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„Emma Kann“ – Versionsunterschied

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'''Emma Kann''' (* [[25. Mai]] [[1914]] in [[Frankfurt am Main]]; † [[19. Januar]] [[2009]] in [[Konstanz]]) war eine deutsche [[Lyriker]]in und [[Essayist]]in.
{{QS-Antrag|21. September 2015| [[WP:Wikifizieren]]: [[Wikipedia:Kategorien|Kategorien]] fehlen -- [[Benutzer:MerlBot/AutoQS|MerlBot]] 01:46, 21. Sep. 2015 (CEST)}}
'''Emma Kann''' (* [[25. Mai]] [[1914]] in [[Frankfurt am Main]]; † [[19. Januar]] [[2009]] in [[Konstanz]]). Lyrikerin und Essayistin.


== Leben ==
== Leben ==
Emma Kann wurde am 25. Mai 1914 in Frankfurt am Main geboren und ist dort auch aufgewachsen. Sie stammte aus einem liberalen jüdischen Elternhaus ohne enge religiöse Bindungen und bezeichnete sich noch im hohen Alter als eher ökumenisch orientiert.<ref>Ottmar Ette:''Was über die Zeit hinausgeht. Interview mit der Lyrikerin Emma Kann.'' S. 34</ref> Aufgrund ihrer jüdischen Religionszugehörigkeit wurde ihr aber 1933 die Aufnahme eines Studiums verweigert, was sie zur Auswanderung nach England veranlasste.<ref>Ottmar Ette:''Was über die Zeit hinausgeht. Interview mit der Lyrikerin Emma Kann.'' S. 34</ref> Ihr erstes Gedicht überhaupt, das 1933 verfasste "Heimatlos", reflektiert das Erlebnis, Deutschland verlassen zu müssen.<ref>Ottmar Ette:''Was über die Zeit hinausgeht. Interview mit der Lyrikerin Emma Kann.'' S. 35</ref>
Kann wuchs in Frankfurt am Main auf. Sie stammte aus einem liberalen jüdischen Elternhaus ohne enge religiöse Bindungen und bezeichnete sich noch im hohen Alter als eher ökumenisch orientiert.<ref name="Ette34">Ottmar Ette: ''Was über die Zeit hinausgeht.'' S. 34.</ref> Aufgrund ihrer jüdischen Herkunft wurde ihr 1933 die Aufnahme eines Studiums verweigert, was sie zur Auswanderung nach England veranlasste.<ref name="Ette34" /> Ihr erstes Gedicht überhaupt, das 1933 verfasste ''Heimatlos'', reflektiert das Erlebnis, Deutschland verlassen zu müssen.<ref>Ottmar Ette: ''Was über die Zeit hinausgeht.'' S. 35.</ref>


Emma Kann lebte zweieinhgalb Jahre in England, zunächst als Au-pair-Schülerin, später auch als Sprachlehrerin und gelegentlich auch als Haushaltshilfe. Ende 1935 besuchte sie ihre Schwester in Holland, bevor sie dann im Frühjahr 1936 nach Belgien ging, in Antwerpen lebte und dort als Sekretärin arbeitete. Von hier aus versuchte sie zu Weihnachten 1936 noch einmal ihre Mutter und ihre Großmutter in Frankfurt zu besuchen. Obwohl sie noch immer einen gültigen deutschen Reisepass besaß, wurde ihr aber an der belgisch-deutschen Grenze die Einreise nach Deutschland verweigert. 1937 wurde ihr Pass endgültig nich mehr verlängert, und 1938 erschien ihr Name auf einer im [[Deutscher Reichsanzeiger |Deutschen Reichsanzeiger]] veröffentlichten Liste der ausgebürgerten Personen.<ref>Emma Kann: ''Meine Erinnerungen an das Lager Gurs.'' S. 25</ref> Sie besaß zwischenzeitlich einen belgischen Staatenlosen-Pass.[[Bild:Emma_Kann.jpeg|mini|Passfoto um 1939<ref>Deutsches Exilarchiv 1933-1945 der Deutschen Nationalbibliothek, Nachlass Emma Kann EB 91/053</ref>]]
Emma Kann lebte zweieinhalb Jahre in England, zunächst als [[Au-pair]]-Schülerin, später als Sprachlehrerin und gelegentlich als Haushaltshilfe. Ende 1935 besuchte sie ihre Schwester in Holland, bevor sie im Frühjahr 1936 nach Belgien ging, in [[Antwerpen]] lebte und dort als Sekretärin arbeitete. Von hier aus versuchte sie zu Weihnachten 1936 noch einmal, ihre Mutter und ihre Großmutter in Frankfurt zu besuchen. Obwohl sie noch immer einen gültigen deutschen Reisepass besaß, wurde ihr an der belgisch-deutschen Grenze die Einreise nach Deutschland verweigert. Ab 1937 besaß sie keinen deutschen Pass mehr, und 1938 erschien ihr Name auf einer im [[Deutscher Reichsanzeiger|Deutschen Reichsanzeiger]] veröffentlichten Liste der ausgebürgerten Personen.<ref>Emma Kann: ''Meine Erinnerungen an das Lager Gurs.'' S. 25.</ref> Sie besaß zwischenzeitlich einen belgischen [[Staatenlosenpass]].
[[Datei:Emma Kann.jpeg|mini|hochkant|Passfoto um 1939<ref name="Exilarchiv">{{Deutsches Exilarchiv |ID=982421702 |Typ=N}} (Signatur: EB 91/053).</ref>]]


Als im Mai 1940 die deutsche Armee in das neutrale Belgien eindrang, konnte Emma Kann am 12. Mai 1940 über Brüssel nach Frankreich fliehen. Der Zug, den sie ab Brüssel nehmen konnte, fuhr jedoch nicht, wie erhofft, nach Paris, sondern endete in einem kleinen Dorf bei Toulouse. Mit ein paar Tagen Verzögerung gelangte sie dann von hier aus ins [[Camp de Gurs | Lager Gurs]].<ref>Es ist sehr interessant, wie Emma Kann diese Zugreise durch das damals noch nicht besetzte Frankreich, ihre Aufnahme in den Zwischenstationen und schließlich das Chaos vor ihrer Registrierung als Internierte beschreibt. Das deckt sich in verblüffender Weise mit der Situation bei der Ankunft der Flüchtlingszüge in Deutschland seit August 2015.</ref>
Als im Mai 1940 die deutsche Armee das [[Überfall auf die Niederlande, Belgien und Luxemburg|neutrale Belgien besetzte]], konnte Emma Kann am 12. Mai 1940 über Brüssel nach Frankreich fliehen. Der Zug, den sie ab Brüssel nehmen konnte, fuhr jedoch nicht, wie erhofft, nach Paris, sondern endete in einem kleinen Dorf bei [[Toulouse]]. Mit einigen Tagen Verzögerung gelangte sie anschließend von hier aus ins [[Camp de Gurs|Lager Gurs]].


