„Prader-Willi-Syndrom“ – Versionsunterschied
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Version vom 24. Februar 2005, 01:24 Uhr
Das Prader-Willi-Syndrom ist eine seltene, durch ein beschädigtes elterliches Chromosom 15 bedingte Behinderungsart. Die komplexe Störung geht mit körperlichen, stoffwechselbezogenen und kognitiven Symptomen einher, welche durch eine Fehlfunktion des Zwischenhirns verursacht werden.
Der Gendefekt tritt durchschnittlich bei einer von 10.000-25.000 Schwangerschaften auf. Frauen und Männer sind etwa gleich häufig betroffen, in Einzelfällen sind familiäre Häufungen beschrieben.
Ursachen
Das Prader-Willi-Syndrom wurde erstmals 1956 von den Züricher Kinderärzten Andrea Prader, A. Labhard und Heinrich Willi beschrieben. Zum damaligen Zeitpunkt erläuterte man nur die einzelnen Symptome, konnte aber noch keine Aussagen zu den eigentlichen Ursachen machen.
Im Jahre 1981 fand man heraus, dass es sich beim Prader-Willi-Syndrom um einen Gendefekt handelt und zwar um eine Unvollständigkeit des Chromosoms 15. Diese Chromosomenanomalie liegt bei mehr als 90% aller Menschen mit Prader-Willi-Syndrom vor.
In den letzten Jahren konnte man durch genauere genetische Markierungstechniken verschiedene Genkonstellationen bei Menschen mit Prader-Willi-Syndrom feststellen. Dabei unterscheidet man die paternale Deletion, bei der ein Stückchen des vom Vater vererbten Chromosoms 15 fehlt, und die maternale Deletion, bei welcher zwei mütterliche Chromosomen Nummer 15 vorliegen und das des Vaters fehlt.
Die typischen Symptome des Prader-Willi-Syndroms treten bei beiden Gruppen auf, da in jedem Fall das genetische Material des Vaters unvollständig ist. Bis heute gibt es keine Erkenntnisse, wodurch genau der Gendefekt ausgelöst wird, er ist nicht vererbbar und scheint vollkommen spontan und ohne Einfluss bestimmter Umwelteinflüsse aufzutreten.
Die beobachtbaren Auswirkungen des Prader-Willi-Syndroms lassen sich zu einem Großteil auf eine fehlende Hormonfreisetzung (Gonadotropin-Releasing-Hormon) im Hypothalamus zurückführen, die durch die beschriebenen genetischen Besonderheiten verursacht werden. Die fehlerhafte Hormonfreisetzung beeinflusst andere hormonproduzierende Drüsen, beispielsweise die Schilddrüse, die Nebennieren und die Keimdrüsen (Hoden und Eierstöcke).
In extrem seltenen Fällen kann es auch zu einer Deletion des mütterlichen Chromosoms 15 kommen, welches zur Ausbildung des Angelman-Syndroms führt. Gehäuft tritt dieser Gendefekt im verwandtschaftlichen Umfeld von Menschen mit Prader-Willi-Syndrom auf.
Auswirkungen und Merkmale
Die Folgen der fehlenden Genabschnitte sind vielfältig und können bei Menschen mit Prader-Willi-Syndrom in unterschiedlicher Weise zum Vorschein kommen.
Die meisten betroffenen Neugeborene fallen durch eine deutliche Muskelhypotonie (Mangel an Muskelstärke, -größe und -spannung) und Trinkschwäche auf. Aufgrund dessen muss in vielen Fällen eine Magensonde eingesetzt werden, da sonst eine ausreichende Nahrungsaufnahme nicht gewährleistet werden kann. Der Säugling schläft außerdem viel und bewegt sich während der Wachphasen nur wenig.
Die Augen sind meist mandelförmig, Schielen und Kurzsichtigkeit werden oft beobachtet. Ungewöhnlich ist ferner die unterdurchschnittliche Ausbildung der Geschlechtsorgane (Hypogenitalismus), bei Jungen wird häufig Hodenhochstand beobachtet.
Mit zunehmendem Alter werden die Kinder kräftiger und trinken besser, der Verlauf der körperlichen Entwicklung (Sitzen, Krabbeln, Laufen) bleibt aber verzögert.
Schon im Alter von ca. 2-3 Jahren entwickelt sich ein übermäßiges, zwanghaftes Hungergefühl, das körperliche Ursachen hat und nicht bewusst regulierbar ist. Dies führt, solange es nicht von außen streng kontrolliert wird, unweigerlich zu starkem Übergewicht (Adipositas), was durch die typische Bewegungsunlust verstärkt wird.
Erschwerend kommt eine grundsätzliche Trägheit und Schläfrigkeit hinzu, welche durch den unterdurchschnittlich niedrigen Blutdruck erklärt werden kann. Häufig macht sich dies schon während der Schwangerschaft bemerkbar, da es kaum zu spürbaren Bewegungen des Kindes kommt. In vielen Fällen wird deswegen auch durch Kaiserschnitt entbunden.
Aufgrund von Übergewicht und Muskelschwäche kann es in manchen Fällen zu einer Skoliose (Wirbelsäulen-Verkrümmung) kommen. Eine mangelhafte Muskelbeherrschung führt dazu, dass Kinder mit Prader-Willi-Syndrom kaum vor dem zweiten oder dritten Lebensjahr zu laufen beginnen.
