Zum Inhalt springen

May Picqueray

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 27. Juli 2011 um 04:58 Uhr durch Onkelkoeln (Diskussion | Beiträge) (noch pd). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.

Marie-Jeanne Picqueray, bekannt unter dem Namen May Picqueray, (* 8. Juli 1898 in Savenay; † 3. November 1983 in Paris)[1] war eine französische Autorin, Widerstandskämpferin und militante Anarchistin.[2]

Leben

Aufgewachsen in der französischen Küstenstadt Saint-Nazaire, verbrachte Picqueray einige Jahre in Montreal (Kanada), wo sie Englisch lernte und dort als Au-Pair tätig war. Mit 18 Jahren, am Ende des Ersten Weltkrieges, kam sie nach Paris. Sie heiratete einen Offizier der Handelsmarine, die Ehe hielt jedoch nicht lange. In Paris machte sie Bekanntschaft mit Anarchisten, schloss sich der anarchistischen Jugend an und hörte Vorträge von Sébastien Faure. 1921 lernte sie den libertären Kriegsdienstverweigerer Louis Lecoin kennen. Mit Lecoin und anderen Anarchisten gründete Picqueray ein Unterstützungskomitee für Sacco und Vanzetti, die zum Tode verurteilt waren. Die französische etablierte Presse nahm kaum Notiz von diesem Todesurteil und Picqueray sandte aus Protest gegen das Verschweigen ein „Geschenkpaket“ mit einer Granate zur US-amerikanischen Botschaft in Paris. Im Vorzimmer der Botschaft wurde das Päckchen geöffnet; bevor die Granate explodierte, konnte ein Angehöriger der Botschaft sie noch in eine Ecke werfen. Es gab keine Todesopfer, der Sachschaden war jedoch groß. In ihrer Autobiografie erwähnte Picqueray, dass die Granate ihre Schuldigkeit getan habe: Die französische Presse berichtete nun über das Todesurteil von Sacco und Vanzetti.

In den 1920er Jahren war Picqueray öfters in Saint-Tropez gewesen. An der südfranzösischen Küste hatten sich Alexander Berkman und Emma Goldman in einem kleinen Haus niedergelassen, um ihre Autobiografien zu schreiben. Picqueray machte sich als Sekretärin nützlich, tippte das Manuskript und las Korrektur der mehrbändigen Autobiografie Goldmans.[3]

1922 reiste sie als Vertreterin der Föderation der Metallarbeiter nach Moskau zum Kongress der Roten Gewerkschafts-Internationale. In Begleitung des Delegierten Lucien Chevalier fuhr sie über Berlin, wo beide Berkman und Goldman trafen, die sie über die Lage im von den Bolschewiki regierten Russland und die Niederlage der russischen Anarchisten informierten (William Wright). Auch machte sie hier Bekanntschaft mit Rudolf Rocker und Augustin Souchy. In Berlin wurde Picqueray von Goldman und Berkman gebeten, sich nach ihrer Ankunft in Moskau für die Freilassung der in russischer Haft befindlichen Anarchistinnen Mollie Steiner und Senya Flechin einzusetzen.[4] In Moskau angekommen, gingen Lucien und Picqueray als Delegierte zum Büro von Leo Trotzki und übergaben ihm ein Gesuch für die Freilassung von Steiner und Flechin. Die beiden Freundinnen Emma Goldmans wurden einige Wochen später in Freiheit entlassen. „Sie [Picquerac] besuchte illegal neben den Konferenzsitzungen im Untergrund lebende Anarchisten wie Nicolas Lazarevitch oder Ex-Anarchisten wie Victor Serge, die nun die Bolschewiki unterstützten“ (Graswurzelrevolution). Bei einem Galadiner im Kreml sprang sie entrüstet auf einen Tisch und protestierte gegen dieses Galadiner der Delegierten, da in Sowjetrussland eine Hungersnot herrschte. Nach Abschluss des Kongresses, an einem der letzten Abende, wurde Picquaray gebeten, ein französisches Chanson zu singen. Sie ging auf den Vorschlag ein und sang von Charles d'Avray: Auf, auf, ihr alten Revolutionäre, die Anarchie wird endlich triumphieren. Hierüber schrieb sie in ihrer Autobiografie, Oh war das schön, danach in die Gesichter der Kommunisten zu schauen! Wenn sie gekonnt hätten, hätten sie mich auf der Stelle hingerichtet.[5]

