„Ablehnungsgesuch“ – Versionsunterschied
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Version vom 20. Mai 2020, 16:26 Uhr
Ein Ablehnungsgesuch, auch "Befangenheitsantrag", ist ein Antrag, durch welchen ein an einem (Gerichts-)Verfahren Beteiligter die Besorgnis geltend machen kann, ein Prozessbeteiligter (Richter, Sachverständiger) sei befangen. Die Rechtslage in den drei deutschsprachigen Ländern ist im Wesentlichen dieselbe.
Rechtslage in Deutschland
Abgelehnt werden können sowohl einzelne oder mehrere bestimmte Berufs- als auch ehrenamtliche Richter,[1] außerdem Patentprüfer (§ 27 Abs. 6 PatG) und Sachverständige (§ 406 ZPO, § 74 StPO), nicht aber das Gericht als Ganzes sowie Urkundsbeamte der Geschäftsstelle und Rechtspfleger.
Gesetzliche Grundlagen
Ablehnungsgesuche gegen Zivilrichter sind geregelt in § 42 ZPO. Darauf verweisen § 6 FamFG,[2] § 54 VwGO, § 60 SGG[3] und § 86(1) PatG. § 42 ZPO ist auf Urkundsbeamte der Geschäftsstelle entsprechend anzuwenden (§ 49 ZPO). Für Rechtspfleger verweist § 10 RPflG auf die für Richter geltenden Vorschriften. § 24 StPO regelt das Ablehnungsgesuch gegen einen Richter im Strafverfahren, § 31 StPO gilt für Schöffen sowie für Urkundsbeamte der Geschäftsstelle und andere als Protokollführer zugezogene Personen.
Grund für die Möglichkeit, eine Gerichtsperson wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, ist der aus dem Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes abzuleitende Grundsatz des fairen Verfahrens (englisch fair trial) sowie das Recht auf den gesetzlichen Richter aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz[4]. Die Verfassungsnorm garantiert nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, dass der Rechtsuchende im Einzelfall vor einem Richter steht, der unabhängig und unparteilich ist und die Gewähr für Neutralität und Distanz gegenüber den Verfahrensbeteiligten bietet.[5] Daher muss ein an einem Verfahren Beteiligter die Möglichkeit haben, darauf hinzuwirken, dass nur Richter, die ihm unvoreingenommen gegenübertreten, mit der Sache befasst werden.
Besorgnis der Befangenheit
Besorgnis der Befangenheit ist anzunehmen, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen (§ 42 Abs. 2 ZPO, § 24 Abs. 2 StPO).[6]
Ein solcher Grund ist dann gegeben, wenn ein am Verfahren Beteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln. Tatsächliche Befangenheit oder Voreingenommenheit ist nicht erforderlich; es genügt schon der „böse Schein“, d. h. der mögliche Eindruck mangelnder Objektivität. Entscheidend ist demnach, ob das beanstandete Verhalten für einen verständigen Verfahrensbeteiligten Anlass sein kann, an der persönlichen Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln.[7]
Darauf, ob der Ablehnende aus seiner Sicht den Richter für befangen hält, kommt es ebenso wenig an wie darauf, ob sich der Richter selbst für befangen hält oder ob er objektiv befangen ist. Denn Ablehnungsgrund ist entgegen der ungenauen Alltagssprache nicht die Befangenheit, sondern die Besorgnis der Befangenheit. Daher enthält weder ein Ablehnungsgesuch gegen einen Richter noch ein Beschluss, mit dem das Ablehnungsgesuch für begründet erklärt wurde, notwendigerweise einen Vorwurf gegen den abgelehnten Richter (etwa des Inhalts, er habe einen Fehler gemacht).
Sind im Verfahren über die Ablehnung eines Richters wegen Befangenheit die tatsächlichen Grundlagen schlüssig dargelegt, aber unaufklärbar, spricht der Anschein für die Besorgnis der Befangenheit. Hingegen ist für eine Entscheidung „im Zweifel zugunsten des Ablehnenden“ kein Raum, wenn es nur um dessen subjektive Bewertung objektiv feststehender Tatsachen geht.[8]
Fallgruppen
Es lassen sich gewisse Fallgruppen unterscheiden, bei denen die Unvoreingenommenheit typischerweise in Frage gestellt wird:[9]
- besondere Näheverhältnisse des Richters zu Verfahrensbeteiligten
- Mitwirkungen an Vorentscheidungen oder sonstige Vorbefassungen mit der zu entscheidenden Sache
- Verfahrensfehler
- Äußerungen über das Prozessverhalten von Verfahrensbeteiligten
- Weltanschauliche Einstellungen
- Interessen am Prozessausgang
Die Begründetheit eines Befangenheitsantrags ist aber immer eine Einzelfallentscheidung. Dabei sind als allgemeine rechtliche Gesichtspunkte insbesondere der Anspruch auf rechtliches Gehör, das Fairnessgebot und das Willkürverbot erkennbar. Die Handhabung durch die Rechtsprechung ist tendenziell restriktiv, da sich die Entscheidung unmittelbar auf den gesetzlichen Richter gem. Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG auswirkt[10][11] und ein Missbrauch des Ablehnungsrechts insbesondere im Strafverfahren verhindert werden soll (§ 26a Abs. 1 Nr. 3 StPO).[12]
Einzelfälle unbegründeter Ablehnung
Persönliche Näheverhältnisse des Richters zu einer Partei bzw. einem Verfahrensbeteiligten außerhalb der gesetzlich vorgesehenen persönlichen Ausschließungsgründe anerkennt die Rechtsprechung nur in seltenen Ausnahmefällen als Ablehnungsgrund, um die Gründe für den Ausschluss vom Richteramt gem. § 41 Nr. 2 bis 4 ZPO nicht unzulässig zu erweitern.[13][14][15] Aus demselben Grund ist die Rechtsprechung sehr zurückhaltend, wenn ein Richter mit der von ihm (mit) zu entscheidenden Sache in einer Weise vorbefasst war, die nicht bereits einen gesetzlichen Ausschließungsgrund nach § 41 Nr. 6 ZPO darstellt.[16] Ein Richter, der Kraft Gesetz von der Ausübung des Richteramtes ausgeschlossen ist, darf an dem Verfahren auch dann nicht mitwirken, wenn kein Ablehnungsgesuch gegen ihn gestellt wird.[17]
Auch Verfahrensfehler von Richtern, die in der Praxis häufiger zum Anlass von Ablehnungsgesuchen genommen werden, werden von der Rechtsprechung nur selten als Ablehnungsgründe anerkannt. Denn im Ablehnungsverfahren geht es nicht um die Richtigkeit einer Entscheidung, sondern um die Parteilichkeit des Richters.[18] Das Ablehnungsrecht soll kein Instrument der Verfahrens- oder Fehlerkontrolle sein, da hierfür die Rechtsmittel zur Verfügung stehen.[19] Kritikern zufolge wird richterliches Fehlverhalten in der Rechtsprechung zum Befangenheitsrecht fast uferlos toleriert.[20]
