„Transatlantisches Freihandelsabkommen“ – Versionsunterschied
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Version vom 31. Dezember 2013, 06:10 Uhr

Das Transatlantische Freihandelsabkommen, offiziell Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (THIP)[1] (englisch Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP[2][3]) oder auch Trans-Atlantic Free Trade Agreement (TAFTA)) ist ein in der Verhandlungsphase befindliches Freihandelsabkommen in Form eines völkerrechtlichen Vertrags zwischen einer Vielzahl von Staaten Europas und Nordamerikas. Die wichtigsten Teilnehmerstaaten sind die USA und die Staaten der Europäischen Union. Daneben werden auch Kanada, Mexiko, die EFTA-Staaten Schweiz, Liechtenstein, Norwegen und Island sowie die EU-Beitrittskandidaten (Mazedonien, Türkei u. a.) einbezogen.[4] Konkrete Verhandlungen über die verschiedenen Vertragsbedingungen laufen seit etwa Mitte 2013.
Eine derartige Freihandelszone wurde seit etwa dem Beginn der 1990er Jahre diskutiert, auch unter dem Namen Wirtschafts-NATO[5][6]. Nach offiziellen Stellungnahmen soll durch das Abkommen unter anderem das Wirtschaftswachstum in den Teilnehmerstaaten belebt, die Arbeitslosigkeit gesenkt und das Durchschnittseinkommen der Arbeitnehmer erhöht werden. Spitzenvertreter der Europäischen Union wie José Manuel Barroso, US-Präsident Obama, die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und zahlreiche weitere Spitzenpolitiker haben die Notwendigkeit und die positiven Effekte des Abkommens vielfach betont, Merkel meinte im Februar 2013: „Nichts wünschen wir uns mehr als ein Freihandelsabkommen zwischen Europa und den Vereinigten Staaten“.[7][8][9][10]
Das geplante Abkommen wird von Teilen der Politik, Journalisten, Verbraucherschutz- und Umweltschutzorganisationen sowie Nichtregierungsorganisationen (NGOs) teils massiv kritisiert. So werde es von Lobbyvertretern der Industrie unter Ausschluss der Öffentlichkeit, ohne Beteiligung der nationalen Parlamente oder des EU-Parlaments, und damit faktisch ohne demokratische Kontrolle verhandelt. Die zu erwartenden positiven wirtschaftlichen Effekte für die Bevölkerung der Teilnehmerstaaten seien sehr gering und würden von zahlreichen gravierenden Nachteilen begleitet. So würden durch das Abkommen Umwelt- und Gesundheitsstandards untergraben und Arbeitnehmerrechte aufgeweicht. Die angestrebte „Harmonisierung“ von Standards orientiere sich laut Kritikern an den Interessen der Konzerne und Finanz-Investoren, weil Harmonisierung bedeute, dass tendenziell der jeweils niedrigste bzw. wirtschaftsfreundlichste Standard aller Einzelstaaten als Basis für die verbindliche Norm des Vertrags dienen würde.
