Als Medientheorie werden spezifische oder generalisierte Forschungsansätze verstanden, die das Wesen und die Wirkungsweise von Einzelmedien oder der Medien generell zu erklären versuchen. Es werden darin häufig Rückbezüge genommen auf die Kommunikations- und die Informationstheorie.
Zur Zeit steht eine einheitliche Medientheorie noch aus. Ein Grund hierfür dürfte sein, dass es bislang noch nicht gelungen ist, eine Rubrizierung nach technischen Medienbegriffen mit einer sinnvollen und stimmigen Definition von Medium in Einklang zu bringen.
Systematik der Medientheorien
Es existieren verschiedene Ansätze zur Systematisierung vorhandener Medientheorien.
Werner Faulstich unterscheidet beispielsweise vier Kategorien von Medientheorien:
- Einzelmedientheorien: Film-, Radio, Fernsel-, Theater-, Buch- und Brieftheorien.
- Beispiele: Siegfried Kracauer: Filmtheorie; Radiotheorien von Bertolt Brecht, Rudolf Arnheim, Gerd Eckert und Eugen Kurt Fischer.
- Kommunikationstheoretische Medientheorien: Betrachtung von Medien als Teil eines Kommunikationsprozesses.
- Beispiel: Gerhard Maletzke: Theorie vom "Feld" der Massenkommunikation.
- Gesellschaftskritische Medientheorien: Explizit kritischer Ansatz; Unterscheidung nach dem emanzipatorischen Gehalt der Medientheorie, siehe auch Emanzipatorische Medientheorien.
- Beispiel: Dieter Prokop: Massenkommunikation im Kontext der kapitalistischen Gesellschaft.
- Systemtheoretische Medientheorien: Kommunikation als Teil oder Form des gesellschaftlichen Handelns.
- Beispiel: Talcott Parson: Geld und Macht als zentrale gesellschaftliche Interaktionsmedien.
Bei einem objektorientierten Ordnungsprinzip werden ebenfalls vier Gruppen von Einzelmedien unterschieden:
- Primärmedien: ohne Einsatz von Technik;
- Sekundärmedien: Technikeinsatz bei der Produktion;
- Tertiärmedien: Technikeinsatz bei der Produktion und Rezeption;
- Quartärmedien: Technikeinsatz bei der digitalen Distribution.
Folgende Ansätze lassen sich in einem Phasenmodell nach Rainer Leschke (2001) als Ordnungsmodelle unterscheiden:
Primäre Intermedialität
Ansätze der primären Intermedialität beschäftigen sich vor allem mit dem Verhältnis unterschiedlicher Medien zueinander (Medienvergleich); diese Ansätze entstehen meist, wenn eine neue Medientechnik entwickelt wird oder wenn ein Funktionswandel eintritt, beispielsweise beim Übergang zum Massenmedium. Sie sind vortheoretisch und beschränken sich auf Einzelaussagen über ihre Untersuchungsgegenstände.
Beispiele:
- Vannevar Bush: As we may Think. In: The Atlantic Monthly, July 1945
- J. C. R. Licklider, Robert W. Taylor: The Computer as a Communication Device. In: Science and Technology, April 1968. S. 21-41
Sekundäre Intermedialität
Siehe Intermedialitätstheorien
Rationalisierte Praxis
Wenn sich ein neues Medium etabliert hat, setzt eine an der Praxis orientierte Reflexion ein; dabei werden schwerpunktmäßig nicht mehr Vergleiche mit anderen Medien angestellt, es tritt dagegen das betrachtete Einzelmedium und dessen spezifische Eigenschaften in den Mittelpunkt, beispielsweise die Montage bei Sergej Eisenstein. Diese medientheoretischen Ansätze der rationalisierten Praxis erheben nicht den Anspruch einer vollständigen Theorie des Mediums – sie sind ebenfalls vortheoretisch – und versuchen, relevante Teilbereiche zu systematisieren.