Gründe wie die Staatsangehörigkeit, das Geschlecht oder die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Konfession reichen für die Besorgnis der Befangenheit grundsätzlich nicht aus und dementsprechend – grundsätzlich – auch nicht politische und religiöse Auffassungen. Anders hat das LG Berlin allerdings in einem Fall entschieden, in dem in einer Hauptverhandlung gegen arabische und türkische Angeklagte ein Schöffe ein schwarzes Sweatshirt trug, auf dem im Brustbereich in weißen Buchstaben „Pit Bull Germany“ aufgedruckt war.[21] Das LG Dortmund gab einem Befangenheitsgesuch gegen eine Schöffin statt, die sich aus weltanschaulichen Gründen weigerte, in der Hauptverhandlung ihr Kopftuch abzunehmen.[22] Besondere Regelungen enthält auch § 18 Abs. 2 BVerfGG.[23]
Hat ein Richter möglicherweise ein persönliches Interesse am Ausgang des Verfahrens, ist für die berechtigte Besorgnis der Befangenheit „eine über den Bereich gleicher oder ähnlicher Erfahrungen hinausgehende eindeutige Verbundenheit mit oder Parallelität zu der streitbefangenen Situation und in Rede stehenden Interessenlage erforderlich.“[24]
Keine Besorgnis der Befangenheit begründet in der Regel, wenn der Richter in einer von der jeweiligen Verfahrensordnung vorgesehenen Weise schon mit der Sache befasst war und Entscheidungen erlassen hat, etwa im Zivilprozess einen Hinweis nach § 139 ZPO erteilt oder ein Teil- oder Zwischenurteil erlassen hat oder
Kontrovers diskutiert wird die Frage, unter welchen Voraussetzungen die Mitwirkung eines Richters im Strafprozess die Besorgnis der Befangenheit begründet, der etwa an der Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens, die Fortdauer der Untersuchungshaft oder die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis beteiligt war.[25] Die Besorgnis der Befangenheit ist nach der Rechtsprechung selbst dann unbegründet, wenn ein Richter über einen Angeklagten zu Gericht sitzt, über dessen Schuld er sich bereits im Rahmen einer Hauptverhandlung gegen einen Mitangeklagten eine Überzeugung gebildet hat.[26]
Einzelfälle begründeter Ablehnung
Der Richter müsste nach der Mitwirkung an einer Vorentscheidung gegebenenfalls die eigene Entscheidung nachträglich nicht nur als unrichtig, sondern als „handgreiflich falsch“ erachten. Dies, so das OVG Schleswig, erfordere ein besonders ausgeprägtes, weit überdurchschnittliches Maß an Fähigkeit und Bereitschaft zur Selbstkritik, an deren Vorhandensein ein Verfahrensbeteiligter bei vernünftiger Würdigung und lebensnaher Betrachtung Zweifel haben könne.[27][28] Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs kann jedoch auch eine vermeintlich oder tatsächlich rechtsfehlerhafte Vorentscheidung für sich genommen die Besorgnis der Befangenheit nicht rechtfertigen. „Es müssen vielmehr konkrete Umstände des Einzelfalls hinzutreten, welche die Besorgnis der Befangenheit zu begründen vermögen; diese über die Vorentscheidung hinausreichenden Umstände muss der Antragsteller in seinem Gesuch vortragen und glaubhaft machen. Anhaltspunkte für die Besorgnis der Befangenheit können in dem Verhalten des Richters oder in den Gründen der vorangegangenen Entscheidung gefunden werden.“[29]
Als Fälle Besorgnis begründender Verfahrensverstöße lassen sich richterliche Entscheidungen ansehen, bei denen ein Richter sich ausschließlich die Argumente einer Partei zu eigen macht, während er die der anderen erkennbar nicht behandelt[30] oder einer Partei verweigert, was er der anderen gewährt (zum Beispiel: einer Partei verweigert, ihren Antrag ins Protokoll aufzunehmen, während er umgekehrt Anträge der Gegenseite im Protokoll festhält),[31] außerdem die Weigerung, in der Sache zu entscheiden,[32] die Versagung des rechtlichen Gehörs[33] oder die unberechtigte Einschränkung des Fragerechts.[34]
Äußert sich ein Richter in einer Weise über das prozessuale Verhalten von Verfahrensbeteiligten, die bei diesen den Eindruck erweckt, er sei ihnen gegenüber voreingenommen, in der Sache längst festgelegt oder nehme sie nicht ernst und lässt die betreffende Äußerung praktisch keine andere Auslegung zu, ist ein Befangenheitsantrag begründet, beispielsweise wenn ein Richter die Beanstandung seiner Verhandlungsführung mit dem Wort „Kinkerlitzchen“ kommentiert[35] oder Bemerkungen wie „Nach Aktenlage lügen Sie unverschämt“.[36]
Die Besorgnis der Befangenheit im Sinn von § 42 Abs. 2 ZPO ist auch dann begründet, wenn der abgelehnte Richter als Mitglied des Berufungsgerichts über die Berufung der ihn ablehnenden Partei gegen ein durch seine Ehefrau als Einzelrichterin ergangenes Urteil zu entscheiden hat.[37]
Beispiele
Peter Müller
Das Ablehnungsgesuch gegen Peter Müller wurde für begründet erklärt. Er durfte deshalb an der Entscheidung des BVerfG über die Verfassungsmäßigkeit des § 217 StGB, Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Sterbehilfe, nicht teilnehmen.[38]
Stephan Harbarth
Das Ablehnungsgesuch gegen Stephan Harbarth wegen dessen Vorbefassung mit dem Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen wurde indessen für unbegründet erklärt.[39]
Verfahren
Der Ablehnungsgrund ist glaubhaft zu machen. Geschieht dies nicht oder ist der vorgetragene Grund nicht geeignet, ein erfolgreiches Ablehnungsgesuch zu begründen, wird das Ablehnungsgesuch von dem Gericht unter Mitwirkung des abgelehnten Richters als unzulässig zurückgewiesen. Ein Befangenheitsantrag ist daher ohne weitere inhaltliche Prüfung bereits unzulässig, wenn er offensichtlich rechtsmissbräuchlich gestellt wird. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn mit dem Ablehnungsgesuch verfahrensfremde Zwecke verfolgt werden oder wenn das Gesuch grob unsachliche und beleidigende Inhalte ohne näheren Sachbezug aufweist.
