Der Process ist ein unvollendeter, postum veröffentlichter Roman von Franz Kafka. Es werden auch die Schreibweisen „Prozeß“, „Prozess“ oder „Proceß“ verwendet, die jedoch nicht auf Kafka zurückgehen.
Handlung
Als Josef K. am Morgen seines 30. Geburtstags in seinem Zimmer aufwacht, bringt ihm die Köchin seiner Zimmervermieterin nicht sein Frühstück, wie sie es sonst jeden Tag tut. K. wird stattdessen von zwei Männern überrascht und festgehalten. Die beiden wenig auskunftsfreudigen Zeitgenossen teilen ihm mit, dass er ab nun verhaftet sei. Die beiden Männer geben an, von einer Behörde zu kommen, und behaupten, sie könnten und dürften ihm nicht sagen, weswegen er verhaftet sei.
Trotz seiner Verhaftung darf K. sein Leben in Freiheit fortführen, da laut den beiden Männern keinerlei Fluchtgefahr bestehe. K. nimmt zunächst einen üblen Scherz seiner Kollegen an. Im Laufe der Zeit bemerkt er jedoch, dass dies nicht der Fall ist. K. wird zu Gerichtsverhandlungen vorgeladen, bekommt Besuche an seinem Arbeitsplatz und wird zu Hause angerufen. Die Gerichtsverhandlungen und Behörden empfindet K. als ungewöhnlich. Die Gerichtsräume befinden sich in den Dachböden von mehrstöckigen Häusern, was anscheinend nur ihm nicht bekannt ist. K. kann nicht in Erfahrung bringen, worin seine Schuld besteht. Immer mehr beschäftigt K. sich mit seinem Prozess, obwohl er das Gegenteil beabsichtigt.
Gegen seine Hinrichtung leistet K. keinen Widerstand, er spielt sogar mit dem Gedanken, selbst Hand anzulegen. Als seine beiden Scharfrichter ihm die Möglichkeit geben, sich selbst umzubringen, will er ihnen diese Genugtuung nicht gönnen.
Interpretation
Problematik
Kafkas Werke kann man vor dem Hintergrund eines strengen, allgegenwärtigen Vaters und seiner Position als Mitglied der deutsch-jüdischen Minderheit in Prag interpretieren. Möglicherweise schrieb Kafka viele seiner Werke als Ausdruck einer Bedrückung durch seine Umwelt in regelrechten Schreibanfällen.
Eine eindeutige Interpretation des „Processes“ ist schwierig. Viele Interpreten gehen von der beklemmenden Lage des gutgläubigen Josef K. aus, der einer fremden, bösen Welt ausgesetzt ist. Auf dieser Basis wurde das Werke antikapitalistisch bzw. kommunistisch, sozialistisch und religiös gedeutet.
Einzelne Aspekte
Die Frage der Schuld
Kafka verlegt im „Process“ die Frage der Schuld statt ins Empirische ins Metaphysische. Josef K. mag sich am Anfang noch fragen, wofür er überhaupt verhaftet wird, doch diese Frage gerät immer mehr in den Hintergrund, bis sie unwichtig ist. Es liegt nicht in K.s Macht, über sich selbst urteilen zu können.
Kafka selbst verehrte und fürchtete mächtige Autoritäten. Im „Process“ reicht die Hierarchie des mysteriösen Gerichtes für den Menschen unvorstellbar weit. Doch nicht nur im Gericht ist sie vorhanden: Die allmächtigen Advokaten werden erwähnt, und Josef K. wird an seinem Arbeitsplatz in der Bank vom stellvertretenden Direktor auf übelste Art konkurrenziert. Die übertriebene Darstellung kann als Kritik an der Hierarchie und dem Streben des Menschen nach oben interpretiert werden. Ein weiteres Beispiel für diese These findet sich im Kapitel „Der Prügler“.
In diesem Kapitel ist beschrieben, wie die beiden Wächter, die Josef K. verhaftet haben, gepeinigt werden. Sie empfinden die Strafe nicht als gerecht, sondern als entwürdigend und flehen Josef K. an, sie zu befreien. Der Wächter Willem sagt: „Kann man das Gerechtigkeit nennen? [...] wir hatten Aussicht, vorwärtszukommen und wären gewiß bald auch Prügler geworden [...].“ Dies zeigt, dass Willem sich sehnt, aufzusteigen und selbst Prügler zu werden, eine mächtigere Stellung zu erreichen, und dass er als Prügler mit den Bestraften auch kein Erbarmen hätte.
Josef K. und seine Umwelt
Bis zum Schluss, sogar noch kurz vor seiner Hinrichtung, hofft Josef K. auf Hilfe von außen. K. bewahrt diese Hoffnung, weil er unfähig ist zu erkennen, dass die Frage nach seiner Schuld über sein Leben entscheiden wird.
