„Electric Tablet System“ – Versionsunterschied
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{{Belege fehlen}}Das '''Electric Tablet System''' ist ein [[Streckenblock]] für eingleisige [[Eisenbahnstrecke]]n. Es wurde von [[Edward Tyer]] (1830–1912) entwickelt und 1880 patentiert. Da es gegenüber seinen Vorgängersystemen die Betriebssicherheit im [[Eisenbahn]]verkehr deutlich erhöhte, war das ''Tyer-System'' schon nach wenigen Jahren vor allem in [[Vereinigtes Königreich von Großbritannien und Irland|Großbritannien]] und den damaligen [[Britisches Weltreich|Kolonien]] weit verbreitet. Es war in [[Sri Lanka]] im Jahre 2012<ref>{{Internetquelle|url=http://gyantrains.blogspot.co.za/2012/03/rozelle-quaint-little-railway-station.html|titel=Rozelle: A quaint little Railway Station|autor=Gyan Fernando|werk=Railway Journeys and other railway articles:|zugriff=2016-05-24}}</ref> noch im Einsatz und auch 2018 noch auf der Strecke nach [[Badulla]] in Verwendung. Auch bei eingleisigen Museumsbahnlinien wird es heute noch verwendet, wie beispielsweise beim [[North Yorkshire Moors Railway]] in Nordengland. Die Herstellung und der weltweite Vertrieb erfolgte durch die Firma Tyer & Co. |
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== Konzept == |
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⚫ | Das Electric Tablet System ist eine Bauform des [[Token (Eisenbahn)|Electric Token Block]]. Wie bei anderen Block-Systemen wird die [[Bahnstrecke|Strecke]] in [[Streckenblock|Blockabschnitte]] unterteilt. Ein [[Zug (Schienenverkehr)|Zug]] darf in einen Blockabschnitt nur dann einfahren, wenn der [[Triebfahrzeugführer|Lokführer]] im Besitz eines [[Token (Eisenbahn)|Token]] ist, das ihm die Fahrerlaubnis gibt. Beim Tyer-System übernehmen ''Tablets'' genannte Scheiben diese Funktion. Diese Scheiben werden aus einem ''Tablet Instrument'' genannten Apparat entnommen, von denen jeweils einer am Anfang und am Ende des Blockabschnitts aufgestellt ist. Die Apparate sind elektrisch so miteinander verbunden, dass für jeden Blockabschnitt nur ein Tablet an einem der Apparate entnommen werden kann. Bevor ein Tablet gezogen werden kann, muss am Apparat am Ende des Blockabschnittes eine Freigabe erfolgen, die diesen Apparat sperrt. Mit der Entnahme des Tablets wird auch der Apparat am Anfang des Blockabschnittes gesperrt. Das nächste Tablet kann erst dann entnommen werden, wenn der Zug am Ende des Blockabschnitts angekommen und der Block durch Rückgabe des Tablets freigegeben wurde. |
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⚫ | Wie bei anderen Block-Systemen wird |
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== Bestandteile == |
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[[Datei:Tyer's No. 6 Tablet Instrument-1.JPG|mini|Tyer's No. 6 Tablet Instrument]] |
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⚫ | Ein Tyer-Apparat besteht aus einem geschlossenen Kasten aus Holz oder Metall mit zwei Schiebern zum Entnehmen und Zurückgeben der Tablets. Die Kommunikation mit dem Bediener des anderen Apparates erfolgt mit der Taste ''Bell'' an der Oberseite des Kastens, mit der die Glocke an der Gegenstelle ausgelöst werden kann. Eine zweite Taste ''Switch'' entriegelt den Entnahmeschieber am anderen Apparat oder gibt den Entnahmeschieber am eigenen Apparat frei. Ein Amperemeter zeigt an, ob die elektrische Verbindung zwischen den Apparaten intakt ist. Ob der Block frei oder belegt ist und für welche Fahrtrichtung der Block freigegeben ist, wird in einem Sichtfenster an der Vorderseite des Kastens angezeigt. Jeweils ein Tablet kann nach Freigabe durch die Gegenstelle über den Entnahmeschieber an der Unterseite gezogen werden. Damit wird der Apparat automatisch verriegelt. Das Tablet vom ankommenden Zug wird über einen zweiten Schieber an der Oberseite zurückgegeben und damit die Verriegelung aufgehoben. Im Kasten ist Platz für ungefähr 20 Tablets, die aktuell vorhandene Anzahl ist über ein Sichtfenster an der Vorderseite erkennbar. |