Andernfalls hat sich der abgelehnte Richter über den Ablehnungsgrund dienstlich zu äußern, zu der Äußerung ist den Verfahrensbeteiligten rechtliches Gehör zu gewähren. Danach entscheidet das Gericht ohne Mitwirkung des abgelehnten Richters durch Beschluss. Der Beschluss, mit dem das Ablehnungsgesuch für begründet erklärt wird, ist nicht anfechtbar. Wird es für unbegründet erklärt, kann der Beschluss im Zivilprozess gemäß § 46 Abs. 2 ZPO durch sofortige Beschwerde angefochten werden. Im Strafprozess kann ein Beschluss, in dem das Ablehnungsgesuch gegen einen erkennenden Richter (also ein Ablehnungsgesuch gegen einen an der Hauptverhandlung beteiligten Richter) zurückgewiesen wird, nur zusammen mit dem Urteil angefochten werden (§ 28 StPO). Vor den Verwaltungs-, Sozial-, Finanz- und Arbeitsgerichten können über Beschlüsse über die Ablehnung von Gerichtspersonen nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 146 Abs. 2 VwGO, § 172 Abs. 2 SGG, § 128 Abs. 2 FGO, § 49 Abs. 3 ArbGG).
Zwischen Ablehnungsgesuch und Entscheidung darf der abgelehnte Richter nur unaufschiebbare Handlungen vornehmen (§ 47 Abs. 1 ZPO, § 29 Abs. 1 StPO). Im Zivilprozess darf der Richter, der während der Verhandlung abgelehnt wird, den Termin fortsetzen, wenn andernfalls eine Vertagung erforderlich wäre; wird die Ablehnung für begründet erklärt, ist der nach dem Ablehnungsgesuch liegende Teil der Verhandlung zu wiederholen (§ 47 Abs. 2 ZPO). Im Strafprozess kann eine Hauptverhandlung so lange fortgesetzt werden, bis eine Entscheidung über die Ablehnung ohne Verzögerung der Hauptverhandlung möglich ist, jedoch längstens bis zum Beginn des übernächsten Sitzungstages oder bis zum Beginn der Schlussvorträge (§ 29 Abs. 2 Satz 1 StPO). Im Strafprozess ist, wenn die Ablehnung für begründet erklärt wird, der Teil der Hauptverhandlung, der nach dem Ablehnungsgesuch liegt, zu wiederholen, falls die Hauptverhandlung nicht ohnehin ausgesetzt werden muss (§ 29 Abs. 2 Satz 2 StPO).
Liegt ein Verhältnis vor, das eine Ablehnung rechtfertigen könnte, oder wenn aus anderer Veranlassung Zweifel darüber bestehen, ob ein Richter kraft Gesetzes ausgeschlossen sei, muss der betroffene Richter gemäß § 48 ZPO, § 30 StPO dies anzeigen, worauf ebenfalls eine Entscheidung des Gerichts zu ergehen hat (so genannte Selbstablehnung, wobei die Bezeichnung missverständlich ist: Weder hat der Richter ein eigenes Ablehnungsrecht noch kommt es auf seine Sicht an).
Rechtsfolgen erfolgreicher Ablehnung
Die erfolgreiche Ablehnung hat zur Folge, dass der abgelehnte Richter an dem Verfahren nicht mehr mitwirken darf. Im Strafprozess führt eine erfolgreiche Ablehnung regelmäßig dazu, dass eine Hauptverhandlung ausgesetzt, das heißt abgebrochen und neu begonnen werden muss. Dies gilt nur dann nicht, wenn Ergänzungsrichter hinzugezogen waren und ein Ergänzungsrichter an die Stelle des erfolgreich abgelehnten Richters treten kann.
Befangenheit von Behördenmitarbeitern
Befangenheitsanträge können auch gegenüber Mitarbeitern von Behörden geltend gemacht werden. So dürfen sie nicht in irgendeiner Form beteiligt sein (selbst betroffen, verwandt oder bei Betroffenem angestellt), § 20 VwVfG. Auch wenn ein Beteiligter behauptet, es gäbe einen Grund für Misstrauen gegenüber einer Behörde, so soll er dies entsprechend melden, § 21 VwVfG.
Sonstige Fallgruppen
- Der Rechtsanwalt beim Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen nach § 43a Abs. 4 BRAO
- im Aufsichtswesen der Rechnungshöfe gemäß § 17 BRHG
- im Steuerverfahren gemäß § 83 AO
- im Handels- und Gesellschaftsrecht, z. B. § 319 HGB, § 171 AktG,
- bei Politikern sowie ehrenamtlich z. B. kommunalpolitisch Tätigen bei einem Interessenkonflikt
In vielen Gremien, die sich aus gewählten Personen zusammensetzen, darf ein Mitglied an Beratungen und Abstimmungen zu einem Thema nicht teilnehmen, wenn es dabei als „befangen“ beurteilt worden ist, das heißt, die persönlichen Interessen des Mitglieds mit den Interessen der von ihm im Gremium zu vertretenden Allgemeinheit, also der Wählerschaft bzw. dem Gemeinwohl kollidieren könnten. Nimmt ein befangenes Mitglied dennoch an einer entsprechenden Abstimmung teil, kann das zu ihrer Ungültigkeit und der Notwendigkeit einer erneuten Beschlussfassung führen. Ein Beispiel sind Befangenheitsregeln für Gemeinde- bzw. Ortschaftsräte in Gemeindeordnungen (z. B. § 18 GeO für Baden-Württemberg[40][41][42]).
