Ein Rattenkönig ist ein selten auftretendes Phänomen unter Hausratten. Dabei verknoten sich eine ganze Anzahl von Tieren offenbar an den Schwänzen und verkleben durch Blut, Schmutz und Exkremente zusätzlich an Beinen und Flanken. In der Folge verwachsen die Tiere untrennbar an den Schwänzen, die vielfach gebrochen sind. Die Ursache liegt wahrscheinlich in zu engen Bauten, in denen die Jungtiere zu eng beieinander liegen und so die Verklebung und gegenseitige Verletzung stattfinden konnte. Rattenkönige scheinen eine ganze Zeit lang lebensfähig zu sein, da die so verwachsenen Individuen wohl von Artgenossen gefüttert werden.

Funde
Bei ihrer Entdeckung wurden Rattenkönige stets relativ schnell aus Furcht und Aberglauben getötet. Dennoch kam es gelegentlich zu Funden von abgestorbenen und in der Folge mumifizierten Rattenkönigen. Das naturkundliche Museum "Mauritianum" in Altenburg (Thüringen) zeigt den größten bekannten mumifizierten "Rattenkönig", der 1828 im Kamin eines Müllers in Buchheim gefunden wurde. Er besteht aus 32 Ratten. Alkoholpräparate von Rattenkönigen sind in Museen in Hamburg, Göttingen und Stuttgart zu sehen. Insgesamt ist die Anzahl der bekannten Funde von Rattenkönigen gering. Je nach Quelle schwankt sie zwischen 35 und 50 Funden.
Der früheste Bericht über Rattenkönige stammt von 1564, mit der Verdrängung der Hausratte durch die Wanderratte im 18. Jahrhundert ebbt das Phänomen ab. Etwa seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts sind - insbesondere aufgrund des Wandels der hygienischen Umstände - so gut wie keine Rattenkönige mehr bekannt, der jüngste Fund datiert vom 10. April 1986 und stammt aus dem französischen Mache in der Vendée.
Der "Rattenkönig" tritt vor allem bei der Hausratte (Rattus rattus) auf. Lediglich bei einem Fund vom 23. März 1918 in Bogor auf Java handelte es sich um einen Rattenkönig aus zehn jungen Feldratten (Rattus brevicaudatus). Ähnliche Verklebungen treten jedoch gelegentlich auch bei anderen Arten auf, so wurde im April 1929 eine Gruppe junger Waldmäuse (Apodemus sylvaticus) in Holstein entdeckt, weiter existieren (unbewiesene) Berichte von Eichhörnchenkönigen. Nicht zu verwechseln ist der Rattenkönig mit "siamesischen" Geburten, die bei vielen Arten auftreten (so existieren zum Bsp. diverse Präparate von "Katzenkönigen"). Beim Rattenkönig wachsen die Tiere erst nach der Geburt zusammen und sind keine unvollständig getrennten Mehrlingsgeburten.
Rezeption
In historischer Zeit galt der Rattenkönig als extrem böses Omen und verkündete etwa den Ausbruch einer Krankheitsepidemie. Meistens traf ein solches Ereignis auch ein, da Rattenkönige nur dann auftreten, wenn zu viele Ratten existieren und entsprechend wenig Platz für neue Bauten ist. Entsprechend der Anzahl der Ratten steigt dann auch die Gefahr eines Krankheitsausbruchs, etwa der Pest, deren Erreger (Yersinia pestis) durch Rattenflöhe übertragen wird.
Der Rattenkönig führte vielfach zur falschen Annahme, dass hier ein König oder Häuptling eines Rattenstammes gewissermaßen auf seinen Artgenossen "throne". Dieses Bild eignet sich offenbar gut als Sujet für künstlerisch-literarische Verarbeitung: So spielt in der Operette Der Nussknacker von Peter Tschaikowski der Rattenkönig als böser Gegner eine Rolle. Ein anderes Beispiel ist das Märchen Rattenkönig Birlibi von Ernst Moritz Arndt. Hier wird der Rattenkönig zwar auch als Individuum dargestellt, gleichzeitig betont Arndt aber die in sich verschlungenen Schwänze des Rattenkönigpaares.
Heute wird der Rattenkönig gelegentlich als Monster in Horror-Romanen eingesetzt (James Herbert - "Die Ratten"), doch schon alleine das Wort "Rattenkönig" scheint eine gewisse Anziehung auszuüben; so übertitelte beispielsweise der britische Schriftstellers James Clavell seinen Erstlings-Roman über ein japanisches Kriegsgefangenlager 1962 mit "Rattenkönig".
Etymologischer Hinweis
Gelegentlich wird eine Etymologie des "Rattenkönigs" aus dem französischen roi de rats, Rattenkönig, angeführt, das möglicherweise aus rouet de rats, Rattenrad, entstanden sei. Dies erscheint aber unwahrscheinlich, da der Rattenkönig vorwiegend im deutschen Raum auftritt. Die französische Bezeichnung wurde demzufolge aus der deutschen direkt übernommen.
Bekannte Funde und Ausstellungsexemplare (unvollständig)
Funde
- 1748 vom Müller Johann Heinrich Jäger in seiner Mühle: 18 lebende Individuen.
- Dezember 1822, in Döllstedt gleich zwei Rattenkönige: Einer aus 14 und einer aus 28 Individuen.
- 1828 in Buchheim bei Eisenberg (Thüringen) : Beim Abriß eines Kamins fand ein Müller eine Gruppe von 32 toten, ausgetrockneten und felllosen Individuen, die heute im Mauritianum in Altenburg ausgestellt sind.
- 1895: 10 Individuen, heute zu sehen im Museum in Straßburg
- 1899: 7 Individuen, heute zu sehen im Museum in Châteaudun
- 23. März 1918 in Bogor auf Java: 10 Individuen von Feldratten (Rattus brevicaudatus).
- Februar 1963, vom holländischen Landwirt P. van Nijnatten in Rucphen, Holland: 7 Individuen.
- 10. April 1986, in Mache in Frankreich: 9 Individuen, heute zu sehen im Museum in Nantes.
Präparate
- Mauritianum in Altenburg: 32 mumifizierte Individuen, gefunden 1828
- Hamburg Zoologisches Institut Uni Hamburg
- Göttingen
- Stuttgart
Literatur
- Kurt Becker, Heinrich Kemper: Der Rattenkönig. Eine monographische Studie, Beihefte der Zeitschrift für angewandte Zoologie, Duncker & Humblot, Berlin 1964
- "Rottekonger" , Facts & Faenomener Nr. 3/1995, Dänemark (dänisch)