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Aleviten

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Die Aleviten bilden in der Türkei nach den sunnitischen Muslimen die größte Religionsgruppe, mit 15–20% der Bevölkerung.

Datei:Aleviten-alte Karte.png
Türkische Provinzen mit signifikantem Aleviten-Anteil

Der Glaube der Aleviten

Die Aleviten sind Muslime, die aber mit den für andere Muslime religiös verbindlichen Vorschriften liberal umgehen. Sie halten sich nicht an alle Fünf Säulen des Islams (aus Sicht der Sunniten), kennen keine Pflichtgebete und brauchen zum Beten keinen besonderen Raum und keine spezielle Zeit. Jede Alevitin und jeder Alevit betet dann und dort, wo er oder sie will auf eine Art, wie es ihm oder ihr entspricht.

Der Koran ist für Aleviten kein Gesetzbuch, sondern die Niederschrift von Offenbarungen, die kritisch gelesen werden dürfen (siehe dazu: Buyruk). Sie sehen in ihm kein verbalinspiriertes Buch, sondern interpretieren ihn mystisch. Sie lehnen auch die Schari'a, das islamische Gesetz, ab.

Im Zentrum ihres Glaubens steht der Mensch: nicht als der sich unterwerfende Sklave Gottes, sondern als eigenverantwortliches Wesen. Wichtig ist ihnen das Verhältnis zum Mitmenschen. Die Frage nach dem Tod und den Jenseitsvorstellungen ist demgegenüber für sie nebensächlich. In der Alevitischen Lehre ist die Seele eines jeden Menschen unsterblich, sie strebt durch die Erleuchtung die Vollkommenheit mit Gott an, sie durchwandert auf ihrem Weg zur Erleuchtung viele (tausend) Menschenleben.

Diese liberalen Auffassungen, vor allem die Ablehnung der Scharia, unterscheidet Aleviten besonders von den Sunniten. Darum haben viele Sunniten Vorurteile gegenüber Aleviten oder betrachten sie überhaupt nicht als Muslime.

Aleviten bekennen sich zu Humanität, Demokratie und den allgemeinen Menschenrechten. Diesen Werten fühlen sie sich auf eine undogmatische Weise verpflichtet. Sie bejahen besonders die Meinungs- und Religionsfreiheit. Sie gestehen jedem Menschen ausdrücklich das freie Selbstbestimmungsrecht und damit das Recht auf einen eigenen Glauben zu. Jeder kann nach ihrer Auffassung beliebige Rituale pflegen oder darf sogar Atheist sein, sofern er seine eigenen Ansichten nicht anderen aufzwingen will. Darum haben Aleviten zu anderen Religionen, Glaubensbekenntnissen und Ideologien ein sehr offenes Verhältnis. So sagt ein alevitisches Gedicht:

Adımız miskindir bizim
Düşmanımız kindir bizim
Biz kimseye kin tutmayız
Kamu alem birdir bizim.
Sie nennen uns Ergebende,
Wir haben nur einen Feind, den Hass
Wir hassen niemanden
Alle sehen wir gleich und eins.
geschrieben von Yunus Emre

Der Alevitische Glaubensdienst: "Cem"

Die Aleviten beten nicht in einer Moschee, sondern treffen sich zu Kulthandlungen, genannt Cem, in einem Cemevi (Versammlungshaus) zur Rezitation von Gedichten und zum rituellem Tanz (Semah). Dieser wird von Frauen und Männern gleichzeitig ausgeführt und dabei vom Dede ("Großvater") oder von der Ana ("Großmutter") beaufsichtigt. Dedes und Anas sind Personen, die sich mit den alevitischen Ritualen und Traditionen sehr gut auskennen und daher hohes Ansehen unter den Aleviten genießen.

Der Semah symbolisiert das Universum (Evren) mit den Planeten des Sonnensystems und der Galaxie. Er wird daher im Kreis getanzt, wobei die Semah-Tänzer sich wie Planeten sowohl um sich selbst als auch um die Kreismitte drehen. Seit dem 12. Jahrhundert, eventuell auch schon früher, diente dieser heilige Tanz zur geistigen Annäherung an Allah. Darum sollte er nach alevitischer Auffassung nicht öffentlich vorgeführt werden.