Würden Staaten später gegen die Vertragsregelungen verstoßen, könnten „gigantische Entschädigungen“ für Unternehmen fällig werden. Darüber würden sogenannte Schiedsgerichte entscheiden, die keiner nationalen Gesetzgebung und Kontrolle unterworfen wären. Unternehmen könnten so etwa das staatliche Verbot bzw. die Kennzeichnungspflicht gentechnisch veränderter Lebensmittel oder der Gasförderung mittels Fracking verhindern, oder Entschädigungszahlungen für den Ausstieg aus der Kernenergie erzwingen.[11] Die Vorteile, die das Abkommen den Unternehmen bieten würde, wären zudem bindend, dauerhaft und praktisch nicht mehr veränderbar – weil jede einzelne Bestimmung nur mit Zustimmung sämtlicher Unterzeichnerstaaten geändert werden könne, sobald der Vertrag in Kraft getreten sei.[11] Das Abkommen wurde als „undemokratisch“, als „unvereinbar mit demokratischen Prinzipien“ und als „Unterwerfung“ der Teilnehmerstaaten unter Konzerninteressen bezeichnet.[11][12]
Bisherige Aktivitäten
Transatlantic Economic Council
Entschließungen der EU, über die Schaffung einer Freihandelszone mit den USA zu verhandeln, liegen aus den Jahren 1990, 1998 und 2005 vor. Am 30. April 2007 wurde die Rahmenvereinbarung zur Vertiefung der transatlantischen Wirtschaftsintegration zwischen der Europäischen Union und den USA unterzeichnet. Der daraufhin gegründete Transatlantische Wirtschaftsrat (TEC) befasste sich fünf Jahre mit den Hürden, die einer Einigung im Wege stünden.[13]
Seit 2009 läuft bereits mit CETA (EU-Kanada-Freihandelsabkommen) die Blaupause zum „großen transatlantischen Abkommen“. Die Verhandlungen seien laut EU-Kommissar für Handel und Verhandlungsführer Karel De Gucht bald mit ratifizierungsfähigen Beschlüssen beendet.[14]
Vorbereitung durch die High Level Working Group
Auf dem EU-US-Gipfeltreffen am 28. November 2011 setzten der US-Präsident Barack Obama und der Präsident des europäischen Rates, Herman van Rompuy im Rahmen des Transatlantischen Wirtschaftsrates (TEC), die Gründung einer High-Level Working Group on Jobs and Growth ein, deren Mitglieder lange geheim blieben, bis sie auf Druck der NGO Corporate Europe Observatory veröffentlicht wurden.[15] Diesem Beratungsgremium, das zuerst am 23. April 2012 tagte, gehörten vor allem Wirtschaftslobbyisten wie Business Europe und der Bertelsmann-Stiftung an, von denen keiner ein demokratisches Mandat besitzt.[16] Geführt wurde diese Arbeitsgruppe durch den Handelsvertreter der Vereinigten Staaten (USTR) Ron Kirk und Karel De Gucht.
Obama und EU-Kommissionspräsident Barroso sprachen sich am 13. Februar 2013 in einer gemeinsamen Erklärung für eine Freihandelszone ihrer beiden Wirtschaftsblöcke aus.[17][18]
Beginn der Verhandlungen
Im Juni 2013 ebnete die EU den Weg für Verhandlungen des Freihandelsabkommens mit den Vereinigten Staaten. Der audiovisuelle Wirtschaftsbereich (Film- und Musikproduktionen) wird von den Verhandlungen jedoch vorerst ausgeklammert.[19]
Die Verhandlungen führt auf europäischer Seite die Europäische Kommission. Jedoch drohen einzelne Mitglieder wie Justizkommissarin Viviane Reding im Zuge der Überwachungs- und Spionageaffäre 2013 damit, sich für ein Ruhen der Gespräche auszusprechen: „Partner spionieren einander nicht aus. Wir können nicht über einen großen transatlantischen Markt verhandeln, wenn der leiseste Verdacht besteht, dass unsere Partner die Büros unserer Verhandlungsführer ausspionieren.“[20]
Im Juli 2013 veröffentlichte die Europäische Kommission eine Reihe von Positionspapieren zu verschiedenen Aspekten der Verhandlungen. Sie wurden den US-Vertretern bei der Verhandlungsrunde im Juli vorgelegt.[21]
Eckpunkte
Laut Transatlantischem Wirtschaftsrat (TEC) geht es im Abkommen nicht um Zollabbau. Obgleich zahlreiche tarifliche Barrieren sowie Mengenbeschränkungen bestehen, die vollständig abgebaut werden sollen, überqueren Waren, Dienstleistungen und Kapital den Atlantik bereits ohne größere Reibungsverluste. Lediglich vier bis sieben Prozent des Handelsvolumens sind Zöllen zuzuordnen,[22] Vielmehr geht es um den Abbau von Nichttarifären Handelbeschränkungen, also beispielsweise der Gleichbehandlungen bei öffentlichen Aufträgen, dem Abbau von Gesundheitsstandards und Lebensmittelgesetzen, Umweltstandards und ähnlichem.
