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„Benedetto Croce“ – Versionsunterschied

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Croce deutet die geschichtsphilosophische Konzeption Vicos in systematischer Weise um. Er unterscheidet zwischen verschiedenen Formen geistiger Weltbemächtigung, zwei "theoretischen" und zwei "praktischen". Er lehrte einen Vierstufenbau des Geistes: Intuition (ästhetische Erkenntnis), Begriff, wirtschaftliches und ethisches Handeln; jede dieser Stufen setzt die vorhergehende voraus, wobei die Intuition, d.h. die ästhetische Erkenntnis, die Grundlage aller anderen ist.
Croce deutet die geschichtsphilosophische Konzeption Vicos in systematischer Weise um. Er unterscheidet zwischen verschiedenen Formen geistiger Weltbemächtigung, zwei "theoretischen" und zwei "praktischen". Er lehrte einen Vierstufenbau des Geistes: Intuition (ästhetische Erkenntnis), Begriff, wirtschaftliches und ethisches Handeln; jede dieser Stufen setzt die vorhergehende voraus, wobei die Intuition, d.h. die ästhetische Erkenntnis, die Grundlage aller anderen ist.


Diesen Erkenntnisformen hat Croce jeweils verschiedene Werke gewidmet: Die "Estetica come scienza dell'espressione e linguistica generale" von 1902 behandelt die ästhetische Erkenntnis, die "Logica come scienza del concetto puro" von 1909 die begrifflich-logische Erkenntnis und die Filosopfia della pratica von 1909 hat das nützliche (ökonomische) und moralische Handeln zum Thema. Diesem System hat Croce noch sein Werk über Geschichtsschreibung, die "Teoria e storia della historiografia" von 1917, hinzugefügt.
Diesen Erkenntnisformen hat Croce jeweils verschiedene Werke gewidmet: Die "Estetica come scienza dell'espressione e linguistica generale" von 1902 behandelt die ästhetische Erkenntnis, die "Logica come scienza del concetto puro" von 1909 die begrifflich-logische Erkenntnis und die Filosofia della pratica von 1909 hat das nützliche (ökonomische) und moralische Handeln zum Thema. Diesem System hat Croce noch sein Werk über Geschichtsschreibung, die "Teoria e storia della historiografia" von 1917, hinzugefügt.


== Ästhetik und Literaturkritik ==
== Ästhetik und Literaturkritik ==

Version vom 20. Januar 2012, 12:15 Uhr

Benedetto Croce

Benedetto Croce ['kro:tʃe] (* 25. Februar 1866 in Pescasseroli, Provinz L’Aquila; † 20. November 1952 in Neapel) war ein italienischer Philosoph, Humanist, Historiker, Politiker, Kunsthistoriker und Kritiker.

Leben

Croce stammt aus einer begüterten Gutsbesitzer-Familie in den Abruzzen. Bei einem Erdbeben verlor er 1883 seine Eltern und seine einzige Schwester. Croce erbte das väterliche Vermögen und zog sich nach Jura-Studien in Rom und Neapel ab 1886 nach Neapel zurück, wo er als Privatgelehrter bis zu seinem Tod lebte. Geprägt von der Erfahrung des "Risorgimento", der liberalen und nationalen Einigungsbewegung Italiens, von den aufklärerischen Traditionen Süditaliens, wie sie durch Giambattista Vico, Gaetano Filangeri und Francesco De Sanctis repräsentiert werden, und von der Philosophie des Deutschen Idealismus wurde Croce in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu einer der prägenden Figuren der italienischen Kultur und Philosophie. In Europa blieb er bis zu seinem Tod die liberale Stimme Italiens im Kampf gegen Faschismus und Totalitarismus.

Zunächst mit lokal-geschichtlichen Studien beschäftigt, wandte sich Croce zu Beginn der 1890er Jahre der Philosophie zu und veröffentlichte ab 1902 sein Hauptwerk, die mehrbändige "Philosophie des Geistes" (s.u.). Vor allem der erste Band, die "Estetica", etablierte Croces philosophischen Ruf. Dazu kamen im Laufe der Jahre zahlreiche Werke zur Geschichte, Literatur sowie Aufsätze, in denen er seine philosophische Position modifizierte und erläuterte. 1903 gründete er mit Giovanni Gentile die Zeitschrift "La Critica", der er als Herausgeber und Beiträger maßgeblich prägte und zur wichtigsten Literaturzeitschrift Italiens machte. 1910 wurde er zum Senator des Königreichs Italiens ernannt. Jeweils vor und nach dem Ersten Weltkrieg übte Croce für kurze Zeit das Amt eines Ministers für Unterrichtswesen aus.

