Rasterkraftmikroskop

physikalische Untersuchungsmethode
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Das Rasterkraftmikroskop (engl. Atomic Force Microscope; Abkürzungen RKM, AFM) ist ein 1986 von Gerd Binnig, Calvin Quate und Christoph Gerber entwickeltes Mikroskop zur mechanischen Abtastung von Oberflächen auf der Nanometerskala. Dabei wird eine an einer Blattfeder befestigte Nadel - dem so genannten Cantilever - zeilenweise über die Oberfläche geführt. Durch die Struktur der Oberfläche wird dabei die Blattfeder gebogen. Die Auslenkung kann mit kapazitiven oder typischerweise optischen Sensoren gemessen werden. Der Krümmungsradius der Spitzen beträgt dabei typischerweise 10 - 20 nm, was je nach Rauigkeit der Probenoberfläche laterale Auflösungen von 0,1 - 10 nm erlaubt. Zur exakten Bewegung der Nadel über die Probe dienen Piezostellelemente, mit deren Hilfe Scannbereiche von bis zu 100 × 100 µm untersucht werden können. Die Scanngeschwindigkeit liegen typischerweise zwischen 0,5 und 10 Hz, was bedeutet, dass pro Sekunde eine Zeile hin und wieder zurück gescannt wird. Bei normalen Bildauflösungen von 250 × 250 bis 500 × 500 Bildpunkten ergibt sich somit eine Messdauer von ungefähr 1 bis 20 Minuten pro Bild.

Messprinzip und Aufbau eines Rasterkraftmikroskops

Eine Messspitze (Tip), die sich auf einem elastisch biegsamen Hebelarm (Cantilever) befindet, wird als Messsonde (engl. Probe!) in geringem Abstand über die Probenoberfläche geführt. Ein piezoelektrischer Scanner bewegt hierfür entweder die Spitze über die Probe oder die Probe unter der feststehenden Spitze. Die Verbiegungen des Hebelarms hervorgerufen durch Kräfte zwischen Probe (engl. Sample!) und Spitze werden hochaufgelöst gemessen, indem ein Laserstrahl auf die Spitze gerichtet wird und der reflektierte Strahl mit einem Photodetektor aufgefangen wird. Die Verbiegungen des Hebelarms geben Aufschluss über die Oberflächeneigenschaften der Probe. Ein wichtiges Element eines Rasterkraftmikroskops ist der Controller, der die Bewegung des Scanners und der Probe bzw. Spitze steuert sowie die Signale auswertet. Die Bedienung des Geräts wird erleichtert, wenn die Positionierung des Lasers und der Spitze durch ein lichtoptisches Mikroskop unterstützt wird.

Betriebsmodi

Das Rasterkraftmikroskop kann in verschiedenen Betriebsmodi betrieben werden. Die Betriebsmodi können nach drei Systematiken geordnet werden, je nachdem ob

  1. eine Bildgebung erfolgt
    • bildgebend
    • spektroskopisch
  2. welche Wechselwirkungen für die Messungen genutzt werden:
    • Kontakt Modus
    • Nicht-Kontakt Modus
    • Intermittierender Modus
  3. eine Regelung vorhanden ist
    • constant height Modus
    • constant force/amplitude Modus

Bildgebende Verfahren

Kontakt Modus

In allen Kontakt-Messmethoden steht die Messspitze in direktem mechanischem Kontakt. Da sich die Orbitale der Atome in der Spitze und an der Probenoberfläche nicht überdecken können (Pauli-Prinzip) entstehen starke abstossende Kräfte:

Datei:Afm modes.png
Abb. 2: Die drei Modi der AFM: (a) Kontakt, (b) Nicht Kontakt und (c) Intermittent Modus
  • ungeregelt: Der constant height mode (engl. für: konstante Höhe) ist die älteste Messmethode des Rasterkraftmikroskops, da hierbei an die Regelungstechnik nur sehr geringe Anforderungen gestellt sind. Beim Abrastern der Probe verbiegt sich die Abtastnadel entsprechend der Struktur der Oberfläche. Da dadurch umso größere Kräfte auftreten, je größer die Unebenheiten auf der Oberfläche sind, eignet sich diese Methode vor allen Dingen für sehr glatte und harte Oberflächen, wie Spaltflächen von Kristallen. Da keine Regelung senkrecht zur Probenoberfläche erfolgen muß, können bei dieser Methode relativ hohe Messgeschwindigkeiten von bis zu über 10 Zeilen pro Sekunde erreicht werden. Die gesamte Information über die Topografie der Oberfläche ist im Auslenkungssignal der Blattfeder enthalten.
  • geregelt: im constant force mode (engl. für: konstante Kraft) wird dagegen der Aufhängungspunkt der Blattfeder mit Hilfe eines Piezostellelements so gesteuert, daß die Auslenkung des Cantilevers und damit die Kraft zwischen Spitze und Probe möglichst gleich bleibt. Um das zu erreichen, wird das Auslenkungssignal der Blattfeder als Regelgröße in einen Regelkreis eingespeist, der die Bewegung der Blattfederaufhängung bestimmt. Da Regelkreise nur eine endliche Geschwindigkeit aufweisen ist diese Messmethode auf niedrigere Geschwindigkeiten begrenzt. Mit heute Handelsüblichen Rasterkraftmikroskopen ist derzeit eine maximale Messgeschwindigkeit von etwa 3 bis 4 Zeilen pro Sekunde möglich. Obwohl durch die Regelung die auf die Oberfläche ausgeübten Kräfte reduziert werden, bleibt trotzdem eine Restbelastung für die Oberfläche übrig. Die Information über die Topographie der Oberfläche ist zum Teil im Regelsignal des Piezostellelements enthalten, zum Teil im Auslenkungssignal der Blattfeder.