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⚫ | Die Apparate waren anfangs im Büro des Stationsvorstehers aufgestellt, heutzutage befinden sie sich gewöhnlich im [[Stellwerk]]. Sie dürfen nur vom [[Fahrdienstleiter]] bedient werden. Wenn mehrere Apparate in einem Raum aufgestellt sind, haben die Glocken zur besseren Erkennung einen unterschiedlichen Klang. |
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=== Tablet === |
=== Tablet === |
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⚫ | Als Tablets werden runde Messingscheiben mit einem Durchmesser von ca. 10–12 cm verwendet. Auf jedem Tablet ist der Streckenabschnitt, für den es gültig ist, und eine laufende Nummer aufgedruckt oder eingeprägt. Nach der Entnahme wird es in eine Ledertasche gesteckt, die an einem Messingring mit einem Durchmesser von ca. 60 cm befestigt ist. Mit dem Ring wird die Übergabe des Tablets an einen fahrenden Zug erleichtert. Tablets haben in der Mitte ein größeres rundes, drei- oder viereckiges Loch, ein kleineres rundes Loch in der Nähe des Randes und eine halbrunde, eckige oder dreieckige Kerbe am Rand. Die Tablets der einzelnen Blockabschnitte unterscheiden sich, um Verwechslungen zu vermeiden, in Form und Anordnung der Löcher und Kerben. Sie können nur in die Apparate eingelegt werden, die zum gleichen Blockabschnitt gehören. |
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⚫ | Als Tablets werden runde Messingscheiben mit einem Durchmesser von ca. |
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In späteren Jahren gab es auch quadratische Tablets und solche, die aus Aluminium oder Kunststoff gefertigt waren. |
In späteren Jahren gab es auch quadratische Tablets und solche, die aus Aluminium oder Kunststoff gefertigt waren. |
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=== Verbindungsleitung === |
=== Verbindungsleitung === |
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Die beiden zu einem Blockabschnitt gehörenden Apparate sind über die Streckentelefon- oder Telegraphenleitung elektrisch miteinander verbunden. Dadurch ist für den Streckenblock keine besondere Verkabelung notwendig. Der Wechsel zwischen Block und Telefon erfolgt durch ein bestimmtes Glockensignal. |
Die beiden zu einem Blockabschnitt gehörenden Apparate sind über die [[Streckentelefon]]- oder Telegraphenleitung elektrisch miteinander verbunden. Dadurch ist für den Streckenblock keine besondere Verkabelung notwendig. Der Wechsel zwischen Block und Telefon erfolgt durch ein bestimmtes Glockensignal. |
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== Handhabung == |
== Handhabung == |
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Wenn kein Zug auf der Strecke ist, sind die Entnahmeschieber beider Apparate halb geöffnet, alle Tablets sind in den Apparaten und es kann kein Tablet entnommen werden. Bevor ein Zug verkehren soll, fordert der Abgangsbahnhof mit der Bell-Taste die Freigabe an. Die Anforderung wird mit der Bell-Taste quittiert. Dann wird an beiden Apparaten der Entnahmeschieber geschlossen und am Apparat des Zielbahnhofs wird die Switch-Taste gedrückt, was dort eine Verriegelung des Entnahmeschiebers auslöst und im Abgangsbahnhof den Entnahmeschieber freigibt. Durch Drücken der Switch-Taste am eigenen Apparat kann der Stationsvorstand nun am Ausgangsbahnhof ein Tablet entnehmen. Mit der Entnahme wird auch der Apparat am Abgangsbahnhof verriegelt und es können bis zur Ankunft des Zuges keine weiteren Tablets gezogen werden. |
Wenn kein Zug auf der Strecke ist, sind die Entnahmeschieber beider Apparate halb geöffnet, alle Tablets sind in den Apparaten und es kann kein Tablet entnommen werden. Bevor ein Zug verkehren soll, fordert der Abgangsbahnhof mit der Bell-Taste die Freigabe an. Die Anforderung wird mit der Bell-Taste quittiert. Dann wird an beiden Apparaten der Entnahmeschieber geschlossen und am Apparat des Zielbahnhofs wird die Switch-Taste gedrückt, was dort eine Verriegelung des Entnahmeschiebers auslöst und im Abgangsbahnhof den Entnahmeschieber freigibt. Durch Drücken der Switch-Taste am eigenen Apparat kann der Stationsvorstand nun am Ausgangsbahnhof ein Tablet entnehmen. Mit der Entnahme wird auch der Apparat am Abgangsbahnhof verriegelt und es können bis zur Ankunft des Zuges keine weiteren Tablets gezogen werden. |
