Léon Durocher (* 23. Oktober 1862 in Pontivy, damals Napoléonville genannt; † 23. Oktober 1918 in Paris) war ein französischer Chansonnier, Schriftsteller, Journalist und bretonischer Barde. Sein Geburtsname war Léon Düringer, den Namen Durocher hat er für seine schriftstellerische Tätigkeit angenommen. Durocher schrieb eine Reihe zum Teil sehr erfolgreicher Chansontexte, die unter anderem von Paul Delmet und Gustave Goublier vertont wurden, und trat mit diesen Liedern auch in den Revues am Montmartre auf, unter anderem in Le Chat Noir. Bekannt wurde er außerdem durch seine Tätigkeit in der bretonischen Nationalbewegung: Er gründete eine Vereinigung der Bretonen in Paris, wurde unter dem Namen Kambr’O Nikor zum bretonischen Barden ernannt, organisierte eine jährlich stattfindende Prozession der Bretonen in Montfort-l’Amaury und war die treibende Kraft des Periodikums Le Fureteur Breton.

Leben
Léon Durocher war der Sohn des reichen deutschstämmigen Brauereibesitzers Léon Düringer in Pontivy. Er besuchte das Gymnasium (Lycée) in Pontivy (Département Morbihan in der Bretagne) und später in Nantes, wo er eine humanistische Ausbildung erhielt und Charles Le Goffic kennenlernte, mit dem ihn eine lange Freundschaft verband. Bereits in Nantes schrieb er Gedichte in lateinischer Sprache, die er fließend beherrschte. Nachdem er trotz einer früheren Zusage nicht an der Eliteschule École normale supérieure aufgenommen worden war,[1] führte er ein Studentenleben an der Sorbonne in Paris und machte dort sein Examen. Er lehrte eine Zeitlang an einem Pariser Gymnasium (nach anderen Angaben an der Universität)[2], widmete sich jedoch bald ausschließlich einer literarischen Tätigkeit.
Durocher besuchte diverse Literaten- und Künstlerzirkel, etwa das von Ernest Renan ins Leben gerufene Dîner Celtique („Keltisches Diner“). Dort trug er seine nunmehr französischsprachigen Gedichte und Chansons vor. Zugleich leitete er die Zeitschrift La Pomme („Der Apfel“). Bald trat er auch im berühmten Cabaret Le Chat Noir am Montmartre auf. Mit Clairons et Binious erschien 1886, bereits unter dem Künstlernamen Durocher, seine erste, Renan gewidmete Gedichtsammlung, in deren Titel die Signaltrompeten oder Clairons für die patriotische Note, die Sackpfeifen oder Binioùs für den bretonischen Regionalismus standen, wie es ein Rezensent ausdrückte.[3]
In den folgenden Jahren schrieb Durocher eine ganze Reihe weiterer Chansons sowie einaktige Vers- und Prosadramen. Ferner veröffentlichte er eine Serie gelehrter Beiträge zur Geschichte der Bretagne in diversen Zeitschriften. Auch die Beteiligung an Zirkeln und Zeitschriftenprojekten setzte er fort; so gehörte er 1889 zu den Gründern der Zeitschrift La Plume („Die Feder“). Mit dem Chanson L’Angélus de la Mer („Das Angelusläuten auf dem Meer“), einem „exquisiten“, wehmütigen Text über auf See gebliebene Fischer, erreichte er 1894 seinen größten Publikumserfolg. Das Chanson, vertont von dem renommierten Kapellmeister und Leiter eines Café concert in Paris Gustave Goublier, galt nach Serge Dillaz als das Chansonereignis des Jahres und war zeitgenössischen Aussagen zufolge in der französischen Öffentlichkeit allbekannt.[4]
Im selben Jahr gründete Durocher die Association de Bretons de Paris (Assoziation der Bretonen von Paris). Vier Jahre später war er an der Gründung der Union Régionaliste Bretonne (Bretonischen Regionalistischen Union) beteiligt. Im April 1899 heiratete er Marie-Yvonne Le Moigne, eine Bauerntochter aus Lampaul-Plouarzel, der er später sein Chanson Berceuse pour Maryvonne (Wiegenlied für Maryvonne) gewidmet hat. Danach beantragte er eine offizielle Namensänderung und führte seitdem Durocher auch als seinen bürgerlichen Namen.
Durocher reiste dann mit der bretonischen Delegation zum Eisteddfod 1899 nach Cardiff (Wales), wo er von dem Archidruiden Rowland Williams alias Hwfa Môn zum Barden ernannt wurde, unter dem keltischen Bardennamen Kambr’O Nikor, eine Anspielung auf den General Pierre Cambronne, der für seine angebliche Replik „Merde!“ (dt.: „Scheiße!“) auf eine Übergabeaufforderung bei Waterloo populäre Berühmtheit erlangt hatte.[5] Durochers Sinn für Spektakel äußerte sich im Herbst desselben Jahres, als er den Pardon de la Reine Anne in Montfort-l’Amaury begründete, eine bretonische Prozession zu Ehren von Anne de Bretagne, bei der er als „Pentyern“ (Führer, Vorsitzender, Häuptling) fungierte.