Josef K. wird mit einer abweisenden, vertröstenden Welt konfrontiert. Wie in Kafkas Parabel Vor dem Gesetz der Mann vom Lande die Hilfe von Flöhen erbittet, sucht Josef K. die Hilfe von Frauen, einem Maler und Rechtsanwälten, die ihren Einfluss nur vortäuschen und ihn vertrösten. Die von K. um Hilfe gebetenen Menschen handeln wie der Türhüter in der schon erwähnten Parabel. Denn der Türhüter akzeptiert die Geschenke des Mannes vom Lande, aber nur, um ihn zu vertrösten und ihn in der Illusion zu lassen, dass seine Taten ihm förderlich seien.
„Der Process“ als humoristische Geschichte
Die Freunde Kafkas erzählten, dass er beim Vorlesen aus seinem Werk vielfach laut herauslachen musste. Deshalb liegt es nahe, im „Process“ – mag sein Kern so ernst und düster sein wie nur möglich – auch eine humoristische Seite zu suchen. Tatsächlich finden sich beklemmende Situationen, als deren einziger Ausweg der Humor angesehen werden kann.
Ein vermutlich unschuldiger, harmloser Mensch wie Josef K. wird von einem ungenannten Gericht einfach verhaftet, ohne wirklich verhaftet zu werden. Das Geschehen ist so absurd, dass manche nur darüber lachen können.
Manuskript
Kafka hat zwischen August 1914 und Januar 1915 am „Process“ gearbeitet. Sein Werk hat er nicht abgeschlossen und somit nicht zur Veröffentlichung vorbereitet. In einer an seinen Freund Max Brod gerichteten Verfügung fordert er diesen auf, nach seinem Tod seine Schriften zu vernichten. Weitere Informationen über Kafkas Verfügung enthält der Artikel zu Franz Kafka.
Zwischen einige Manuskriptseiten des „Processes“ legte Kafka jeweils einzelne Blätter. Es gibt insgesamt sechzehn verschiedene solcher abgetrennter Bündel, die man allgemein als Konvolute bezeichnet. Die Bezeichnung Kapitel impliziert eine vom Autor bewusst festgelegte Text- und Sinneinheit innerhalb eines Werkes, daher gibt dieser Begriff den Sachverhalt nicht richtig wieder.
Da Kafka die einzelnen Konvolute nicht geordnet hat, verfälscht man den Text, wenn man nachträglich einen angeblich authentischen Handlungsablauf festlegt. Diesen Fehler haben viele Herausgeber begangen. Ein sehr deutliches Beispiel dafür ist die Edition von Christian Eschweiler. In seiner Ausgabe hat er die Konvolute so angeordnet, dass sie seiner Auffassung des richtigen und logischen Handlungsverlaufs entsprechen. Diese Interpretation hält der Herausgeber nicht für eine unter vielen möglichen, sondern für die richtige Lesart.
Aufgrund des fragmentarischen Charakters des Textes wurden verschiedene Editionen herausgegeben, die zum Teil große Unterschiede aufweisen. Die Kritische Ausgabe und die von Brod herausgegebene Edition weisen dem Fragment den Charakter eines Werkes zu, indem sie eine Reihenfolge der Manuskriptseiten festlegen.
Editionen
Ausgabe von Brod
Die erste Ausgabe trägt den Titel „Der Prozeß“ und erschien 1925 im Berliner Verlag „Die Schmiede“. Das Werk wurde von Kafkas Freund Max Brod herausgegeben. Brod sah die Konvolute als abgeschlossene Texteinheiten an und stufte sie daher als Kapitel ein. Außerdem legte er eine Reihenfolge der Kapitel fest. Dabei berief Brod sich auf seine Erinnerung, denn Kafka hatte ihm Teile des Werkes vorgelesen.
In den Jahren 1935 und 1946 gab Brod erweiterte Ausgaben heraus. Zusätzlich enthalten sie im Anhang Teile des Werks, die Brod unvollendet erschienen, als so genannte unvollendete Kapitel. Außerdem enthält der Anhang von Kafka gestrichene Stellen.
Kritische Kafka-Ausgabe
Eine leicht modifizierte Kapitelreihenfolge bietet die Edition mit dem Titel „Der Proceß“ , die im Rahmen der Kritischen Kafka-Ausgabe (KKA) der Werke 1990 erschienen ist. Diese Ausgabe wurde von J. Born und anderen herausgegeben und erschien beim Fischer Verlag.