Öffentliche Aufträge
Eine Gleichstellung der Wirtschaftssubjekte würde im jeweils anderen Wirtschaftsraum beispielsweise einer lettischen Baufirma gegenüber einer kalifornischen die gleichen einklagbaren Chancen bringen, den Bauauftrag einer Brücke in Los Angeles zu erhalten. Nach grundsätzlicher Übereinkunft werden hier lediglich die festzusetzenden Schwellenwerte zu verhandeln sein.
Lebensmittelgesetze und Gesundheitsstandards
Während in Europa beispielsweise genveränderte Lebensmittel gekennzeichnet werden müssen und weitläufig verboten sind, verhält es sich in den USA völlig anders; 90 Prozent des verwendeten Mais, der Sojabohnen und der Zuckerrüben sind gentechnisch verändert.[23] In Amerika gibt es auch keine Kennzeichnungspflichten. Umgekehrt unterliegen auch in Europa verbreitete und nicht besonders gekennzeichnete Produkte in den USA Beschränkungen, so wird etwa der französische Roquefort-Käse aus Rohmilch von den US-Gesundheitsbehörden als bedenklich eingestuft. Konzerne wie Monsanto kritisieren diese Beschränkungen innerhalb des europäischen Marktes seit langem und versuchen im Zuge von TTIP die Deckelung, d.h. das Herunterfahren von Standards zu erreichen, sodass es etwa auch genmanipulierte Pflanzensorten und Produkte unbeschränkt auf dem europäischen Markt vertrieben werden können.[11]
Umweltstandards
Zum derzeitigen Stand darf, anders als in den USA, in vielen Ländern der EU kein Fracking betrieben werden und des Weiteren auch kein durch Fracking gewonnenes Gas eingeführt werden. Im Dezember 2013 war Fracking in den nicht-öffentlichen Verhandlungen zu TTIP Verhandlungsgegenstand.[24]
Deregulierung des Finanzsektors
Als Reaktion auf die Finanzkrise ab 2007 hatten die USA in den vergangenen Jahren schärfere Regeln im Finanz- und Bankensektor durchgesetzt. Dazu gehört etwa die Reglementierung und das teilweise Verbot riskanter Finanzprodukte, die weithin als einer der Auslöser der Krise angesehen werden. Ein Verhandlungsgegenstand von TTIP ist die Rücknahme von Kontrollen und einschränkenden Regeln für den Finanzsektor.[11]
Industriestandards
Da mit ihnen die Weichen Richtung Zukunft gestellt werden, geht es bei Standards für Industrie, Handel, Gewerbe und Finanzdienstleistungen vor allem um wirtschaftliche Macht. Einheitliche Standards dürften in den Verhandlungen daher die größte Hürde darstellen. In der Vergangenheit war keine US-Regierung bereit, tiefe Eingriffe in nationale Souveränitäten, Kultur- und Spezialinteressen zuzulassen.
Prognosen der wirtschaftlichen Effekte
Befürworter


„Vorstellungen über das wirtschaftliche Ausmaß eines möglichen TAFTA sind spekulativ und im Wesentlichen hypothetisch. Allerdings gibt es kaum Zweifel daran, dass es positive Auswirkungen hätte und kleinere Unternehmen stark profitieren würden, [da man diese] von einer schmerzenden Kostenlast befreien [würde]“, schreibt Charles Ries, „NAFTA-Architekt“, US-Botschafter in Griechenland und Vizepräsident der amerikanischen Denkfabrik RAND Corporation in einem Gastbeitrag für International Trade News.[22]
Die EU-Kommission hat im Vorfeld der Verhandlungen eine Studie beim Londoner Centre for Economic Policy Research (CEPR) in Auftrag gegeben. Die Studie mit dem Titel „Abbau der Hindernisse für den transatlantischen Handel“[25][26] skizziert dabei die wirtschaftlichen Auswirkungen und Folgeabschätzungen eines Freihandelsabkommens für die EU und die USA. Das Forschungsinstitut befürwortet danach ein Freihandelsabkommen und sieht für die EU-Wirtschaft ein Potential von rund 119 Mrd. Euro pro Jahr. Die US-Wirtschaft hat wiederum ein Potential aus dem Freihandelsabkommen in Höhe von 95 Mrd. Euro pro Jahr. Das CEPR kommt zu dem Ergebnis, dass ein kontinuierliches höheres Wirtschaftswachstum von rund 0,5 Prozent (~65 Mrd. Euro) durch ein Freihandelsabkommen möglich ist.[6][27] Die Förderung des transatlantischen Handels wäre eine gute Möglichkeit für mehr Wachstum in den Volkswirtschaften ohne die öffentlichen Ausgaben und Kreditaufnahmen zu erhöhen.
