Kulturkampf in Preußen und im Deutschen Reich

Der Kulturkampf war eine Auseinandersetzung zwischen der katholischen Kirche unter Papst Pius IX. und dem Königreich Preußen bzw. dem Deutschen Kaiserreich unter Reichskanzler Otto von Bismarck zwischen 1871 und 1878/1887.
Dabei ging es sachlich um liberale Politik wie z. B. die Einführung der Zivilehe, politisch um die Macht der organisierten katholischen Minderheit in Deutschland. Bismarck handelte mit scharfen Mitteln gegen die katholische Geistlichkeit, womit er schließlich auch Kritik von Protestanten und Liberalen erhielt. Gegen 1878 kam es wieder zu einer Annäherung zwischen Staat und katholischer Kirche.
Vorgeschichte
Die Kirche war seit dem Mittelalter Trägerin vieler Einrichtungen im Bildungswesen und in der Sozialfürsorge. Spätestens im 18. Jahrhundert kamen mit dem Absolutismus und der Aufklärung Tendenzen auf, die stattdessen den Staat in dieser Rolle sehen wollten. Dies verstärkte sich im 19. Jahrhundert mit dem Liberalismus und später dem Sozialismus. Die protestantischen Kirchen waren meist dem Staat näher als die katholische Kirche.

Diese reagierte auf die Tendenzen der Zeit zunehmend schroff abweisend, etwa 1864 mit dem Syllabus Errorum. Kritiker der katholischen Kirche verwiesen auch auf das (erste) Vatikanische Konzil von 1869 bis 1870, das dem Papst unter bestimmten Umständen Unfehlbarkeit in Glaubens- und Sittenlehre zusprach. Doch kurz danach im Sommer 1870 zog Frankreich seine Schutztruppen aus Rom ab, um gegen Preußen einen Krieg zu führen. Dies nutzten Italiener zur Einnahme des Kirchenstaates durch den neuen italienischen Nationalstaat im September 1870. Die bisherige Schutzmacht Frankreich verlor den Krieg gegen die vereint kämpfenden Deutschen. Der Papst sah sich und seine Unabhängigkeit durch die neuen Konstellationen konkret bedroht.
In Preußen und in Deutschland organisierten sich die Katholiken seit Ende 1870 in der Zentrumspartei und verlangten, die Rechte der Kirchen gegen die staatliche Gesetzgebung zu schützen. Die Partei stieß nicht nur auf den Widerstand von Liberalen im weitesten Sinne. Reichskanzler Otto von Bismarck war auch gegen die föderativen Vorstellungen des Zentrums und dessen Forderung nach einem Bündnis mit (dem mehrheitlich katholischen) Österreich; wie in anderen Minderheiten, zum Beispiel Polen, Elsaß-Lothringern und Dänen, sah er in den Katholiken Feinde des Reiches.[1] Den politisch organisierten Katholiken wurde von den Gegnern „Ultramontanismus“ vorgeworfen, sie ließen sich also von Rom (hinter den Bergen, den Alpen) beherrschen, nicht von Berlin.
Maßnahmen

Bismarck und seine Anhänger setzten eine Reihe von Anordnungen und Gesetzen durch, die direkt oder indirekt als gegen die (katholische) Kirche gerichtet verstanden werden konnten. Sachfragen und Repression vermischten sich teilweise. Diese Maßnahmen waren:
- Juli 1871: Bismarck löst die katholische Abteilung im preußischen Kultusministerium auf.
- Dezember 1871: Im „Kanzelparagraphen“, einem Reichsgesetz zur Abänderung des Strafgesetzbuches, wird den Geistlichen verboten, bei Verlautbarungen in ihrem Beruf den „öffentlichen Frieden“ zu gefährden, wie es hieß.
- 1872: Die Jesuiten dürfen in Deutschland keine Niederlassungen errichten (Jesuitengesetz). Die geistliche Schulaufsicht wird durch eine staatliche ersetzt (Schulaufsichtsgesetz).
- Maigesetze 1873: Der Staat kontrolliert Ausbildung und Einstellung der Geistlichen, gewählte Gemeindevertretungen verwalten das kirchliche Vermögen.