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== Entwicklung, Bauformen und Verbreitung == |
== Entwicklung, Bauformen und Verbreitung == |
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Zwei Frontalkollisionen, der [[Eisenbahnunfall von Thorpe]] im Jahr 1874 und ein zweiter bei Radstock im Jahr 1876, hatten gezeigt, dass das bis dahin eingesetzte Blocktelegrafensystem mit entscheidenden Sicherheitsmängeln behaftet war. Die Entwicklung des Electric Tablet System entstand aus dem Bestreben, diese Mängel zu beseitigen und die Betriebssicherheit auf eingleisigen Strecken zu erhöhen. |
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Im Laufe der Jahre wurde das System weiterentwickelt und für spezielle Anforderungen modifiziert. Verbreitet war die Bauform No. 3 aus dem Jahr [[1890]]. Mit der seltenen Bauform No. 5 ([[1891]]) konnten zwei aufeinander folgende Züge in einer Richtung verkehren. Vor der Entwicklung der Bauform No. 6 im Jahr [[1892]] konnte der Blockabschnitt nur durch Rückgabe des Tablets am benachbarten Instrument freigegeben werden. Bei der Bauform No. 6 konnte das Tablet auch an das gleiche Instrument zurückgegeben werden. Damit konnten mit dem System auch Züge gesichert werden, die nicht bis zum Ende des Blockabschnitts fuhren, sondern von unterwegs zurückkehrten. Mit der [[Patent]]ierung der Bauform No. 7 im Jahr 1898 endete die Entwicklung des Electric Tablet Systems, und einfacher zu handhabende Token Key Systeme traten die Nachfolge an. |
Im Laufe der Jahre wurde das System weiterentwickelt und für spezielle Anforderungen modifiziert. Verbreitet war die Bauform No. 3 aus dem Jahr [[1890]]. Mit der seltenen Bauform No. 5 ([[1891]]) konnten zwei aufeinander folgende Züge in einer Richtung verkehren. Vor der Entwicklung der Bauform No. 6 im Jahr [[1892]] konnte der Blockabschnitt nur durch Rückgabe des Tablets am benachbarten Instrument freigegeben werden. Bei der Bauform No. 6 konnte das Tablet auch an das gleiche Instrument zurückgegeben werden. Damit konnten mit dem System auch Züge gesichert werden, die nicht bis zum Ende des Blockabschnitts fuhren, sondern von unterwegs zurückkehrten. Mit der [[Patent]]ierung der Bauform No. 7 im Jahr 1898 endete die Entwicklung des Electric Tablet Systems, und einfacher zu handhabende Token Key Systeme traten die Nachfolge an. |
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In späteren Jahren wurden die installierten Apparate nachgerüstet, wichtigste Änderung war die Kopplung der [[Eisenbahnsignal|Ausfahrsignale]] mit den Blockapparaten und vielerorts die Verlegung der Apparate von den Stationsgebäuden in die [[Stellwerk]]e. In Großbritannien wurde das Tyer-System bis Ende |
In späteren Jahren wurden die installierten Apparate nachgerüstet, wichtigste Änderung war die Kopplung der [[Eisenbahnsignal|Ausfahrsignale]] mit den Blockapparaten und vielerorts die Verlegung der Apparate von den Stationsgebäuden in die [[Stellwerk]]e. In Großbritannien wurde das Tyer-System bis Ende des 20. Jahrhunderts weitgehend abgelöst. In Ländern, die britische [[Eisenbahnsignal|Signaltechnik]] einsetzten, wie z. B. in Neuseeland, Australien, Japan und Indonesien kam das Electric Tablet System ebenfalls zum Einsatz. In Sri Lanka wird der Betrieb auf Teilen des Netzes noch heute mit dem Electric Tablet System durchgeführt. |
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== Vor- und Nachteile des Electric Tablet Systems == |
== Vor- und Nachteile des Electric Tablet Systems == |
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⚫ | Das Electric Tablet System hat gegenüber dem älteren Stab-System den Vorteil, dass mehrere Züge ohne Aufwand nacheinander fahren können, dass zwischen den Betriebsstellen eine sichere Verständigung gewährleistet und dass durch die Nutzung der Telegraphenleitung keine spezielle Verkabelung notwendig ist. Der Betriebszustand kann – im Gegensatz zu den vorher verwendeten Blocktelegrafen – jederzeit am Apparat abgelesen werden. |
