Peter-Paul Zahl

libertärer Schriftsteller
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 13. März 2012 um 15:06 Uhr durch Anti. (Diskussion | Beiträge) (Berlin 1964 bis 1972: Bitte Beleg. „Wegen Texten gegen den Vietnamkrieg“ gibt's keine Hausdruchsuchungen, höchstens wegen Aufforderung zu Straftaten, Volksverhetzung usw.). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.

Peter-Paul Zahl (* 14. März 1944 in Freiburg im Breisgau; † 24. Januar 2011 in Port Antonio, Jamaika) war ein deutsch-jamaikanischer Schriftsteller.

Peter-Paul Zahl (2006)

Leben

Peter-Paul Zahl verbrachte seine Kindheit in Feldberg in Mecklenburg-Vorpommern. Dort hatte sein Vater, der Jurist und Buchhändler Paul Zahl 1947 den Kinderbuchverlag Peter-Paul, benannt nach seinem Sohn, gegründet. Da der Privatverlag der staatlichen Wirtschaftsplanung der neu gegründeten DDR entgegenstand, wurde ihm 1951 keine Neulizensierung erteilt.[1] Im Frühjahr 1953 verließ die Familie Zahl Feldberg Richtung Westdeutschland und ließ sich in Ratingen im Rheinland nieder. Zahl besuchte das Gymnasium bis zur Mittleren Reife und machte anschließend eine Berufsausbildung zum Offsetdrucker, die er mit der Gesellenprüfung abschloss.

Berlin 1964 bis 1972

1964 ging Zahl nach West-Berlin, um keinen Wehrdienst leisten zu müssen, und kam dort in Kontakt mit der Studentenbewegung und der Außerparlamentarischen Opposition (APO). 1965 heiratete er Urte Wienen, die ebenfalls aus Ratingen stammte. Aus der Ehe gingen ein 1969 geborener Sohn und eine 1971 geborene Tochter hervor. Die Ehe wurde 1973 geschieden.

Ab 1965 verfasste Zahl Prosatexte und Gedichte, die er in Zeitschriften und auf Flugblättern veröffentlichte. 1966 wurde er Mitglied in der von Max von der Grün initiierten literarischen Dortmunder Gruppe 61. Im Düsseldorfer Karl Rauch Verlag erschien 1967 sein erster Roman mit dem Titel Von einem, der auszog Geld zu verdienen.[2]

1967 gründete Zahl mit seiner Frau eine Druckerei mit angeschlossenem Kleinverlag, in dem er vorwiegend gegenkulturelle Zeitschriften wie Hans Taegers pro these und rätekommunistische und anarchistische Texte veröffentlichte, und wurde als Propagandist linksterroristischer Gruppen aktiv.[3] Auch gab er den Spartacus: zeitschrift für lesbare literatur (1967–1970)[4], die zwergschul-ergänzungshefte (1968-1970)[5] und das Magazin pp-quadrat (1968-1970)[6] heraus. Der erste pp-quadrat-Band enthielt die Broschüre amerikanischer faschismus von Bernd Kramer. Zahl schrieb für die Literaturzeitschrift Ulcus Molle Info und das Satireblatt Der Metzger. Um 1970 beteiligte Zahl sich an einer klandestinen Kleinstorganisation, die sich Up against the wall, Motherfuckers! nannte und sich darauf spezialisierte, schwarzen GIs aus Berliner Kasernen die Flucht nach Schweden zu ermöglichen.

In Zahls Druckerei wurde ab Februar 1969 die anarchistisch-libertäre Zeitschrift Agit 883 hergestellt. Bereits wenige Monate später kam es zu Hausdurchsuchungen in dem Betrieb und einem Strafverfahren gegen Zahl, das mit einem Freispruch endete. 1972 wurde er wegen des Drucks eines von Holger Meins gestalteten Plakats mit dem Titel Freiheit für alle Gefangenen!, das mit einer Eierhandgranate und Patronenhülsen sowie den Namen internationaler Guerilla- und Befreiungsbewegungen wie Vietcong, Tupamaros und Black Panther eine Blume stilisierte, wegen Öffentlicher Aufforderung zu Straftaten zu einem halben Jahr Haft auf Bewährung verurteilt.[7]

Haft 1972 bis 1982

Wegen eines Schusswechsels mit Polizeibeamten, bei dem ein Beamter lebensgefährlich und Zahl schwer verletzt wurde, den darauf folgenden Prozessen und dem vielfach als Justizskandal bezeichnetem zweiten Urteil stand Peter Paul Zahl lange Zeit im Blick der Öffentlichkeit.[8] Während seiner Haftzeit schuf er ein umfangreiches lyrisches Werk.