- 1875: Vor dem Gesetz ist nur noch die Eheschließung des Standesamtes gültig (Zivilehe), nicht mehr die kirchliche. Wer kirchlich heiraten wollte, durfte dies erst nach der standesamtlichen Trauung.[2]
- 1875: Das „Brotkorbgesetz“ entzieht der Kirche die staatlichen Zuwendungen. Das „Klostergesetz“ löst die Klostergenossen in Preußen auf, mit Ausnahme derjenigen, die sich mit Krankenpflege beschäftigen.
Manfred Görtemaker zufolge ist es falsch, wie Papst Pius von einer Verfolgung der Gläubigen zu sprechen. Wohl ging es darum, die Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der Kirchen zu brechen oder zu mindern.[3] Außerdem wurden 1872 die diplomatischen Beziehungen zum Vatikan abgebrochen. In einer Reichstagsrede bekräftigte Bismarck mit dem Ausspruch „Nach Canossa gehen wir nicht!“ seine Absicht, im Konflikt mit der katholischen Kirche „keinen Fußbreit nachzugeben“.
Über den „Kanzelparagraphen“ kam es sogar zu Haftstrafen für katholische Geistliche, beispielsweise den Erzbischof von Posen, Mieczysław Halka Ledóchowski. Er wurde zur Höchststrafe von zwei Jahren verurteilt.[4] Am 13. Juli 1874 verübte der katholische Handwerker Eduard Franz Ludwig Kullmann wegen des Kulturkampfs ein Attentat auf Bismarck, der dabei aber nur leicht verletzt wurde.
Beendigung des Kulturkampfes seit 1878
Bismarck erreichte seine politischen Ziele mit dem Kulturkampf nicht. Das Zentrum erhielt sogar mehr Wählerzulauf als zuvor, der Katholizismus spaltete sich nicht, anders als es mit der Gründung der Altkatholischen Kirche zunächst ausgesehen hatte. Außerdem empörten sich auch viele der Unterstützer Bismarcks: Die protestantischen Konservativen waren ebenfalls gegen die Zivilehe und die staatliche Schulaufsicht, die Liberalen sahen Grundrechte gefährdet.[3] Bismarck war bereit, sich mit den kirchlichen Kräften zu arrangieren, nachdem er wichtige Ziele durchgesetzt hatte. Ein Grund für das Ende des Kulturkampfes waren die bevorstehenden Sozialistengesetze seit 1878, für die Bismarck eine Mehrheit benötigte, die er jedoch von den Liberalen nicht erwarten konnte.
Als Pius IX. 1878 starb, folgte ihm Leo XIII. im Amt. In direkten Verhandlungen mit der Kurie wurden die harten Gesetze gemildert. Im Sommer 1882 nahm Preußen wieder diplomatische Beziehungen zum Vatikan auf. Die 1886 und 1887 erlassenen "Friedensgesetze" führten schließlich zur Beilegung des Konflikts. Leo XIII. erklärte am 23. Mai 1887 öffentlich den „Kampf, welcher die Kirche schädigte und dem Staat nichts nützte“, für beendet.
Folgen und Bewertung
Der Kulturkampf trug zur Trennung von Kirche und Staat bei. Mit der Weimarer Reichsverfassung bekam dann das Verhältnis von Kirche und Staat seine bis heute geltende Fassung. Es ist schwierig abzuschätzen, inwieweit der Kulturkampf das politische Klima noch im 20. Jahrhundert verändert hat; Zentrumspolitiker waren von den entscheidenden Machtpositionen weitgehend ausgeschlossen. Katholiken konnten sich vor allem bis 1918 als Bürger zweiter Klasse empfinden. In Deutschland waren die Auseinandersetzungen zwischen Staat und Kirche zeitweise besonders heftig, es gab sie aber auch in anderen Ländern, nicht zuletzt in den gemischtkonfessionellen wie den Niederlanden, der Schweiz und den USA.
Das Jesuitengesetz wurde erst 1917, der Kanzelparagraph erst 1953 in der Bundesrepublik aufgehoben. Mit Wirkung zum 1. Januar 2009 muss einer kirchlichen Ehe keine standesamtliche mehr vorangehen. Mittlerweile ist eine Eheschließung allerdings mit vielen Rechten des wirtschaftlich schwächeren Ehepartners etwa im Scheidungsfall verbunden, daher haben die Kirchen kein Interesse daran, eine rein kirchliche Trauung zu fördern und erlauben sie nur im Ausnahmefall. Das Schulaufsichtsgesetz bleibt jedoch erhalten.