Rechtslage in Österreich
Befangenheit kann nach österreichischem Verständnis immer nur in Bezug auf eine konkrete Person vorliegen, nicht jedoch in Bezug auf eine Gesamtorganisation (z. B. Gericht, Behörde).
Die Befangenheitsgründe sind sowohl im Zivilverfahren, im Strafverfahren und im Verwaltungsverfahren, trotz der unterschiedlichen Benennung und Beschreibung, weitgehend übereinstimmend.
Zweifel an der Unbefangenheit
Die Zweifel an der Unbefangenheit eines Organes ist objektiv zu betrachten. Maßstab ist ein objektiver, an der Sache unbeteiligter Beobachter, der die Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit des Organs erkennen kann oder nicht.[43]
Grundsätzlich ist es daher auch kein Kriterium, ob sich das Organ selbst befangen fühlt oder nicht (wobei dies in der Praxis regelmäßig zum Abgeben des Falles führen wird).[44] Sehr wohl aber, wenn freundschaftliche Beziehungen zwischen dem Organ und einer Partei bzw. einem Beteiligten bestehen.[45] Nicht ausreichend für eine Befangenheit jedoch ist es, wenn z. B. freundschaftliche Beziehungen zwischen einem Organ und einem Sachverständigen bestehen.[46]
Die subjektive Besorgnis einer Partei oder eines Beteiligten, ein Organ könnte befangen sein, ist nicht ausreichend.[47]
Eine Befangenheit liegt in der Regel nicht vor,
- wenn sich die Rechtsansicht des Organs nicht mit der Rechtsansicht einer Partei oder Beteiligten deckt;[48]
- bei (überflüssigen) persönlichen Bemerkungen eines Organs, solange die Amtspflichten gesetzeskonform wahrgenommen werden.[49]
Zivilverfahren
Im österreichischen Zivilverfahren (bürgerlichen Rechtssachen) werden Befangenheitsgründe als Ablehnungs- und Ausschließungsgründe bezeichnet (§§ 19 Zif. 2 und 20 Abs. 1 JN).
Ein Richter und andere richterliche Organe, Schriftführer, Exekutionsbeamte, Angestellte der Geschäftsstelle[50] (und auch ein Sachverständiger - § 355 Abs. 1 ZPO) kann in bürgerlichen Rechtssachen abgelehnt werden, wenn "ein zureichender Grund vorliegt, seine Unbefangenheit in Zweifel zu ziehen" (§ 19 Zif. 2 JN).
Richter, andere richterliche Organe und Sachverständige sind von der Ausübung des Amtes in bürgerlichen Rechtssachen ausgeschlossen,
- "wenn sie "selbst Partei sind, oder in Ansehung deren sie zu einer der Parteien in dem Verhältnisse eines Mitberechtigten, Mitverpflichteten oder Regresspflichtigen stehen";
- "in Sachen ihrer Ehegatten, ihrer eingetragenen Partner oder solcher Personen, welche mit ihnen in gerader Linie verwandt oder verschwägert sind, oder mit welchen sie in der Seitenlinie bis zum vierten Grade verwandt oder im zweiten Grade verschwägert sind sowie in Sachen ihrer Lebensgefährten oder solcher Personen, die mit diesen in gerader Linie oder in der Seitenlinie bis zum zweiten Grad verwandt sind";
- "in Sachen ihrer Wahl- oder Pflegeeltern, Wahl- oder Pflegekinder und Pflegebefohlenen";
- "in Sachen, in welchen sie als Bevollmächtigte einer der Parteien bestellt waren oder noch bestellt sind";
- "in Sachen, in welchen sie bei einem untergeordneten Gerichte an der Erlassung des angefochtenen Urteils oder Beschlusses teilgenommen haben".
Der Richter ist nach § 20 Abs. 2 JN in den unter Zif. 2 und 3 "angegebenen Fällen mit Rücksicht auf die dort bezeichneten Personen auch dann ausgeschlossen, wenn das Naheverhältnis zu diesen Personen nicht mehr besteht."
Wahrnehmung der Befangenheit
Das Ablehnungsrecht muss gemäß § 21 JN von der betroffenen Partei umgehend ausgeübt werden. Hat sie sich, obwohl ihr eine Befangenheit bekannt war oder diese vermutet hat, in das Verfahren "eingelassen oder Anträge gestellt", hat die Partei ihr Recht auf Ablehnung verwirkt.
Konsequenzen
Hat die Partei ihr Recht auf Ablehnung vorab erfolglos geltend gemacht oder kam der Befangenheitsgrund erst später hervor, liegt unter Umständen ein Nichtigkeitsgrund vor (§ 477 Abs. 1 ZPO). Nach § 529 Abs. 1 Zif. 1 ZPO kann unter Umständen eine Nichtigkeitsklage erhoben werden.
Strafverfahren
Die Befangenheit im Strafverfahren führt zum Ausschluss des betroffenen Organs vom gesamten Verfahren oder von bestimmten Verfahrensstadien.
Ein Richter ist nach § 43 Abs. 1 StPO, Schöffen und Geschworene sowie unter Umständen Protokollführer vom gesamten Verfahren ausgeschlossen, wenn
- "er selbst oder einer seiner Angehörigen (§ 72 StGB) im Verfahren Staatsanwalt, Privatankläger, Privatbeteiligter, Beschuldigter, Verteidiger oder Vertreter ist oder war oder durch die Straftat geschädigt worden sein könnte, wobei die durch Ehe begründete Eigenschaft einer Person als Angehörige auch dann aufrecht bleibt, wenn die Ehe nicht mehr besteht";
- "er außerhalb seiner Dienstverrichtungen Zeuge der in Frage stehenden Handlung gewesen oder in der Sache als Zeuge oder Sachverständiger vernommen worden ist oder vernommen werden soll oder"
- "andere Gründe vorliegen, die geeignet sind, seine volle Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit in Zweifel zu ziehen."