Seit 1896 verband ihn eine Freundschaft mit Gentile, dem zweiten großen italienischen Vertreter des philosophischen Idealismus. Die Freundschaft zerbrach, als Gentile sich dem Faschismus anschloss. Croce blieb dem Liberalismus treu und war maßgeblicher Initiator eines 1925 veröffentlichten Manifests italienischer Intellektueller gegen den Faschismus. Während der Mussolini-Zeit fiel er in Ungnade, konnte aber in Italien bleiben. Croces Haus in Neapel wurde zu einem Zentrum der intellektuelllen Oppposition. Seit 1923 Mitglied der Accademia Nazionale dei Lincei, wurde er 1935 ausgeschlossen, da er sich weigerte, den Treueid auf den Faschismus zu leisten. 1945 wurde er mit den anderen Ausgeschlossenen wieder aufgenommen, nachdem er bereits im August 1943 einen Vorschlag zur Reorganisation der Akademie vorgelegt hatte. 1947 wurde er zum Ehrenmitglied der Akademie ernannt. Zur deutschen Kultur hatte Croce ein besonders enges Verhältnis. Zeugnis davon geben u.a. seine Monographien über Hegel und Goethe, seine jahrzehntelange Freundschaft mit dem Romanisten Karl Vossler und sein Briefwechsel mit Thomas Mann.

1943 war Croce an der Neugründung der liberalen Partei Italiens beteiligt. Für sie stellte er sich nach dem Zweiten Weltkrieg noch einmal als Minister ohne Geschäftsbereich zur Verfügung. Schon zu seinen Lebzeiten öffnete Croce seinen Palazzo in Neapel mit seiner riesigen Bibliothek Interessenten aus aller Welt zu Studienzwecken. Daraus entwickelte sich 20 Jahre nach seinem Tod das von Gerardo Marotta gegründete "Istituto Italiano per gli studi Filosofici."

Philosophie des Geistes

Croce entwarf seine "Philosophie des Geistes" als Reaktion auf den in Italien Ende des 19. Jahrhunderts vorherrschenden Positivismus. Beeinflusst wurde er dabei gleichermaßen von der deutschen und italienischen Philosophie. Ursprünglich von Francesco De Sanctis und Johann Friedrich Herbart herkommend, fand er über Marx einen eigenen Weg zur Vernunftphilosophie Georg Wilhelm Friedrich Hegels. Noch wichtiger für ihn war allerdings die Philosophie Giambattista Vicos, wie sie in dessen Hauptwerk "Scienza Nuova" formuliert wurde. Croce folgt dem Grundsatz Vicos, dass der Mensch nur das verstehen könne, was er selbst hervorgebracht hat, dass ein Verständnis der Welt also nur über die menschliche Geschichte und Kultur und nicht über die Natur möglich sei. In Vicos Geschichtsphilosophie wiederholt sich die Menschheitsgeschichte in der Gesetzmäßigkeit aufeinanderfolgender Epochen, in denen sich die Stufenbeziehung menschlicher Erkenntnisformen, von der Wahrnehmung über die Einbildungskraft bis zur Vernunft, spiegelt. So wird zum Beispiel das poetische Weltverständnis zur Grundlage eines begrifflich-rationalen Weltverständnisses.

Croce deutet die geschichtsphilosophische Konzeption Vicos in systematischer Weise um. Er unterscheidet zwischen verschiedenen Formen geistiger Weltbemächtigung, zwei "theoretischen" und zwei "praktischen". Er lehrte einen Vierstufenbau des Geistes: Intuition (ästhetische Erkenntnis), Begriff, wirtschaftliches und ethisches Handeln; jede dieser Stufen setzt die vorhergehende voraus, wobei die Intuition, d.h. die ästhetische Erkenntnis, die Grundlage aller anderen ist.