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⚫ | Das Electric Tablet System hat gegenüber dem älteren Stab-System den Vorteil, dass mehrere Züge ohne Aufwand nacheinander fahren können, dass zwischen den Betriebsstellen eine sichere Verständigung gewährleistet und dass durch die Nutzung der Telegraphenleitung keine spezielle Verkabelung notwendig ist. Der Betriebszustand kann |
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⚫ | Größter Nachteil besonders der älteren Bauformen ist die fehlende Abhängigkeit |
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== Das Eisenbahnunglück von Abermule {{Anker|Abermule}} == |
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Am [[26. Januar]] [[1921]] stieß in [[Wales]] zwischen [[Abermule]] und [[Newtown (Wales)|Newtown]] ein Personenzug mit einem [[Schnellzug]] zusammen. 17 Menschen starben an den Folgen des Unfalls, ca. 20 wurden verletzt. Es war die erste Frontalkollision auf eingleisiger Strecke seit Einführung des Electric Tablet Systems und sollte in Großbritannien auch die einzige bleiben. |
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===Betriebliche Situation=== |
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Die Strecke von [[Shrewsbury]] über Welshpool, Newtown und [[Montgomery (Wales)|Montgomery]] nach [[Aberystwyth]] wurde von der Cambrian Railway betrieben und war abschnittsweise, so auch zwischen Newtown und Montgomery, eingleisig. Zwischen diesen beiden Bahnhöfen lag die Kreuzungsstation Abermule. Alle drei Betriebsstellen waren mit Tyer-Apparaten ausgestattet. In Abermule gab es neben diesem Apparat, der im Stationsgebäude untergebracht war, an jedem Bahnhofskopf ein Hebelwerk zur Stellung der Weichen und Signale. Die Hebelwerke waren am Bahnsteigende aufgestellt und standen in gegenseitiger Abhängigkeit. Eine Abhängigkeit zwischen den Signalen und dem Blockapparat bestand nicht. |
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In Abermule waren vier Eisenbahner beschäftigt. Der Stationsvorstand, der am Unglückstag abwesend war und von einem Ablöser vertreten wurde, war zusammen mit dem Signalwärter für die Betriebsabwicklung zuständig. Gepäckträger war ein 17-jähriger Junge, und ein 15-Jähriger war mit der Fahrkartenkontrolle und mit Hilfsarbeiten beschäftigt. Die beiden Jungen waren eifrig und dienstbeflissen und bedienten - was nicht erlaubt, aber von den Erwachsenen aus Bequemlichkeit geduldet wurde - auch Telegraf, Blockapparat und [[Stellwerk]]. Jeder der beiden wollte dem Lokführer der ankommenden Züge als Erster das Tablet abnehmen. |
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===Ereignisse am Unfalltag=== |
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Am Tag, an dem der Unfall passierte, war ein Schnellzug von Aberystwyth nach [[Manchester]] auf der Strecke unterwegs. Planmäßige [[Verkehrshalt]]e für diesen Zug waren Newtown und Welshpool. In Abermule war ein kurzer [[Betriebshalt]] zum Austausch der Tablets vorgesehen. Dort sollte der Schnellzug mit dem Personenzug kreuzen, der um 10:05 in Whitchurch abgefahren war und auf der Fahrt nach Westen planmäßig in Welshpool, Montgomery, Abermule und Newtown hielt. |
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Um 11:52 Uhr wurde der Personenzug von Montgomery angeboten. Da der Stationsvorsteher noch in der Mittagspause war, nahm der Signalwärter den Zug an, betätigte den Tyer-Apparat und machte die Eintragung ins Zugmeldebuch. Dann vergewisserte er sich mit einem Telefonat in Moat Lane, dass der Schnellzug pünktlich verkehrte und die Kreuzung in Abermule wie geplant stattfinden würde, informierte schließlich den Gepäckjungen und ging zum östlichen Stellwerk, um das Einfahrsignal für diesen Zug zu stellen. Der Schnellzug wurde um 11:56 Uhr ''vom Gepäckjungen'' angenommen, der ebenfalls den Tyer-Apparat bediente, aber den Zug nicht im Zugmeldebuch eintrug. Um 11:59 Uhr fuhr der Schnellzug mit einem Tablet bis Abermule ab. Damit waren beide Tyer-Apparate in Abermule und die Apparate in Newtown und Montgomery Richtung Abermule blockiert. |
