„Prader-Willi-Syndrom“ – Versionsunterschied
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Das '''Prader-Willi-Syndrom''' ist eine vergleichsweise seltene, durch ein beschädigtes elterliches [[Chromosom]] 15 bedingte [[Behinderung]]. Die komplexe Störung geht mit [[körper]]lichen, [[stoffwechsel]]bezogenen und [[kognitiv]]en Symptomen einher, welche durch eine Fehlfunktion des [[Zwischenhirn]]s verursacht werden. |
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Der [[Gendefekt]] tritt durchschnittlich bei einer von 10.000-25.000 [[Schwangerschaft]]en auf. Frauen und Männer sind etwa gleich häufig betroffen, in Einzelfällen sind familiäre Häufungen beschrieben. |
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Das Prader-Willi-Syndrom wurde von den [[Zürich]]er Kinderärzten ''Andrea Prader'', ''A. Labhard'' und ''Heinrich Willi'' [[1956]] detailliert beschrieben. Die generelle Erstbeschreibung der typischen [[Symptom]]atik geht jedoch auf Dr. John Langdon-Down zurück, der seinerzeit bereits Kinder mit dem [[Williams-Beuren-Syndrom]] beschrieb und durch die ausführliche Erstbeschreibung des nach ihm benannten [[Down-Syndrom]]s bekannt wurde. Eine 21jährige Frau mit Prader-Willi-Syndrom wurden von ihm bereits im Jahre [[1864]] beschrieben. |
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Zum damaligen Zeitpunkt erläuterte man nur die einzelnen Symptome, konnte aber noch keine Aussagen zu den eigentlichen [[Ursache]]n machen. |
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Kindern mit Prader-Willi-Syndrom fehlt also entweder ein kleines Stück im väterlichen Chromosom 15 (Mikrodeletion) oder sie haben zwei Chromosomen 15 von der Mutter und keines vom Vater geerbt (uniparentale Disomie 15). Das Prader-Willi-Syndrom zählt somit (wie auch das molekulargenetisch nah verwandte, klinisch allerdings völlig anders ausgeprägte [[Angelman-Syndrom]]) zu den Besonderheiten, bei denen in der Regel ein Funktionsausfall eines [[Imprinting|Imprint]]-Gens als Ursache festzustellen ist. In extrem seltenen Fällen kann es auch zu einer [[Deletion]] des mütterlichen Chromosoms 15 kommen, welches zur Ausbildung des Angelman-Syndroms führt. Gehäuft tritt dieser genetische Besonderheit im verwandtschaftlichen Umfeld von Menschen mit Prader-Willi-Syndrom auf. |
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Die typischen Symptome des Prader-Willi-Syndroms treten bei beiden Gruppen auf, da in jedem Fall das genetische Material des Vaters unvollständig ist. Bis heute gibt es keine Erkenntnisse, wodurch genau der Gendefekt ausgelöst wird, er ist nicht vererbbar und scheint vollkommen spontan und ohne Einfluss bestimmter Umwelteinflüsse aufzutreten. |
Die typischen Symptome des Prader-Willi-Syndroms treten bei beiden Gruppen auf, da in jedem Fall das genetische Material des Vaters unvollständig ist. Bis heute gibt es keine Erkenntnisse, wodurch genau der Gendefekt ausgelöst wird, er ist nicht vererbbar und scheint vollkommen spontan und ohne Einfluss bestimmter Umwelteinflüsse aufzutreten. |
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Die beobachtbaren Auswirkungen des Prader-Willi-Syndroms lassen sich zu einem Großteil auf eine fehlende Hormonfreisetzung (Gonadotropin-Releasing-Hormon) im [[Hypothalamus]] zurückführen, die durch die beschriebenen genetischen Besonderheiten verursacht werden. Die fehlerhafte Hormonfreisetzung beeinflusst andere hormonproduzierende Drüsen, beispielsweise die [[Schilddrüse]], die Neben[[niere]]n und die [[Keimdrüse]]n ([[Hoden]] und [[Eierstöcke]]). |