Auch das Münchner Ifo-Institut sowie die Bertelsmann-Stiftung gaben umfangreiche Studien[28][29] in Auftrag, nach diesen würden
- sich das Handelsvolumen zwischen den Vereinigten Staaten und der Bundesrepublik verdoppeln (dafür gebe das Volumen mit den südlichen Euro-Ländern um 30 % nach),
- zwei Millionen neue Jobs in den OECD-Staaten, davon
- 1,1 Millionen in den Vereinigten Staaten sowie
- 181.000 in Deutschland durch das Handelsabkommen entstehen können.
Im Einigungsfalle entstünde ein übermächtiger Wirtschaftsblock, der 50 Prozent der Weltwirtschaft in sich vereinte und faktisch auf Jahrzehnte hinweg sicherstellte, dass die globalen Spielregeln der Wirtschaft weiterhin vom Westen aufgestellt würden. Keine andere Währung könnte auf absehbare Zeit im zunehmend konkurrierenden Spiel der Weltwährungen von Dollar und Euro auf Augenhöhe agieren. Zudem würden die gemeinsamen Regeln, Industriestandards und Zulassungsverfahren de facto zum Weltstandard erhoben, was insbesondere für die EU eine enorme ökonomische Aufwertung und für die deutsche Exportindustrie Vorteile mit sich brächte.[6]
Kritiker
Kritiker erklären, dass TTIP die von Befürwortern genannten positiven Effekte kaum erreiche bzw. dass die positiven Effekte im kaum oder nicht messbaren Bereich lägen, selbst bei wohlwollender Betrachtungsweise.
So schrieb die amerikanische Handelsexpertin Lori Wallach:[11]
„Eine Studie des Tafta-freundlichen European Centre for International Political Economy kommt zu dem Befund, dass das BIP der USA wie der EU – selbst unter extrem blauäugigen Annahmen – allenfalls um ein paar Promille wachsen würde, und das ab 2029. Den meisten bisherigen Prognosen liegt die Annahme zugrunde, dass Zollsenkungen stets eine starke Wirtschaftsdynamik auslösen – was empirisch längst widerlegt ist. Verzichtet man auf diese dubiose Annahme, dann – räumen die Autoren der Studie ein – schrumpft der potenzielle BIP-Zuwachs auf statistisch irrelevante 0,06 Prozent.“
Die von der EU-Kommission selbst in der Öffentlichkeit kommunizierten Zahlen seien nicht das wahrscheinlichste, sondern das optimistischte Szenario, und zwar über einen Zeitraum von zehn Jahren. So soll sich durch TTIP laut EU-Kommission das Einkommen einer vierköpfigen Familie durchschnittlich um 545 Euro erhöhen.[30] Abgesehen davon, dass es unklar ist, wie dieser durchschnittliche Betrag innerhalb Europas regional und in den sozialen Schichten verteilt sein würde, entsprächen die 545 Euro Einkommenssteigerung für eine vierköpfige Familie auf einen Zeitraum von 10 Jahren gerechnet lediglich einer monatlichen Erhöhung um 4,50 Euro.