Schießerei mit Polizeibeamten

Im Sommer 1972 geriet Zahl unter Verdacht, an einem Banküberfall der RAF beteiligt gewesen zu sein, ein Verdacht, der sich im Nachhinein nicht erhärten ließ, und wurde zur „polizeilich gesuchten Person“ erklärt. Er beschaffte sich falsche Papiere und eine Schusswaffe und tauchte bei Freunden und Bekannten unter.[9] Am 14. Dezember 1972 wurde er in Düsseldorf, bei dem Versuch ein Auto anzumieten, von zwei Polizeibeamten gestellt. Zahl versuchte zu fliehen, die Beamten verfolgten ihn und es kam zum Schusswechsel, bei dem ein Polizist durch einen Schuss in die Brust schwer verletzt wurde. Der Flüchtende wurde schließlich gestellt und festgenommen, auch er hatte eine Schussverletzung im Oberarm davongetragen.[10] Rekonstruktionen des Tathergangs ergaben aufgrund der aufgefundenen Patronenhülsen, dass Zahl mindestens dreimal und die Polizeibeamten mindestens neunmal geschossen hatten.[11] Nach seiner Festnahme mit der schweren Verletzung des Polizeibeamten konfrontiert, äußerte Zahl spontan und nach Aussagen der festnehmenden Beamten glaubwürdig, dass er dies nicht gewollt habe. [12]

Verurteilung wegen versuchten Mordes

Am 24. Mai 1974 wurde Zahl vom Landgericht Düsseldorf wegen fortgesetzten Widerstands gegen die Staatsgewalt in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Haftstrafe von vier Jahren verurteilt. Eine Tötungsabsicht, auch in Form des bedingten Vorsatzes, verneinte das Gericht mit den Worten: „Die Tötung menschlichen Lebens ist hier nicht persönlichkeitsadäquat“.[12] Nach der Revision der Staatsanwaltschaft hob der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs 1975 das Urteil mit der Begründung auf, der Angeklagte habe „auch den Tod des Getroffenen billigend in Kauf genommen.“[13] Nach einem neuen Verfahren wurde Zahl am 12. März 1976 wegen versuchten Mordes in zwei Fällen zu 15 Jahren Haft verurteilt. Da das zweite Urteil in seiner Begründung unverhohlen auf den politischen Hintergrund Zahls referierte, wurde es von dem Schriftsteller selber als „Gesinnungszuschlag von 11 Jahren“ bezeichnet [14] und löste eine öffentliche Kontroverse aus.[15]

Strafverbüßung

Zahl wurde die ersten Jahre seiner Strafverbüßung in Einzelhaft gehalten, die er zu einer umfangreichen literarischen Produktion nutzte. 1980 verlegte man ihn in den Normalvollzug nach Berlin in die Justizvollzugsanstalt Tegel. Im Februar 1980 verlieh die Rudolf-Alexander-Schröder-Stiftung dem inhaftierten Schriftsteller für seinen Roman Die Glücklichen den Literaturpreis der Stadt Bremen. Er durfte anlässlich der Preisverleihung die Haftanstalt verlassen und den Preis persönlich entgegennehmen. Der Vorgang wurde öffentlich als „kulturpolitischer Eklat“ diskutiert.[16] Von 1981 an war er Freigänger und konnte dies in den Jahren 1981/1982 für ein Regie-Volontariat an der Berliner Schaubühne nutzen. Ein von Zahl verfasstes Theaterstück über Georg Elser wurde in der Spielzeit 1981/1982 im Schauspielhaus Bochum von Claus Peymann und Hermann Beil inszeniert und am 27. Februar 1982 uraufgeführt.[17]

Im Dezember 1982 entließ man Peter Paul Zahl nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe aus der Haft, nachdem im November 1980 ein Wiederaufnahmeantrag des Verfahrens und im April 1981 ein unter anderem von Heinrich Böll und Ernesto Cardenal unterstütztes Gnadengesuch abgelehnt worden waren.