Die beobachtbaren Auswirkungen des Prader-Willi-Syndroms lassen sich zu einem Großteil auf eine fehlende Hormonfreisetzung (Gonadotropin-Releasing-Hormon) im [[Hypothalamus]] zurückführen, die durch die beschriebenen genetischen Besonderheiten verursacht werden. Die fehlerhafte Hormonfreisetzung beeinflusst andere hormonproduzierende Drüsen, beispielsweise die [[Schilddrüse]], die Neben[[niere]]n und die [[Keimdrüse]]n ([[Hoden]] und [[Eierstöcke]]). |
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In extrem seltenen Fällen kann es auch zu einer [[Deletion]] des mütterlichen Chromosoms 15 kommen, welches zur Ausbildung des [[Angelman-Syndrom]]s führt. Gehäuft tritt dieser Gendefekt im verwandtschaftlichen Umfeld von Menschen mit Prader-Willi-Syndrom auf. |
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Fast alle Neugeborenen mit einem Prader-Willi Syndrom zeigen eine ausgeprägte Muskelhypotonie (Mangel an Muskelstärke, -größe und -spannung), die sich meist schon während der Schwangerschaft bemerkbar macht. Viele Mütter berichten über verminderte Kindsbewegungen, oft ist eine [[Kaiserschnitt]]entbindung aufgrund einer Beckenendlagenstellung des Kindes notwendig. |
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Schon im Alter von ca. 2-3 Jahren entwickelt sich ein übermäßiges, zwanghaftes [[Hunger]]gefühl, das körperliche Ursachen hat und nicht bewusst regulierbar ist. Dies führt, solange es nicht von außen streng kontrolliert wird, unweigerlich zu starkem Übergewicht ([[Adipositas]]), was durch die typische Bewegungsunlust verstärkt wird. |
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Aufgrund von Übergewicht und Muskelschwäche kann es in manchen Fällen zu einer [[Skoliose]] (Wirbelsäulen-Verkrümmung) kommen. Eine mangelhafte Muskelbeherrschung führt dazu, dass Kinder mit Prader-Willi-Syndrom kaum vor dem zweiten oder dritten Lebensjahr zu laufen beginnen. |
Aufgrund von Übergewicht und Muskelschwäche kann es in manchen Fällen zu einer [[Skoliose]] (Wirbelsäulen-Verkrümmung) kommen. Eine mangelhafte Muskelbeherrschung führt dazu, dass Kinder mit Prader-Willi-Syndrom kaum vor dem zweiten oder dritten Lebensjahr zu laufen beginnen. |
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Die Intelligenzleistungen sind eingeschränkt und reichen bis zur Grenze der sogenannten [[ |
Die Intelligenzleistungen sind eingeschränkt und reichen bis zur Grenze der sogenannten [[kognitive Behinderung|kognitiven Behinderung]]. Der Sprechbeginn ist verzögert, in Sprachgebrauch und Ausdrucksweise sind Probleme zu erwarten. In der Regel liegt eine Lernbehinderung vor, deren Auswirkungen sich insbesondere in den Bereichen des Kurzzeitgedächtnisses und der Abstraktionsfähigkeit zeigen. Beim Besuch der [[Grundschule]] sind von der kognitiven Leistung her üblicherweise keine Beeinträchtigungen zu erwarten, später wird eine Förderung in Sondereinrichtungen oder spezielle Hilfen nötig. Insbesondere im Kindesalter zeigen Menschen mit Prader-Willi-Syndrom viel Interesse an ihrer Umgebung und sind begierig darauf, viel zu wissen und Fragen beantwortet zu bekommen. |
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Die als direkte Folge der fehlenden Hormonfreisetzung unterentwickelten Geschlechtsorgane führen zu einer später einsetzenden und unvollständigen [[Pubertät]], die mit wenigen Ausnahmen zur Unfruchtbarkeit führt. Der pubertäre Wachstumsschub bleibt aus, deshalb sind eine geringe Körpergröße (Männer durchschnittlich 1,55m, Frauen durchschnittlich 1,50m), eine veränderte Körperzusammensetzung (teilweise extreme Fettleibigkeit insbesondere an [[Bauch]], [[Hüfte]] und [[Schenkel]]) und eine geringere Knochendichte häufig. |