Emma Kann, die in Gurs in einer Baracke untergebracht war, in der zur gleichen Zeit auch [[Adrienne Thomas]] und [[Hannah Arendt]] vorübergehend lebten, empfand die Lagerverhältnisse zwar als primitiv, attestierte aber den französischen Wachmannschaften und der Lagerverwaltung ein korrektes Verhalten.<ref>Emma Kann: ''Meine Erinnerungen an das Lager Gurs.'' S. 26</ref> Als Alleinstehende erlebte sie das Lagerleben wesentlich entspannter als die meisten anderen Internierten oder wie die etwa einen Monat später dort internierte [[Lisa Fittko]], der Emma Kahn erstmals in Kuba begegnete.<ref>Gurs. Mai und Juni 1940, in: Lisa Fittko, Mein Weg über die Pyrenäen, S. 26ff</ref>
Emma Kann, die in Gurs in einer Baracke untergebracht war, in der zur selben Zeit auch [[Adrienne Thomas]] und [[Hannah Arendt]] vorübergehend lebten, empfand die Lagerverhältnisse zwar als primitiv, attestierte aber den französischen Wachmannschaften und der Lagerverwaltung ein korrektes Verhalten.<ref>Emma Kann: ''Meine Erinnerungen an das Lager Gurs.'' S. 26.</ref> Als Alleinstehende erlebte sie das Lagerleben wesentlich „entspannter“ als die meisten anderen Internierten oder als die etwa einen Monat später dort internierte [[Lisa Fittko]], der Emma Kann erstmals in Kuba begegnete.<ref>''Gurs. Mai und Juni 1940.'' In: Lisa Fittko: ''Mein Weg über die Pyrenäen.'' S. 26&nbsp;ff.</ref>


Emma Kahn konnte das Lager Gurs nach kurzer Zeit verlassen - bevor sich nach dem Waffenstillstand zwischen Deutschland und Frankreich die Situation im Lager drastisch veränderte und hierher auch viele Juden aus Südwestdeutschland deportiert wurden, für die Gurs dann oft zur Zwischenstation vor den Vernichtungslagern im Osten des Deutsche Reiches wurde.<ref>Das Camp de Gurs</ref> Sie lebte noch bis 1942 in Frankreich und emigrierte dann über Casablanca nach Kuba. In Havanna fand sie als Lehrerin für Englisch Beschäftigung und gehörte zu dem Kreis um [[Fritz Lamm]] und [[Lisa Fittko | Hans und Lisa Fittko]]. In diesem Zusammenhang hat [[Ursula Krechel]] ihr ein kleines Portrait in ihrem Buch "Landgericht" gewidmet.<ref>Ursula Krechel:''Landgericht.'', S. 317ff</ref> Während ihrer Zeit in Kuba musste sie sich auch zweimal an ihren Augen operieren lassen, was ihr nicht nur für ein Jahr das Lesen nahezu unmöglich machte, sondern ihr auch den Zugang zur spanisch-lateinamerikanischen Literatur erschwerte.<ref>Ottmar Ette:''Was über die Zeit hinausgeht. Interview mit der Lyrikerin Emma Kann.'' S. 38</ref>
Emma Kann konnte das Lager Gurs nach kurzer Zeit verlassen bevor sich nach dem [[Waffenstillstand von Compiègne (1940)|Waffenstillstand zwischen Deutschland und Frankreich]] die Situation im Lager drastisch veränderte und im Rahmen der [[Wagner-Bürckel-Aktion]] viele Juden aus Südwestdeutschland hierher deportiert wurden, für die Gurs dann oft zur Zwischenstation vor den Vernichtungslagern in Osteuropa wurde. Sie lebte noch bis 1942 in Frankreich und emigrierte dann über [[Casablanca]] nach Kuba. In [[Havanna]] fand sie als Lehrerin für Englisch Beschäftigung und gehörte zu dem Kreis um [[Fritz Lamm]] und Lisa und [[Hans Fittko]]. In diesem Zusammenhang widmete [[Ursula Krechel]] ihr ein kleines Porträt in ihrem Buch ''[[Landgericht (Roman)|Landgericht]]''.<ref>Ursula Krechel: ''Landgericht.'' S. 317&nbsp;ff.</ref> Während ihrer Zeit in Kuba musste sie sich zweimal an den Augen operieren lassen, was ihr nicht nur für ein Jahr das Lesen nahezu unmöglich machte, sondern ihr auch den Zugang zur spanisch-lateinamerikanischen Literatur erschwerte.<ref name="Ette38">Ottmar Ette: ''Was über die Zeit hinausgeht.'' S. 38.</ref>


Mit Rücksicht auf ihre Schwester, die das Konzentrationslager Bergen-Belsen überlebt hatte und eine Rückkehr nach Deutschland nicht verstanden hätte, ging Emma Kann nach dem Kriegsende 1945 von Kuba aus in die Vereinigten Staaten und lebte bis 1981 in New York. Dort widmete sie sich aktiv dem Schreiben von Gedichten und belegte Kurse am "Poetry Center". Bis 1948 schrieb sie weiterhin in deutsch, bevor sie dann ab 1950 auf englisch zu schreiben begann. Mitte der sechziger Jahre musste sie vorübergehend das Schreiben einstellen, da sie immer weniger sehen konnte. Ab Ende der sechziger Jahre, nachdem sie 1969 völlig erblindet war, diktierte sie dann ihre Gedichte auf Kassettenrecorder.<ref>Ottmar Ette:''Was über die Zeit hinausgeht. Interview mit der Lyrikerin Emma Kann.'' S. 35</ref> Bis zu ihrer Erblindung hat sie für "Books Abroad" der University of Oklahoma deutsche Literatur, vor allem Gedichtbände, rezensiert, was ihr vorallem auch die Möglichkeit bot, mit der deutschen Sprache und Literatur in Kontakt zu bleiben.<ref>Ottmar Ette:''Was über die Zeit hinausgeht. Interview mit der Lyrikerin Emma Kann.'' S. 36</ref>
Mit Rücksicht auf ihre Schwester, die das [[KZ Bergen-Belsen]] überlebt hatte und eine Rückkehr nach Deutschland nicht verstanden hätte, ging Emma Kann nach dem Kriegsende 1945 von Kuba aus in die Vereinigten Staaten und lebte bis 1981 in [[New York City|New York]]. Dort widmete sie sich aktiv dem Schreiben von Gedichten und belegte Kurse am ''Poetry Center''. Bis 1948 schrieb sie weiterhin auf Deutsch, bevor sie ab 1950 auf Englisch zu schreiben begann. Mitte der sechziger Jahre musste sie vorübergehend das Schreiben einstellen, da sie immer weniger sehen konnte. Ab Ende der sechziger Jahre diktierte sie ihre Gedichte auf [[Kassettenrekorder]], nachdem sie 1969 völlig erblindet war.<ref name="Ette36">Ottmar Ette: ''Was über die Zeit hinausgeht.'' S. 36.</ref> Bis zu ihrer Erblindung rezensierte sie für die zeitweilig von [[Ernst Erich Noth]] herausgegebenen Zeitschrift [[Books Abroad]] der University of Oklahoma deutsche Literatur, vor allem Gedichtbände, was ihr vor allem die Möglichkeit bot, mit der deutschen Sprache und Literatur in Kontakt zu bleiben.<ref name="Ette36" />


