Adelgundenstraße München, Verlag Hubert Kretschmer, München 1980
- Hubert Kretschmer, Hrsg.: künstlerbücher zweiter teil - objektbücher, Produzentengalerie Adelgundenstraße München, Verlag Hubert Kretschmer, München 1980 [13]
- Jürg Meyer zur Capellen, Hrsg.: Buchobjekte, Mulator-Verein zur Förderung zeitgenössischer Kunst, Freiburg im Breisgau 1980
- Hubert Kretschmer, Hrsg.: künstlerbücher erster teil, Produzentengalerie Adelgundenstraße München, München 1979
- Ulises Carrión: From Bookworks to Mailworks, Alkmaar Municipal Museum, Alkmaar 1978
- Thomas Wessel: Das künstlerische Buch auf dem Weg ins etablierte Buch, Kunstgesch. Institut der Universität Freiburg, Freiburg im Breisgau, 1978 (Manuskript eines Referats)