Die kommunizierten 2 Millionen neue Arbeitsplätze beziehen sich auf den gesamten Freihandelsraum mit über 800 Millionen Menschen. So geht eine von TTIP-Befürwortern häufig zitierte Studie der Bertelsmann-Stiftung von einem Rückgang der Arbeitslosigkeit in Deutschland um insgesamt (nicht jährlich) 0,11 Prozent aus.[31]
Weitere Kritik
Zahlreiche Gewerkschaften wie Verdi, politische Verbände wie die Europagruppe der Grünen, Verbraucherschutzorganisationen, Umweltschutzorganisationen wie Greenpeace und Nichtregierungsorganisationen (NGOs) wie Attac kritisieren TAFTA bzw. TTIP zum Teil massiv.[32][33][34][35][36][37][38] Zum Teil basiert diese Kritik auf Erfahrungen mit der bestehenden Freihandelszone NAFTA zwischen den USA, Mexiko und Kanada.[11] Eine Vertreterin des deutschen Bund für Umwelt und Naturschutz nannte das Freihandelsabkommen als „nicht mit demokratischen Prinzipien vereinbar“,[12] die Handelsrechtsexpertin und Aktivistin Lori Wallach bezeichnete es in einem Artikel in Le Monde diplomatique als „die große Unterwerfung“ der Teilnehmerstaaten unter die Interessen von Großkonzernen und als „Staatsstreich in Zeitlupe“.[11]
Undemokratisches Zustandekommen
Zahlreiche Personen und Verbände kritisieren, dass TTIP vor allen von Unternehmen und deren Lobbyisten vorangetrieben werde. Laut diversen Kritikern hätten Großunternehmen direkten Einfluss auf die Texte des Vertrages, während Vertreter der Zivilgesellschaft wie etwa Nichtregierungsorganisationen keinen Zugang zu den Verhandlungstexten hätten, und nur in offenen Konsultationen mit der EU-Kommission ihre Positionen vorbringen könnten.[12] Der Einfluss der Konzerne auf das Verfahren sei dabei für die Öffentlichkeit intransparent.[39] Zwar widersprach EU-Kommissar Karel De Gucht mit dem Argument, dass jeder Verhandlungsschritt öffentlich bekanntgegeben worden sei.[40] Allerdings sind die dabei jeweils verhandelten Inhalte nicht öffentlich einsehbar. Auch Parlamentarier des Europaparlaments oder der nationalen Parlamente haben keine Möglichkeit, die Verhandlungen zu verfolgen oder die Verhandlungstexte einzusehen.[12]
Schiedsgericht als undemokratische Instanz
TTIP sieht ein Schiedsgerichtsverfahren vor, in dem Konzernen die Möglichkeit gegeben wird, Staaten zu verklagen, etwa wenn durch staatliche Eingriffe Gewinnerwartungen geschmälert worden seien. Dieses Schiedsgerichtsverfahren, das keiner demokratischen Kontrolle unterworfen sein soll, wird als undemokratisch kritisiert, zumal es keiner Überprüfung durch nationale Gerichte unterliege. Unternehmen könnten so etwa das staatliche Verbot bzw. die Kennzeichnungspflicht gentechnisch veränderter Lebensmittel oder der Gasförderung mittels Fracking verhindern, oder Entschädigungszahlungen für den Ausstieg aus der Kernenergie erzwingen. Die Anzahl solcher Verfahren, die mit dem Schlagwort Investitionsschutz begründet werden (siehe auch unten), habe in den letzten zehn Jahren massiv zugenommen.[11]
Aufweichung und Umgehung von Rechten
Arbeitnehmerrechte würden durch TTIP auf das jeweilige niedrigere Niveau heruntergefahren. Gewerkschaftliche Vereinigungen beispielsweise, die etwa nach bundesdeutschem Recht ermöglicht werden müssen, könnten durch TTIP durch den jeweiligen Konzern unterbunden werden.