Emma Kann, die während ihrer New Yorker Zeit gelegentlich wieder Deutschland besuchte und nach ihrer Erblindung ihre Sommer zunächst in Österreich und dann in der Schweiz verbrachte, kehrte 1981 endgültig nach Deutschland zurück. Ausschlaggebend dafür war eine Nichte von ihr, die bereits in Konstanz lebte und sie zur Übersiedelung drängte, aber auch der Wunsch, wieder in deutsch zu schreiben.<ref>Ottmar Ette:''Was über die Zeit hinausgeht. Interview mit der Lyrikerin Emma Kann.'' S. 38</ref> Sie lebte bis zu ihrem Tode im Jahre 2009 in Konstanz. 1991 hatte sie damit begonnen, ihren Vorlass an das Deutsche Exilarchiv 1933-1945 der Deutschen Nationalbibliothek zu übergeben, wo heute ihr Nachlass verwahrt wird.
Emma Kann, die während ihrer New Yorker Zeit gelegentlich wieder Deutschland besuchte und nach ihrer Erblindung ihre Sommer zunächst in Österreich und in der Schweiz verbrachte, kehrte 1981 endgültig nach Deutschland zurück. Ausschlaggebend dafür war ihre Nichte [[Ruth Frenk]], die 1974 nach Konstanz gezogen war und sie zur Übersiedelung drängte, aber auch der Wunsch, wieder auf Deutsch zu schreiben.<ref name="Ette38" /> Sie lebte bis zu ihrem Tod im Jahr 2009 in Konstanz. 1991 hatte sie damit begonnen, ihren Vorlass an das Deutsche Exilarchiv 1933–1945 der [[Deutsche Nationalbibliothek|Deutschen Nationalbibliothek]] zu übergeben, wo heute ihr Nachlass verwahrt wird.


== Über das Schreiben ==
== Über das Schreiben ==
Emma Kann wurde von ihrer Mutter, die das Lehrerinnenseminar in Heidelberg besucht hatte, früh mit Literatur bekanntgemacht. Kontinuierlich zu schreiben begann sie jedoch erst 1933. Das Gedicht "Heimatlos" ist ihr erstes Gedicht und reflektiert, wie viele andere auch, ihre Erfahrungen in der Fremde und den Verlust der Heimat. Dennoch hat die Fremde für sie nicht nur mit Verlust und Entsagung zu tun. Noch in ihren 1995 erschienen Erinnerungen an das Lager Gurs - fünfundvierzig Jahre später also - betont sie immer wieder die Freundlichkeit der Menschen, die ihr auf ihrer Flucht durch Frankreich begegnet sind, und ihre Weiterreise von Gurs nach Marseille benutzte sie - eher touristisch orientiert als sich auf der Flucht befindend - nicht nur für einen Besuch von Lourdes, sondern ließ sich auch von der Schönheit der französsichen Landschaft am Rande der Pyrenäen beeindrucken.<ref>Emma Kann: ''Meine Erinnerungen an das Lager Gurs.'' S. 27</ref> So ist es auch nicht verwunderlich, dass Ursula Krechel aus Emma Kanns Zeit in Kuba einzig ein Pyrenäen-Gedicht von ihr erwähnt, in dem sie die Schönheit und Freiheit dieser Landschaft feiert.<ref>Ursula Krechel:''Landgericht.'', S. 318</ref> Ihr sei eine Freude an der Sprache, an der Sinnlichkeit jeder Erfahrung und an der Schönheit der Landschaft zu eigen. Daraus resultiert auch ein durchaus positiv gestimmter Rückblick auf die Zeit in der Fremde, den Emma Kann in ihrem Gedicht "Entfernungen" so beschreibt: "Auf fünf Inseln meines Lebens / ließ ich Gesichter zurück /
Emma Kann wurde von ihrer Mutter, die das [[Lehrerinnenseminar]] in [[Heidelberg]] besucht hatte, früh mit Literatur bekanntgemacht. Kontinuierlich zu schreiben begann sie jedoch erst 1933. Das Gedicht ''Heimatlos'' ist ihr erstes Gedicht und reflektiert, wie viele andere auch, ihre Erfahrungen in der Fremde und den Verlust der Heimat. Dennoch hat die Fremde für Emma Kann nicht nur mit Verlust und Entsagung zu tun. Stets ist ihr auch eine intensive Lebenslust zu eigen – selbst inmitten von Trauer und Tod. Äußern Bedrohungen setzt sie ein „trotziges Beharren auf der Lust am eigenen Ich und seinem Leben, seiner eigenen Logik, seinem Eigen-Sinn“ entgegen.<ref>Ottmar Ette: ''In Emma Kanns Garten.'' S. 89–90.</ref> Noch in ihren 1995 erschienenen Erinnerungen an das Lager Gurs 45&nbsp;Jahre später also betont sie immer wieder die Freundlichkeit der Menschen, die ihr auf ihrer Flucht durch Frankreich begegnet sind. Ihre Weiterreise von Gurs nach [[Marseille]] benutzte sie eher touristisch orientiert als sich auf der Flucht befindend nicht nur für einen Besuch von [[Lourdes]], sondern ließ sich auch von der Schönheit der französischen Landschaft am Rande der [[Pyrenäen]] beeindrucken.<ref>Emma Kann: ''Meine Erinnerungen an das Lager Gurs.'' S. 27.</ref> So ist es wenig verwunderlich, dass Ursula Krechel aus Emma Kanns Zeit in Kuba einzig ein Pyrenäen-Gedicht von ihr erwähnt, in dem sie die Schönheit und Freiheit dieser Landschaft feiert.<ref>Ursula Krechel: ''Landgericht.'' S. 318.</ref> Ihr sei eine Freude an der Sprache, an der Sinnlichkeit jeder Erfahrung und an der Schönheit der Landschaft zu eigen. Daraus resultiert auch ein durchaus positiv gestimmter Rückblick auf die Zeit in der Fremde, den Emma Kann in ihrem Gedicht ''Entfernungen'' so beschreibt: „Auf fünf Inseln meines Lebens / ließ ich Gesichter zurück / die ich liebte.“<ref>Emma Kann: ''Zeitwechsel: Gedichte 1981–1985.'' S. 26.</ref> Diese fünf Inseln sind die fünf Lebensstationen außerhalb Deutschlands in der Zeit zwischen 1933 und 1981: England, Belgien, Frankreich, Kuba, USA.<ref>Ottmar Ette: ''Was über die Zeit hinausgeht.'' S. 34–35.</ref>
die ich liebte."<ref>Emma Kann:''Zeitwechsel : Gedichte 1981 - 1985.'', S.26''</ref> Diese fünf Inseln sind die fünf Lebebsstationen außerhalb Deutschlands in der Zeit zwischen 1933 und 1981: England, Belgien, Frankreich, Kuba, USA.<ref>Ottmar Ette:''Was über die Zeit hinausgeht. Interview mit der Lyrikerin Emma Kann.'' S. 34-35</ref>