Der Begriff „Kulturkampf“
Der Begriff Kulturkampf wurde erstmals am 17. Januar 1873 im Preußischen Abgeordnetenhaus von Rudolf Virchow verwendet, wo er in der Beratung des Gesetzentwurfes über die Vorbildung und Anstellung der Geistlichen sprach: „[...] Ich habe die Überzeugung, es handelt sich hier um einen großen Kulturkampf. [...]“ [5]
In einem von Virchow verfassten Wahlaufruf der Fortschrittspartei vom 23. März 1873 hat er diesen Ausdruck wiederholt[6]. Der Begriff wurde von der katholischen Presse ironisch aufgenommen und verspottet, von der liberalen Presse begeistert verteidigt.[6]
Einige Jahre später (1903–1908) brach der Akademische Kulturkampf aus, ein feststehender Begriff der Studentengeschichte für Auseinandersetzungen zwischen den reichstreuen und den katholischen Studentenverbindungen.
Der Begriff „Kulturkampf“ wird seit geraumer Zeit auch in anderen Zusammenhängen verwendet, so zum Beispiel für den globalen „Kampf“ zwischen Kulturen verschiedener Länder oder Kulturkreise (etwa Samuel P. Huntington in seinem berühmten Buch Clash of Civilizations - ins Deutsche übersetzt unter dem Titel „Kampf der Kulturen“, obwohl „Zusammenprall der Kulturen“ den Sinn des Originaltitels besser träfe), für einen Kampf um die „kulturelle Vorherrschaft“ innerhalb einer Gesellschaft und insbesondere um die Definitionsmacht über das Selbstverständnis und die Wertvorstellungen einer Nation (siehe Neue Rechte, Wertewandel), sowie in zahlreichen verwandten Bereichen.
Im September 2008 erklärte der Fuldaer Bischof Heinz Josef Algermissen auf einem Kongress des Forums Deutscher Katholiken, dass er die Katholiken in Deutschland angesichts der aktuellen Diskussion um Gender Mainstreaming und eine angebliche „Propagierung der Homosexualität“ in einem neuen Kulturkampf um „die reale Stärkung der Familie“ sehe.[7]
Siehe auch: Badischer Kulturkampf
Literatur
- Georg Franz: Kulturkampf - Staat und katholische Kirche in Mitteleuropa. Verlag Georg D.W.Callwey, München, 1954
- Christopher Clark und Wolfram Kaiser (Hg.): Kulturkampf in Europa im 19. Jahrhundert. Leipziger Univ.-Verl., Leipzig 2003.
Weblinks
- Gesetz betreffend die geistlichen Orden und ordensähnlichen Kongregationen der katholischen Kirche vom 31.Mai 1875
- Kulturkampf in den Lexika von Bertelsmann, Fischer, Meyers und Brockhaus
- Publikationen über den Kulturkampf bei Litdok Ostmitteleuropa / Herder-Institut (Marburg)
Einzelnachweise
- ↑ Manfred Görtemaker: Deutschland im 19. Jahrhundert. Entwicklungslinien, Opladen 1983, S. 277/278.
- ↑ Bis hierhin Aufzählung nach Manfred Görtemaker: Deutschland im 19. Jahrhundert. Entwicklungslinien. Opladen 1983, S. 279.
- ↑ a b Manfred Görtemaker: Deutschland im 19. Jahrhundert. Entwicklungslinien. Opladen 1983, S. 280.
- ↑ rbb Preußen-Chronik | Mieczyslaw Graf Halka-Ledochowski
- ↑ Heinrich August Winkler, Der lange Weg nach Westen. Deutsche Geschichte 1806-1933, München 2000, S. 222; Karl Bachem: Vorgeschichte, Geschichte und Politik der Deutschen Zentrumspartei, Bd. III, 1927, S. 268–269.
- ↑ a b Karl Bachem: Vorgeschichte, Geschichte und Politik der Deutschen Zentrumspartei, Bd. III, 1927, S. 269.
- ↑ Gernot Facius: Papsttreue Katholiken sehen Deutschland im Kulturkampf. In: Die Welt. 15. September 2008 (welt.de [abgerufen am 16. September 2008]). .