Picquerays Mut wird unter anderem dadurch deutlich, dass ihr Delegiertenstatus in Sowjetrussland kein Schutz für ihr Leben war. Zwei Genossen von ihr, Lepetit und Vergeat, ebenfalls Delegierte, waren ein Jahr vorher für immer in Sowjetrussland spurlos verschwunden.

Zurück in Paris war Picqueray aktiv tätig in einer Fluchthelfergruppe. Mit libertären Freunden fälschte sie Pässe für Juden, damit diese den Deportationen entgehen konnten,[6] und für französische Arbeiter die zur Zwangsarbeit verurteilt waren. Eine anarchistische Freundin von ihr arbeitete als Sekretärin in einem Büro der Nationalsozialisten. Picqueray ging dort „ein und aus“ und fälschte Pässe und Dokumente gleich vor Ort im Büro der Nazis (W. Wright).

Nach dem Zweiten Weltkrieg engagierte sie sich mit ihrem langjährigen politischen Weggefährten Louis Lecoin in der antimilitaristischen Bewegung. In den 1970er Jahren unterstützte sie die ökologische Bewegung.

In der französischen anarchistischen Bewegung erhielt May Picqueray die Ehrenbezeichnung La Réfractaire (soviel wie: Die Aufsässige oder die Dissidentin).

Marie-Jeanne Picqueray hatte drei Kinder: Lucien, Marie-Mai und Sonia.

Werke

Weiterführende Literatur (Auswahl)

  • Olivia Gomolinski, May Picqueray, 1898-1983, une mémoire du mouvement anarchiste, mémoire de maîtrise. Paris 1994,
  • Bernard Thomas: Picqueray, May. - May la réfractaire: pour mes 81 ans d’anarchie.
  • Aude Le Breton, Publicité pour l’AAEL. éd. du Monde libertaire. Toulouse. ISBN 2-903013-83-7.
  • David Berry, The French Anarchist Movement, 1939 - 1945. In: Andreas G. Graf (Hrsg.): Anarchisten gegen Hitler. Anarchisten, Anarcho-Syndikalisten, Rätekommunisten in Widerstand und Exil. Lukas Verlag, Berlin 2001. ISBN 978-3-931836-23-8
  • Höre May Picqueray. Kurzinformation über den Dokumentarfilm von Bernard Baissat, Frankreich 1983 (französisch). May Picqueray erzählt ihr Leben als Anarchistin.

Einzelnachweise

  1. Autor: Bernard Thomas. Geburtsdaten und nähere Angaben über ihr Leben. Abgerufen am 1. Juli 2011. (französisch)
  2. Verschiedene Quellen bezeichnen Picqueray als Anarchistin (die Zeitschrift Graswurzelrevolution) oder Anarchosyndikalistin (auf der Website „epheman.perso.neuf.fr“. Autor: Bernard Thomas)
  3. Autor: Jean Maitron. Biografie. Abgerufen am 1. Juli 2011. (französisch)
  4. Nähere Angaben über das Leben von M. Picqueray. Abgerufen am 1. Juli 2011 (französisch)
  5. Autor: William Wright. In Graswurzelrevolution Nr. 275, Januar 2003. Informationen zu diesem Artikel stammen zum großen Teil aus dieser Zeitschrift. Abgerufen am 1. Juli 2011
  6. Fluchthelfergruppe. Abgerufen am 1. Juli 2011 (französisch)