Nachdem Emma Kann 1950 in New York damit begonnen hatte, in englischer Sprache zu schreiben, behielt sie das bei bis zu ihrer Rückkehr nach Deutschland im Jahre 1981. Sie reflektiert, auch aufgrund ihrer Rezensionen für "Book Abroad", die Veränderungen der deutschen Sprache während der Zeit, in der sie selber die englische gebrauchte, weshalb ihr das Schreiben in der deutschen Sprache nach ihrer Rückkehr 1981 nicht schwergefallen sei.<ref>Ottmar Ette:''Was über die Zeit hinausgeht. Interview mit der Lyrikerin Emma Kann.'' S. 36</ref> Auch ihre Erblindung habe keinen wesentlichen Einfluss auf ihr Schreiben, das dann ja zum Sprechen auf einen Recorder - nicht zum Diktat - geworden ist, gehabt, da sie häufig einen bildhaften Ausgangspunkt für ihr Schreiben gewählt habe, immer schon vom Visuellen ausgegangen sei, von einer Vorstellung oder Erinnerung.<ref>Ottmar Ette:''Was über die Zeit hinausgeht. Interview mit der Lyrikerin Emma Kann.'' S. 36</ref> Das ist offenbar das, was auch Ursula Krechel stark an ihr beeindruckt hat.
Nachdem Emma Kann 1950 in New York damit begonnen hatte, in englischer Sprache zu schreiben, behielt sie das bei bis zu ihrer Rückkehr nach Deutschland im Jahre 1981. Sie reflektierte, auch aufgrund ihrer Rezensionen für „Book Abroad“, die Veränderungen der deutschen Sprache während der Zeit, in der sie selbst die englische gebrauchte, weshalb ihr das Schreiben in der deutschen Sprache nach ihrer Rückkehr 1981 nicht schwergefallen sei.<ref name="Ette36" /> Auch ihre Erblindung habe keinen wesentlichen Einfluss auf ihr Schreiben gehabt, das dadurch ja zum Sprechen auf einen Rekorder nicht zum Diktat geworden sei. Sie habe häufig einen bildhaften Ausgangspunkt für ihr Schreiben gewählt, sei immer schon vom Visuellen ausgegangen, von einer Vorstellung oder Erinnerung.<ref name="Ette36" /> Das ist offenbar das, was auch Ursula Krechel stark an ihr beeindruckt hat.


Für Emma Kann ist ihr Schreiben der Versuch, komplizierte Sachverhalte oder symbolische Bedeutungen in einer einfachen Sprache zum Ausdruck zu bringen. Wichtig ist ihr, Sprache, verwendete Begriffe, immer wieder in Zweifel zu ziehen, um dann doch wieder zu einfachen Worten zurückzufinden. Das bedeutet auch, Worte, Begriffe, die ihr aus ihrer Jugend vertraut sind, stets vor dem Hintergrund der zwischen 1933 und 1981 verstrichenen Zeit zu reflektieren und trotzdem die für sie essentielle Bedeutung einzelner Begriffe herauszuarbeiten und beizubehalten. Religiosität im engeren Sinne ist ihr fremd. Sie bekennt sich zu [[Spinoza]] und zu einer Form von Pantheismus, der in ihren späteren Jahren auch nunter dem Einfluss von [[Emmanuel Levinas]] stand. Dazu kommen Einflüsse von [[Martin Buber]], dessen Vorlesungen sie noch in ihrer Frankfurter Zeit gehört hat.<ref>Ottmar Ette:''Was über die Zeit hinausgeht. Interview mit der Lyrikerin Emma Kann.'' S. 37ff</ref> Sich selbst sieht sie nicht in erster Linie als Jüdin; ihre jüdische Herkunft ist für sie nur insoweit von Bedeutung, als sie Teil ihrer Erfahrungen ist, die ihren Lebensweg - ohne eigenes Dazutun - beeinflusst haben.<ref>Ottmar Ette:''Was über die Zeit hinausgeht. Interview mit der Lyrikerin Emma Kann.'' S. 39</ref>
Für Emma Kann ist ihr Schreiben der Versuch, komplizierte Sachverhalte oder symbolische Bedeutungen in einer einfachen Sprache zum Ausdruck zu bringen. Wichtig ist ihr, Sprache, verwendete Begriffe, immer wieder in Zweifel zu ziehen, um dann doch wieder zu einfachen Worten zurückzufinden. Das bedeutet auch, Worte, Begriffe, die ihr aus ihrer Jugend vertraut sind, stets vor dem Hintergrund der zwischen 1933 und 1981 verstrichenen Zeit zu reflektieren und trotzdem die für sie essentielle Bedeutung einzelner Begriffe herauszuarbeiten und beizubehalten. Religiosität im engeren Sinne ist ihr fremd. Sie bekennt sich zu [[Spinoza]] und zu einer Form von [[Pantheismus]], der in ihren späteren Jahren auch unter dem Einfluss von [[Emmanuel Levinas]] stand. Dazu kommen Einflüsse von [[Martin Buber]], dessen Vorlesungen sie noch in ihrer Frankfurter Zeit gehört hat.<ref>Ottmar Ette: ''Was über die Zeit hinausgeht.'' S. 37&nbsp;ff.</ref> Sich selbst sieht sie nicht in erster Linie als Jüdin; ihre jüdische Herkunft ist für sie nur insoweit von Bedeutung, als sie Teil ihrer Erfahrungen ist, die ihren Lebensweg ohne eigenes Dazutun beeinflusst haben.<ref>Ottmar Ette: ''Was über die Zeit hinausgeht.'' S. 39.</ref>