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Inzwischen war der Stationsvorsteher vom Mittagessen zurückgekehrt. Bevor er sich im Dienstraum über die Betriebslage informieren konnte, wurde er von einem Reisenden aufgehalten, der mit dem Personenzug fahren und vorher noch einen Wagen bestellen wollte. Der Stationsvorsteher begleitete den Reisenden aus Gefälligkeit zum Güterschuppen. Um 12:02 fuhr der Personenzug ein und der Fahrkartenjunge nahm dem Lokführer das Tablet ab. Inzwischen war der Stationsvorsteher vom Güterschuppen zurückgekehrt und fragte den Fahrkartenjungen, ob der Schnellzug planmäßig verkehren würde. Der Fahrkartenjunge erzählte ihm vom Telefonat des Signalwärters mit Moat Lane wegen des Schnellzuges. Da der Fahrkartenjunge einen Sprachfehler hatte, verstand ihn der Stationsvorstand nicht richtig und entnahm den Worten, dass der Schnellzug verspätet und die Kreuzung nach Newtown verlegt worden sei. Anstatt seine Annahme zu prüfen, nahm er dem Fahrkartenjungen das Tablet - im Glauben, dass es das für den Abschnitt nach Newtown sei - ab und beauftragte ihn damit, dem Signalwärter auszurichten, dass dieser die Ausfahrt für den Personenzug stellen solle. Dann ''gab er das Tablet dem Lokführer''. Dieser merkte nicht, dass es dasselbe Tablet war, das er kurz zuvor dem Fahrkartenjungen gegeben hatte, und legte es in der Annahme, damit die Fahrerlaubnis nach Newtown in der Hand zu halten, ''ohne Prüfung auf die Seite''. Der Signalwärter schloss aus der Mitteilung, die er im Auftrag des Stationsvorstehers vom Fahrkartenjungen erhalten hatte, dass die Kreuzung mit dem Schnellzug nun doch nach Newtown verlegt wurde und stellte - ohne seine Annahme zu prüfen - die Fahrstraße für den Personenzug, der sich sofort in Bewegung setzte. |
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Der Gepäckjunge, der sich auf dem Weg zum westlichen Stellwerk Zeit gelassen hatte, versuchte nun, die Einfahrt für den Schnellzug zu stellen, den er angenommen hatte. Das gelang ihm nicht - die Hebel blockierten, weil ihm der Signalwärter im anderen Stellwerk mit der Einstellung der Ausfahrstraße zuvorgekommen war. Daraufhin ging der Gepäckjunge zum Stationsgebäude, um dem Stationsvorsteher zu sagen, dass die Einfahrt nicht gestellt werden konnte. Nachdem der Stationsvorsteher die Anzeige der Blockapparate kontrolliert und das fehlende Tablet bemerkt hatte, erkannte er endlich den Ernst der Lage und rief in Newtown an, dass man den Schnellzug zurückhalten solle, aber es war zu spät. |
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Der Lokführer des Schnellzugs sah 2 km vor Abermule die Rauchfahne des entgegenkommenden Personenzuges, gab sofort ein Warnsignal und konnte durch sofortige Schnellbremsung die Geschwindigkeit in den 300 Metern bis zur Kollision von 80 km/h auf 50 km/h reduzieren. Es gelang ihm und dem [[Heizer]], unmittelbar vor dem Zusammenstoß abzuspringen, so dass sie den Unfall mit Verletzungen überlebten. |
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Die Personenzuglok wurde von der Schnellzuglok umgeworfen und zerstört, das Lokpersonal des Personenzuges, das weder das Warnsignal noch den entgegenkommenden Zug bemerkte, war sofort tot. Die ersten drei Wagen des Schnellzuges wurden zertrümmert. Unter den 12 Toten war der Zugführer und der Direktor der Cambrian Railways, Lord Herbert Vane-Tempest. Die anderen Wagen des Schnellzuges und alle Wagen des Personenzuges blieben im Gleis. Ungefähr 20 Verletzte wurden ins Krankenhaus nach Newtown gebracht, drei Reisende erlagen dort ihren schweren Verletzungen. |
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Der schwerverletzte Lokführer hatte, was die Ursache des Unfalls betraf, die richtige Vermutung und ließ den Heizer in den Trümmern nach dem Tablet des Personenzuges suchen, um sich und den Heizer zu entlasten. Dieser konnte tatsächlich das Tablet für den Abschnitt Montgomery - Abermule sicherstellen. Mit diesem Tablet konnte später in Abermule unter Zeugen der Apparat Abermule - Montgomery entsperrt werden, so dass die Unfallursache feststand. Die Trümmer waren so ineinander verkeilt, dass die Räumung der Strecke 50 Stunden dauerte. |