Die als direkte Folge der fehlenden Hormonfreisetzung unterentwickelten Geschlechtsorgane führen zu einer später einsetzenden und unvollständigen [[Pubertät]], die mit wenigen Ausnahmen zur Unfruchtbarkeit führt. Der pubertäre Wachstumsschub bleibt aus, deshalb sind eine geringe Körpergröße (Männer durchschnittlich 1,55m, Frauen durchschnittlich 1,50m), eine veränderte Körperzusammensetzung (teilweise extreme Fettleibigkeit insbesondere an [[Bauch]], [[Hüfte]] und [[Schenkel]]) und eine geringere Knochendichte häufig. |
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In dieser Phase gewinnen auch die für das Prader-Willi-Syndrom typischen Lern- und Verhaltensstörungen an Bedeutung: Die Kinder zeigen Schwierigkeiten bei der Kontaktaufnahme und Verhaltensauffälligkeiten, die gemäßigt schon ab dem dritten Lebensjahr zu erkennen sind. Diese manifestieren sich meist in massiven Trotzphasen und [[emotion]]aler Labilität, die Heranwachsenden neigen darüber hinaus zu Wutanfällen und [[Temperament]]sausbrüchen. |
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Als Stärke von Kindern mit Prader-Willi-Syndrom gelten eine Reihe von [[Schlüsselqualifikation]]en: Sie werden häufig als einsichtig, freundlich, sozial, humorvoll, warmherzig und hilfsbereit beschrieben, das Langzeitgedächtnis funktioniert meist sehr gut und abhängig vom allgemeinen Intelligenzgrad entwickeln viele Kinder mit Prader-Willi-Syndrom eine große Lust am Lesen. |
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Die [[Lebenserwartung]] von Menschen mit Prader-Willi-Syndrom ist verkürzt, was vor allem durch die [[Fettsucht]] und die Folgeschäden der häufig zusätzlich auftretenden [[Zuckerkrankheit]] (Diabetes mellitus) bedingt ist. |
Die [[Lebenserwartung]] von Menschen mit Prader-Willi-Syndrom ist zum Teil verkürzt, was vor allem durch die [[Fettsucht]] und die Folgeschäden der häufig zusätzlich auftretenden [[Zuckerkrankheit]] (Diabetes mellitus) bedingt ist. |
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== Schwierigkeiten im sozialen Umgang == |
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Ein häufiger familiärer Streitpunkt bei einem Kind mit Prader-Willi-Syndrom ist die Frage nach dem Essen. Das starke Hungergefühl des betroffenen Kindes lässt sich nicht mit [[Vernunft]] in den Griff bekommen, da |
Ein häufiger familiärer Streitpunkt bei einem Kind mit Prader-Willi-Syndrom ist die Frage nach dem Essen. Das starke Hungergefühl des betroffenen Kindes lässt sich nicht mit [[Vernunft]] in den Griff bekommen, da es biologischen Ursprungs ist. Oft stehlen Kinder mit Prader-Willi-Syndrom anderen Personen ihr Essen und vertilgen gar Abfälle oder Nichtessbares. |
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Als weitere Schwierigkeit kann sich die mitunter sehr hohe Emotionalität der Kinder herausstellen. Nur selten ist es Kindern mit Prader-Willi-Syndrom möglich, ihre Gefühle auf eine sozial akzeptierte Weise ausdrücken. Eine übertriebene und sehr starke Gefühlsäußerung ist die Folge. Eine niedrige [[Frustrationstoleranz]] kann in Folge ausschlaggebend für eine Krise sein. |
Als weitere Schwierigkeit kann sich die mitunter sehr hohe Emotionalität der Kinder herausstellen. Nur selten ist es Kindern mit Prader-Willi-Syndrom möglich, ihre Gefühle auf eine sozial akzeptierte Weise ausdrücken. Eine übertriebene und sehr starke Gefühlsäußerung ist die Folge. Eine niedrige [[Frustrationstoleranz]] kann in Folge ausschlaggebend für eine Krise sein. |