Ein Richter ist
- "vom Hauptverfahren ausgeschlossen, wenn er im Ermittlungsverfahren Beweise aufgenommen hat (§ 104 StPO), ein gegen den Beschuldigten gerichtetes Zwangsmittel bewilligt, über einen von ihm erhobenen Einspruch oder einen Antrag auf Einstellung entschieden oder an einer Entscheidung über die Fortführung des Verfahrens oder an einem Urteil mitgewirkt hat, das infolge eines Rechtsmittels oder Rechtsbehelfs aufgehoben wurde" (§ 43 Abs. 2 StPO);
- "wenn er selbst oder einer seiner Angehörigen im Verfahren als Richter der ersten Instanz, ein Richter der ersten Instanz, wenn er selbst oder sein Angehöriger als Richter eines übergeordneten Gerichts tätig gewesen ist" (§ 42 Abs. 3 StPO);
- und er ist "von der Entscheidung über einen Antrag auf Wiederaufnahme oder einen Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens (§ 363a StPO) und von der Mitwirkung und Entscheidung im erneuerten Verfahren ausgeschlossen, wenn er im Verfahren bereits als Richter tätig gewesen ist" (§ 42 Abs. 4 StPO).
Für Staatsanwälte, Organe der Kriminalpolizei (§ 47 StPO), Dolmetscher, Übersetzer oder Sachverständige (§ 126 Abs. 4 StPO) gilt dies sinngemäß.
Wahrnehmung der Befangenheit
Der Richter hat nach § 44 StPO bei Vorliegen eines Ausschließungsgrundes sich im Verfahren[51], bei sonstiger Nichtigkeit aller Handlungen, zu enthalten und dies dem übergeordneten Organ von sich aus anzuzeigen (§ 44 Abs. 2 StPO).[52]
Zudem steht allen Beteiligten des Verfahrens die Möglichkeit offen, einen Antrag auf Ablehnung eines Richters wegen Ausschließung zu stellen (§ 44 Abs. 3 StPO).
Konsequenzen
Die betroffene Partei kann (im Verfahren vor dem Bezirks- und dem Landesgericht als Einzelrichter) Berufung wegen Nichtigkeit (§ 468 Abs. 1 Zif. 1 und Zif. 3 StPO) bzw. (im Verfahren vor Schöffen- und Geschworenengerichten) Nichtigkeitsbeschwerde (§ 281 Abs. 1 Zif. 1 und Zif. 3 StPO; § 345 Abs. 1 Zif. 1 und Zif. 4 StPO) erheben.
Verwaltungsverfahren
Im österreichischen Verwaltungsverfahrensrecht wird zwischen absoluter und relativer Befangenheit unterschieden.
Absolute Befangenheit im Sinne von § 7 Abs. 1 Zif. 1, 2 und 4 AVG von bestimmten Verwaltungsorganen, Dolmetscher (Amtsdolmetscher), Übersetzer und Sachverständige (Amtssachverständiger)[53] liegt vor, wenn
- "in Sachen, an denen sie selbst, einer ihrer Angehörigen (§ 36a) oder einer ihrer Pflegebefohlenen beteiligt sind";
- "in Sachen, in denen sie als Bevollmächtigte einer Partei bestellt waren oder noch bestellt sind";
- "im Berufungsverfahren, wenn sie an der Erlassung des angefochtenen Bescheides oder der Berufungsvorentscheidung (§ 64a) mitgewirkt haben."
Relative Befangenheit im Sinne von § 7 Abs. 1 Zif. 3 AVG liegt in allen anderen Fällen vor, "wenn sonstige wichtige Gründe vorliegen, die geeignet sind," die volle Unbefangenheit von Verwaltungsorganen "in Zweifel zu ziehen."
Ausnahmen
Bei Gefahr im Verzug hat ein Verwaltungsorgan, wenn die Vertretung durch ein anderes Verwaltungsorgan nicht sogleich möglich ist, auch das befangene Organ die unaufschiebbaren Amtshandlungen selbst vorzunehmen (§ 7 Abs. 2 AVG).
Wahrnehmung der Befangenheit
Im Verwaltungsverfahren hat jedes befangene Organ dies von sich aus wahrzunehmen. Es gibt grundsätzlich, soweit nur österreichisches Recht zur Anwendung gelangt, kein Ablehnungsrecht durch die Parteien. Es ist jedoch Art. 6 EMRK zu beachten.
Konsequenzen
Wird im Verwaltungsverfahren entgegen einer bestehenden Befangenheit gehandelt, so ist das Verfahren mangelhaft und eine verwaltungsrechtliche Entscheidung kann auf Antrag einer Partei aufgehoben oder abgeändert werden, sofern die Entscheidung durch das befangene Organ tatsächlich aufgrund der Befangenheit zu Ungunsten der Partei ausgefallen ist.
Europäisches Recht
Ist von österreichischen Organen in einem Zivilverfahren, Strafverfahren oder Verwaltungsverfahren das Recht der Europäischen Union anzuwenden, sind die nationalen Befangenheitsregeln im Sinne des europäischen Rechts und der Grundrechtecharta auszulegen und zu ergänzen bzw. einzuschränken, so dass die Rechte der Unionsbürger keinesfalls geschmälert werden.
Europäische Menschenrechtskonvention
Art. 6 EMRK gewährt das Recht auf ein Verfahren vor einem unparteiischen Gericht. Dem steht ein in gleicher Weise verfassungsrechtlich begründetes Recht der anderen Partei auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen, d. h. geschäftsverteilungsgemäßen Richter gegenüber. Beantragt eine Prozesspartei die Ablehnung eines Richters wegen Befangenheit, ist dem Gegner des Ablehnungswerbers deshalb – außer bei offenkundig unbegründeten Anträgen – durch Einräumung einer Äußerungsmöglichkeit vor Entscheidung über den Ablehnungsantrag rechtliches Gehör zu gewähren, und zwar sowohl in erster als auch gegebenenfalls in zweiter Instanz.[54]
Rechtsanwälte
In Österreich ist der Rechtsanwalt kein Organ der Rechtspflege und die Regelungen zur Befangenheit sind daher auf diesen nicht anzuwenden. Nach § 9 RAO hat der Rechtsanwalt "die übernommenen Vertretungen dem Gesetz gemäß zu führen und die Rechte seiner Partei gegen jedermann mit Eifer, Treue und Gewissenhaftigkeit zu vertreten. Er ist befugt, alles, was er nach dem Gesetz zur Vertretung seiner Partei für dienlich erachtet, unumwunden vorzubringen, ihre Angriffs- und Verteidigungsmittel in jeder Weise zu gebrauchen, welche seinem Auftrag, seinem Gewissen und den Gesetzen nicht widerstreiten." Handelt er entgegen dieser Verpflichtung, kann er zur Haftung herangezogen werden und handelt unter Umständen auch standeswidrig.
