Vertragstheorie

legitimierendes Konzept gesellschaftlicher Verträge und staatlicher Rechtsordnungen
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Die Vertragstheorie oder der Kontraktualismus ist ein Gedankenexperiment, um sowohl juridische wie auch moralische Rechtsordnungen (Staat/ Moral) zu rechtfertigen. Das Gedankenexperiment gliedert sich in einen argumentationsstrategischen Dreischritt (vgl. Kersting (1990)) aus: Naturzustand - Gesellschaftsvertrag - Gesellschaftszustand.


Rechtfertigung von staatlichen Rechtsordnungen

Die Vertragstheorien zur Rechtfertigung des Staates (Vertragstheorien oder Gesellschaftsvertragstheorien (engl. social contract theories, frz. théories des contrats sociaux)) entstanden im 17. und 18. Jahrhundert, nachdem es bereits erste Ansätze in der griechischen Antike bei Epikur gegeben hatte. Im 19. Jahrhundert verloren die Gesellschaftsvertragstheorien als Legitimationstheorien an Überzeugungskraft. In den Mittelpunkt rückten Max Webers soziologische Definitionen von Macht und Herrschaft. Dass das Konzept der Vertragstheorie im 20. Jahrhundert jedoch nicht überholt war, zeigt A Theory of Justice (dt. Eine Theorie der Gerechtigkeit) von John Rawls. Rawls greift die Idee des Naturzustandes von Hobbes auf, in dem er einen "Schleier des Nichtwissens" denkt, der verhindert, dass die Individuen ihre Position in der Gesellschaft kennen.

Das Herausbrechen des Individuums und des Staates aus der mittelalterlichen Weltordnung und die daraus entstehenden Konflikte (insbesondere die Religionskriege) werfen die Frage nach dem Warum und dem Wie der 'politischen' Ordnung erneut, und mit bisher unbekannter Vehemenz auf. Eine spezifisch 'moderne' Antwort auf diese Frage ist die Vertragstheorie.

Ausgehend von dem Naturzustand "jeder gegen jeden" ist die Regelbindung eines jeden der Preis zur Umgehung dieses Zustands. Hergestellt werden kann die Regelbindung nur, wenn sie von allen akzeptiert wird, das heißt es ist ein Konsens von Nöten. Dabei wird dieser Konsens nicht empirisch festgestellt, sondern einfach als vernünftig und von jedem gewollt vorausgesetzt. Ein wichtiges Kriterium zur Feststellung des Konsens, ist der "Schleier des Nichtwissens". Dieser "Schleier" verhindert, dass die Individuen ihre Position in der Gesellschaft und den Zeitpunkt in dem sie leben erkennen. Konsensfähig sind also alle Regeln, die jederzeit Vorteile bringen, egal in welcher Position und zu welcher Zeit das Individuum lebt. Damit findet auch ein "Universalisierbarkeitstest" von Regeln statt.

Für die Vertragskonstruktion sind notwendig: erstens der Begriff des Individuums, das dem Vertrag zustimmen soll, zweitens der Begriff des Staates oder der Gesellschaft (Hobbes spricht vom "body politic"), der oder die das Ergebnis des Vertragsschlusses sein soll, und drittens das Denken in Ursache-Wirkung-Zusammenhängen, hier die Suche nach der ersten Ursache für das Entstehen eines Staatsgebildes (Diese drei Voraussetzungen sind aber gleichzeitig die Merkmale der Moderne, und Gesellschaftsvertragstheorien sind in diesem Sinn "modern").

Die Vertragskonstruktion ist die Antwort auf die Frage nach dem "Warum existiert der 'body politic'?" (im Sinne von "Wie ist er entstanden?"). Dabei zeichnet sich das Vertragsdenken durch einen argumentativen Dreischritt aus: Die Menschen wechseln durch den Abschluss eines Vertrages vom Naturzustand in den Gesellschaftszustand (Staat) (vgl. Kersting in Nohlen u Schulze 1995:680). Dabei handelt es sich allerdings um einen gedachten Prozess, sowohl Vertragsabschluss als auch Naturzustand sind Vorstellungen, dass es so gewesen sein könnte: Statt von Vertragskonstruktion kann man deshalb auch von konstruktivem Konstrukturalismus sprechen.

Die bekanntesten Theoretiker dieser Vertragstheorien und deren Werke sind:

Kritik an der Vertragstheorie

Der Anarchokapitalismus setzt dieser Vertragstheorie entgegen, dass die Einhaltung der Vertragswerke nicht durch eine unabhängige dritte Macht überwacht werden kann. Deshalb würde nach der Abtretung gewisser Gewalten und Rechte an einen "Staat", dessen Existenz höchstens virtuell darstellbar ist, ein Ungleichgewicht entstehen, dessen Ausnutzung durch den Staat wahrscheinlich ist. Des Weiteren würde es entweder zur Herrschaft einiger Weniger über viele, oder der Mehrheit über eine Minderheit führen, was wiederum die Rechte eines freien Individuums übersteigen würde, da man nicht auf partikulär Interessen Rücksicht nehmen kann.

Einen weiteren Ansatz der Kritik bietet sich von rein formalistischer Seite, die bei einem Vertrag davon ausgeht, dass beide Seiten freiwillig dem Vertragswerk zustimmen. Da dies jedoch dem Bürger nicht ermöglicht wird, da er quasi vererbt wird. Auch der Beitritt zu diesem Vertrag ist nicht freiwillig, da man auf seinem Grund und Boden bei Austritt aus dem Vertrag nicht bleiben kann. Das Eigentum würde einem enteignet. Deshalb kann man nur bedingt von einem Gesellschaftsvertrag sprechen, da die freiwillige Einwilligung fehlt.