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Es gibt [[Verhaltenstherapie|verhaltenstherapeutische]] Methoden, welche positive Effekte auf das Verhaltensrepertoire von Menschen mit Prader-Willi-Syndrom haben können. Voraussetzung hierfür ist jedoch die Fähigkeit zu einer gewissen Selbstkontrolle über das zwanghafte Verhalten. Problematisch ist wie immer bei der konkreten Anwendung von lerntheoretischem Wissen, dass undifferenzierter Einsatz schnell zu einer Art [[Dressur]] verkommen kann. |
Es gibt [[Verhaltenstherapie|verhaltenstherapeutische]] Methoden, welche positive Effekte auf das Verhaltensrepertoire von Menschen mit Prader-Willi-Syndrom haben können. Voraussetzung hierfür ist jedoch die Fähigkeit zu einer gewissen Selbstkontrolle über das zwanghafte Verhalten. Problematisch ist wie immer bei der konkreten Anwendung von lerntheoretischem Wissen, dass undifferenzierter Einsatz schnell zu einer Art [[Dressur]] verkommen kann. |
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== Literatur == |
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*Urs Eiholzer, Vera Schlumbom: Das Prader-Willi-Syndrom |
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* T. Fährmann: Das Prader-Willi- Syndrom (2001) |
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*Klaus Sarimski: Psychosoziale Aspekte des PWS |
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*Marlies Winkelheide: Geschwister von Kindern mit PWS |
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*Susanne Reidelbach: Das PWS Kochbuch (2003) |
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*Marga Hogenboom: Menschen mit geistiger Behinderung besser verstehen - Angeborene Syndrome verständlich erklärt (2003) |
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== Weblinks == |
== Weblinks == |
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*[http://www.prader-willi-syndrom.at Österreichische Gesellschaft Prader-Willi-Syndrom] |
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*[http://www.prader-willi.ch Prader-Willi-Syndrom Vereinigung Schweiz] |
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{{Gesundheitshinweis}} |
{{Gesundheitshinweis}} |
Version vom 3. März 2005, 13:04 Uhr
Das Prader-Willi-Syndrom ist eine vergleichsweise seltene, durch ein beschädigtes elterliches Chromosom 15 bedingte Behinderung. Die komplexe Störung geht mit körperlichen, stoffwechselbezogenen und kognitiven Symptomen einher, welche durch eine Fehlfunktion des Zwischenhirns verursacht werden.
Der Gendefekt tritt durchschnittlich bei einer von 10.000-25.000 Schwangerschaften auf. Frauen und Männer sind etwa gleich häufig betroffen, in Einzelfällen sind familiäre Häufungen beschrieben.
Ursachen
Das Prader-Willi-Syndrom wurde von den Züricher Kinderärzten Andrea Prader, A. Labhard und Heinrich Willi 1956 detailliert beschrieben. Die generelle Erstbeschreibung der typischen Symptomatik geht jedoch auf Dr. John Langdon-Down zurück, der seinerzeit bereits Kinder mit dem Williams-Beuren-Syndrom beschrieb und durch die ausführliche Erstbeschreibung des nach ihm benannten Down-Syndroms bekannt wurde. Eine 21jährige Frau mit Prader-Willi-Syndrom wurden von ihm bereits im Jahre 1864 beschrieben.
Zum damaligen Zeitpunkt erläuterte man nur die einzelnen Symptome, konnte aber noch keine Aussagen zu den eigentlichen Ursachen machen.