Nicht-Kontakt Modus

Im Nicht-Kontakt Modus wird die Blattfeder durch eine externe periodische Kraft zu Schwingungen angeregt. Die Frequenz der Anregung wird etwas oberhalb der Resonanzfrequenz der Blattfeder gewählt. Nähert sich die Messspitze dann einer Oberfläche an, wird durch die anziehenden Kräfte (vor allem van-der-Waals Wechselwirkung) die Schwingung des Systems gedämpft und Amplitude sowie Frequenz der Schwingung reduziert. Dadurch schwingt die Spitze in einem kleinen Abstand über der Probenoberfläche.

  • ungeregelt: obwohl theoretisch ein constant height Modus auch im Nicht-Kontakt denkbar wäre, ist er aus technischen Gründen kaum zu realisieren, da das System im Nicht-Kontakt Modus wesentlich instabiler auf Abstandvergrößerungen reagiert.
  • geregelt: im constant amplitude Modus wird die Amplitude des Systems in den Regelkreis eingespeist und das Piezostellelement entsprechend geregelt um die Amplitude konstant zu halten. Da im Idealfall in diesem Messmodus die Spitze die Probenoberfläche nicht berührt, ist diese Messart sehr schonend für die Oberfläche und kann auch auf sehr weichen Proben eingesetzt werden. Allerdings ist das System sehr instabil, so daß sehr hohe Anforderungen an die Regelelektronik gestellt werden und die Messgeschwindigkeit ist mit etwa 1 Zeile pro Sekunde gegenüber dem Kontakt Modus stark verringert. Zudem ist die Auflösung des Rasterkraftmikroskops in diesem Modus eingeschränkt, da hierbei längerreichweitige Wechselwirkungen zum Tragen kommen.

Intermittierender Modus

Der Intermittiernde Modus (engl.: intermittent mode, oft auch tapping mode) entspricht im wesentlichen dem Nicht-Kontakt Modus mit dem Unterschied, daß die Anregungsfrequenz in diesem Fall leicht unterhalb der Resonanzfrequenz der Blattfeder gewählt wird. Da bei der Annäherung an die Probenoberfläche, die Resonanzfrequenz des Systems erniedrigt wird, kann mehr Energie in die Blattfeder übertragen werden. Durch die dadurch geringfügig größere Amplitude als beim Nicht-Kontakt Modus trifft die Spitze an jedem Minimum der Schwingung auf die Probenoberfläche auf. Dadurch vereinigt der intermittierende Modus die Vorteile des Kontakt Modus mit denen des Nicht-Kontakt Modus, da er geringe Auflagekräfte auf der Oberfläche mit guter Auflösung und mittleren Messgeschwindigkeiten vereint. Er ist damit für viele Anwendung der ideale Kompromiß. Bezüglich einer geregelten beziehungsweise nicht geregelten Messmethode gelten die selben Überlegungen wie für den Nicht-Kontakt Modus.