Schreiben in deutscher Sprache, Schreiben als Versuch, Kommunikation mit den Lesern herzustellen, Neugierde auf neuste technisch-naturwisenschaftliche Erkenntnisse, die es gilt zu verstehen und in einer poetischen Sprache zu gestalten, das Erlebte in Worte fassen und weitergeben: Für Emma Kann ist das Gedicht nur halb vom Schreibenden gemacht, der Leser erst wird es - kraft seiner Projektionen - vervollständigen.<ref>Ottmar Ette:''Was über die Zeit hinausgeht. Interview mit der Lyrikerin Emma Kann.'' S. 39-40</ref>
Schreiben in deutscher Sprache, Schreiben als Versuch, Kommunikation mit den Lesern herzustellen, Neugierde auf neuste technisch-naturwissenschaftliche Erkenntnisse, die es gilt zu verstehen und in einer poetischen Sprache zu gestalten, das Erlebte in Worte fassen und weitergeben: Für Emma Kann ist das Gedicht nur halb vom Schreibenden gemacht, der Leser erst wird es kraft seiner Projektionen vervollständigen.<ref>Ottmar Ette: ''Was über die Zeit hinausgeht.'' S. 39–40.</ref>

== Erinnerung ==
* Die Zeile ''Fremd bin ich den Menschen dort …'' aus dem Gedicht ''Heimatlos'' war 2012 der Titel einer Ausstellung, die das [[Deutsches Exilarchiv|Deutsche Exilarchiv]] anlässlich des 100-jährigen Jubiläums der [[Deutsche Nationalbibliothek|Deutschen Nationalbibliothek]] zeigte.<ref>Deutsches Exilarchiv: [https://www.dnb.de/DE/Ueber-uns/Presse/ArchivPM2012/pmfremdbinichdenmenschendort.html Pressemitteilung vom 22. August 2012 zur Ausstellungseröffnung „Fremd bin ich den Menschen dort“]</ref>
* Unter dem Titel ''Heimatlos – Leben und Werk der Lyrikerin Emma Kann'' gestaltet Ruth Frenk seit 2024 ein eigenes Vortragsprogramm mit Gedichten und Texten ihrer Tante.<ref>[https://www.ruthfrenk.com/buch/vortragstermine/heimatlos/ Programmankündigung auf der Website von Ruth Frenk]. Dort auch eine Lesung von ''Heimatlos''.</ref>
* Seit dem Sommer 2025 trägt die bisherige ''Grundschule Europaviertel'' den Namen ''Emma-Kann-Grundschule''. Die bislang noch in Containern untergebrachte Schule bezog am 19. August 2025 ihren Neubau am Maastricher Ring im Frankfurter [[Europaviertel (Frankfurt am Main)|Europaviertel]].<ref>[https://www.emma-kann-grundschule.de/ Homepage der Emma-Kann-Grundschule] & [[Frankfurter Rundschau]] (FR), Lokalteil Darmstadt/Offenbach vom 10. Juli 2025, Seite 36 & Judith Tjardes: [https://epaper.fr.de/webreader-v3/index.html#/495360/36-37 Das neue moderne Gebäude der Emma-Kann-Grundschule im Europaviertel ist fertig], FR, 20. August 2025, S. 34</ref>


== Werke ==
== Werke ==
* ''Im weiten Raum : Gedichte 1992 - 1996.'' Hartung-Gorre, Konstanz 1998, ISBN 3-89649-250-0
* ''Im weiten Raum: Gedichte 1992–1996.'' Hartung-Gorre, Konstanz 1998, ISBN 3-89649-250-0.
* ''Meine Erinnerungen an das Lager Gurs.'' In: Exil, XV (1995), 2, S. 25 - 28
* ''Meine Erinnerungen an das Lager Gurs.'' In: ''Exil.'' XV, 2, 1995, S. 25–28.
* ''Strom und Gegenstrom : Gedichte.'' Hartung-Gorre, Konstanz 1993, ISBN 3-89191-660-4
* ''Strom und Gegenstrom: Gedichte.'' Hartung-Gorre, Konstanz 1993, ISBN 3-89191-660-4.
* ''Im Anblick des Anderen : Gedichte 1989.'' Hartung-Gorre, Konstanz 1990, ISBN 3-89191-315-X
* ''Im Anblick des Anderen: Gedichte 1989.'' Hartung-Gorre, Konstanz 1990, ISBN 3-89191-315-X.
* ''Zeitwechsel : Gedichte 1981 - 1985.'' Hartung-Gorre, Konstanz 1987, ISBN 3-89191-109-2 (vergriffen)
* ''Zeitwechsel: Gedichte 1981–1985.'' Hartung-Gorre, Konstanz 1987, ISBN 3-89191-109-2.
* ''Autobiographisches Mosaik.''<ref name="Exilarchiv" />
* ''Heimatlos: Gesammelte Werke.'' Hartung-Gorre, Konstanz 2025, ISBN 978-3-86628-825-6.


== Literatur ==
== Literatur ==
* Ottmar Ette:''Was über die Zeit hinausgeht. Interview mit der Lyrikerin Emma Kann.'' In: Exil, VIII (1993), 2, S. 34 - 40.
* [[Ottmar Ette]]: ''In Emma Kanns Garten. Vom Erlebens- und Überlebenswissen der Literatur. Im memoriam Emma Kann (1914–2009).'' In: Exil, Nr. 1, 2009, S. 87–95.
* Ottmar Ette: ''Was über die Zeit hinausgeht. Interview mit der Lyrikerin Emma Kann.'' In: Exil, VIII (1993), 2, S. 34–40.
* {{Literatur | Autor=Ursula Krechel | Titel=Landgericht | Verlag=Jung und Jung |Ort=Salzburg; Wien | Jahr=2012 | ISBN=978-3-99027-024-0}}
* {{Literatur
* {{Literatur | Autor=Lisa Fittko | Titel=Mein Weg über die Pyrenäen | Verlag=dtv Deutscher Taschenbuch Verlag | Ort=München | Jahr=1989 | ISBN=3-446-13948--6}}
|Autor=Ursula Krechel
|Titel=Landgericht
|Verlag=Jung und Jung
|Ort=Salzburg / Wien
|Datum=2012
|ISBN=978-3-99027-024-0}}
* {{Literatur
|Autor=Lisa Fittko
|Titel=Mein Weg über die Pyrenäen
|Verlag=dtv Deutscher Taschenbuch Verlag
|Ort=München
|Datum=1989
|ISBN=3-446-13948-6}}
* Hans Riebsamen: ''Ausstellung: Fremd ist der Fremde nur in der Fremde.'' In: ''Frankfurter Allgemeine Zeitung.'' ([http://www.faz.net/aktuell/rhein-main/ausstellung-fremd-ist-der-fremde-nur-in-der-fremde-11872666.html faz.net] Emma Kanns Gedicht als Titel einer Ausstellung über Exilliteratur).
* Annika Maier: ''Erinnerung an eine besondere Frau.'' In: ''Südkurier.'' 2014 (Zum hundertsten Geburtstag von Emma Kann: [http://www.suedkurier.de/region/kreis-konstanz/konstanz/Erinnerung-an-eine-besondere-Frau;art372448,6981677]).
* Carola Hilmes (Hg.), ''Emma Kann. Autobiographisches Mosaik. Betrachtungen und Erlebnisse''. [[Verlag Hentrich & Hentrich|Hentrich & Hentrich]], Leipzig 2022, ISBN 978-3-95565-560-0.