Kann ein als Verfahrenshelfer bestellter Rechtsanwalt "die Vertretung oder Verteidigung aus einem der im § 10 Abs. 1 erster Satz zweiter Halbsatz oder zweiter Satz RAO angeführten Gründe oder wegen Befangenheit nicht übernehmen oder weiterführen, so ist er auf seinen Antrag, auf Antrag der Partei oder von Amts wegen zu entheben und ein anderer Rechtsanwalt zu bestellen" (§ 45 Abs. 4 RAO).
Rechtslage in der Schweiz
Die Rechtslage in der Schweiz ist im Wesentlichen dieselbe wie in Deutschland und Österreich, nur die Begrifflichkeiten sind andere. So nennt sich das Ablehnungsgesuch in der Schweiz Ausstandsgesuch,[55] die Stattgabe nennt sich Gutheissung.[56] Für den Bereich der Zivilprozesse ist das Ausstandsgesuch geregelt in den Art. 47 ff der Schweizerischen Zivilprozessordnung[57], für den Bereich der Strafprozesse in den Art. 56 ff der Schweizerischen Strafprozessordnung[58].
Zivilprozessrecht
Die maßgeblichen Vorschriften im Schweizer Zivilprozessrecht lauten:
3. Kapitel: Ausstand
Art. 47 Ausstandsgründe
1 Eine Gerichtsperson tritt in den Ausstand, wenn sie:
a. in der Sache ein persönliches Interesse hat;
b. in einer anderen Stellung, insbesondere als Mitglied einer Behörde, als Rechtsbeiständin oder Rechtsbeistand, als Sachverständige oder Sachverständiger, als Zeugin oder Zeuge, als Mediatorin oder Mediator in der gleichen Sache tätig war;
c. mit einer Partei, ihrer Vertreterin oder ihrem Vertreter oder einer Person, die in der gleichen Sache als Mitglied der Vorinstanz tätig war, verheiratet ist oder war, in eingetragener Partnerschaft lebt oder lebte oder eine faktische Lebensgemeinschaft führt;
d. mit einer Partei in gerader Linie oder in der Seitenlinie bis und mit dem dritten Grad verwandt oder verschwägert ist;
e. mit der Vertreterin oder dem Vertreter einer Partei oder mit einer Person, die in der gleichen Sache als Mitglied der Vorinstanz tätig war, in gerader Linie oder im zweiten Grad der Seitenlinie verwandt oder verschwägert ist;
f. aus anderen Gründen, insbesondere wegen Freundschaft oder Feindschaft mit einer Partei oder ihrer Vertretung, befangen sein könnte.
2 Kein Ausstandsgrund für sich allein ist insbesondere die Mitwirkung:
a. beim Entscheid über die unentgeltliche Rechtspflege;
b. beim Schlichtungsverfahren;
c. bei der Rechtsöffnung nach den Artikeln 80–84 SchKG1;
d. bei der Anordnung vorsorglicher Massnahmen;
e. beim Eheschutzverfahren.
Art. 48 Mitteilungspflicht
Die betroffene Gerichtsperson legt einen möglichen Ausstandsgrund rechtzeitig offen und tritt von sich aus in den Ausstand, wenn sie den Grund als gegeben erachtet.
Art. 49 Ausstandsgesuch
1 Eine Partei, die eine Gerichtsperson ablehnen will, hat dem Gericht unverzüglich ein entsprechendes Gesuch zu stellen, sobald sie vom Ausstandsgrund Kenntnis erhalten hat. Die den Ausstand begründenden Tatsachen sind glaubhaft zu machen.
2 Die betroffene Gerichtsperson nimmt zum Gesuch Stellung.
Art. 50 Entscheid
1 Wird der geltend gemachte Ausstandsgrund bestritten, so entscheidet das Gericht.
2 Der Entscheid ist mit Beschwerde anfechtbar.
Art. 51 Folgen der Verletzung der Ausstandsvorschriften
1 Amtshandlungen, an denen eine zum Ausstand verpflichtete Gerichtsperson mitgewirkt hat, sind aufzuheben und zu wiederholen, sofern dies eine Partei innert zehn Tagen verlangt, nachdem sie vom Ausstandsgrund Kenntnis erhalten hat.
2 Nicht wiederholbare Beweismassnahmen darf das entscheidende Gericht berücksichtigen.
3 Wird der Ausstandsgrund erst nach Abschluss des Verfahrens entdeckt, so gelten die Bestimmungen über die Revision.
Strafprozessrecht
Die maßgeblichen Vorschriften im Schweizer Strafprozessrecht lauten:
Art. 56 Ausstandsgründe
Eine in einer Strafbehörde tätige Person tritt in den Ausstand, wenn sie:
a. in der Sache ein persönliches Interesse hat;
b. in einer anderen Stellung, insbesondere als Mitglied einer Behörde, als Rechtsbeistand einer Partei, als Sachverständige oder Sachverständiger, als Zeugin oder Zeuge, in der gleichen Sache tätig war;
c. mit einer Partei, ihrem Rechtsbeistand oder einer Person, die in der gleichen Sache als Mitglied der Vorinstanz tätig war, verheiratet ist, in eingetragener Partnerschaft lebt oder eine faktische Lebensgemeinschaft führt;
d. mit einer Partei in gerader Linie oder in der Seitenlinie bis und mit dem dritten Grad verwandt oder verschwägert ist;
e. mit dem Rechtsbeistand einer Partei oder einer Person, die in der gleichen Sache als Mitglied der Vorinstanz tätig war, in gerader Linie oder in der Seitenlinie bis und mit dem zweiten Grad verwandt oder verschwägert ist;
f. aus anderen Gründen, insbesondere wegen Freundschaft oder Feindschaft mit einer Partei oder deren Rechtsbeistand, befangen sein könnte.