Diesen Erkenntnisformen hat Croce jeweils verschiedene Werke gewidmet: Die "Estetica come scienza dell'espressione e linguistica generale" von 1902 behandelt die ästhetische Erkenntnis, die "Logica come scienza del concetto puro" von 1909 die begrifflich-logische Erkenntnis und die Filosofia della pratica von 1909 hat das nützliche (ökonomische) und moralische Handeln zum Thema. Diesem System hat Croce noch sein Werk über Geschichtsschreibung, die "Teoria e storia della historiografia" von 1917, hinzugefügt.

Ästhetik und Literaturkritik

Von allen Teilen der "Philosophie des Geistes" war es von Anfang an die Ästhetik, die die größte und weitreichendste Wirkung erzielt hat. Croce hat die gesamte nach ihm kommende Ästhetik und Literaturbetrachtung in Italien beeinflusst. Er hat seine Ästhetik im Verlauf seines Lebens mehrfach modifiziert, aber nie grundsätzlich revidiert.

Für Croce ist ästhetische Wahrnehmung eine eigenständige und autonome Form der Erkenntnis, die einen selbstständigen Platz neben der begrifflichen Erkenntnis hat. Sie ist "Intuition" und zugleich "Expression", als Ausdruck. Gemeint ist nicht, dass der Künstler seine eigene Persönlichkeit im Werk "ausdrückt", sondern im Gegenteil, dass er Eindrücke zu objektivierten und für alle nachvollziehbaren Formen verarbeitet. In diesem Sinn ist Ästhetik für Croce Kunst des Ausdrucks, denn nur Ausdruck und Form machen den Künstler aus; ihre Bewältigung führt zu „Poesia“, der Rest ist „Non Poesia“. Als Intuition/Expression kann sowohl eine einfacher Ruf des Erstaunens als auch eine komplexe künstlerische Darstellung gelten. Zu den umstrittensten Thesen der Ästhetik Croces gehört die, dass er lange Zeit nicht zwischen einfachen und hoch komplexen Intuitionen/Expressionen - also Kunst - unterschied. Croces Absicht war es, der Kunst jede elitäre Stellung abzusprechen. Kunst ist für ihn eine von allen nachvollziehbare Erkenntnistätigkeit.

In der Intuition liegt für Croce, hier wiederum Vico folgend, Ursprung, Wesen und Grundlage der Sprache. Mit der wichtigen Rolle, die die Kommunikations- und Zeichenfunktion in der Sprache spielt, hat sich Croce erst in seinem Spätwerk "La Poesia" von 1936 auseinandergesetzt. Hier unterscheidet er erstmals zwischen ästhetischen und nicht-ästhetischen Expressionen.

Croces Literaturkritik, die in zahlreichen Aufsatzsammlungen und Monographien vorliegt, zeichnet sich dadurch aus, dass sie sich ganz auf das Kunstwerk als einer individualisierenden Expression konzentriert und Fragen der Rhetorik, der Stil- und Stoffgeschichte für ästhetisch zweitrangig erachtet. Jedes Kunstwerk ist ein unverwechselbares Individuum und lässt sich weder begrifflich "erklären" noch in eine andere Form übersetzen. Form und Inhalt sind im Kunstwerk identisch. Croce kann damit auch als einer der Väter des New Criticism angesehen werden.

Geschichte und Politik

Croce war von der Aufklärung und vom Liberalismus des 19. Jahrhunderts geprägt. Sein Verhältnis zu Hegel, als dessen Anhänger man ihn immer wieder bezeichnet, ist dabei komplex. Er hat einerseits, Hegel folgend, die Geschichte als einen "Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit" begriffen. Doch Hegels Auffassung, die Geschichte als Ganze entwickele sich notwendigerweise nach dem Gesetz der Dialektik, lehnte er ab. Seine ambivalente Haltung zu Hegel ist Thema seiner Schrift "Lebendiges und Totes in Hegels Philosophie" (orig. 1907, dt. 1909). Bereits in seiner Frühschrift von 1893, "Die Geschichte auf den Begriff der Kunst gebracht" hat Croce auch der Auffassung eine Absage erteilt, die Geschichte sei eine Wissenschaft. Sie ist für ihn vielmehr eine Form der Verdichtung von Ereignissen, eine Form der erzählenden Deutung. Croce wird damit zu einem der Väter der narrativen Geschichtsschreibung.