Im Jahre 1981 fand man heraus, dass es sich beim Prader-Willi-Syndrom um einen Genbesonderheit handelt und zwar um eine Unvollständigkeit des Chromosoms 15. Diese Chromosomenbesonderheit liegt bei mehr als 90% aller Menschen mit Prader-Willi-Syndrom vor.
In den letzten Jahren konnte man durch genauere genetische Markierungstechniken verschiedene Genkonstellationen bei Menschen mit Prader-Willi-Syndrom feststellen. Dabei unterscheidet man die paternale Deletion, bei der ein Stückchen des vom Vater geerbten Chromosoms 15 fehlt, und die maternale Deletion, bei welcher zwei mütterliche Chromosomen Nummer 15 vorliegen und das des Vaters fehlt. Kindern mit Prader-Willi-Syndrom fehlt also entweder ein kleines Stück im väterlichen Chromosom 15 (Mikrodeletion) oder sie haben zwei Chromosomen 15 von der Mutter und keines vom Vater geerbt (uniparentale Disomie 15). Das Prader-Willi-Syndrom zählt somit (wie auch das molekulargenetisch nah verwandte, klinisch allerdings völlig anders ausgeprägte Angelman-Syndrom) zu den Besonderheiten, bei denen in der Regel ein Funktionsausfall eines Imprint-Gens als Ursache festzustellen ist. In extrem seltenen Fällen kann es auch zu einer Deletion des mütterlichen Chromosoms 15 kommen, welches zur Ausbildung des Angelman-Syndroms führt. Gehäuft tritt dieser genetische Besonderheit im verwandtschaftlichen Umfeld von Menschen mit Prader-Willi-Syndrom auf.
Die typischen Symptome des Prader-Willi-Syndroms treten bei beiden Gruppen auf, da in jedem Fall das genetische Material des Vaters unvollständig ist. Bis heute gibt es keine Erkenntnisse, wodurch genau der Gendefekt ausgelöst wird, er ist nicht vererbbar und scheint vollkommen spontan und ohne Einfluss bestimmter Umwelteinflüsse aufzutreten.
Die beobachtbaren Auswirkungen des Prader-Willi-Syndroms lassen sich zu einem Großteil auf eine fehlende Hormonfreisetzung (Gonadotropin-Releasing-Hormon) im Hypothalamus zurückführen, die durch die beschriebenen genetischen Besonderheiten verursacht werden. Die fehlerhafte Hormonfreisetzung beeinflusst andere hormonproduzierende Drüsen, beispielsweise die Schilddrüse, die Nebennieren und die Keimdrüsen (Hoden und Eierstöcke).
Auswirkungen und Merkmale
Die Folgen der fehlenden Genabschnitte sind vielfältig und können bei Menschen mit Prader-Willi-Syndrom in unterschiedlicher Weise zum Vorschein kommen.
Fast alle Neugeborenen mit einem Prader-Willi Syndrom zeigen eine ausgeprägte Muskelhypotonie (Mangel an Muskelstärke, -größe und -spannung), die sich meist schon während der Schwangerschaft bemerkbar macht. Viele Mütter berichten über verminderte Kindsbewegungen, oft ist eine Kaiserschnittentbindung aufgrund einer Beckenendlagenstellung des Kindes notwendig.
Im Neugeborenenalter zeigt sich eine durch die Muskelhypotonie bedingte Trinkschwäche. Diese kann derart ausgeprägt sein, dass eine Magensonde eingesetzt werden muss, da sonst eine ausreichende Nahrungsaufnahme nicht gewährleistet werden kann. Der Säugling schläft außerdem viel und bewegt sich während der Wachphasen nur wenig.
Die Augen sind meist mandelförmig, Schielen (Strabismus) und Kurzsichtigkeit werden oft beobachtet. Ungewöhnlich ist ferner die unterdurchschnittliche Ausbildung der Geschlechtsorgane (Hypogenitalismus), bei Jungen wird häufig Hodenhochstand beobachtet.