Art. 57 Mitteilungspflicht
Liegt bei einer in einer Strafbehörde tätigen Person ein Ausstandsgrund vor, so teilt die Person dies rechtzeitig der Verfahrensleitung mit.
Art. 58 Ausstandsgesuch einer Partei
1 Will eine Partei den Ausstand einer in einer Strafbehörde tätigen Person verlangen, so hat sie der Verfahrensleitung ohne Verzug ein entsprechendes Gesuch zu stellen, sobald sie vom Ausstandsgrund Kenntnis hat; die den Ausstand begründenden Tatsachen sind glaubhaft zu machen.
2 Die betroffene Person nimmt zum Gesuch Stellung.
Art. 59 Entscheid
1 Wird ein Ausstandsgrund nach Artikel 56 Buchstabe a oder f geltend gemacht oder widersetzt sich eine in einer Strafbehörde tätige Person einem Ausstandsgesuch einer Partei, das sich auf Artikel 56 Buchstaben b-e abstützt, so entscheidet ohne weiteres Beweisverfahren und endgültig:
a. die Staatsanwaltschaft, wenn die Polizei betroffen ist;
b. die Beschwerdeinstanz, wenn die Staatsanwaltschaft, die Übertretungsstrafbehörden oder die erstinstanzlichen Gerichte betroffen sind;
c. das Berufungsgericht, wenn die Beschwerdeinstanz oder einzelne Mitglieder des Berufungsgerichts betroffen sind;
d.1 das Bundesstrafgericht, wenn das gesamte Berufungsgericht eines Kantons betroffen ist.
2 Der Entscheid ergeht schriftlich und ist zu begründen.
3 Bis zum Entscheid übt die betroffene Person ihr Amt weiter aus.
4 Wird das Gesuch gutgeheissen, so gehen die Verfahrenskosten zu Lasten des Bundes beziehungsweise des Kantons. Wird es abgewiesen oder war es offensichtlich verspätet oder mutwillig, so gehen die Kosten zu Lasten der gesuchstellenden Person.
Art. 60 Folgen der Verletzung von Ausstandsvorschriften
1 Amtshandlungen, an denen eine zum Ausstand verpflichtete Person mitgewirkt hat, sind aufzuheben und zu wiederholen, sofern dies eine Partei innert 5 Tagen verlangt, nachdem sie vom Entscheid über den Ausstand Kenntnis erhalten hat.
2 Beweise, die nicht wieder erhoben werden können, darf die Strafbehörde berücksichtigen.
3 Wird der Ausstandsgrund erst nach Abschluss des Verfahrens entdeckt, so gelten die Bestimmungen über die Revision.
Rechtslage in anderen Rechtsordnungen
Nach Art. 10 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte hat jeder bei der Feststellung seiner Rechte und Pflichten sowie bei einer gegen ihn erhobenen strafrechtlichen Beschuldigung in voller Gleichheit Anspruch auf ein gerechtes und öffentliches Verfahren vor einem unabhängigen und unparteiischen Gericht.
Um Einseitigkeit auf Grund von Vorabinformationen zu vermeiden, ist es im anglo-amerikanischen Recht üblich, für ein Gerichtsverfahren eine Jury zu wählen, die noch keine Vorabinformationen zum betreffenden Fall beispielsweise durch Medienberichte erlangt haben soll.
Siehe auch
Weblinks
Literatur
- Rolf Geiser, Über den Ausstand des Richters im schweizerischen Zivilprozessrecht, Winterthur 1957 (Dissertation)
- Christian Stemmler, Befangenheit im Richteramt: eine asystematische Darstellung der Ausschliessungsgründe und Ablehnungsgründe unter Berücksichtigung des gesetzlichen Richters als materielles Prinzip, 1975 (Dissertation)
- Tanja Maier: Befangenheit im Verwaltungsverfahren : die Regelungen der EU-Mitgliedstaaten im Rechtsvergleich. 1. Auflage. Duncker & Humblot, Berlin 2001, ISBN 3-428-10181-2.
- Gregor Vollkommer, Der ablehnbare Richter Die Durchsetzung des verfassungsrechtlichen Gebots richterlicher Unparteilichkeit im Prozess, Verlag Moor Siebeck, 2001, ISBN 978-3-16-1-4762-97
- Andreas Gerhartl, „Reichweite der Befangenheit im Verwaltungsverfahren“, ecolex 2013, S. 477.