Die Verschleierung der Frau ist bei Aleviten nicht vorgeschrieben. In ihrer Lehre sind Frauen und Männer absolut gleichgestellt, in der Praxis zeigt sich dies jedoch nicht überall. Dies hat aber weniger mit der alevitischen Religion als vielmehr mit den gesellschaftlichen Wertvorstellungen von Aleviten und Türken bzw. Türkischstämmigen insgesamt zu tun, die in einer traditionellen "Männergesellschaft" aufwachsen.

Aleviten und Alawiten

Die Aleviten werden oft mit den "Alawiten" verwechselt, die nach ihrem Gründer auch Nusairier genannt werden. Erstere leben hauptsächlich in der Türkei, letztere dagegen hauptsächlich in der ehemaligen Republik Hatay (heutige türk. Provinz Hatay), Syrien oder im Libanon. Ihre Kultur, Sprache, Traditionen und Ansichten zum Islam sind verschieden, aber vergleichbar.

Gemeinsam ist ihnen die besondere Verehrung von Ali ibn Abi Talib, dem Schwiegersohn Muhammeds. Dieser Gemeinsamkeit verdanken sie auch die ähnlichen Namen. Hz. Ali wird im Alevitentum mit dem Löwen assoziert. Ein Sprichwort lautet: "Ali ist der Löwe Gottes". Er ist das Symbol für Gerechtigkeit und Güte, also Eigenschaften Gottes, denen ein Alevit besonders nacheifert.

Vorschriften

Die Alevitische Glaubenslehre basiert auf der Entscheidungs- und Glaubensfreiheit des Menschen. Niemand hat eine Verpflichtung etwas tun oder glauben zu müssen.

Die Grundpfeiler der alevitischen Vorschriften sind in diesem einen Satz eline beline diline sahip ol vereint. Er besagt folgendes:

  • eline sahip ol: Beherrsche deine Hände, das heißt: Stehle nicht, tue nichts Falsches.
  • beline sahip ol: Beherrsche deine Lende, das heißt: Habe keinen Sex vor der Ehe bzw. während der Regel der Ehefrau, zügele Deinen Sexualtrieb.
  • diline sahip ol: Beherrsche deine Zunge, das heißt: Lüge nicht, führe niemanden in Versuchung, auf den Irrweg etc..

Das Verbot des Tötens, des Diebstahls, der Verleumdung und des Ehebruchs gelten für Aleviten gegenüber allen Menschen. Damit wollen sie die Menschlichkeit und das Zusammenleben aller Menschen fördern. Hinzu kommen alltägliche Vorschriften der Nächstenliebe, Hilfsbereitschaft, Bescheidenheit und weitere. Jede Alevitin und jeder Alevit sollte diese Vorschriften anwenden, muss es aber nicht.

Vier Tore Vierzig Pforten

folgt demnächst

Geschichte

Das Alevitentum entstand im 13. Jahrhundert aus der Verschmelzung der Schia in Gestalt der Verehrung von Ali mit dem alttürkischen Kam sowie der mystischen Interpretation des Koran. Diese Entwicklung wird vor allem auf Haci Bektas-i Veli und weitere Geistliche zurückgeführt.

An manchen Stellen des Alevitischen Glaubensdienstes, dem Cem, kann man Elemente des christlichen Abendmahls wiederentdecken. Aleviten entwickelten auch ein Modell der Trinität in Gestalt von Allah, Muhammed und Ali.

Unter den Osmanen wurden die Aleviten aus Unkenntnis über ihren Glauben als Häretiker verfolgt. Im 16. Jahrhundert führte der aus dem Yemen stammenden Dichter Pir Sultan Abdal alevitische Aufstände für Gerechtigkeit und Glaubensfreiheit gegen die brutale und machtgierige Unterdrückungs-Politik der Osmanen an. Diese schlugen die Aufstände blutig nieder. Pir Sultan Abdal wurde gehängt, doch sein Mut und seine Tapferkeit werden bis heute gerühmt und Aleviten eifern ihm darin nach.