== Weblinks ==
== Weblinks ==
* {{DNB-Portal|116044519}}
* {{DNB-Portal|116044519}}
* Ottmar Ette: Unterwegs zu Weltbewußtsein: [https://www.uni-potsdam.de/romanistik/hin/ette2.htm Emma Kanns Antwort auf [[Hans Küng]]]
* [[Ottmar Ette]]: Unterwegs zu Weltbewußtsein: [https://www.uni-potsdam.de/romanistik/hin/ette2.htm Emma Kanns Antwort] auf [[Hans Küng]]
* Emma Kanns Gedicht als Titel einer Ausstellung über Exilliteratur: [http://www.faz.net/aktuell/rhein-main/ausstellung-fremd-ist-der-fremde-nur-in-der-fremde-11872666.html Fremd ist der Fremde nur in der Fremde].
* Dokumente und eine Fotografie von Emma Kann: [http://kuenste-im-exil.de/KIE/Web/DE/Navigation/Junges-Museum/Exil-Online/Emma-Kann/Emma-Kann.html Heimatlos]
* Dokumente und eine Fotografie von Emma Kann: [http://kuenste-im-exil.de/KIE/Web/DE/Navigation/Junges-Museum/Exil-Online/Emma-Kann/Emma-Kann.html Heimatlos]
* Zum hundersten Geburtstag von Emma Kann: [http://www.suedkurier.de/region/kreis-konstanz/konstanz/Erinnerung-an-eine-besondere-Frau;art372448,6981677 Erinnerung an eine besondere Frau]
* Zur Geschichte des Lagers Gurs: [https://www.lpb-bw.de/publikationen/helllichten/tag04.htm Die Deportation der badischen, pfälzer und saarländischen Juden in das Lager Gurs/Pyrenäen] & [http://www.karlsruhe.de/b4/international/gurs.de Das Camp de Gurs]
* Zur Geschichte des Lagers Gurs: [https://www.lpb-bw.de/publikationen/helllichten/tag04.htm Die Deportation der badischen, pfälzer und saarländischen Juden in das Lager Gurs/Pyrenäen] & [http://www.karlsruhe.de/b4/international/gurs.de Das Camp de Gurs]
* {{Deutsches Exilarchiv |ID=982421702 |Typ=N}}


== Einzelnachweise ==
== Einzelnachweise ==

<references />
<references />


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<nowiki>
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[[Kategorie:Geboren ]]
[[Kategorie:Autor]]
[[Kategorie:Gestorben ]]
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</nowiki>
[[Kategorie:Essay]]
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[[Kategorie:Exilliteratur]]
[[Kategorie:Emigrant aus dem Deutschen Reich zur Zeit des Nationalsozialismus]]
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|GEBURTSDATUM=25. Mai 1914
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|STERBEDATUM=19. Januar 2009
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Aktuelle Version vom 20. November 2025, 12:54 Uhr

Emma Kann (* 25. Mai 1914 in Frankfurt am Main; † 19. Januar 2009 in Konstanz) war eine deutsche Lyrikerin und Essayistin.

Kann wuchs in Frankfurt am Main auf. Sie stammte aus einem liberalen jüdischen Elternhaus ohne enge religiöse Bindungen und bezeichnete sich noch im hohen Alter als eher ökumenisch orientiert.[1] Aufgrund ihrer jüdischen Herkunft wurde ihr 1933 die Aufnahme eines Studiums verweigert, was sie zur Auswanderung nach England veranlasste.[1] Ihr erstes Gedicht überhaupt, das 1933 verfasste Heimatlos, reflektiert das Erlebnis, Deutschland verlassen zu müssen.[2]

Emma Kann lebte zweieinhalb Jahre in England, zunächst als Au-pair-Schülerin, später als Sprachlehrerin und gelegentlich als Haushaltshilfe. Ende 1935 besuchte sie ihre Schwester in Holland, bevor sie im Frühjahr 1936 nach Belgien ging, in Antwerpen lebte und dort als Sekretärin arbeitete. Von hier aus versuchte sie zu Weihnachten 1936 noch einmal, ihre Mutter und ihre Großmutter in Frankfurt zu besuchen. Obwohl sie noch immer einen gültigen deutschen Reisepass besaß, wurde ihr an der belgisch-deutschen Grenze die Einreise nach Deutschland verweigert. Ab 1937 besaß sie keinen deutschen Pass mehr, und 1938 erschien ihr Name auf einer im Deutschen Reichsanzeiger veröffentlichten Liste der ausgebürgerten Personen.[3] Sie besaß zwischenzeitlich einen belgischen Staatenlosenpass.

Passfoto um 1939[4]

Als im Mai 1940 die deutsche Armee das neutrale Belgien besetzte, konnte Emma Kann am 12. Mai 1940 über Brüssel nach Frankreich fliehen. Der Zug, den sie ab Brüssel nehmen konnte, fuhr jedoch nicht, wie erhofft, nach Paris, sondern endete in einem kleinen Dorf bei Toulouse. Mit einigen Tagen Verzögerung gelangte sie anschließend von hier aus ins Lager Gurs.