Nach der Haftentlassung

 
Rose Hill/Long Bay – Peter-Paul Zahls Wohnort an der Ostküste Jamaikas

Nach seiner Haftentlassung hielt sich Zahl auf Grenada, in Nicaragua, auf den Seychellen und in Italien auf. Er arbeitete an Theaterinszenierungen, veröffentlichte Prosa und Lyrik und unternahm Lesereisen. 1986 heiratete er zum zweiten Mal. Mit seiner Familie lebte er abwechselnd in Long Bay Portland (Jamaika) und Ratingen. Neben Romanen schrieb er Theaterstücke für deutsche Bühnen, ab 1994 trat er als Autor von Kriminalromanen hervor.

Verlust und Wiedererlangung der deutschen Staatsangehörigkeit

Im September 2002 zog die deutsche Botschaft in Kingston (Jamaika) Peter-Paul Zahls deutschen Reisepass ein, da er 1995 in Jamaika eingebürgert worden war, ohne vorher eine Beibehaltungsgenehmigung einzuholen. Dadurch verlor er seine deutsche Staatsangehörigkeit. Dagegen führte Zahl ein Verfahren vor dem Berliner Verwaltungsgericht, außerdem stellte er beim Bundesverwaltungsamt in Köln einen Antrag auf Wiedereinbürgerung. Am 16. November 2004 wurde Peter-Paul Zahl wieder deutscher Staatsangehöriger. Das Bundesverwaltungsamt stellte ihm am 8. November 2004 eine Einbürgerungsurkunde aus. Darin heißt es: „Peter-Paul Gerhard Heinz ZAHL – hat mit dem Zeitpunkt der Aushändigung dieser Urkunde die deutsche Staatsangehörigkeit durch Einbürgerung erworben.“ Die Einbürgerungsurkunde erhielt Zahl am 16. November 2004 in der Deutschen Botschaft in Kingston überreicht, die Aushändigung des Passes verzögerte das Auswärtige Amt bis zum Mai 2005.

Am 19. April 2006 wurde vor dem Verwaltungsgericht Berlin verhandelt, ob Bundesregierung und Auswärtiges Amt – vertreten durch die Botschaft in Jamaika – seinen Pass zu Recht eingezogen hatten. Die beklagte Bundesregierung nahm den Bescheid über den Einzug des Passes zurück, die Kosten des Verfahrens wurden zwischen Kläger und Beklagtem geteilt. Zahl hatte nach seiner erfolgten Wiedereinbürgerung zwei Staatsbürgerschaften.

Krankheit und Tod

Zahl starb am 24. Januar 2011 in Jamaika, nachdem er sich im Vorjahr in Jamaika und Deutschland wegen eines Krebsleidens hatte behandeln lassen.[18]

Preise und Auszeichnungen

Werke

 
„Ich hoffe, ich störe.“ – Peter Paul Zahl bei einer Lesung im Ratinger Buch-Café Peter & Paula am 28. September 2006
  • Elf Schritte zu einer Tat. Berlin 1968
  • Von einem, der auszog, Geld zu verdienen. Düsseldorf 1967
  • Eingreifende oder ergriffene Literatur. Gaiganz 1975
  • Schutzimpfung. Berlin 1975
  • Die Barbaren kommen. Hamburg 1976
  • Wie im Frieden. Leverkusen 1976
  • Alle Türen offen. Berlin 1977
  • Waffe der Kritik. Frankfurt (Main) 1977
  • Freiheitstriebtäter. Hamburg 1979
  • Die Glücklichen. Berlin 1979 ISBN 3-359-00874-X
  • Schreiben ist ein monologisches Medium. Berlin 1979
  • Die Stille und das Grelle. Frankfurt 1981
  • Johann Georg Elser. Ein deutsches Drama. Rotbuch, Berlin 1982, ISBN 3-88022-248-7
  • Konterbande. Frankfurt am Main 1982
  • Aber nein, sagte Bakunin und lachte laut. Berlin 1983
  • Der Staat ist eine mündelsichere Kapitalanlage. Berlin 1989
  • Die Erpresser. Eine böse Komödie. Musik und Lieder von Georg Danzer. Kramer, Berlin 1990, ISBN 3-87956-208-3
  • Der Meisterdieb. Frankfurt am Main 1992
  • Fritz, a German hero. Wien [u.a.] 1994
  • Der schöne Mann. Berlin 1994
  • Nichts wie weg. Berlin 1994
  • Teufelsdroge Cannabis. Berlin 1995
  • Lauf um dein Leben. Berlin 1996
  • Johann Georg Elser. [Kammerspielfassung], Grafenau 1996
  • Das Ende Deutschlands. Berlin 1997
  • Don Juan oder der Retter der Frauen. Grafenau-Döffingen 1998 ISBN 3-931786-04-8
  • Geheimnisse der karibischen Küche. Hamburg 1998
  • Ananzi ist schuld. Berlin 1999
  • Der Domraub. München 2002
  • Jamaika. München 2002
  • Anancy Mek It. (Bedtimes Stories) Kingston 2003
  • How the Germans Liberated Namibia. CD. Berlin und Long Bay 2004
  • Im Todestrakt. Frankfurt 2005
  • Kampfhähne. Frankfurt 2005
  • Miss Mary Huana. Köln 2007