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=== Gerichtliches Nachspiel und langfristige Folgen === |
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Ein Gutachter des [[Board of Trade]] untersuchte - wie in solchen Fällen üblich - den Unfallhergang. Von den Eisenbahnern, die durch Nachlässigkeit und mangelnde Verständigung die Katastrophe verursacht hatten, wurden nur der Stationsvorsteher und der Signalwärter angeklagt. Zu einer Verurteilung kam es nicht - die Eisenbahner kamen mit einer Rüge davon, wohl auch weil im Untersuchungsbericht die Eisenbahngesellschaft wegen verschiedener organisatorischer Mängel kritisiert worden war. |
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Obwohl es in Großbritannien noch weit schlimmere Eisenbahnunglücke gegeben hatte, wurde dieser Unfall zum Paradebeispiel dafür, dass auch bewährte und verbreitete technische Sicherungssysteme wie das '''Electric Tablet System''' wirkungslos werden, wenn die verantwortlichen Eisenbahner ihren Dienst nachlässig und unkoordiniert ausüben. Der Unfall diente bei der Ausbildung der nachfolgenden Eisenbahner-Generationen als Mahnung, so dass die Umstände und der Hergang des Unglücks bis heute präsent sind. |
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Bei manchen Eisenbahngesellschaften wurde an den Tyer-Apparaten ein Schild mit der Aufschrift "Remember Abermule" angebracht, andere gingen weiter und rüsteten das Electric Tablet System nach oder ersetzten es im Lauf der Zeit durch andere Systeme. |
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== Weblinks == |
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* {{cite web | url=http://www.railsigns.co.uk/info/etoken1/etoken1.html | title=Electric Token Block | accessdate=2013-07-14 | language=englisch}} |
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== Einzelnachweise == |
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[[Kategorie:Zugsicherung]] |
[[Kategorie:Zugsicherung]] |
Aktuelle Version vom 16. Februar 2025, 13:08 Uhr
Das Electric Tablet System ist ein Streckenblock für eingleisige Eisenbahnstrecken. Es wurde von Edward Tyer (1830–1912) entwickelt und 1880 patentiert. Da es gegenüber seinen Vorgängersystemen die Betriebssicherheit im Eisenbahnverkehr deutlich erhöhte, war das Tyer-System schon nach wenigen Jahren vor allem in Großbritannien und den damaligen Kolonien weit verbreitet. Es war in Sri Lanka im Jahre 2012[1] noch im Einsatz und auch 2018 noch auf der Strecke nach Badulla in Verwendung. Auch bei eingleisigen Museumsbahnlinien wird es heute noch verwendet, wie beispielsweise beim North Yorkshire Moors Railway in Nordengland. Die Herstellung und der weltweite Vertrieb erfolgte durch die Firma Tyer & Co.
Konzept
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Das Electric Tablet System ist eine Bauform des Electric Token Block. Wie bei anderen Block-Systemen wird die Strecke in Blockabschnitte unterteilt. Ein Zug darf in einen Blockabschnitt nur dann einfahren, wenn der Lokführer im Besitz eines Token ist, das ihm die Fahrerlaubnis gibt. Beim Tyer-System übernehmen Tablets genannte Scheiben diese Funktion. Diese Scheiben werden aus einem Tablet Instrument genannten Apparat entnommen, von denen jeweils einer am Anfang und am Ende des Blockabschnitts aufgestellt ist. Die Apparate sind elektrisch so miteinander verbunden, dass für jeden Blockabschnitt nur ein Tablet an einem der Apparate entnommen werden kann. Bevor ein Tablet gezogen werden kann, muss am Apparat am Ende des Blockabschnittes eine Freigabe erfolgen, die diesen Apparat sperrt. Mit der Entnahme des Tablets wird auch der Apparat am Anfang des Blockabschnittes gesperrt. Das nächste Tablet kann erst dann entnommen werden, wenn der Zug am Ende des Blockabschnitts angekommen und der Block durch Rückgabe des Tablets freigegeben wurde.