Wegen der Unterdrückung und bedrohten Lage der Aleviten unter anderen Muslimen kam es im Laufe der Zeit immer wieder zu blutigen Aufständen. Erst seit der Gründung der modernen Türkei genießen sie eine teilweise Glaubensfreiheit. Doch auch vom türkischen Staat sind sie bis heute nicht als religiöse Minderheit anerkannt (siehe "Aktuelle Lage"). Gegenwärtig haben sie sich aber in den Mittelschichten etabliert.

Kizilbas und Bektaschi Aleviten

folgt demnächst

Politische Haltung

Aleviten stehen grundsätzlich loyal zur türkischen Republik. Sie wählen größtenteils die Republikanische Volkspartei und keine islamischen Parteien. Diese Loyalität ist historisch darin begründet, dass Aleviten erst seit der Gründung der Türkei ihren Glauben relativ ungestört vom Staat ausüben durften. Bis dahin wurden sie stets verfolgt.

Überdurchschnittlich viele Aleviten sind jedoch auch dem politisch linken Spektrum zuzuordnen. Kurdische Aleviten neigen dazu, die Republikanische Volkspartei zu meiden, da diese direkten Einfluss auf das türkische Militär ausübt.

Die aktuelle Lage der Aleviten in der Türkei

Die Situation der Aleviten ist auch gegenwärtig von starken Spannungen mit den viel konservativeren Sunniten bestimmt. Zwar dürfen die traditionellen alevitischen Feste inzwischen in der Türkei offen gefeiert werden, allerdings offiziell nicht als religiöse, sondern lediglich als Folkloreveranstaltungen. Dies ist in der recht speziellen Form der Trennung von Staat und Kirche in der kemalistischen Türkei begründet.

Diese Herabsetzung von Ritualen wie dem "Cem", die für den alevitischen Glauben zentral sind, wird von Aleviten als Diskriminierung empfunden. Denn trotz der staatlichen Religionsfreiheit in der Türkei gab und gibt es dort starken Druck auf ihre Anhänger, sich dem sunnitischen Islam zuzuwenden oder ihren Glauben zumindest nicht offen auszuleben. So kam es zum Beispiel 1978 in den Städten Çorum und Kahramanmaraş zu anti-alevitischen Pogromen. 1993 wurden während eines alevitischen Kulturfestivals in Sivas 37 Aleviten durch einen Brandanschlag auf ihr Hotel ermordet. Diese Massenmorde und Massaker an Aleviten geschahen mit Duldung der staatlichen Organe. Sie haben ein gewolltes Klima geschaffen, in dem Aleviten sich gezwungen sehen könnten, das Alevitentum zu verheimlichen oder dem sunnitischen Islam zu folgen.

Hinzu kommt eine erzwungene "Sunnitisierung" von traditionell alevitischen Siedlungsgebieten. Selbst in mehrheitlich alevitischen Dörfern wurden Moscheen gebaut. Dies zeigt, dass die Aleviten bis heute von anderen Muslimen nicht als eigenständige und gleichberechtigte Religionsgemeinschaft anerkannt werden. Auch Sunniten in Deutschland versuchen zum Teil, auf alevitische Familien "sozialen Druck" auszuüben.

Die Europäische Kommission hat die Diskriminierung der Aleviten in der Türkei im Rahmen von deren Beitrittsverhandlungen zur Europäischen Union mehrfach kritisiert: zuletzt in der „Empfehlung zu den Fortschritten der Türkei auf dem Weg zum Beitritt“ vom 4. Oktober 2004. Ein Beitritt der Türkei zur EU ohne Anerkennung der Aleviten als muslimische Minderheit oder zumindest eigenständige Religion ist aufgrund der alle EU-Staaten verpflichtenden Religionsfreiheit daher undenkbar.

Aleviten in Deutschland

Der prozentuale Anteil der Aleviten an den aus der Türkei stammenden Menschen ist höher als der Anteil der Aleviten an der türkischen Bevölkerung. Dies hängt einerseits damit zusammen, dass türkische Einwanderer zu einem großen Anteil aus Gebieten in der Türkei kamen, die hauptsächlich von Aleviten bewohnt waren. Andererseits erfolgte in den 80er Jahren eine verstärkte Einwanderung als Asylsuchende, da die meisten Aleviten vor dem Militärputsch auf der Seite der Opposition standen.