Emma Kann, die in Gurs in einer Baracke untergebracht war, in der zur selben Zeit auch Adrienne Thomas und Hannah Arendt vorübergehend lebten, empfand die Lagerverhältnisse zwar als primitiv, attestierte aber den französischen Wachmannschaften und der Lagerverwaltung ein korrektes Verhalten.[5] Als Alleinstehende erlebte sie das Lagerleben wesentlich „entspannter“ als die meisten anderen Internierten oder als die etwa einen Monat später dort internierte Lisa Fittko, der Emma Kann erstmals in Kuba begegnete.[6]

Emma Kann konnte das Lager Gurs nach kurzer Zeit verlassen – bevor sich nach dem Waffenstillstand zwischen Deutschland und Frankreich die Situation im Lager drastisch veränderte und im Rahmen der Wagner-Bürckel-Aktion viele Juden aus Südwestdeutschland hierher deportiert wurden, für die Gurs dann oft zur Zwischenstation vor den Vernichtungslagern in Osteuropa wurde. Sie lebte noch bis 1942 in Frankreich und emigrierte dann über Casablanca nach Kuba. In Havanna fand sie als Lehrerin für Englisch Beschäftigung und gehörte zu dem Kreis um Fritz Lamm und Lisa und Hans Fittko. In diesem Zusammenhang widmete Ursula Krechel ihr ein kleines Porträt in ihrem Buch Landgericht.[7] Während ihrer Zeit in Kuba musste sie sich zweimal an den Augen operieren lassen, was ihr nicht nur für ein Jahr das Lesen nahezu unmöglich machte, sondern ihr auch den Zugang zur spanisch-lateinamerikanischen Literatur erschwerte.[8]

Mit Rücksicht auf ihre Schwester, die das KZ Bergen-Belsen überlebt hatte und eine Rückkehr nach Deutschland nicht verstanden hätte, ging Emma Kann nach dem Kriegsende 1945 von Kuba aus in die Vereinigten Staaten und lebte bis 1981 in New York. Dort widmete sie sich aktiv dem Schreiben von Gedichten und belegte Kurse am Poetry Center. Bis 1948 schrieb sie weiterhin auf Deutsch, bevor sie ab 1950 auf Englisch zu schreiben begann. Mitte der sechziger Jahre musste sie vorübergehend das Schreiben einstellen, da sie immer weniger sehen konnte. Ab Ende der sechziger Jahre diktierte sie ihre Gedichte auf Kassettenrekorder, nachdem sie 1969 völlig erblindet war.[9] Bis zu ihrer Erblindung rezensierte sie für die zeitweilig von Ernst Erich Noth herausgegebenen Zeitschrift Books Abroad der University of Oklahoma deutsche Literatur, vor allem Gedichtbände, was ihr vor allem die Möglichkeit bot, mit der deutschen Sprache und Literatur in Kontakt zu bleiben.[9]

Emma Kann, die während ihrer New Yorker Zeit gelegentlich wieder Deutschland besuchte und nach ihrer Erblindung ihre Sommer zunächst in Österreich und in der Schweiz verbrachte, kehrte 1981 endgültig nach Deutschland zurück. Ausschlaggebend dafür war ihre Nichte Ruth Frenk, die 1974 nach Konstanz gezogen war und sie zur Übersiedelung drängte, aber auch der Wunsch, wieder auf Deutsch zu schreiben.[8] Sie lebte bis zu ihrem Tod im Jahr 2009 in Konstanz. 1991 hatte sie damit begonnen, ihren Vorlass an das Deutsche Exilarchiv 1933–1945 der Deutschen Nationalbibliothek zu übergeben, wo heute ihr Nachlass verwahrt wird.

Über das Schreiben

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Emma Kann wurde von ihrer Mutter, die das Lehrerinnenseminar in Heidelberg besucht hatte, früh mit Literatur bekanntgemacht. Kontinuierlich zu schreiben begann sie jedoch erst 1933. Das Gedicht Heimatlos ist ihr erstes Gedicht und reflektiert, wie viele andere auch, ihre Erfahrungen in der Fremde und den Verlust der Heimat. Dennoch hat die Fremde für Emma Kann nicht nur mit Verlust und Entsagung zu tun. Stets ist ihr auch eine intensive Lebenslust zu eigen – selbst inmitten von Trauer und Tod. Äußern Bedrohungen setzt sie ein „trotziges Beharren auf der Lust am eigenen Ich und seinem Leben, seiner eigenen Logik, seinem Eigen-Sinn“ entgegen.[10] Noch in ihren 1995 erschienenen Erinnerungen an das Lager Gurs – 45 Jahre später also – betont sie immer wieder die Freundlichkeit der Menschen, die ihr auf ihrer Flucht durch Frankreich begegnet sind. Ihre Weiterreise von Gurs nach Marseille benutzte sie – eher touristisch orientiert als sich auf der Flucht befindend – nicht nur für einen Besuch von Lourdes, sondern ließ sich auch von der Schönheit der französischen Landschaft am Rande der Pyrenäen beeindrucken.[11] So ist es wenig verwunderlich, dass Ursula Krechel aus Emma Kanns Zeit in Kuba einzig ein Pyrenäen-Gedicht von ihr erwähnt, in dem sie die Schönheit und Freiheit dieser Landschaft feiert.[12] Ihr sei eine Freude an der Sprache, an der Sinnlichkeit jeder Erfahrung und an der Schönheit der Landschaft zu eigen. Daraus resultiert auch ein durchaus positiv gestimmter Rückblick auf die Zeit in der Fremde, den Emma Kann in ihrem Gedicht Entfernungen so beschreibt: „Auf fünf Inseln meines Lebens / ließ ich Gesichter zurück / die ich liebte.“[13] Diese fünf Inseln sind die fünf Lebensstationen außerhalb Deutschlands in der Zeit zwischen 1933 und 1981: England, Belgien, Frankreich, Kuba, USA.[14]

Nachdem Emma Kann 1950 in New York damit begonnen hatte, in englischer Sprache zu schreiben, behielt sie das bei bis zu ihrer Rückkehr nach Deutschland im Jahre 1981. Sie reflektierte, auch aufgrund ihrer Rezensionen für „Book Abroad“, die Veränderungen der deutschen Sprache während der Zeit, in der sie selbst die englische gebrauchte, weshalb ihr das Schreiben in der deutschen Sprache nach ihrer Rückkehr 1981 nicht schwergefallen sei.[9] Auch ihre Erblindung habe keinen wesentlichen Einfluss auf ihr Schreiben gehabt, das dadurch ja zum Sprechen auf einen Rekorder – nicht zum Diktat – geworden sei. Sie habe häufig einen bildhaften Ausgangspunkt für ihr Schreiben gewählt, sei immer schon vom Visuellen ausgegangen, von einer Vorstellung oder Erinnerung.[9] Das ist offenbar das, was auch Ursula Krechel stark an ihr beeindruckt hat.

