Stochastischer Prozess

mathematische Beschreibung von zeitlich geordneten, zufälligen Vorgängen
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Ein Stochastischer Prozess ist die mathematische Beschreibung von zeitlich geordneten, zufälligen Vorgängen. Die Theorie der stochastischen Prozesse stellt eine wesentliche Erweiterung der Wahrscheinlichkeitstheorie dar und bildet die Grundlage für die stochastische Analysis. Obwohl einfache stochastische Prozesse schon vor langer Zeit studiert wurden, wurde die heute gültige formale Theorie erst anfang des 20. Jahrhunderts entwickelt, vor allem durch Paul Lévy und Andrei Nikolajewitsch Kolmogorow.

Definition

Sei   ein Wahrscheinlichkeitsraum,   ein mit einer Sigma-Algebra versehener Raum (zumeist die reellen Zahlen mit der Borelschen Sigma-Algebra) und T eine Indexmenge, zumeist  . Ein stochastischer Prozess X ist dann eine Familie von Zufallsvariablen  , also eine Abbildung

 ,

sodass für alle   die eingeschränkte Abbildung  -messbar ist. Eine alternative Formulierung sieht vor, dass X eine einzige Zufallsvariable   ist, wobei   eine (mit einer geeigneten Sigma-Algebra versehene) Menge von Funktionen   ist. Bei geeigneter Wahl fallen diese beiden Definitionen zusammen.

Einteilung

Die grundlegendste Einteilung stochastischer Prozesse in verschiedene Klassen erfolgt über die Indexmenge T und die Wertemenge Z:

  • Ist T abzählbar (etwa  , so heißt der Prozess zeitdiskret, ansonsten zeitstetig.
  • Ist Z endlich oder abzählbar, spricht man von wertestetigen Prozessen oder Punktprozessen.

Darüber hinaus werden stochastische Prozesse noch nach stochastischen Eigenschaften in verschiedene Prozessklassen unterteilt. Die wichtigste Klasse ist hierbei die der Markov-Prozesse, die sich durch eine Art "Gedächtnislosigkeit" auszeichnen. Die meisten untersuchten Prozesse gehören dieser Klasse an. Innerhalb der Markov-Prozesse (im zeitstetigen Fall spricht man auch von Markov-Ketten) sind wiederum die Lévy-Prozesse von Bedeutung, die ein stochastisches Äquivalent zu den linearen Abbildungen darstellen. Weitere Prozessklassen sind Martingale, Gauß-Prozesse und Ito-Prozesse

stochastische Prozesse versus Zeitreihen

Neben der Theorie der stochastischen Prozesse gibt es auch die mathematische Disziplin der Zeitreihenanalyse, die weitgehend unabhängig davon operiert. Definitionsgemäß sind stochastische Prozesse und Zeitreihen ein und dasselbe, dennoch weisen die Gebiete Unterschiede auf: Während die Zeitreihenanalyse sich als Teilgebiet der Statistik versteht und versucht, spezielle Modelle (wie etwa ARMA-Modelle an zeitlich geordnete Daten anzupassen, steht bei den stochastischen Prozessen die Stochastik und die spezielle Struktur der Zufallsfunktionen (etwa Stetigkeit, Differenzierbarkeit Variation oder Messbarkeit bezüglich gewisser Filtrierungen) im Vordergrund.

Beispiele

Der stochastische Prozess ist dadurch gegekennzeichnet, dass an jeder Stelle t der Zeitreihe eine Zufallsvariable vorliegt. Ein typisches Beispiel hierfür ist der Münzwurf. Es sei angenommen, dass ein Spieler im Zeitpunkt t=0 ein Startkapital von 10 Euro hat. Bei jedem Wurf einer Münze gewinnt er einen Euro, falls "Zahl" erscheint, oder er verliert einen Euro, falls "Kopf" erscheint. Handelt es sich bei der verwendeten Münze um eine "faire" Münze, so ist die Wahrscheinlichkeit für "Kopf" und "Zahl" gleich und zwar 0,5. Stellt man den jeweiligen "Kontostand" des Spielers nach jedem Münzwurf graphisch dar, so ergibt sich ein stochastischer Verlauf.

Der sogenannte reine Zufallsprozess, auch Weißes Rauschen genannt, ist eine Folge stochastisch unabhängiger und identisch verteilter Zufallsvariablen. Ist die Variable Bernoulli-verteilt spricht man von einem Bernoulli-Prozess, ist die Variable normalverteilt, von einem Gauss-Prozess. Ein weiterer stochastischer Prozess ist der Random Walk. Dieser ist ein diskreter Prozess mit stationär unabhängigen Zuwächsen.

Weitere Typen stochastischer Prozesse: Wiener-Prozess, Markow-Prozess, lineare stochastische Prozesse, Poisson-Prozess.

Siehe auch

Zeitreihenanalyse, Zählprozess, Stationarität (AR-, MA- und ARMA-Modelle), Erneuerungsprozess, Martingal, Ergodentheorie, stochastische Differentialgleichung, Kiyosi Itô