Aufweichung und Umgehung von Umwelt- und Gesundheitsstandards
Die angestrebte „Harmonisierung“ von Standards, etwa im Bereich der Umwelt- und Gesundheitspolitik, orientiere sich laut Kritikern an den Interessen der Konzerne und Finanz-Investoren – weil Harmonisierung bedeute, dass tendenziell der jeweils niedrigste bzw. wirtschaftsfreundlichste Standard aller Einzelstaaten als Basis für die verbindliche Norm des Vertrags dienen würde. So weiche TTIP bestehende hohe europäische Umwelt- und Gesundheitsstandards zugunsten von niedrigeren US-Standards auf. Zum Beispiel könnte Unternehmen das in den USA erlaubte Fracking durch TTIP auch in Europa erlaubt werden,[39] bestehende gesetzliche Verbote wie in Frankreich[41][42] würden dadurch unterlaufen.[11] Dazu schrieb die Tageszeitung taz:[17]
„Um die Salmonellengefahr einzudämmen, wird frisch geschlachtetes Federvieh in den USA in ein Chlorbad getaucht. Solche Chlorhühner wollen die Europäer nicht importieren. Ebenso wenig wie den Genmais aus den USA. Bislang haben die europäischen Behörden solche Handelsblockaden immer mit dem Verweis auf den Gesundheitsschutz sowie die Gewohnheiten der hiesigen Verbraucher verteidigt. In einer Freihandelszone wäre das wohl nicht mehr möglich.“
Investitionsschutz als Möglichkeit für Konzerne, Staaten zu verklagen
Der geplante sogenannte Investitionsschutz sieht vor, dass ein ausländischer Investor den Gaststaat wegen „indirekter Enteignung“ auf Erstattung entgangener (auch künftiger) Gewinne verklagen kann. Die Klage ist z. B. dann möglich, wenn ein Staat neue Umweltauflagen oder ein Moratorium (etwa für Fracking) beschließt.[43]
Parallelen zum Nordamerikanischen Freihandelsabkommen
Wie beim Nordamerikanischen Freihandelsabkommen sieht auch das TTIP vor, dass Konzernen weite Möglichkeiten eingeräumt werden sollen, Staaten auf Kompensationen zu verklagen, wenn Gesetze oder staatliches Handeln möglicherweise Gewinnerwartungen schmälern.[12] Dies stößt auch auf verfassungsrechtliche Bedenken.[44] Würden Staaten gegen die Vertragsregelungen verstoßen, könnten „gigantische Entschädigungen“ für Unternehmen fällig werden, dabei werden Beispielfälle im Bereich von Milliarden US-Dollar genannt.[11]
Nachdem von einer kanadischen Provinz ein Moratorium für das Fracking von Schiefergas und Öl erlassen wurde, klagt zurzeit das US-amerikanische Unternehmen Lone Pine, welches zuvor eine Probebohrungslizenz erworben hatte, vor einem internationalen Schiedsgericht gegen den Staat Kanada und fordert Entschädigungen in Höhe von 250 Millionen Dollar für den zu erwartenden Gewinnausfall.[45] Ähnliche Klagen von US-Unternehmen wären nach dem Abschluss eines Transatlantischen Freihandelsabkommens dann auch in der EU möglich.
Weblinks
Texte
- TTIP-Überblick – Offizielle Seite der Europäischen Kommission (überwiegend auf Englisch)
- Webseite zu einer Studie zu TTIP von der als wirtschaftsnah geltenden Bertelsmann-Stiftung - im Volltext: Wem nutzt ein transatlantisches Freihandelsabkommen? Teil 1: Makroökonomische Effekte (PDF; 4,2 MB) (Juni 2013)
- TAFTA - die große Unterwerfung – Artikel der Handelsrechtsexpertin Lori Wallach in Le Monde diplomatique, November 2013
- Was das Freihandelsabkommen für Verbraucher und Unternehmen bedeutet - Süddeutsche Zeitung, November 2013
- TTIP ist mit demokratischen Prinzipien nicht vereinbar - Interview in Geo mit Marianne Henkel vom Bund für Umwelt und Naturschutz
- TTIP: Bestimmt gut (für Manager), Internationale Politik und Gesellschaft, November 2013
Videos
deutsch
- TAFTA: Geplanter Freihandel, Frontal21, 25. Juni 2013 (Schwerpunkt Lebensmittel, Gesundheit und Verbraucherschutz) (7:20min)