Für Emma Kann ist ihr Schreiben der Versuch, komplizierte Sachverhalte oder symbolische Bedeutungen in einer einfachen Sprache zum Ausdruck zu bringen. Wichtig ist ihr, Sprache, verwendete Begriffe, immer wieder in Zweifel zu ziehen, um dann doch wieder zu einfachen Worten zurückzufinden. Das bedeutet auch, Worte, Begriffe, die ihr aus ihrer Jugend vertraut sind, stets vor dem Hintergrund der zwischen 1933 und 1981 verstrichenen Zeit zu reflektieren und trotzdem die für sie essentielle Bedeutung einzelner Begriffe herauszuarbeiten und beizubehalten. Religiosität im engeren Sinne ist ihr fremd. Sie bekennt sich zu Spinoza und zu einer Form von Pantheismus, der in ihren späteren Jahren auch unter dem Einfluss von Emmanuel Levinas stand. Dazu kommen Einflüsse von Martin Buber, dessen Vorlesungen sie noch in ihrer Frankfurter Zeit gehört hat.[15] Sich selbst sieht sie nicht in erster Linie als Jüdin; ihre jüdische Herkunft ist für sie nur insoweit von Bedeutung, als sie Teil ihrer Erfahrungen ist, die ihren Lebensweg – ohne eigenes Dazutun – beeinflusst haben.[16]

Schreiben in deutscher Sprache, Schreiben als Versuch, Kommunikation mit den Lesern herzustellen, Neugierde auf neuste technisch-naturwissenschaftliche Erkenntnisse, die es gilt zu verstehen und in einer poetischen Sprache zu gestalten, das Erlebte in Worte fassen und weitergeben: Für Emma Kann ist das Gedicht nur halb vom Schreibenden gemacht, der Leser erst wird es – kraft seiner Projektionen – vervollständigen.[17]

  • Die Zeile Fremd bin ich den Menschen dort … aus dem Gedicht Heimatlos war 2012 der Titel einer Ausstellung, die das Deutsche Exilarchiv anlässlich des 100-jährigen Jubiläums der Deutschen Nationalbibliothek zeigte.[18]
  • Unter dem Titel Heimatlos – Leben und Werk der Lyrikerin Emma Kann gestaltet Ruth Frenk seit 2024 ein eigenes Vortragsprogramm mit Gedichten und Texten ihrer Tante.[19]
  • Seit dem Sommer 2025 trägt die bisherige Grundschule Europaviertel den Namen Emma-Kann-Grundschule. Die bislang noch in Containern untergebrachte Schule bezog am 19. August 2025 ihren Neubau am Maastricher Ring im Frankfurter Europaviertel.[20]
  • Im weiten Raum: Gedichte 1992–1996. Hartung-Gorre, Konstanz 1998, ISBN 3-89649-250-0.
  • Meine Erinnerungen an das Lager Gurs. In: Exil. XV, 2, 1995, S. 25–28.
  • Strom und Gegenstrom: Gedichte. Hartung-Gorre, Konstanz 1993, ISBN 3-89191-660-4.
  • Im Anblick des Anderen: Gedichte 1989. Hartung-Gorre, Konstanz 1990, ISBN 3-89191-315-X.
  • Zeitwechsel: Gedichte 1981–1985. Hartung-Gorre, Konstanz 1987, ISBN 3-89191-109-2.
  • Autobiographisches Mosaik.[4]
  • Heimatlos: Gesammelte Werke. Hartung-Gorre, Konstanz 2025, ISBN 978-3-86628-825-6.
  • Ottmar Ette: In Emma Kanns Garten. Vom Erlebens- und Überlebenswissen der Literatur. Im memoriam Emma Kann (1914–2009). In: Exil, Nr. 1, 2009, S. 87–95.
  • Ottmar Ette: Was über die Zeit hinausgeht. Interview mit der Lyrikerin Emma Kann. In: Exil, VIII (1993), 2, S. 34–40.
  • Ursula Krechel: Landgericht. Jung und Jung, Salzburg / Wien 2012, ISBN 978-3-99027-024-0.
  • Lisa Fittko: Mein Weg über die Pyrenäen. dtv Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1989, ISBN 3-446-13948-6.
  • Hans Riebsamen: Ausstellung: Fremd ist der Fremde nur in der Fremde. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. (faz.net Emma Kanns Gedicht als Titel einer Ausstellung über Exilliteratur).
  • Annika Maier: Erinnerung an eine besondere Frau. In: Südkurier. 2014 (Zum hundertsten Geburtstag von Emma Kann: [1]).
  • Carola Hilmes (Hg.), Emma Kann. Autobiographisches Mosaik. Betrachtungen und Erlebnisse. Hentrich & Hentrich, Leipzig 2022, ISBN 978-3-95565-560-0.

Einzelnachweise

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  1. a b Ottmar Ette: Was über die Zeit hinausgeht. S. 34.
  2. Ottmar Ette: Was über die Zeit hinausgeht. S. 35.
  3. Emma Kann: Meine Erinnerungen an das Lager Gurs. S. 25.
  4. a b Nachlass Emma Kann im Deutschen Exilarchiv der Deutschen Nationalbibliothek (Signatur: EB 91/053).
  5. Emma Kann: Meine Erinnerungen an das Lager Gurs. S. 26.
  6. Gurs. Mai und Juni 1940. In: Lisa Fittko: Mein Weg über die Pyrenäen. S. 26 ff.
  7. Ursula Krechel: Landgericht. S. 317 ff.
  8. a b Ottmar Ette: Was über die Zeit hinausgeht. S. 38.
  9. a b c d Ottmar Ette: Was über die Zeit hinausgeht. S. 36.
  10. Ottmar Ette: In Emma Kanns Garten. S. 89–90.
  11. Emma Kann: Meine Erinnerungen an das Lager Gurs. S. 27.
  12. Ursula Krechel: Landgericht. S. 318.
  13. Emma Kann: Zeitwechsel: Gedichte 1981–1985. S. 26.
  14. Ottmar Ette: Was über die Zeit hinausgeht. S. 34–35.
  15. Ottmar Ette: Was über die Zeit hinausgeht. S. 37 ff.
  16. Ottmar Ette: Was über die Zeit hinausgeht. S. 39.
  17. Ottmar Ette: Was über die Zeit hinausgeht. S. 39–40.
  18. Deutsches Exilarchiv: Pressemitteilung vom 22. August 2012 zur Ausstellungseröffnung „Fremd bin ich den Menschen dort“
  19. Programmankündigung auf der Website von Ruth Frenk. Dort auch eine Lesung von Heimatlos.
  20. Homepage der Emma-Kann-Grundschule & Frankfurter Rundschau (FR), Lokalteil Darmstadt/Offenbach vom 10. Juli 2025, Seite 36 & Judith Tjardes: Das neue moderne Gebäude der Emma-Kann-Grundschule im Europaviertel ist fertig, FR, 20. August 2025, S. 34