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Programm Heinrich

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Von Himmler gewählte Bezeichnung für alle von der SS in Osteuropa durchgeführten und ins Auge gefassten Unternehmungen.[1]

Hintergrund

Während der „Generalplan Ost“ den unerfüllt bleibenden Siedlungsteil von „Programm Heinrich“ umfasste, z.B. die „Aktion Zamosc“, schloss das „Programm“ auch den vorausgehenden Völkermord – „Aktion Reinhardt“ unter dem Befehl von „Himmlers Vorposten im Osten“ Odilo Globocnik (Peter Black) – in den Vernichtungslagern Treblinka, Sobibor, Belzec und Majdanek ein. Noch im August 1944 hält Himmler „das Programm“ für „unverrückbar“: „Außerdem finde ich es so wunderbar, wenn wir uns heute schon darüber klar sind: Unsere politischen, wirtschaftlichen, menschlichen, militärischen Aufgaben haben wir in dem herrlichen Osten.“[2]

Hitler meinte, seine expansiven Ziele in den Spuren Ottos I. oder Barbarossas und schließlich im Gedanken an ganz Europa gegenüber Asien in den Spuren Karls des Großen verwirklichen zu können („Unternehmen Otto“, „Unternehmen Barbarossa“). Himmler sah sich seit 1935 unter dem Patronat von Heinrich I., Ottos I. Vater, stehen. Diese beiden Ottonen – Heinrich I. seit dem 19. Jahrhundert als Ostkolonisator von Preußen seinem Sohne Otto I. vorgezogen; Otto I. als Sieger auf dem Lechfeld über die Ungarn (955) von den Deutschösterreichern als Gründer der „Ostmark“ des Reiches und damit Österreichs angesehen – galten gewissermaßen als Kernfiguren einer allein für richtig gehaltenen deutschen Nationalpolitik, die durchweg expansiv nach Osteuropa hätte ausgerichtet werden sollen anstatt erfolglos nach Italien und Rom. Im großen Historikerstreit des 19. Jahrhunderts – nach seinen ersten Beteiligten „Sybel-Ficker-Streit“ benannt – war Heinrich I. von Heinrich von Sybel 1859 als „der Stern des reinsten Lichtes an dem weiten Firmament unserer Vergangenheit“ bezeichnet und schließlich völkisch vereinnahmt worden. In diesem Sinne sollte am 2.7.1936 anlässlich seines tausendsten Todestages in Quedlinburg seiner gedacht werden. Himmler übernahm mit der SS die Ausrichtung der Feierlichkeiten und hielt die, wie er meinte, wichtigste Rede seiner Laufbahn in der Quedlinburger Stiftskirche, die mit der Grabstelle Heinrichs zur „nationalen Weihestätte“ erklärt wurde. 1935 hatte er bereits zur Erforschung der quellenarmen Zeit Heinrichs I. die „Ahnenerbe“-Stiftung gegründet. Die von ihm 1934 in Besitz genommene Wewelsburg wurde jetzt für eine Gründung aus der Zeit Heinrichs I. zur Abwehr der damals immer wieder in Ostfranken einfallenden Ungarn gehalten und galt als Ausgangspunkt der in einer Sage überlieferten finalen Schlacht zwischen Ost und West. Himmler verlieh nach seiner deutschlandweit im Radio übertragenen Gedenkrede zu Heinrichs Todestag dem Todesgedenken Heinrichs I. in Quedlinburg Ritualcharakter, erklärte 1937 ausgegrabene Knochen bei der Wiederbeisetzung zu den Gebeinen Heinrichs I., gründete eine „König-Heinrich-I.-Gedächtnis-Stiftung“[3] und rief 1938 eine Reihe von Städten zu „König-Heinrich-Städten“ aus (Braunschweig, Enger, Fritzlar, Wetzlar, Gandersheim, Erfurt, Goslar, Meißen, Nordhausen, Schleswig, Wallhausen und Quedlinburg), während über die Vorhaben auf der Wewelsburg ein Berichtsverbot verhängt wurde. Am 2.7.1939 überreichte ihm der Oberbürgermeister von Quedlinburg den eigens für ihn komponierten „König-Heinrichs-Marsch“.[4] Alles, was Himmler mit Kriegsbeginn unternahm, stellte er unter die Patronage von Heinrich I.: Fahrten ab 3.9.1939 in den Osten im Sonderzug „Heinrich“ (allein im Dienstkalender Himmlers von 1941/42 23-malige Erwähnung); seine in der Nähe des östlichen Führerhauptquartiers aufgeschlagene „Feldkdo.-Stelle“ nannte er „Heinrich“; die Einrichtung der „SS-Sondereinheit Dirlewanger“ folgte dem Vorbild, wie es Heinrichs Chronist Widukind von Corvey in der „Merseburger Schar“ schildert, in der sich ebenfalls straffällig Gewordene zu bewähren hatten. Sie kam im Raum Lublin ab 1940 zum Einsatz.[5] Himmlers Freund und Chronist Hanns Johst, Präsident der Reichsschrifttumskammer, hätte beim Sieg und nach Vollendung von „Programm Heinrich“ die „Heinrich-Saga“ zu dichten gehabt.[6] Die hätte dann in der als Zentrum der SS bis 1964 in Speerform ausgebauten „Heinrichsburg“ Wewelsburg zum Vortrag kommen sollen. In Speerform deshalb, weil sich in den Händen Heinrichs und Ottos als deren wichtigste Herrschaftsreliquie die Heilige Lanze befand.

Anmerkungen

  1. Breitman, 2000, S. 265.
  2. Smith/Peterson, 1974, S. 246.
  3. Höhne, 1995, S. 144.
  4. Kater, 1974, S. 94, 385
  5. Helzel, 2004, S. 192-196.
  6. Düsterberg, 1999, S. S. 110, 123 f., 127.

Literatur

  • Richard Breitman, Heinrich Himmler. Der Architekt der „Endlösung“, München-Zürich 2000.
  • Rolf Düsterberg, Völkermord und Saga-Dichtung im Zeichen des „Großgermanischen Reiches“. Hanns Johsts Freundschaft mit Heinrich Himmler. In: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur (IASL), 24. Bd. 1999, 2. Heft, S. 88-133.
  • Frank Helzel, Ein König, ein Reichsführer und der Wilde Osten. Heinrich I. (919-936) in der Selbstwahrnehmung der Deutschen, transcript: Bielefeld 2004. ISBN 3-89942-178-7.
  • Heinz Höhne, Der Orden unter dem Totenkopf. Die Geschichte der SS, Augsburg 1995.
  • Michael H. Kater, Das „Ahnenerbe“ der SS 1935-1945. Ein Beitrag zur Kulturpolitik des Dritten Reiches, Stuttgart 1974.
  • Bradley Smith/Agnes Peterson (Hg.), Heinrich Himmler. Geheimreden 1933 bis 1945 und andere Ansprachen. Mit einer Einführung von Joachim C. Fest, Berlin 1974.