Andere Messgrößen

Über die einfache Messung der Oberflächentopographie hinaus können mit dem AFM weitere physikalische Eigenschaften untersucht werden. Bei allen Messprinzipien liegt aber einer der oben aufgeführten Messmodi zu Grunde:

  • MFM (magnetic force microscopy)
 
Abb. 3: AFM Magnetfeldmessung an einer 2GByte Festplatte

Sie dient zur Untersuchung der lokalen Magnetstärke in der Probe und wird z.B. bei der Entwicklung von Computerfestplatten eingesetzt. Die Messung erfolgt im Nicht Kontakt Modus, wobei die verwendete Abtastnadel dabei zusätzlich mit einem ferromagnetischen Material beschichtet ist. Die Messung selbst erfolgt dann für jede Bildzeile in zwei Durchläufen: Im ersten Durchlauf wird mit einem der oben beschriebenen Messmodi zunächst das Höhenprofil der Probe ermittelt. Danach wird im zweiten Durchlauf dieses Oberflächenprofil der Probe noch einmal abgefahren, und zwar so, dass die Messnadel einen konstanten Abstand zur Oberfläche aufweist (typisch unter 100 nm ). Die gesammelten Informationen kommen nun nicht mehr durch eine mechanische Auslenkung der Messnadelspitze zustande, sondern durch die je nach lokaler Feldstärke unterschiedlich stark wirkenden magnetischen Anziehungskräfte.

  • LFM oder FFM (lateral bzw. friction force measurement)
Datei:Lfm.png
Abb. 4: Prinzip der Reibungskraftmessung (LFM)

Die Messung erfolgt im constant force Kontakt Modus. Während des Abrasterns der Oberfläche wird zusätzlich das Verkippungssignal des Cantilevers aufgezeichnet. Abhängig von der Reibung zwischen Abtastnadel und Oberfläche verdreht sich der Cantilever unterschiedlich stark. Dadurch können Gebiete unterschiedlicher Reibung unterschieden werden und somit Aussagen über die Materialzusammensetzung in der Probenoberfläche getroffen werden.

Die AFM Spitze wird chemisch so modifiziert, dass sie besonders stark auf bestimmte Elemente an der Oberfläche reagiert, z.B. Modifizierung mit einer Methyl-Gruppe um hydrophobe Oberflächen nachzuweisen. Da eine Reaktion der Moleküle auf Probe und Spitze möglich sein muß, aber gleichzeitig Reibungs- und Auflagekräfte möglichst gering gehalten werden müssen erfolgt die Messung typischer Weise im intermittierenden Modus.

Spektroskopische Verfahren

Hier wird das AFM nicht zum Aufnehmen eines Bildes verwendet, sondern um die elasto-plastischen Eigenschaften der Probe an einer vordefiierten Stelle zu untersuchen.

Kraft-Abstands Kurven

 
Abb. 5: typische Kraft-Abstands-Kurven. a: Idealfall, b: typische Kurve, c: häufigstes Artefakt (siehe Text)

Zur Messung von Kraft-Abstands Kurven wird der Cantilever ein- oder mehrmals auf die Probe abgesenkt, mit definierter Kraft aufgedrückt und wieder von der Probe entfernt. Dabei wird die auf die Messnadel wirkende Kraft in Abhängigkeit von der Spitzenposition aufgezeichnet. Aus den entstandenen Kurven lassen sich dann Rückschlüsse auf verschiedene Eigenschaften des Materials und der Oberfläche gewinnen wie zum Beispiel über die Adhäsionskräfte und die Elastizität. Abbildung 5 zeigt typische Kraft-Abstands-Kurven die sich bei einer solchen Messung ergeben können. Dabei repräsentiert die blaue Kurve jeweils den Annäherungsprozess, die rote das Zurückziehen der Spitze. Bild a zeigt den Idealfall der Messung auf einer rein elastischen Probe. Der horizontale Abschnitt in der rechten Bildhälfte repräsentiert die Nulllinie (Kraftkurven werden normalerweise immer von der Nulllinie aus gelesen), bevor die Spitze in Kontakt mit der Oberfläche kommt. Nähert sich die Spitze der Probe an kommt es schließlich zu einem Sprung des Spitze auf die Oberfläche, der durch kurzreichweitige attraktive Kräfte hervorgerufen wird. Anschließend steigt die Kraft proportional mit dem weiteren Annähern an (sogenanntes "Kontaktregime"). Nachdem die Bewegung am Maximum umgekehrt wurde fällt die Kurve genauso linear wieder ab, bleibt aber an der Oberfläche haften, bis die Federkraft des Cantilevers größer wird als die Adhäsionskräfte der Oberfläche und der Federbalken wieder in seine Nullposition springt.

Bild b schematisiert eine typische Kraftkurve auf vielen Probentypen. Während die Nulllinie und der Sprung in den Kontakt nicht von Bild a abweicht, erkennt man im Kontaktregime, daß die Linie nicht mehr linear ist, sondern zunächst flacher ist und dann steiler wird. Dies kann zum einen durch eine Verhärtung des Materials während des Eindrückens zustandekommen (elasto-plastisches Verhalten) oder dadurch, daß bei dünnen Proben mit zunehmender Eindrückung die härtere Probenunterlage die Messung beeinflußt. Aus der Hysterese zwischen den Annäherungs- und Rückzugkurven kann die an der Probe verrichtete Arbeit berechnet werden.