- Geheimoperation transatlantisches Freihandelsabkommen, Report München, 26. November 2013 (7:45min)
- Lobbykratie: Die Gefahren des Freihandelsabkommens Magazin quer, Bayerischer Rundfunk, 19. Dezember 2013 (5:30 min)
englisch
- José Manuel Barroso: Statement about TTIP auf YouTube
- Talking about TTIP auf YouTube mit Reinhard Bütikofer, Jennifer Hillman und Robert Stumberg
Literatur
- Harald Klimenta, Andreas Fisahn, Pia Eberhard et al: Die Freihandelsfalle: Transatlantische Industriepolitik ohne Bürgerbeteiligung - das TTIP. Kritische Beiträge von Fachautoren aus verschiedenen Nichtregierungsorganisationen wie attac, Vsa-Verlag, Erscheinungsdatum Januar 2014, ISBN 3899655923
- Heimliche Konzernherrschaft oder offene Demokratie: Transatlantisches Handels- und Investitionsabkommen. Ökumenischer Informationsdienst OID, Nr. 104, Stuttgart, Winter 2013-2014, S. 5f (online, Artikel noch nicht einsehbar)
Einzelnachweise
- ↑ Bertelsmann-Studie zu THIP
- ↑ Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP), Europäische Kommission, 2. Februar 2013 (Englisch)
- ↑ Geplantes Freihandelsabkommen hat zu viele Hintertüren, Piratenpartei Deutschland, 15. Februar 2013
- ↑ Deutschlandfunk, Extra: "Münchner Sicherheitskonferenz", Interview mit US-Vizepräsident Joe Biden, München, 2. Februar 2013
- ↑ Süddeutsche Zeitung, Nr. 20, Donnerstag, 24, Januar 2013, Seite 19, Titel: Die Wirtschafts-Nato, Untertitel: "[...] 1,5% mehr Wachstum und ein Gegengewicht zu Asien sind schlagkräftige Argumente", von Nikolaus Piper
- ↑ a b c Michael Knigge: EU und USA wollen die ganz große Lösung, Deutsche Welle, 07. Februar 2013
- ↑ Auswärtiges Amt, 19. Juni 2013: Präsident Obama in Berlin - Noch enger zusammenrücken mit einer Freihandelszone
- ↑ USA und EU forcieren gigantische Freihandelszone, Die Welt, Kanzlerin Angela Merkel: „Nichts wünschen wir uns mehr als ein Freihandelsabkommen zwischen Europa und den Vereinigten Staaten“, Berlin, 3. Februar 2013 vor dem Bundesverband der Deutschen Industrie und „Irgendwann werden auch die schwierigsten Projekte Realität“, ebenfalls Berlin, 4. Februar 2013, beim Empfang für das Diplomatisches Corps
- ↑ Thorsten Jungholt, Clemens Wergin: Sicherheitskonferenz: USA und EU forcieren gigantische Freihandelszone, Die Welt, 2. Februar 2013
- ↑ Statement by José Manuel BARROSO, President of the EC, on the TTIP:You Tube
- ↑ a b c d e f g h i j k Lori Wallach: TAFTA - die große Unterwerfung. Le Monde diplomatique, 8. November 2013
- ↑ a b c d e GEO.de: Freihandelsabkommen TTIP - "Mit demokratischen Prinzipien nicht vereinbar", 20. Dezember 2013
- ↑ http://www.eu2007.de/de/News/download_docs/April/0430-RAA/020Framework.pdf
- ↑ ACTA, CETA, TAFTA: Is De Gucht Again Trying to Impose Anti-democratic Repression?, 7. Februar 2013 (Englisch)
- ↑ Who’s scripting the EU-US trade deal? Corporate Europe Observatory - Exposing the power of corporate lobbying in the EU, 17. Juni 2013
- ↑ Steffen Stierle: TTIP – Worum geht es? attac Deutschland, 20. August 2013
- ↑ a b Nicola Liebert: Neues Freihandelsabkommen: Transatlantischer Konsumwahn, die tageszeitung, 14. Februar 2013]
- ↑ Merkel nennt EU-US-Freihandelsabkommen wichtigstes Zukunftsprojekt, Reuters, 21. Februar 2013
- ↑ EU-USA-Handelsabkommen: EU ebnet Weg für Freihandelsgespräche, Zeit Online, 15. Juni 2013
- ↑ „Partner spionieren einander nicht aus“. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30. Juni 2013, abgerufen am 5. Juli 2013.
- ↑ „EU publishes initial TTIP Position Papers“. ec.europa.eu, 16. Juli 2013, abgerufen am 15. September 2013.