Beispiele:
Brechts so genannte Radiotheorie:
- Bertolt Brecht: Radio – Eine vorsintflutliche Erfindung? In: Derselbe: Gesammelte Werke in 20 Bänden. Bd. 18, 133.-137. Tsd., Frankfurt a. M., S. 119-121
- Bertolt Brecht: Vorschläge für den Intendanten des Rundfunks. In: Derselbe: Gesammelte Werke in 20 Bänden. Bd. 18, 133.-137. Tsd., Frankfurt a. M., S. 121-123
- Bertolt Brecht: Der Rundfunk als Kommunikationsapparat. In: Derselbe: Gesammelte Werke in 20 Bänden. Bd. 18, 133.-137. Tsd., Frankfurt a. M., S. 127-134
- Bertolt Brecht: Über Verwertungen. In: Derselbe: Gesammelte Werke in 20 Bänden. Bd. 18, 133.-137. Tsd., Frankfurt a. M., S. 123-124
- Sergej M. Eisenstein: Montage der Attraktionen. Zur Inszenierung von A. N. Ostrovskijs Eine Dummheit macht auch der Gescheiteste im Moskauer Proletkult. In: Franz-Josef Albersmeier [Hrsg.]: Texte zur Theorie des Films. Stuttgart, S. 46-57 1990
- Howard Rheingold: Tools for Thought. 1986
- Howard Rheingold: Virtuelle Gemeinschaft: Soziale Beziehungen im Zeitalter des Computers. Bonn, Paris, Reading (Massachusetts) u.a. 1994
- Sherry Turkle: Leben im Netz. Identität in Zeiten des Internet. Rheinbek bei Hamburg, 1998
- Dziga Vertov: Schriften zum Film. Hrsg. von W. Beilenhoff. München, 1973
Einzelmedienontologien
Einzelmedienontologien versuchen, das Wesen eines neuen Mediums, das sich bereits etabliert hat, zu bestimmen. Im Gegensatz zu anderen Ansätzen gehen sie dabei methodisch und systematisch vor; sie beschäftigen sich nicht mehr nur mit Details des Mediencharakters, sondern streben Allgemeingültigkeit in Bezug auf das Einzelmedium an. Einzelmedienontologien sind nur eingeschänkt auf andere Medien übertragbar.
Beispiele:
- Rudolf Arnheim: Rundfunk als Hörkunst. München, Wien, 1979
- Rudolf Arnheim: Film als Kunst. 11.-12. Tsd., Frankfurt a M., 1988
- Béla Balázs: Der Geist des Films. Frankfurt a. M., 1972
- Béla Balázs: Der Film. Werden und Wesen einer neuen Kunst. 4. Aufl., Wien, 1972
- André Bazin: Was ist Kino? Bausteine zur Theorie des Films. Köln, 1979
- Gilles Deleuze: Das Bewegungs-Bild. Kino 1. Frankfurt am Main, 1989
- Gilles Deleuze: Das Zeit-Bild. Kino 2. Frankfurt am Main, 1991
- Werner Faulstich: Radiotheorie. Eine Studie zum Hörspiel The war of the worlds (1938) von Orson Welles. Tübingen, 1981
- Siegfried Krakauer: Theorie des Films. Die Errettung der äußeren Wirklichkeit. 2. Auflage, Frankfurt am Main, 1993.
Generelle (generalisierende) Medientheorien
Generelle bzw. generalisierende Medientheorien werden entwickelt, um mehrere Medien theoretisch zu erfassen; sie werden i.d.R. unter Rückgriff auf die Modelle und Methoden anderer Wissenschaftsdisziplinen wie der Kultur- oder Sozialwissenschaften [[entworfen. Sie ersetzten die Einzelmedienontologien nicht, sondern ergänzen diese.
