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Stock-Flow Consistent Model

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Stock-Flow Consistent Models (SFC),[1] auf deutsch etwa bestands- und flussgrößenkonsistente Modellierung[2], dient als Sammelbegriff für verschiedene dynamische volkswirtschaftliche Modelle, welche die Dynamik der Bestands- und Flussgrößen in einer Volkswirtschaft beschreiben.

Geschichte

Der mathematische Rahmen basiert auf den Arbeiten von Morris Copeland aus dem Jahr 1949.[3] Er entwickelte Tabellen für die US-amerikanische Ökonomie, welche die Geldflüsse von Einkommen, Sparen, Leihen und Investieren zusammen mit dem Veränderungen der Bestände von Schulden, Guthaben und Finanzanlagen abbildete.[4] Bis heute werden diese flows of funds vom Federal Reserve System veröffentlicht.[5] Die Social Accounting Matrix (SAM) enthält als Matrix die ökonomischen Transaktionen zwischen den Wirtschaftssektoren und die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung.

James Tobin und seine Kollegen nutzten ab den 1960er Jahren Konzepte wie die social accounting matrix, um zeitdiskrete Modelle zu bauen, die das Portfoliomanagement verschiedener Geldanlagen mit unterschiedlicher Verzinsung sowie realwirtschaftliche Variablen enthielten.[4][6][7]

Weiterentwickelt wurden SFC-Modelle von Autoren aus der postkeynesianischen Tradition.[4] Sie lehnen die klassische Dichotomie der Zweiteilung einer Volkswirtschaft in den realen und den monetären Sektor, die Neutralität des Geldes sowie die allgemeine Gleichgewichtstheorie und die darauf aufbauenden Modelle ab.[1][8][9][10] Stattdessen wollten sie die Dynamik der Geldflüsse unter der Zwangsbedingung[11] der Bilanzierungsidentitäten modellieren. Es gilt, im Modell „schwarze Löcher“ (englisch black holes) zu vermeiden, in denen Geld verschwindet oder ohne Gegenbuchung aus dem Nichts entsteht.[12][13] In Deutschland wurden ähnliche Konzepte von Wolfgang Stützel als „Saldenmechanik“ konzipiert.[14]

Die Modelle erreichten Anfang des 21. Jahrhunderts und insbesondere nach Beginn der Weltfinanzkrise steigende Popularität,[4] da einige Autoren mit Bilanzierungsmodellen die kritischen Entwicklungen vorhergesehen hatten.[15][1]:41 Allerdings dominieren in der Makroökonomik weiterhin DSGE-Modelle, die zwar auch stock-flow consistent sind, aber in denen wegen der Verhaltensannahmen wie rationaler Erwartungen und intertemporaler Optimierung keine Krisen entstehen können.[1]:46[16] Verwendet werden SFC-Modelle auch in der Ökologischen Makroökonomik, wo neben den Geldflüssen auch Ressourcen- oder Energieflüsse und -bestände abgebildet werden.[13][17][18] Es gibt darüber hinaus Versuche, die Eigenschaften von SFC-Modellen in Agentenbasierte Modellierung (ABM) zu integrieren[19] oder mit Input-Output-Analysen zu verbinden.[13][20]

Konzept

Die Grundlage eines SFC-Modells ist die Aufstellung von Bilanzen für verschiedene Wirtschaftssektoren wie Banken, Firmen, Privathaushalte und den Staat. Die verschiedenen Bestandsgrößen in den Bilanzen sind über Bilanzierungs-Identitäten verbunden, weil beispielsweise das Guthaben der Haushalte bei der Bank gleichzeitig immer eine Verbindlichkeit der Bank ist. Die Flussgrößen sind ebenfalls über Identitäten miteinander verbunden, weil die Einnahmen des einen stets die Ausgaben des anderen sind. Dies ergibt die Social Accounting Matrix oder Transaktionsmatrix. Nur wenn die Bestands- und Flussgrößen die Identitäten erfüllen, kann der monetäre Kreislauf in einer Volkswirtschaft konsistent beschrieben werden (stock-flow consistency).[1][4][8][10][21]

Grundsätzlich gibt es drei wichtige Gleichungsarten ökonomischer Modelle, die auch in SFC-Modellen vorkommen. Definitionsgleichungen wie die Gleichungen der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung, bestimmte modellabhängige Identitätsgleichungen, sowie Verhaltensgleichungen. Als Verhaltensfunktionen werden beispielsweise Konsumfunktionen oder bestimmte Preisanpassungsprozesse verwendet.[10] Dank der Definitionen und Identitäten kann nicht für jede Variable eine Verhaltensgleichung angegeben werden, weil das System sonst überbestimmt wäre.[11]:3 Anders als bei vielen anderen ökonomischen Modellen wird üblicherweise kein allgemeines Gleichgewicht angenommen, sondern die Modelle beschreiben Nicht-Gleichgewichte und Anpassungsprozesse.