- Volker Meinert: Befangenheit im Rechtsstreit. Erich Schmidt Verlag, 2015. ISBN 978-3503158669
- Uwe Grohmann, Nancy Grohmann: Die aktuelle Rechtsprechung zur Befangenheit des Richters. DRiZ 2017, S. 60–63
- Martin Funk: Grohmann und Grohmann stellen aktuelle Entscheidungen zur Unparteilichkeit des Richters vor Kurznachricht zu "Die aktuelle Rechtsprechung zur Befangenheit des Richters" von RiAG Dr. Uwe Grohmann, LL.M. und RiAG Dr. Nancy Grohmann, original erschienen in: DRiZ 2017 Heft 2, 60 - 63. Jurion, Wolters Kluwer, 16. Februar 2017
Einzelnachweise
- ↑ Hüßtege in: Thomas/Putzo (Hrsg.), Zivilprozessordnung, Kommentar, 32. Aufl. 2011, Vorbem. § 41 Rn. 1
- ↑ Johannes Holzer: Ausschließung und Ablehnung von Gerichtspersonen in Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Zeitschrift für die Notarpraxis 2018, S. 94–98
- ↑ § 60 SGG - Ablehnung von Gerichtspersonen wegen Befangenheit. jurisPK–SGG, zuletzt aktualisiert am 4. August 2017
- ↑ Meyer-Goßner/Schmitt, Kommentar zur Strafprozessordnung, 61. Auflage 2018, Rn. 1 vor § 22 StPO
- ↑ vgl. BVerfGE 10, 200 (213 f.); 21, 139 (145 f.); 30, 149 (153); 40, 268 (271); 82, 286 (298); 89, 28 (36)
- ↑ BGH, Beschluss vom 9. Mai 2012 - 2 StR 25/12, Rdnr. 4
- ↑ BVerfG, Beschluss vom 25. Juli 2012 - 2 BvR 615/11 Rdnr. 13
- ↑ OLG Braunschweig, Beschluss vom 24. Januar 2000, Az. 1 W 3/00, OLGR Braunschweig 2000, 122.123
- ↑ Alexander Ignor: Befangenheit im Prozess ZIS 2012, S. 228–237
- ↑ vgl. beispielsweise LSG München, Beschluss vom 9. Januar 2017 - L 3 SF 290/16 AB/L 3 SF 291/16 AB
- ↑ Marcus Creutz: Verdacht der Befangenheit wegen richterlichem Verhalten 11. Dezember 2012
- ↑ BGH, Beschluss vom 26. Juni 2007 - 5 StR 138/07
- ↑ BGH NJW 2004, 163
- ↑ vgl. aber beispielsweise Weil Ehefrau VW verklagt hat: LG erklärt Stuttgarter Diesel-Richter für befangen LTO, 30. April 2019
- ↑ Befangenheitsantrag der Kläger: Streit um Stuttgarter "Diesel-Richter" geht in die nächste Runde SWR, 2. Mai 2019
- ↑ BVerwG NVwZ-RR 1998, 268
- ↑ Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, Bearbeiter Scheuten, 7. Auflage 2013, Rn. 7 zu § 22 StPO
- ↑ KG MDR 2005, 703
- ↑ OLG Naumburg, NJW-RR 2002, 502
- ↑ Schneider, NJW 1996, 2285 (2286)
- ↑ LG Berlin StV 2002, 132
- ↑ LG Dortmund NJW 2007, 3013
- ↑ vgl. auch Ablehnungsgesuche gegen Vizepräsident Kirchhof zurückgewiesen Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts Nr. 30/2018 vom 3. Mai 2018
- ↑ OVG Münster NVwZ-RR 2004, 457
- ↑ vgl. dazu Beulke, Strafprozessrecht, 11. Aufl. 2010, Rn. 73 f.; Meyer-Goßner Strafprozessordnung, Kommentar, 54. Aufl. 2011, § 23 Rn. 2
- ↑ Alexander Ignor: Befangenheit im Prozess ZIS 2012, S. 228, 233
- ↑ OVG Schleswig NVwZ-RR 2004, 457
- ↑ vgl. auch Europäisches Patentamt: Zwischenentscheidung der Großen Beschwerdekammer vom 25. April 2014, R 0019/12
- ↑ BGH, Beschluss vom 19. April 2018 - 3 StR 23/18 Rdnr. 5
- ↑ OLG Schleswig, FamRZ 2007, 401
- ↑ OLG Köln, NJW-RR 1999, 288
- ↑ OLG Rostock NJW-RR 1999, 1507
- ↑ Siolek, in: Erb u. a. (Hrsg.), Löwe/Rosenberg, Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, Bd. 1, 26. Aufl. 2006, § 24 Rn. 54. m.w.N.
- ↑ BGH StV 1985, 2
- ↑ OLG Hamburg NJW 1992, 2036
- ↑ BayObLG NJW 1993, 2948
- ↑ BGH, Beschluss vom 27. Februar 2020 - III ZB 61/19
- ↑ Wegen Besorgnis der Befangenheit BVerfG entscheidet zur Förderung der Selbsttötung ohne Richter Müller, LTO vom 13. März 2018
- ↑ BVerfG, Beschluss vom 5.12.2019 - 1 BvL 7/18, NJW 2020, 1577
- ↑ landesrecht-bw.de: Gemeindeordnung für Baden-Württemberg (Gemeindeordnung - GemO) in der Fassung vom 24. Juli 2000; § 18 Ausschluss wegen Befangenheit (Zuletzt aufgerufen: 4. Dezember 2015)
- ↑ Gemeindetag Baden-Württemberg, BWGZ - Die Gemeindezeitung, 11–12 | 2014, Schwerpunktausgabe für Stadt-, Gemeinde- und Ortschaftsräte, Irmtraud Bock, gemeindetag-bw.de: Befangenheit – Ausschluss von der Beratung und Entscheidung im Gemeinderat und Ortschaftsrat (Zuletzt aufgerufen: 4. Dezember 2015)
- ↑ Gemeindetag Baden-Württemberg, BWGZ - Die Gemeindezeitung, 11–12 | 2014, Schwerpunktausgabe für Stadt-, Gemeinde- und Ortschaftsräte, gemeindetag-bw.de: Befangenheitskatalog (Zuletzt aufgerufen: 4. Dezember 2015)
- ↑ OGH 12 Os 11/08x.
- ↑ OGH 11 Ns 17/93.
- ↑ OGH 1 Präs 2690-1667/09x; 1 Präs 2690-5167/09b.
- ↑ OGH 15 Os 110/12h; 15 Os 144/12h.
- ↑ OGH 12 Ns 24/06k.
- ↑ OGH 14 Os 189/87.
- ↑ 13 Os 181/01.
- ↑ § 26 JN.
- ↑ Bzw. Schöffen und Geschworene sowie unter Umständen Protokollführer auszuschließen.
- ↑ Er kann jedoch unaufschiebbare Handlungen vornehmen, sofern er nicht gegen einen eigenen Angehörigen einzuschreiten hat; in diesem Fall hat er das Verfahren unverzüglich abzutreten.
- ↑ Dolmetscher, Übersetzer und Sachverständige (Amtssachverständiger) können von den Parteien auch abgelehnt werden, wenn deren Unbefangenheit oder an deren Fachkunde glaubhafte Zweifel bestehen (§ 39a und 53 AVG).
- ↑ OGH, Entscheidung vom 18. Januar 2011 - 4Ob143/10y 1.4 (b)
- ↑ Bundesgericht, Urteil vom 29. August 2016, 5A 153/2016
- ↑ Gutheissung Ausstandsgesuch gegen einen Bezirksrichter wegen des objektiven Anscheins der Befangenheit gemäss Art. 47 Abs. 1 lit. f ZPO
- ↑ Bundesgericht, Urteil vom 21. Mai 2014, 5A 194/2014
- ↑ Bundesgericht, Urteil vom 26. September 2016, 1B 272/2016