Bild c schließlich demonstriert das häufigste Artefakt bei Kraft-Abstands-Messungen. Im Unterschied zu den Bildern a und b liegt hier die Rückzugskurve im Kontaktregime oberhalb der Annäherungskurve, das heißt, scheinbar sind die Kräfte beim Zurückziehen der Spitze höher als beim Annähern. Das Artefakt kommt meist durch Nichtlinearitäten der Piezostellelemente im Kraftmikroskop zustande.

Aufgrund dieser und anderer auftretender Artefakte ist bei der Kalibration des Gerätes wie bei der Auswertung der Kraftkurven ein großes Maß an Sorgfalt und Erfahrung nötig.

Einzelmolekülspektroskopie

Ein ähnliches Verfahren wie bei den Kraft-Abstands Kurven kann auch verwendet werden um Bindungskräfte in einzelnen Molekülen wie beispielsweise Proteinen zu messen. Dabei wird das zu messende Molekül mit Hilfe spezieller Moleküle kovalent an einen Probenträger und an die Messspitze gebunden und dann durch zurückziehen der Messspitze gestreckt. Da die Faltung von Proteinen durch Wasserstoffbrücken oder noch schwächere Bindungen zu Stande kommen wird dadurch das Molekül zunächst vollständig entfaltet, bevor es letzten Endes zu einem Reißen einer der kovalenten Bindungen im Molekül oder an der Oberfläche kommt. In der zugehörigen Kraft-Abstands Kurve ist das Entfalten dementsprechend an einer sägezahnartigen Struktur zu erkennen. Ein Verständnis der Messergebnisse ist ohne zumindest grundlegende molekularer Kenntnisse nicht erreichbar.

Störungen während der Messung

  • Vibrationen:
    Diese kommen zum einen durch Gebäudeschwingungen oder Trittschall zustande. AFM Messplätze werden deshalb gerne auf 15 cm starken Marmorplatten aufgebaut, die auf dämpfenden Druckluftfüßen stehen, oder auch auf mit Piezoelementen aktiv gedämpften Tischen betrieben.
    Zum anderen stellt akustischer Schall, der über die Luft direkt auf den Cantilever übertragen wird, eine starke Störquelle dar. Dieses um so mehr je mehr die Resonanzfrequenz des Cantilevers nahe zum Frequenzbereich normaler Geräusche liegt.
    Aus diesem Grund ist es sinnvoll AFMs in besonderen Schallschutzboxen zu betreiben. Falls es aus Sicht der untersuchten Probe möglich ist, verbessern Geräte die unter Vakuumbedingungen arbeiten hier ebenfalls nennenswert die Auflösung.
  • Thermischer Drift:
    Durch thermische Ausdehnungen zwischen Probe und Cantilever können im Verlauf eines Messintervalls Verschiebungen von einigen Nanometern auftreten, was sich bei Bildern mit hoher Auflösung als Verzerrung sichtbar macht.
  • Interferenzerscheinungen:
    Bei stark reflektierenden Proben kann es vorkommen, dass ein Teil des Laserstrahls von der Probenoberfläche reflektiert wird und im Photodetektor mit dem Anteil der vom Cantilever kommt interferiert. Dieses macht sich dann in senkrecht zur Scannrichtung verlaufenden Streifen bemerkbar, die dem eigentlichen Höhenbild überlagert sind.

Auswertesoftware

Bei professionellen AFMs ist gewöhnlich eine Auswertesoftware im Ansteuerprogramm der Hardware integriert. Die Datenformate sind dabei meist herstellerabhängig, da neben reinen Bilddaten auch die Einstellungen der jeweiligen Messung wie z.B. die Scanngeschwindigkeit mitgespeichert werden sollen. Darüber hinaus lassen sich die erstellten Messbilder auch in bekannte Datenformate wie BMP- oder JPEG-Dateien konvertieren.

Besonders soll hier aber noch eine frei verfügbare Auswertesoftware namens WSxM erwähnt werden, mit der alle typischen Datenaufbereitungen vorgenommen werden können (siehe Weblinks).


Literatur

  • G. Binnig, C. F. Quate and C. Gerber, Atomic force microscope, Physical Review Letters 56, 930-933 (1986)
  • B. Parkinson: Procedures in Scanning Probe Microscopies.John Wiley and Sons Ltd, 1997 (Englisch)
  • Roland Wiesendanger: Scanning Probe Microscopy and Spectroscopy - Methods and Applications. Cambridge University Press, Cambridge 1994, ISBN 0-521-42847-5 (Englisch)
  • B. Capella, G. Dietler, Force-distance curves by atomic force microscopy, Surface Science Reports 34, 1-104 (1999)

Siehe auch