Beispiele:
- Walter Benjamin: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. Drei Studien zur Kunstsoziologie. 11. Aufl., Frankfurt a. M. 1979
- Umberto Eco: Apokalytiker und Integrierte. Zur kritischen Kritik der Massenkultur. 9.-11. Tsd., Frankfurt a. M. 1989
- Hans Magnus Enzensberger: Baukasten zu einer Theorie der Medien. In: Kursbuch 20, S. 159-186, 1980 - Enzensbergers so genannter Medienbauskasten
- Max Horkheimer, Theodor W. Adorno: Kulturindustrie. In: dieselben: Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente. 56.-60. Tsd. Frankfurt a. M., S. 108-150
- Niklas Luhmann: Die Realität der Massenmedien. 2., erw. Aufl. Opladen 1966
- Klaus Merten, Siegfried J. Schmidt, Siegfried Weischenberg [Hrsg.]: Die Wirklichkeit der Medien. Eine Einführung in die Kommunikationswissenschaft. Opladen 1994
- Siegfried J. Schmidt: Kalte Faszination. Medien-Kultur – Wissenschaft in der Mediengesellschaft. Weilerswist, 2000
Generelle (generalisierende) Medienontologien
Generelle bzw. generalisierende Medienontologien versuchen, über die Aussagen der generellen (bzw. generalisierenden) Medientheorien hinaus zu gehen und allgemeingültige Aussagen über das Wesen und die Struktur von Medien an sich zu machen und eine Universaltheorie zu schaffen; mit diesem Allgemeinheitsanspruch schliessen sie eine Koexistenz mit generellen Medientheorie aus, sie sind inkompatibel zueinander. Ausserdem lösen sich generelle Medienontologien von benachbarten Wissenschaftsdisziplinen und stellen eigenständige medientheoretische Paradigmen auf.
- Jean Baudrillard: Requiem für die Medien. In: Derselbe: Kool Killer oder der Aufstand der Zeichen. Berlin 1978; siehe auch Requiem für die Medien
- Vilém Flusser: Lob der Oberflächlichkeit. Für eine Phänomenologie der Medien. Vilém Flusser Schriften Bd. 1. Stefan Bollmann und Edith Flusser (Hrsg), 2., durchgesehene Aufl. Mannheim 1995
- Vilém Flusser: Kommunikologie. Schriften Bd. 4. Stefan Bollmann u. Edith Flusser (Hrsg.), Mannheim 1996; siehe auch Kommunikologie
- Marshall McLuhan: Die magischen Kanäle. Understanding Media. Düsseldorf, Wien, New York, Moskau 1992
- Marshall McLuhan: Die Gutenberg-Galaxis. Das Ende des Buchzeitalters. Bonn, Paris,Reading, Massachucetts u.a. 1995; siehe auch Gutenberg-Galaxis
- Paul Virilio: Krieg und Kino. Logistik der Wahrnehmung. München, Wien. 1986
- Paul Virilio: Der negative Horizont. Bewegung – Geschwindigkeit – Beschleunigung. München, Wien 1989
Intermedialitätstheorien: sekundäre Intermedialität
Die Änsätze der sekundären Intermedialität versuchen, Intermedialität zu verallgemeinern und eine generelle Medientheorie zu schaffen; sie bestimmen das Wesen von Medien aus der Interferenz der Medien zueinander. Sie bilden somit eine spezielle Variante der [[#GenerelleMedienontologie|generellen Medienontologie].
- Thomas Eicher, Ulf Bleckmann [Hrsg.]: Intermedialität. Vom Bild zum Text. Bielefeld 1994
- Jürgen E. Müller: Intermedialität. 1996
- Karl Prümm: Intermedialität und Multimedialität. Eine Skizze medienwissenschaftlicher Forschungsfelder. In: Rainer Bohn, Eggo Müller; Rainer Ruppert [Hrsg.]: Ansichten einer künftigen Medienwissenschaft. Berlin 1988
Literatur
Textsammlungen:
- Günter Helmes, Werner Köster: Texte zur Medientheorie. Ditzingen: Reclam, 2002. ISBN: 3150182395
Übersichtsdarstellungen:
- Werner Faulstich: Grundwissen Medien. München: Fink, 1994. ISBN: 3-7705-2918-9
- Werner Faulstich: Einführung in die Medienwissenschaft. Utb, 2003. ISBN: 3825224074
- Knut Hickethier: Einführung in die Medienwissenschaft. Metzler, 2003. ISBN: 3476018822
- Dietrich Kerlen: Einführung in die Medienkunde. Ditzingen: Reclam, 2003. ISBN: 3150176379
- Rainer Leschke: Einführung in die Medientheorie. Utb, 2003. ISBN: 3825223868
- Stefan Weber: Theorien der Medien. Utb, 2003. ISBN: 3825224244