Übersetzungen

  • Mit Reinhard Thoma: Otto René Castillo: Selbst unter der Bitterkeit. München 1983.
  • Ramón José Sender: Sieben rote Sonntage. Zürich 1991.
  • Victor Serge: Geburt unserer Macht. München 1976.

Literatur

  • Erich Fried (Hrsg.): Am Beispiel Peter-Paul Zahl. Frankfurt 1976.
  • Der Fall Peter-Paul Zahl. Frankfurt 1978.
  • Von einem, der nicht relevant ist. Münster 1979.
  • Rudi Dutschke: Georg Büchner und Peter-Paul Zahl. In: Georg Büchner Jahrbuch. 4/84, Frankfurt 1986.
  • H.-V.Gretschel: Die Figur des Schelms im deutschen Roman nach 1945. Frankfurt 1993.

Einzelnachweise

  1. Der Peter-Paul-Verlag in Feldberg – eine Bibliografie, abgerufen am 9. März 2012
  2. Tagesspiegel vom 25. Januar 2011: Nachruf Peter-Paul Zahl: Das System ist der Fehler, abgerufen am 9. März 2012.
  3. Anarcho-Autor Peter-Paul Zahl gestorben, Welt Online, 26. Januar 2011
  4. Katalog der Deutschen Nationalbibliothek: Spartacus: zeitschrift für lesbare literatur, abgerufen am 9. März 2012
  5. Katalog der Deutschen Nationalbibliothek: zwergschul-ergänzungshefte, abgerufen am 9. März 2012
  6. Katalog der Deutschen Nationalbibliothek: pp-quadrat, abgerufen am 9. März 2012
  7. Heinrich Hannover: Die Republik vor Gericht. 1954 - 1974. Erinnerungen eines unbequemen Rechtsanwalts, Aufbau Taschenbuch Verlag, Berlin 2000, ISBN 3-7466-7031-4, S. 410
  8. Frankfurter Rundschau vom 26. Januar 2011: Freiheit und Glück als Signatur, abgerufen am 11. März 2012
  9. Heinrich Hannover: Die Republik vor Gericht. 1954 - 1974. Erinnerungen eines unbequemen Rechtsanwalts, Berlin 2000, S. 411
  10. Der Spiegel, Artikel vom 11. Februar 1980: Bedauert nicht, abgerufen am 9. März 2012
  11. Heinrich Hannover: Die Republik vor Gericht. 1954 - 1974. Erinnerungen eines unbequemen Rechtsanwalts, Berlin 2000, S. 412
  12. a b Der Spiegel, Artikel vom 6. Juni 1977: Ich wollte nicht um jeden Preis fliehen, abgerufen am 11. März 2012.
  13. zitiert nach: Heinrich Hannover: Die Republik vor Gericht. 1954 - 1974. Erinnerungen eines unbequemen Rechtsanwalts, Berlin 2000, S. 412
  14. Heinrich Hannover: Die Republik vor Gericht. 1954 - 1974. Erinnerungen eines unbequemen Rechtsanwalts, Berlin 2000, S. 412
  15. siehe dazu u.a.: Fritz J. Raddatz: Nachdenken über Peter-Paul Zahl. Von der Befragbarkeit der Justiz; im Archiv zeit online: Die Zeit vom 10. Februar 1977; Erich Fried, Helga M. Novak (Hrsg.): Am Beispiel Peter-Paul Zahl, Frankfurt am Main, 1978
  16. Der Spiegel vom 11. Februar 1980: Narren aus der Zelle, abgerufen am 11. März 2012
  17. Peter-Paul Zahl: Johann Georg Elser. Ein deutsches Drama. In: Schauspielhaus Bochum (Hrsg.): Programmbuch. Nr. 31. Schauspielhaus Bochum, Bochum 1982.
  18. Jörg Sundermeier, "Schriftsteller Peter-Paul Zahl gestorben: Kein Heros vom Establishment", in: taz, 25. Januar 2011 [1]