Bestandteile
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Tablet Apparat
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Ein Tyer-Apparat besteht aus einem geschlossenen Kasten aus Holz oder Metall mit zwei Schiebern zum Entnehmen und Zurückgeben der Tablets. Die Kommunikation mit dem Bediener des anderen Apparates erfolgt mit der Taste Bell an der Oberseite des Kastens, mit der die Glocke an der Gegenstelle ausgelöst werden kann. Eine zweite Taste Switch entriegelt den Entnahmeschieber am anderen Apparat oder gibt den Entnahmeschieber am eigenen Apparat frei. Ein Amperemeter zeigt an, ob die elektrische Verbindung zwischen den Apparaten intakt ist. Ob der Block frei oder belegt ist und für welche Fahrtrichtung der Block freigegeben ist, wird in einem Sichtfenster an der Vorderseite des Kastens angezeigt. Jeweils ein Tablet kann nach Freigabe durch die Gegenstelle über den Entnahmeschieber an der Unterseite gezogen werden. Damit wird der Apparat automatisch verriegelt. Das Tablet vom ankommenden Zug wird über einen zweiten Schieber an der Oberseite zurückgegeben und damit die Verriegelung aufgehoben. Im Kasten ist Platz für ungefähr 20 Tablets, die aktuell vorhandene Anzahl ist über ein Sichtfenster an der Vorderseite erkennbar.
Die Apparate waren anfangs im Büro des Stationsvorstehers aufgestellt, heutzutage befinden sie sich gewöhnlich im Stellwerk. Sie dürfen nur vom Fahrdienstleiter bedient werden. Wenn mehrere Apparate in einem Raum aufgestellt sind, haben die Glocken zur besseren Erkennung einen unterschiedlichen Klang.
Tablet
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Als Tablets werden runde Messingscheiben mit einem Durchmesser von ca. 10–12 cm verwendet. Auf jedem Tablet ist der Streckenabschnitt, für den es gültig ist, und eine laufende Nummer aufgedruckt oder eingeprägt. Nach der Entnahme wird es in eine Ledertasche gesteckt, die an einem Messingring mit einem Durchmesser von ca. 60 cm befestigt ist. Mit dem Ring wird die Übergabe des Tablets an einen fahrenden Zug erleichtert. Tablets haben in der Mitte ein größeres rundes, drei- oder viereckiges Loch, ein kleineres rundes Loch in der Nähe des Randes und eine halbrunde, eckige oder dreieckige Kerbe am Rand. Die Tablets der einzelnen Blockabschnitte unterscheiden sich, um Verwechslungen zu vermeiden, in Form und Anordnung der Löcher und Kerben. Sie können nur in die Apparate eingelegt werden, die zum gleichen Blockabschnitt gehören.
In späteren Jahren gab es auch quadratische Tablets und solche, die aus Aluminium oder Kunststoff gefertigt waren.
Verbindungsleitung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die beiden zu einem Blockabschnitt gehörenden Apparate sind über die Streckentelefon- oder Telegraphenleitung elektrisch miteinander verbunden. Dadurch ist für den Streckenblock keine besondere Verkabelung notwendig. Der Wechsel zwischen Block und Telefon erfolgt durch ein bestimmtes Glockensignal.
Handhabung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Wenn kein Zug auf der Strecke ist, sind die Entnahmeschieber beider Apparate halb geöffnet, alle Tablets sind in den Apparaten und es kann kein Tablet entnommen werden. Bevor ein Zug verkehren soll, fordert der Abgangsbahnhof mit der Bell-Taste die Freigabe an. Die Anforderung wird mit der Bell-Taste quittiert. Dann wird an beiden Apparaten der Entnahmeschieber geschlossen und am Apparat des Zielbahnhofs wird die Switch-Taste gedrückt, was dort eine Verriegelung des Entnahmeschiebers auslöst und im Abgangsbahnhof den Entnahmeschieber freigibt. Durch Drücken der Switch-Taste am eigenen Apparat kann der Stationsvorstand nun am Ausgangsbahnhof ein Tablet entnehmen. Mit der Entnahme wird auch der Apparat am Abgangsbahnhof verriegelt und es können bis zur Ankunft des Zuges keine weiteren Tablets gezogen werden.