- ↑ a b Gastbeitrag von Charles Ries: TAFTA: Mittelstand würde stark profitieren, International Trade News
- ↑ John Dyer: Genmanipulierte Nahrungsmittel: Erstmals breiterer Widerstand in den USA, Zeichen der Zeit, 28. März 2012
- ↑ Gregor Peter Schmitz, Brüssel: Zeitplan für Freihandelsgespräche zwischen USA und EU wird knapp, Spiegel Online, 16. Dezember 2013
- ↑ Reducing Transatlantic Barriers to Trade and Investment - An Economic Assessment. Final Project Report, Centre for Economic Policy Research, London, März 2013
- ↑ Independent study outlines benefits of EU-US trade agreement. European Commission - MEMO/13/211 12/03/2013
- ↑ US-Vizepräsident nannte Europäer die engsten Verbündeten der USA - Biden sprach über das transatlantisches Verhältnis, Wiener Zeitung Online, München, 2. Februar 2013
- ↑ Michael Hanfeld: Freihandelsabkommen - Lasst die Kultur leben, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19. Juni 2013, zuletzt abgerufen 22. Juni 2013
- ↑ The US and the entire EU would significantly benefit from a transatlantic free trade agreement, Bertelsmann-Stiftung, 17. Juni 2013, zuletzt abgerufen 22. Juni 2013
- ↑ Questions and answers. Fragen und Antworten zu TTIP, EU-Kommission
- ↑ Alexander Ulrich: Freihandelsabkommen gefährdet Sozial- und Umweltstandards, Fraktion DIE LINKE. im Bundestag, 21.Oktober 2013
- ↑ „Politiker wissen erschreckend wenig über Zusammenhänge“, Tiroler Tageszeitung Online
- ↑ Jannis Brühl: Wie die Gentech-Lobby die Freihandelsgespräche ausnutzt, Süddeutsche Zeitung, 11. November 2013
- ↑ Bernd Riegert: USA und EU nicht handelseinig, Deutsche Welle, 15. November 2013
- ↑ Freihandelsabkommen EU-USA: Attac fordert sofortigen Abbruch der Geheimverhandlungen, Attac, 13. November 2013
- ↑ Angriff auf Löhne, Soziales und Umwelt – Was steckt hinter dem transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP?, Verdi, Dezember 2013
- ↑ Erich Möchel: Welle der Kritik am Freihandelsabkommen TTIP, ORF.at, 18. Dezember 2013
- ↑ Ska Keller: Broschüre: Das Freihandelsabkommen mit den USA in der Kritik, Europagruppe GRÜNE, 3. Dezember 2013
- ↑ a b The lies behind this transatlantic trade deal. Plans to create an EU-US single market will allow corporations to sue governments using secretive panels, bypassing courts and parliaments. 3. Dezember 2012.
- ↑ You're wrong, George Monbiot – there is nothing secret about this EU trade deal. Our negotiations over the Transatlantic Trade and Investment Partnership are fully open to scrutiny, and Europe will benefit. In: The Guardian. 18. Dezember 2013.
- ↑ François Hollande et le gaz de schiste, Le Monde, 15. Juli 2013 (Französisch)
- ↑ David Jolly: France Upholds Ban on Hydraulic Fracturing, The New York Times, 11. Oktober 2013 (Englisch)
- ↑ Fritz R. Glunk: Der Investor ist unantastbar. Süddeutsche Zeitung, 5. Juli 2013
- ↑ Petra Pinzler: Freihandelsabkommen: Extrarechte für US-Konzerne, Zeit Online, 16. Dezember 2013
- ↑ Silvia Liebrich: Was das Freihandelsabkommen für Verbraucher und Unternehmen bedeutet, Süddeutsche Zeitung, 11. November 2013
- Vertrag
- Freihandelszone
- Internationale Wirtschaftsorganisation
- Außenwirtschaft
- Außenpolitik der Europäischen Union
- Zollpolitik
- Wirtschaftspolitik der Europäischen Union
- Wirtschaft (Deutschland)
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- Wirtschaft (Europa)
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- Wirtschaft (Kanada)
- Wirtschaft (Nordamerika)