Historisch-kritische Ausgabe
Als Beginn der Historisch-kritischen Franz-Kafka-Ausgabe (FKA) durch Roland Reuß in Zusammenarbeit mit Peter Staengle ist die dritte wichtige Edition mit dem Titel „Der Process“ erschienen. Die 1997 vorgelegte Ausgabe beruht auf der Erkenntnis, dass es sich bei der Handschrift nicht um ein abgeschlossenes Werk handelt. Das Ziel, die originale Gestalt des Textes und Form der Handschrift zu wahren, schlägt sich nieder in der Weise, wie die Edition den Text darbietet. Zum einen wird keine Reihenfolge der Konvolute hergestellt, und zum anderen werden die Konvolute nicht in Buchform veröffentlicht. Stattdessen wird jedes der sechzehn Konvolute in einem Heft wiedergegeben. Auf jeder Doppelseite der Hefte sind jeweils das Faksimile einer Manuskriptseite sowie dessen Umschrift gegenübergestellt. Anhand des Faksimiles kann jeder Leser selbst die zum Teil nicht eindeutigen Streichungen Kafkas beurteilen, da es hier keine Eingriffe durch den Herausgeber gibt, wie sie bei der Kritischen Edition und der von Brod besorgten Ausgabe vorgenommen wurden.
Ausgabe von Eschweiler
Im Gegensatz zu allen bisherigen Herausgebern ist Eschweiler überzeugt, dass das Romanfragment nur von innen her, vom Verständnis seiner Teile, sinnvoll geordnet werden kann. Seiner fragwürdigen Auffassung nach, gibt es Anfangs- und Endkapitel, anhand derer sich alle anderen Teilstücke und Kapitel als Stufen dieser fortschreitenden Entwicklung erkennen und festlegen lassen würden.
Rezeption
Brod schreibt im Nachwort der ersten Ausgabe von 1925 in Bezug auf den „Process“, dass „kaum [ein Leser] seine Lücke fühlen“ wird, wenn nicht er weiß, dass Kafka sein Werk unvollendet ließ. Der Herausgeber schreibt weiter, dass die nach seiner Ansicht vollendeten Kapitel „sowohl den Sinn wie die Gestalt des Werkes mit einleuchtendster [sic!] Klarheit hervortreten“ lassen würden. Außerdem spricht Brod im Nachwort zu Kafkas Werk stets von „Roman“ und nicht von Fragment. Daran wird deutlich, dass er die Auffassung vertritt, dem Werk fehle nichts Wesentliches. Diesen Eindruck vermittelt seine Ausgabe auch den Lesern. Das Bild eines nahezu abgeschlossenen Werkes, das sich der damaligen Leserschaft bot und das auch heute noch bei vielen Lesern vorherrscht, begründete und begründet zum Teil den Erfolg und die Bewunderung für den „Process“.
Verfilmungen
- Der Prozess, 1963 von Orson Welles
- Kafka, 1991 von Steven Soderbergh (Spielfilm, der Teile von Kafkas Leben mit Elementen aus Der Process, Das Schloß und anderen Texten verbindet)
- Der Prozess, 1993 von David Hugh Jones
- Am Ende des Ganges, 1999 von Michael Muschner (Kurzfilm)
Weiterführende Informationen
Ausgaben
Wie im Abschnitt Editionen nachzulesen ist, ist es bedeutsam, welche Ausgabe man wählt. Daher erfolgt die Auflistung nach den verschiedenen Editionen.
- Historisch-kritische Ausgabe:
Stroemfeld Verlag, 16 einzeln geheftete Entwurfs-Kapitel im Schuber zusammen mit Franz-Kafka-Heft 1 und CD-ROM, mit 300 Handschriften-Faksimiles. ISBN 387877494X
- Kritische Ausgabe:
Fischer Verlag, gebunden ISBN 3100381319
- Ausgabe von Eschweiler:
Eschweiler, Christian: Franz Kafka und sein Roman-Fragment "Der Prozess". Neu geordnet, ergänzt und erläutert. Weilerswist: Landpresse, 2005. ISBN 3-935221-46-0
- Unbekannte Ausgabe:
- Aufbau, Taschenbuch ISBN 3746616158
- dtv, Taschenbuch ISBN 3423026448
- Langenscheidt, broschiert ISBN 358063335X
- Probst, gebunden ISBN 3935718942
- Saur, gebunden ISBN 3598800096
- Schöningh, broschiert ISBN 3140223625
- Suhrkamp, broschiert ISBN 3518393375
- Vitalis, gebunden ISBN 3899190521
Siehe auch
Weblinks
- Vollständiger Text des Romanfragments
- Projekt Gutenberg: „Der Prozeß“ Text folgt der Brod-Ausgabe
- Wikisource: „Der Proceß“ Text folgt der Kritischen Ausgabe
- Interpretationen
- Dieter Wunderlich Kurze Inhaltsangabe und knappe Interpretation
- Dieter Schrey „Franz Kafka, ‚Der Prozess‘ – Die Selbstinszenierung der Geburt als Tod“
- Editionen des Werks
- christian-eschweiler.de.vu Edition von Eschweiler, zur Einschätzung siehe: Abschnitt Manuskript
- Institut für Textkritik Ausgabe im Rahmen der Historisch-kritischen Franz-Kafka-Ausgabe