Die Dynamik des Modells kann numerisch modelliert oder mittels Konzepten der Theorie dynamischer Systeme wie Bifurkationsanalyse untersucht werden.[22]

Einzelnachweise

  1. a b c d e Michalis Nikiforos, Gennaro Zezza: Stock-flow Consistent Macroeconomic Models: A Survey. In: Working Paper. Nr. 891. Levy Economics Institute of Bard College, Mai 2017 (levyinstitute.org [PDF]).
  2. Ferdinand Wenzlaff, Christian Kimmich, Oliver Richters: Theoretische Zugänge eines Wachstumszwangs in der Geldwirtschaft. In: ZÖSS Discussion Papers. Nr. 45. Zentrum für Ökonomische und Soziologische Studien, Hamburg 2014, S. 27 (hdl:10419/103454).
  3. Morris A. Copeland: Social accounting for moneyflows. In: The Accounting Review. Band 24, Nr. 3, 1949, S. 254–264, JSTOR:240684.
  4. a b c d e E. Caverzasi, A. Godin: Post-Keynesian stock-flow-consistent modelling: a survey. In: Cambridge Journal of Economics. Band 39, Nr. 1, Januar 2015, S. 157–187, doi:10.1093/cje/beu021. Vorabdruck als Working Paper 745, Levy Institute, 2013.
  5. Financial Accounts of the United States - Z.1, sowie Financial Accounts Guide, Federal Reserve System, abgerufen am 8. Januar 2019.
  6. James Tobin: Money and finance in the macro-economic process. In: Nobel Memorial Lecture. 8. Dezember 1981 (nobelprize.org [PDF]).
  7. William C. Brainard, James Tobin: Pitfalls in financial model building. In: American Economic Review. Band 58, Nr. 2, 1968, S. 99–122.
  8. a b Claudio H. Dos Santos, Gennaro Zezza: A simplified, ‘benchmark’, Stock-Flow Consistent Post-Keynesian growth model. In: Metroeconomica. Band 59, Nr. 3, 2008, S. 441–478, doi:10.1111/j.1467-999X.2008.00316.x.
  9. Wynne Godley, Francis Cripps: Macroeconomics. Oxford University Press 1983.
  10. a b c Wynne Godley, Marc Lavoie: Monetary Economics. Palgrave Macmillan, New York 2007.
  11. a b Oliver Richters, Erhard Glötzl: Modeling economic forces, power relations, and stock-flow consistency: a general constrained dynamics approach. In: Oldenburg Discussion Papers in Economics. Nr. V-V-409-18. Department of Economics, University of Oldenburg, Oldenburg Mai 2018 (hdl:10419/178651).
  12. Wynne Godley: Money, finance and national income determination: an integrated approach. In: Working Paper. Nr. 167. The Levy Economics Institute of Bard College, Juni 1996, S. 7 (repec.org [PDF]).
  13. a b c Matthew Berg, Brian Hartley, Oliver Richters: A Stock-Flow Consistent Input-Output Model with Applications to Energy Price Shocks, Interest Rates, and Heat Emissions. In: New Journal of Physics. Band 17, Nr. 1, Januar 2015, 015011, doi:10.1088/1367-2630/17/1/015011.
  14. Wolfgang Stützel: Volkswirtschaftliche Saldenmechanik. Mohr, Tübingen 1978 (Nachdr. der 2. Aufl., 2011, Mohr Siebeck), ISBN 978-3161509551.
  15. Dirk J. Bezemer: Understanding financial crisis through accounting models. In: Accounting, Organizations and Society. Band 35, Nr. 7, 2010, S. 676–688, doi:10.1016/j.aos.2010.07.002.
  16. David Colander, Peter Howitt, Alan Kirman, Axel Leijonhufvud, Perry Mehrling: Beyond DSGE Models: Toward an Empirically Based Macroeconomics. In: The American Economic Review. Band 98, Nr. 2, 2008, S. 236–240, doi:10.2307/29730026.
  17. Yannis Dafermos, Maria Nikolaidi, Giorgos Galanis: A stock-flow-fund ecological macroeconomic model. In: Ecological Economics. Band 131, 2017, S. 191–207, doi:10.1016/j.ecolecon.2016.08.013.
  18. Yannis Dafermos, Maria Nikolaidi, Giorgos Galanis: Climate change, financial stability and monetary policy. In: Ecological Economics. Band 152, 2018, S. 219–234, doi:10.1016/j.ecolecon.2018.05.011.
  19. Alessandro Caiani, Antoine Godin, Eugenio Caverzasi, Mauro Gallegati, Stephen Kinsella, Joseph E. Stiglitz: Agent Based-Stock Flow Consistent Macroeconomics: Towards a Benchmark Model. In: Journal of Economic Dynamics and Control. Band 69, August 2016, S. 375–408, doi:10.1016/j.jedc.2016.06.001.
  20. Jung Hoon Kim, Marc Lavoie: A two-sector model with target-return pricing in a stock-flow consistent framework. In: Economic Systems Research. Band 28, Nr. 3, 2016, S. 403–427, doi:10.1080/09535314.2016.1196166.
  21. Wynne Godley, Francis Cripps: Macroeconomics. Oxford University Press, 1983, S. 18.
  22. Oliver Richters, Andreas Siemoneit: Consistency and Stability Analysis of Models of a Monetary Growth Imperative. In: Ecological Economics. Band 136, Juni 2017, S. 114–125, doi:10.1016/j.ecolecon.2017.01.017. Preprint: VÖÖ Discussion Paper 1, Februar 2016, hdl:10419/144750.