Seinem vom italienischen "Risorgimento" beeinflussten Freiheitsbegriff, einer laizistischen "Religion der Freiheit" hat er in seiner "Geschichte Europas im 19. Jahrhundert" ein Denkmal gesetzt. Croce war ein früher Verfechter der europäischen Idee. Lokalgeschichte und Nationalgeschichte sah er eingebettet in die Geschichte der westlichen Freiheitsbewegungen. Er blieb jedoch kulturaristokratisch geprägt und misstraute den Massen. Einer egalitären Demokratie stand er ablehnend gegenüber.

Werke

italienisch

  • Filosofia come Scienza dello Spirito. 4 Bände 1902–1917.
  • La storia come pensiero e come azione. 1938.

deutsch

  • Randbemerkungen eines Philosophen zum Weltkriege 1914–1920. In: Die Philosophie der Gegenwart in Selbstdarstellungen. Hrsg. von Raymund Schmidt, Felix Meiner Verlag, Leipzig 1922.
  • Poesie und Nichtpoesie. Bemerkungen über die europäische Literatur des neunzehnten Jahrhunderts. Amalthea-Verlag, Zürich [u.a.] 1925.
  • Gesammelte philosophische Schriften. 7 Bände, 1927–1930.
  • Antihistorismus [Vortrag gehalten auf dem Internationalen Philosophenkongress in Oxford am 3. Sept. 1930]. Übersetzt von Karl Vossler. In: Historische Zeitschrift 143, 1931, S. 457–466.
  • Geschichte Europas im neunzehnten Jahrhundert. Europa-Verlag, Zürich 1935 (Original 1932, Neuauflage Frankfurt am Main 1968).
  • Die Geschichte als Gedanke und Tat. Verlag A. Francke, Bern 1944 (Original 1938).
  • Europa und Deutschland. Bekenntnisse und Betrachtungen. Verlag A. Francke, Bern 1946.
  • Theorie und Geschichte der Historiographie. J.C.B.Mohr (Paul Siebeck), Tübingen 1930.

Neuausgaben

  • Die Geschichte auf den allgemeinen Begriff der Kunst gebracht. Übersetzt von Ferdinand Fellmann. Meiner, Hamburg 1984. ISBN 978-3-7873-0621-3.

Weiteres

Literatur

  • Robert Zimmer: "Liberaler, Europäer, Pionier der modernen Ästhetik. Ein Plädoyer für die Wiederentdeckung Benedetto Croces", in: Aufklärung und Kritik, 4/2011, S. 184-194.
  • Sarah Dessì Schmid: Ernst Cassirer und Benedetto Croce. Francke, Tübingen 2005.
  • Karl Egon Lönne: Benedetto Croce: Vermittler zwischen deutschem und italienischem Geistesleben. Francke, Tübingen 2002.
  • Fabio Fernando Rizi: Benedetto Croce and Italian Fascism. Univ. of Toronto Press, Toronto 2003.
  • Nicolaus Sombart: Rendezvous mit dem Weltgeist. S. Fischer, Frankfurt am Main 2000, darin Erster Teil, Kapitel Bei Benedetto Croce in Neapel.
  • Carlo Schirru: Per un’analisi interlinguistica d’epoca: Grazia Deledda e contemporanei. In: Rivista Italiana di Linguistica e di Dialettologia. Hrsg. von Fabrizio Serra. Pisa-Roma, Anno XI (2009), S. 9-32.
  • Manfred Thiel: Benedetto Croce: Italien am Vorabend des Faschismus – eine analytische Darstellung. Elpis-Verlag, Heidelberg 2003.
  • Guido Thiemeyer: Benedetto Croce und die intellektuelle Resistenza in Italien. in: Francois Beilecke, Katja Marmetschke (Hrsg.): Der Intellektuelle und der Mandarin. Festschrift für Hans Manfred Bock. Kassel University Press, Kassel 2005, S. 403-430.
  • Massimo Verdicchio, Naming things: aesthetics, philosophy, and history in Benedetto Croce. La Città del Sole, Napoli 2000.
  • Elena Croce: Meine zwei Städte. Erinnerungen an Benedetto Croce. Verlag Das Arsenal, Berlin 1997.
  • Robert Zimmer: Einheit und Entwicklung in Benedetto Croces Ästhetik. Der Intuitionsbegriff und seine Modifikationen. Peter Lang, Frankfurt am Main 1985 (Neuauflage 2011).