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Retrocomputing

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Der Apple II aus dem Jahr 1977
Original-Heimcomputer von Commodore: der C128, der Commodore Amiga und drei Modelle des C64
Analogue SuperNT-Konsole
Ein mit seinem Original kompatibler, moderner Nachbau des SNES, der SuperNT von Analogue

Retrocomputing (von lat. retro = rückwärts und Computer) ist die Verwendung von Computer-Technologie, die von ihren Herstellern aufgegeben wurde, zwecks

Retrocomputing wird selten ohne die Nutzung zeitgemäßer Medien und Systeme betrieben und entwickelte sich im 21. Jahrhundert zu einem Internetphänomen.

Arcade- und ältere Konsolen­spiele werden nicht nur auf originaler Hardware, sondern mittels Emulatoren und virtuellen Maschinen auch auf modernen PCs, aktuellen Konsolen oder Handys gespielt. Retrocomputing führte als Mode der Freizeitgestaltung auch zur Entstehung kommerzieller Hardware, die – meist in kleiner Stückzahl produziert – die Architektur der Originalsysteme nachbildet, mit der die Ausführung der Originalsoftware möglich ist. Diese Hardware kann sowohl von den Herstellern der Original-Hardware, als auch von Drittherstellern stammen, die sich speziell an diesen Markt richten.

Die Pflege von Geschäftssoftware im professionellen Umfeld, wie sie in Konzernen eingesetzt wird und die beispielsweise in COBOL verfasst wurde, gehört dagegen nicht zum Retrocomputing, da die Softwaresysteme seit ihrer Einführung ununterbrochen im Einsatz sind und teilweise nur schwer ersetzt werden können.

Begriffsbildung

Im englischen Sprachraum entstanden, sind für das Phänomen des Bewahrens, Pflegens und Betreibens alter Computer und verwandter Geräte wie etwa Spielkonsolen, Lochkartenleser, Drucker oder Tabletcomputer, zunächst die Wortbildungen Vintage Computing und Classic Computing etabliert worden.

Die Benennung Retro Computing ist dagegen eine neuere Entwicklung, die sich in ähnlicher Form auch auf anderen kulturellen Gebieten als Retro findet und eine Verschmelzung von aktuellem Geschehen mit Vergangenem impliziert. Oft wird Retrocomputing daher so verstanden, daß es die Beschäftigung mit digitaler Technik unter Anregung durch alte Geräte und teils auch unter Nutzung oder Mitnutzung dieser beinhaltet.

Es unterscheidet sich dabei teils drastisch (bis hin zur Zerstörung von Originalgeräten) vom Sammeln und Erhalten oder dem aktiven Nachstellen des Betriebs möglichst originalgetreuer Geräte, Software und Zubehör, wird aber durchaus auch als Oberbegriff für alle Aktivitäten im Bereiche alter Computertechnik verwendet.

Organisation

In Deutschland besteht bereits seit den 1990er Jahren eine wachsende, teilweise in Vereinen fest organisierte Sammler- und Tausch-Gemeinschaft antiquierter, also von ihren Herstellern lange aufgegebenen Technologien ohne kommerziellen Wert in der Gegenwart. Der Austausch findet persönlich und durch das Internet, in Online-Communities und Internetforen statt.[1][2][3][4][5][6]

Überregionale jährliche Treffen in Deutschland sind die Retroschau auf der Gamescom in Köln, die Lange Nacht der Computerspiele in Leipzig, die Classic Computing mit wechselnden Austragungsorten, das Vintage Computer Festival Europe in München und das Vintage Computing Festival in Berlin. Daneben existieren eine Vielzahl kleinerer Treffen (wie etwa die Retropulsiv), die sich teilweise auch auf ein Rechensystem beschränken und teilweise in häufigeren Abständen stattfinden.

Zunehmend finden sich auch Museen, die sich des Themas annehmen (dort oft primär unter dem Aspekt der Nachvollziehbarkeit technischer Entwicklung).[7][8][9][10][11][12] Insbesondere betreiben aber auch Privatleute, Universitäten und Vereine Sammlungen, die, etwa nach Anmeldung oder zu bestimmten Zeitpunkten, durchaus öffentlich zugänglich sind.[13][14][15][16][17][18]

Die Verteilung von eigentlich urheberrechtlich geschützter Software, aber auch kommerziell hergestellter Nachbauten von Originalhardware wird von den Inhabern des geistigen Eigentums an den Originalen meist geduldet, da die Produkte durch ihr Alter für Originalhersteller zur kommerziellen Auswertung unattraktiv geworden sind. In vielen Fällen sind auch die Originalhersteller als Unternehmen nicht mehr existent oder in Nachfolgeorganisationen aufgegangen, die sich nur für Teilbereiche der jeweilgen Technologie interessierten (z. B. SGI bei HP, Atari als reiner Markenname bei Hasbro).

Der gesellschaftliche Trend zu Retro seit den 2010er Jahren, und im Bereich der elektronischen Unterhaltung das Retrocomputing, inspiriert Originalhersteller zu einer Reihe von Wiederveröffentlichungen, Reboots und Remakes der beliebten Klassiker, bei denen durch eine technische Überholung Neuauflagen kommerziell ausgewertet werden. Diese Neuproduktionen existieren neben den Originalprodukten.