Mit zunehmendem Alter werden die Kinder kräftiger und trinken besser, der Verlauf der motorischen Entwicklung (Sitzen, Krabbeln, Laufen) bleibt aber verzögert.
Schon im Alter von ca. 2-3 Jahren entwickelt sich ein übermäßiges, zwanghaftes Hungergefühl, das körperliche Ursachen hat und nicht bewusst regulierbar ist. Dies führt, solange es nicht von außen streng kontrolliert wird, unweigerlich zu starkem Übergewicht (Adipositas), was durch die typische Bewegungsunlust verstärkt wird.
Erschwerend kommt eine grundsätzliche Trägheit und Schläfrigkeit hinzu, welche durch den unterdurchschnittlich niedrigen Blutdruck erklärt werden kann. Häufig macht sich dies schon während der Schwangerschaft bemerkbar, da es kaum zu spürbaren Bewegungen des Kindes kommt. In vielen Fällen wird deswegen auch durch Kaiserschnitt entbunden.
Aufgrund von Übergewicht und Muskelschwäche kann es in manchen Fällen zu einer Skoliose (Wirbelsäulen-Verkrümmung) kommen. Eine mangelhafte Muskelbeherrschung führt dazu, dass Kinder mit Prader-Willi-Syndrom kaum vor dem zweiten oder dritten Lebensjahr zu laufen beginnen.
Die Intelligenzleistungen sind eingeschränkt und reichen bis zur Grenze der sogenannten kognitiven Behinderung. Der Sprechbeginn ist verzögert, in Sprachgebrauch und Ausdrucksweise sind Probleme zu erwarten. In der Regel liegt eine Lernbehinderung vor, deren Auswirkungen sich insbesondere in den Bereichen des Kurzzeitgedächtnisses und der Abstraktionsfähigkeit zeigen. Beim Besuch der Grundschule sind von der kognitiven Leistung her üblicherweise keine Beeinträchtigungen zu erwarten, später wird eine Förderung in Sondereinrichtungen oder spezielle Hilfen nötig. Insbesondere im Kindesalter zeigen Menschen mit Prader-Willi-Syndrom viel Interesse an ihrer Umgebung und sind begierig darauf, viel zu wissen und Fragen beantwortet zu bekommen.
Die als direkte Folge der fehlenden Hormonfreisetzung unterentwickelten Geschlechtsorgane führen zu einer später einsetzenden und unvollständigen Pubertät, die mit wenigen Ausnahmen zur Unfruchtbarkeit führt. Der pubertäre Wachstumsschub bleibt aus, deshalb sind eine geringe Körpergröße (Männer durchschnittlich 1,55m, Frauen durchschnittlich 1,50m), eine veränderte Körperzusammensetzung (teilweise extreme Fettleibigkeit insbesondere an Bauch, Hüfte und Schenkel) und eine geringere Knochendichte häufig.
In dieser Phase gewinnen auch die für das Prader-Willi-Syndrom typischen Lern- und Verhaltensstörungen an Bedeutung: Die Kinder zeigen Schwierigkeiten bei der Kontaktaufnahme und Verhaltensauffälligkeiten, die gemäßigt schon ab dem dritten Lebensjahr zu erkennen sind. Diese manifestieren sich meist in massiven Trotzphasen und emotionaler Labilität, die Heranwachsenden neigen darüber hinaus zu Wutanfällen und Temperamentsausbrüchen.
Als Stärke von Kindern mit Prader-Willi-Syndrom gelten eine Reihe von Schlüsselqualifikationen: Sie werden häufig als einsichtig, freundlich, sozial, humorvoll, warmherzig und hilfsbereit beschrieben, das Langzeitgedächtnis funktioniert meist sehr gut und abhängig vom allgemeinen Intelligenzgrad entwickeln viele Kinder mit Prader-Willi-Syndrom eine große Lust am Lesen.