Am 25. Dezember 1899 hatte das von Léon Durocher verfasste Schattenspiel La Marche au Soleil (Der Marsch zur Sonne), ein Epos über das Faschoda-Abenteuer von Jean-Baptiste Marchand, Premiere im Theater La Bodinière in Paris. Es war ein großer Erfolg und erlebte dort über hundert Vorstellungen. Das Stück, mit Musik von Georges Fragerolle, erschien im folgenden Jahr im Druck. Ebenso veröffentlichte Durocher 1900 eine umfangreiche Sammlung seiner Chansons aus den letzten Jahren als Buch: Chansons de là-haut et de là-bas („Lieder von da oben und da unten“). In den meisten Fällen waren auch die Noten der diversen Komponisten enthalten. Bereits die ersten beiden Chansons Là-haut und Là-bas klären die Bedeutung des Titels: „Da oben“ steht für „la butte“, den Hügel Montmartre und damit die Bohème von Paris, „da unten“ liegt die Bretagne. Auf der Weltausstellung Paris 1900 trat ein Cabaret breton mit Durocher als Direktor und Chansonnnier im Village breton auf.
Im Jahr 1908 übernahm Durocher die Chefredaktion des Fureteur Breton, eines zweimonatlich erscheinenden Bulletins, das literarische, regionalgeschichtliche, archäologische, volkskundliche und genealogische Beiträge zur Bretagne versammelte.[6]
Werke
Bücher (Auswahl)
- Clairons et binious. Poésies. Dupret, Paris 1886.
- Rézinsec et Strophazur. Théâtre lyrico-naturaliste. Dupret, Paris 1888 (online auf Gallica).
- Binious et tambourins. Vanier, Paris 1889.
- Chansons de là-haut et de là-bas. Flammarion, Paris 1900.
- La Marche au Soleil. Épopée de la misson Marchand. Flammarion, Paris 1900 (mit Musik von Georges Fragerolle).
Chansontexte (Auswahl)
- L’Angélus de la Mer. Musik: Gustave Goublier (1894). Aufgenommen unter anderem von Jean Noté
- Berceuse pour Maryvonne. Musik: Gaston Perducet
- L’Étendard de la Pitié. Musik: Émile Wesly (1905). Aufgenommen von Jean Noté und Marcelly
Literatur
- Zeitgenössische Kurzbiografie im Album Mariani, Nr. 10, 1906, online auf Gallica
- Mautpreller, Joachim Lucchesi: Die Standarte des Mitleids – gefunden. In: Dreigroschenheft 1/2012, S. 11–19.
- Léon Dubreuil: Les „Chantres du Trégor“. In: Annales de Bretagne. Tome 64, no. 2, 1957, S. 203–246.
- René Kerviler: Duringer. In: Répertoire général de bio-bibliographie bretonne. Livre premier, Les bretons. Fascicule 35 Dul–Enz, Rennes 1901, S. 77–82. Online
Weblinks
- Biografie Durochers auf der Seite von Hervé David, mit zeitgenössischen Bildern und Berichten
- Nachruf von Léon Dubreuil, in: La Gerbe, Januar 1919, S. 93–95.
Einzelnachweise
- ↑ Léon Dubreuil: Les „Chantres du Trégor“; Emile Mâle: Souvenirs et Correspondances de Jeunesse, Editions Créer, Nonette 2001, S. 201f.
- ↑ Lehrer an einem Gymnasium: Emile Mâle: Souvenirs et Correspondances de Jeunesse, Editions Créer, Nonette 2001, S. 195; an der Universität: Léon de Bercy, online.
- ↑ Pz., in: Le Livre, 1887, S. 132f. Online.
- ↑ Serge Dillaz: La chanson sous la Troisième République. 1870-1940. Avec un dictionnaire des auteurs, compositeurs, interprètes, Tallandier, Paris 1991, S. 21. Von ihm stammt auch die Bewertung des Angélus als „exquisit“ (ebd., S. 243).
- ↑ Armel Calvé: Histoire des Bretons à Paris, Coop Breizh, Spézet 1994, S. 126.
- ↑ Vgl. zum Fureteur: Annuaire des Bretons de Paris, 1911, S. 21, online.
Personendaten | |
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NAME | Durocher, Léon |
ALTERNATIVNAMEN | Düringer, Léon (Geburtsname); Kambr’O Nikor (Künstlername) |
KURZBESCHREIBUNG | französischer Schriftsteller, Journalist und Barde |
GEBURTSDATUM | 23. Oktober 1862 |
GEBURTSORT | Pontivy, Frankreich |
STERBEDATUM | 23. Oktober 1918 |
STERBEORT | Paris, Frankreich |