Die Intelligenzleistungen sind eingeschränkt und reichen bis zur Grenze der sogenannten geistigen Behinderung. Der Sprechbeginn ist verzögert, in Sprachgebrauch und Ausdrucksweise sind Probleme zu erwarten. Beim Besuch der Grundschule sind von der kognitiven Leistung her im Normalfall keine Beeinträchtigungen zu erwarten, später wird eine Förderung in Sondereinrichtungen oder spezielle Hilfen nötig.
Die als direkte Folge der fehlenden Hormonfreisetzung unterentwickelten Geschlechtsorgane führen zu einer später einsetzenden und unvollständigen Pubertät, die mit wenigen Ausnahmen zur Unfruchtbarkeit führt. Der pubertäre Wachstumsschub bleibt aus, deshalb sind eine geringe Körpergröße (Männer durchschnittlich 1,55m, Frauen durchschnittlich 1,50m), eine veränderte Körperzusammensetzung (teilweise extreme Fettleibigkeit insbesondere an Bauch, Hüfte und Schenkel) und eine geringere Knochendichte häufig.
In dieser Phase gewinnen auch die für das Prader-Willi-Syndrom typischen Lern- und Verhaltensstörungen an Bedeutung: Die Kinder zeigen Schwierigkeiten bei der Kontaktaufnahme und Verhaltensauffälligkeiten, die gemäßigt schon ab dem dritten Lebensjahr zu erkennen sind. Diese manifestieren sich meist in massiven Trotzphasen und emotionaler Labilität, die Heranwachsenden neigen weiterhin zu Wutanfällen.
Als Stärke von Kindern mit Prader-Willi-Syndrom gelten eine Reihe von Schlüsselqualifikationen, sie werden häufig als einsichtig, freundlich, sozial, humorvoll, warmherzig und hilfsbereit beschrieben. Das Langzeitgedächtnis funktioniert meist sehr gut und abhängig vom allgemeinen Intelligenzgrad entwickeln viele Kinder mit Prader-Willi-Syndrom eine große Lust am Lesen.
Die Lebenserwartung von Menschen mit Prader-Willi-Syndrom ist verkürzt, was vor allem durch die Fettsucht und die Folgeschäden der häufig zusätzlich auftretenden Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus) bedingt ist.
Schwierigkeiten im sozialen Umgang
Ein häufiger familiärer Streitpunkt bei einem Kind mit Prader-Willi-Syndrom ist die Frage nach dem Essen. Das starke Hungergefühl des betroffenen Kindes lässt sich nicht mit Vernunft in den Griff bekommen, da er biologischen Ursprungs ist. Oft stehlen Kinder mit Prader-Willi-Syndrom anderen Personen ihr Essen und vertilgen gar Abfälle oder Nichtessbares.
Als weitere Schwierigkeit kann sich die mitunter sehr hohe Emotionalität der Kinder herausstellen. Nur selten ist es Kindern mit Prader-Willi-Syndrom möglich, ihre Gefühle auf eine sozial akzeptierte Weise ausdrücken. Eine übertriebene und sehr starke Gefühlsäußerung ist die Folge. Eine niedrige Frustrationstoleranz kann in Folge ausschlaggebend für eine Krise sein.
Auch die Unfähigkeit, Veränderungen im Alltag zu akzeptieren, gibt immer wieder Grund zu Konflikten. Schon die vage Aussicht, dass der Tagesrhythmus gestört werden könnte, kann ein Kind mit Prader-Willi-Syndrom in Stress versetzen.
Diagnose & Therapie
Die Diagnose wird zumeist durch die Beobachtung der beschriebenen Symptome vorgenommen. Bestimmte Hormonkonzentrationen können zusätzlich im Blut bestimmt werden, eine Chromosomenanalyse kann weiterhin Klarheit verschaffen. Hierzu ist allerdings anzumerken, dass es auch Menschen mit Prader-Willi-Syndrom gibt, bei denen bislang noch keine genetischen Besonderheiten nachgewiesen werden konnten.
Die Therapie erfolgt vorwiegend symptomatisch, unternimmt also keine Versuche, die Ursachen des Syndroms zu beseitigen. Ob durch einen frühzeitigen Eingriff zum Ausgleich der fehlenden Hormone die Ausprägung des Prader-Willi-Syndroms gemildert werden kann, ist unter Experten noch umstritten. Jedoch gilt eine solche Wachstumshormontherapie in manchen Kreisen schon als hocherfolgreich, es wird auf eine Normalisierung von Körpergröße, Körperfettanteil und Muskelmasse im Rahmen von Studien verwiesen. Weiterhin sollen derartig behandelte Kinder im Laufe der Behandlung körperlich aktiver und zufriedener geworden sein, Verhaltensauffälligkeiten gingen zurück.
Es gibt verhaltenstherapeutische Methoden, welche positive Effekte auf das Verhaltensrepertoire von Menschen mit Prader-Willi-Syndrom haben können. Voraussetzung hierfür ist jedoch die Fähigkeit zu einer gewissen Selbstkontrolle über das zwanghafte Verhalten. Problematisch ist wie immer bei der konkreten Anwendung von lerntheoretischem Wissen, dass undifferenzierter Einsatz schnell zu einer Art Dressur verkommen kann.
Weblinks
Umfassende Website der Prader-Willi-Syndrom Vereinigung Deutschland e.V.