Die Nummer des Tablets wird im Zugmeldebuch notiert und der Stationsvorstand erteilt dem Signalwärter den Auftrag, das Ausfahrsignal zu stellen. Das Tablet wird in eine Ledertasche gesteckt und dem Lokführer als Fahrerlaubnis übergeben. Dieser prüft, ob das Tablet für den folgenden Streckenabschnitt gilt und der Zug setzt seine Fahrt fort. Am Zielbahnhof übergibt der Lokführer das Tablet dem Stationsvorstand und erhält das Tablet für den nächsten Abschnitt.
Die Blockfreigabe erfolgt, indem das Tablet am Zielbahnhof über den Schieber an der Oberseite zurückgegeben wird.
Entwicklung, Bauformen und Verbreitung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Zwei Frontalkollisionen, der Eisenbahnunfall von Thorpe im Jahr 1874 und ein zweiter bei Radstock im Jahr 1876, hatten gezeigt, dass das bis dahin eingesetzte Blocktelegrafensystem mit entscheidenden Sicherheitsmängeln behaftet war. Die Entwicklung des Electric Tablet System entstand aus dem Bestreben, diese Mängel zu beseitigen und die Betriebssicherheit auf eingleisigen Strecken zu erhöhen.
Im Laufe der Jahre wurde das System weiterentwickelt und für spezielle Anforderungen modifiziert. Verbreitet war die Bauform No. 3 aus dem Jahr 1890. Mit der seltenen Bauform No. 5 (1891) konnten zwei aufeinander folgende Züge in einer Richtung verkehren. Vor der Entwicklung der Bauform No. 6 im Jahr 1892 konnte der Blockabschnitt nur durch Rückgabe des Tablets am benachbarten Instrument freigegeben werden. Bei der Bauform No. 6 konnte das Tablet auch an das gleiche Instrument zurückgegeben werden. Damit konnten mit dem System auch Züge gesichert werden, die nicht bis zum Ende des Blockabschnitts fuhren, sondern von unterwegs zurückkehrten. Mit der Patentierung der Bauform No. 7 im Jahr 1898 endete die Entwicklung des Electric Tablet Systems, und einfacher zu handhabende Token Key Systeme traten die Nachfolge an.
In späteren Jahren wurden die installierten Apparate nachgerüstet, wichtigste Änderung war die Kopplung der Ausfahrsignale mit den Blockapparaten und vielerorts die Verlegung der Apparate von den Stationsgebäuden in die Stellwerke. In Großbritannien wurde das Tyer-System bis Ende des 20. Jahrhunderts weitgehend abgelöst. In Ländern, die britische Signaltechnik einsetzten, wie z. B. in Neuseeland, Australien, Japan und Indonesien kam das Electric Tablet System ebenfalls zum Einsatz. In Sri Lanka wird der Betrieb auf Teilen des Netzes noch heute mit dem Electric Tablet System durchgeführt.
Vor- und Nachteile des Electric Tablet Systems
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Das Electric Tablet System hat gegenüber dem älteren Stab-System den Vorteil, dass mehrere Züge ohne Aufwand nacheinander fahren können, dass zwischen den Betriebsstellen eine sichere Verständigung gewährleistet und dass durch die Nutzung der Telegraphenleitung keine spezielle Verkabelung notwendig ist. Der Betriebszustand kann – im Gegensatz zu den vorher verwendeten Blocktelegrafen – jederzeit am Apparat abgelesen werden.
Größter Nachteil besonders der älteren Bauformen ist die fehlende Abhängigkeit zwischen Ausfahrsignalen und Blockapparat, d. h. es war möglich, das Ausfahrsignal auf Fahrt zu stellen, obwohl der Block belegt war.
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Website Roland Ziegler (Sri Lanka)
- Abbildung und Beschreibung verschiedener Blockapparate
- Abbildung unterschiedlicher Tablets
- Electric Token Block. Abgerufen am 14. Juli 2013 (englisch).
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Gyan Fernando: Rozelle: A quaint little Railway Station. In: Railway Journeys and other railway articles:. Abgerufen am 24. Mai 2016.