Die Lebenserwartung von Menschen mit Prader-Willi-Syndrom ist zum Teil verkürzt, was vor allem durch die Fettsucht und die Folgeschäden der häufig zusätzlich auftretenden Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus) bedingt ist.
Schwierigkeiten im sozialen Umgang
Ein häufiger familiärer Streitpunkt bei einem Kind mit Prader-Willi-Syndrom ist die Frage nach dem Essen. Das starke Hungergefühl des betroffenen Kindes lässt sich nicht mit Vernunft in den Griff bekommen, da es biologischen Ursprungs ist. Oft stehlen Kinder mit Prader-Willi-Syndrom anderen Personen ihr Essen und vertilgen gar Abfälle oder Nichtessbares.
Als weitere Schwierigkeit kann sich die mitunter sehr hohe Emotionalität der Kinder herausstellen. Nur selten ist es Kindern mit Prader-Willi-Syndrom möglich, ihre Gefühle auf eine sozial akzeptierte Weise ausdrücken. Eine übertriebene und sehr starke Gefühlsäußerung ist die Folge. Eine niedrige Frustrationstoleranz kann in Folge ausschlaggebend für eine Krise sein.
Auch die Unfähigkeit, Veränderungen im Alltag zu akzeptieren, gibt immer wieder Grund zu Konflikten. Schon die vage Aussicht, dass der Tagesrhythmus gestört werden könnte, kann ein Kind mit Prader-Willi-Syndrom in Stress versetzen.
Diagnose & Therapie
Die Diagnose wird zumeist durch die Beobachtung der beschriebenen Symptome vorgenommen. Bestimmte Hormonkonzentrationen können zusätzlich im Blut bestimmt werden, eine Chromosomenanalyse kann weiterhin Klarheit verschaffen. Hierzu ist allerdings anzumerken, dass es auch Menschen mit Prader-Willi-Syndrom gibt, bei denen bislang noch keine genetischen Besonderheiten nachgewiesen werden konnten.
Die Therapie erfolgt vorwiegend symptomatisch, unternimmt also keine Versuche, die Ursachen des Syndroms zu beseitigen. Ob durch einen frühzeitigen Eingriff zum Ausgleich der fehlenden Hormone die Ausprägung des Prader-Willi-Syndroms gemildert werden kann, ist unter Experten noch umstritten. Jedoch gilt eine solche Wachstumshormontherapie in manchen Kreisen schon als hocherfolgreich, es wird auf eine Normalisierung von Körpergröße, Körperfettanteil und Muskelmasse im Rahmen von Studien verwiesen. Weiterhin sollen derartig behandelte Kinder im Laufe der Behandlung körperlich aktiver und zufriedener geworden sein, Verhaltensauffälligkeiten gingen zurück.
Es gibt verhaltenstherapeutische Methoden, welche positive Effekte auf das Verhaltensrepertoire von Menschen mit Prader-Willi-Syndrom haben können. Voraussetzung hierfür ist jedoch die Fähigkeit zu einer gewissen Selbstkontrolle über das zwanghafte Verhalten. Problematisch ist wie immer bei der konkreten Anwendung von lerntheoretischem Wissen, dass undifferenzierter Einsatz schnell zu einer Art Dressur verkommen kann.
Literatur
- Urs Eiholzer, Vera Schlumbom: Das Prader-Willi-Syndrom
- T. Fährmann: Das Prader-Willi- Syndrom (2001)
- Klaus Sarimski: Psychosoziale Aspekte des PWS
- Marlies Winkelheide: Geschwister von Kindern mit PWS
- Susanne Reidelbach: Das PWS Kochbuch (2003)
- Marga Hogenboom: Menschen mit geistiger Behinderung besser verstehen - Angeborene Syndrome verständlich erklärt (2003)
Weblinks
- umfassende Website der Prader-Willi-Syndrom Vereinigung Deutschland e.V.
- Österreichische Gesellschaft Prader-Willi-Syndrom
- Prader-Willi-Syndrom Vereinigung Schweiz