Obwohl die Aleviten in Deutschland eine recht homogene Gruppe bilden kann man doch zumindest drei "Richtungen" erkennen. Die Gruppe der "modernen Aleviten" (die größte Gruppe) sieht das Alevitentum als eigenständige Religion. Dieser Gruppe ist bewußt, dass das Alvitentum nicht so wie vor mehreren Jahrzehnten in türkischen Dörfern praktiziert werden kann. Statt einer Isolierung vertreten diese Aleviten die Öffnung hin zur Gesellschaft, z.B. durch die Forderung, die alevitische Religion gesetzlich anzuerkennen und eigenen Religionsunterricht erteilen zu dürfen. Nach dieser Ansicht ist das Alevitentum eine Religion unter vielen in einer multireligiösen Gesellschaft und es deswegen auch selbstverständlich, dass Menschen dem Alevitentum beitreten können.

Eine kleinere Gruppe von Aleviten sieht sich in erster Linie als Moslem und nicht als Alevit. Sie versuchen deswegen auch eine Annäherung an die Sunniten zu erreichen, z.B. in dem sie neben dem Cem-Gottesdienst auch das sunnitische Gebet in einer Moschee verrichten. Gleichzeitig will diese Gruppe aber das ursprüngliche Alevitentum bewahren und lehnt jede "Modernisierung" ab.

Eine dritte, die kleinste, Gruppe beharrt wie die erste Gruppe auf den Unterschieden zwischen Sunniten und Aleviten. Sie lehnen allerdings jegliche Veränderung ab und wollen das Alevitentum auf dem Stand von vor einem halben Jahrhundert bewahren. So lehnen sie einen Beitritt zur alevitischen Gemeinschaft ab und wollen das Alevitentum nicht einer breiteren Öffentlichkeit bekanntmachen, sondern weiter als eine Art "Geheimlehre" praktizieren. Erklären lässt sich dies durch die Erfahrung der Unterdrückung und Verfolgung durch Sunniten.

Allerdings stimmen diese Gruppen in den wesentlichen Punkten überein, so dass eine Spaltung der Aleviten sehr unwahrscheinlich ist. Vielmehr ist zu erkennen, dass zumindest die dritte Gruppe langfristig nicht weiter existieren wird, da deren Ansicht fast nur von älteren Aleviten vertreten wird. Alevitische Jugendliche in Deutschland haben normalerweise keine Unterdrückung durch Sunniten erleben müssen, so dass sie das Alevitentum selbstbewusst und offensiv nach außen im Sinne der ersten Gruppe vetreten.

Es ist festzustellen, dass die Aleviten in Deutschland einen für Aleviten (und Moslems) sehr hohen Grad an Organisierung (z.B. durch Gründung von Verbänden und Gemeinden) erlangt haben. So wurde z.B. das Kulturzentrum Anatolischer Aleviten im Jahr 2002 durch den Berliner Senat als Religionsgemeinschaft anerkannt und erhielt dadurch die Möglichkeit, alevitischen Religionsunterricht in den Berliner Grundschulen zu erteilen. Ziel der AABF (der Vereinigung der Aleviten in Deutschland) ist es, alevitischen Religionsunterricht auf Deutsch(!) in weiteren Bundesländern abhalten zu dürfen.

Persönlichkeiten

Die hier aufgelisteten Personen vertreten den Alevitischen Glauben. Nicht alle wurden aber Aleviten genannt. Denn obwohl das Alevitentum genauso alt ist wie das Sunnitentum, wurde erst ab dem 13. Jahrhundert diese Benennung eingeführt.

Alevitische Heilige, Geistliche und Führer

Ein Dede oder Baba ist ein geistlicher Ältester, beides sind Vorbilder für die gesamte Gemeinschaft.

weitere angesehene, politische Persönlichkeiten:

Alevitische Dichter und Musiker

Das Wort 'Aşık' bedeutet übersetzt 'Liebender' (Verliebter), es zeigt das diese Person verliebt ist in Gott, seine Religion, die Menschen und seine Musik.

Siehe auch

Alawiten, Drusen, Buyruk