Neben der Pflege und der Bewahrung der technisch überholten Originale inspirierte das Retrocomputing, verbunden mit den sozialen Medien und der wesentlich verbesserten Verfügbarkeit von Technologie und Wissen, die Entwicklung verschiedener anderer Kulturprodukte und Phänomene, wie die fiktive Retro-„Konsole“ „Pico-8“, den Pixel-Art-Kunststil, aber auch die Produktion von gänzlich neuer Software und neuen Spielen (Indie) für die antiquierten Originalsysteme. Durch Phänomene wie Homebrew und Techniken wie Reverse Engineering vergrößerte sich das Wissen über die Originalsysteme, während die Produktion angepasster Produkte aus der Mikroelektronik durch den Markt für die Maker-Subkultur auch für Konsumenten erschwinglich wurde, sodass für Privatpersonen und Heimanwender heute die Herstellung eigener und mit Originalsystemen kompatibler Software und Hardware, wie beispielsweise in Spielmodulen, möglich ist.

Rezeption und Publikation

Retrocomputing wurde von akademischen Autoren als digitale Archivierungsaktivität beschrieben.[19] Andere Ansätze versuchen die epistemologischen und didaktischen Potenziale in der Beschäftigung mit den historischen Computern in die Definition einzuarbeiten.[20][21] An der Berliner Humboldt-Universität beschäftigt sich seit 2011 ein Forschungsprojekt (Medienwissenschaft und Informatik) mit dem Retrocomputing und seinen Praktiken, Theorien und medienarchäologischen Implikationen.[22]

Frühe akademische Überblicksarbeiten geben erhellende Einblicke in die grundlegend wissenschaftlichen Tätigkeiten von an der Entwicklung der Computertechnik direkt Beteiligten und erweitern so den Blick auf die wesentlichen Arbeiten.[23]

Im deutschen Sprachraum sind insbesondere die Zeitschriften Retro Magazin[24] sowie die Retro Gamer[25] stilprägend gewesen. Daneben existiert die RETURN[26], die sich bereits 2009 aus dem Vorgängermagazin cevi-aktuell herausgebildet hat.

Der heise Verlag hat 2012 die Erstausgabe der c't als PDF online gestellt[27] und bietet seit dem Jahr 2018 jährlich ein Sonderheft zu diesem Themenkomplex an,[28][29][30][31] teils von Videobeiträgen begleitet.[32]

Siehe auch

Commons: Retrocomputing – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Atari Computer
  2. Amiga
  3. C64 und sonstige Commodore 8 Bit Rechner
  4. DOS Rechner
  5. Verein zum Erhalt klassischer Comuter e.V.
  6. abbuc Atari 8Bit Computer
  7. Computerspielemuseum Berlin
  8. Zuse Computer Museum Hoyerswerda
  9. Technikmuseum Berlin
  10. Heinz Nixdorf Forum
  11. Technische Sammlungen Dresden
  12. Deutsches Museum München
  13. Computermuseum Oldenburg
  14. RECHENWERK Halle
  15. Technikum29 Kelkheim/Taunus (nahe FFM)
  16. Computermuseum der Universität Stuttgart
  17. Yesterchips Museum Haingrund
  18. Digital Retro Park Offenbach
  19. Yuri Takhteyev, Quinn DuPont: Retrocomputing as Preservation and Remix. (PDF) In: iConference 2013 Proceedings (pp. 422–432). doi:10.9776/13230. University of Toronto, 2013, abgerufen am 26. März 2016: „This paper looks at the world of retrocomputing, a constellation of largely non-professional practices involving old computing technology. Retrocomputing includes many activities that can be seen as constituting “preservation.” At the same time, it is often transformative, producing assemblages that “remix” fragments from the past with newer elements or joining together historic components that were never combined before. While such “remix” may seem to undermine preservation, it allows for fragments of computing history to be reintegrated into a living, ongoing practice, contributing to preservation in a broader sense. The seemingly unorganized nature of retrocomputing assemblages also provides space for alternative “situated knowledges” and histories of computing, which can sometimes be quite sophisticated. Recognizing such alternative epistemologies paves the way for alternative approaches to preservation.
  20. Stefan Höltgen: SHIFT - RESTORE - ESCAPE. Retrocomputing und Computerarchäologie, 2014, ISBN 978-3-941287-70-9.
  21. Stefan Höltgen: RESUME. Hands-on Retrocomputing, Computearchäologie Band I, 2016, S. 246–253, ISBN 978-3-89733-396-3.
  22. Stefan Höltgen: Zur Archäologie der frühen Mikrocomputer und ihrer Programmierung. Abgerufen am 29. Juni 2016.
  23. N.Metropolis, J.Howlett, Gian-Carlo Rota: A History of Computing in the Twentieth Century , A collection of Essays, 1980, Academic Press, ISBN 0-12-491650-3
  24. http://www.retromagazine.eu/retro/
  25. https://www.emedia.de/magazine/retro-gamer/
  26. https://www.return-magazin.de/
  27. https://www.kotzendes-einhorn.de/blog/2012-11/retrogold-die-erste-ausgabe-der-ct-von-1983/
  28. https://www.heise.de/select/ct/2018/27 c't RETRO 2018
  29. https://www.heise.de/select/ct/2019/27 c't RETRO 2019
  30. https://www.heise.de/select/ct/2020/27 c't RETRO 2020
  31. https://www.heise.de/select/ct/2021/27 c't RETRO 2021
  32. https://www.heise.de/ct/artikel/c-t-inside-Die-Technik-des-ersten-IBM-PCs-4559970.html Dekonstruktion eines Ur-IBM-PC