Zum Inhalt springen

John Selden und Hans Bellmer: Unterschied zwischen den Seiten

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
(Unterschied zwischen Seiten)
Inhalt gelöscht Inhalt hinzugefügt
MystBot (Diskussion | Beiträge)
K r2.7.1) (Bot: Ergänze: ar:جون سلدن
 
K weitere Ausstellungen, Quelle
 
Zeile 1: Zeile 1:
'''Hans Bellmer''' (* [[13. März]] [[1902]] in [[Kattowitz]] (heute Katowice, [[Polen]]); † [[24. Februar]] [[1975]] in [[Paris]]) war ein deutscher [[Fotografie|Fotograf]], [[Bildhauerei|Bildhauer]], [[Malerei|Maler]] und [[Autor]].
[[Datei:John Selden from NPG cleaned.jpg|thumb|John Selden]]
'''John Selden''' (* [[16. Dezember]] [[1584]] in [[Salvington]], [[Sussex]]; † [[30. November]] [[1654]] in [[Whitefriars]]) war ein [[England|englischer]] Universalgelehrter. Er verfasste rechtswissenschaftliche und philosophische Werke, erforschte die jüdische Rechtsgeschichte und beschäftigte sich mit antiken und orientalischen Artefakten. Von seinen Zeitgenossen, u.a. [[John Milton]], wurde er als einer der herausragendsten und vielseitigsten Gelehrten erachtet.<ref>Milton ''..the chief of learned men reputed in this land'', Areopagitica, 1644</ref>


==Leben==
== Leben und Werk ==
[[Datei:Gedenktafel Ehrenfelsstr 8a (Karl) Hans Bellmer.jpg|miniatur|Gedenktafel am Haus Ehrenfelsstraße 8a, in [[Berlin-Karlshorst]]]]
Als Kind entwickelte Bellmer Furcht und Hass auf seinen tyrannischen Vater, der auch seine liebevolle Mutter vollkommen beherrschte. Er und sein jüngerer Bruder Fritz fanden Schutz vor dieser bedrückenden Familienatmosphäre in einem geheimen Garten, der mit Spielwaren und Andenken verziert worden war. Bellmer arbeitete nach dem Abitur auf Drängen des Vaters in einem Stahlwerk und im Kohlebergbau, 1923 wurde er an die [[Technische Universität Berlin|Technische Hochschule zu Berlin]] geschickt, interessierte sich aber viel mehr für Politik, die Arbeiten von [[Karl Marx]] und Diskussionen mit den Künstlern der [[Dadaismus|Dada]]-Bewegung. Bellmer lernte [[John Heartfield]], [[George Grosz]] und [[Rudolf Schlichter]] kennen.


Auf Anraten von George Grosz brach er im Mai 1924 das Ingenieurstudium ab und begann eine [[Typografie|Typografenlehre]] beim [[Malik-Verlag]]. Er gestaltete Buchumschläge und schuf Buchillustrationen, etwa für [[Salomo Friedlaender|Mynona (Salomon Friedlaender)]]s ''Das Eisenbahnunglück oder der Anti-Freund'' (1925). Bellmer besuchte 1925-26 [[Paris]], wo er in Kontakt zu den Dadaisten und [[Surrealismus|Surrealisten]] kam. In [[Berlin-Karlshorst]] eröffnete er ein Atelier für [[Gebrauchsgrafik|Werbezeichnungen]], das er 1933 aus politischen Gründen aufgab. 1928 heiratete er Margarete Schnell.
Selden war der Sohn eines Landwirts, ging in [[Chichester]] zur Schule und studierte ab 1600 in [[Oxford]] (Hart Hall). 1603 wechselte er zum Jura Studium nach [[London]], wo er 1604 am Inner Temple war und 1612 als Anwalt zugelassen wurde (''called to the bar''). Er arbeitete hauptsächlich als Notar und in beratender Anwaltstätigkeit und trat selten vor Gericht auf. Er wurde in London früh durch den Politiker und Büchersammler [[Robert Bruce Cotton]], Gründer der Cotton Library, gefördert, für den er Dokumente aus dem [[Tower of London|Tower]] kopierte.


Ab den 1930er-Jahren bis zu seinem Tod befasste sich Bellmer fast ausschließlich mit erotischen Darstellungen der weiblichen Anatomie. Ob in Zeichnungen, Skulpturen, Fotografien oder seinen grafischen Arbeiten – im Mittelpunkt stand immer das erotisierende Bild eines oft geschundenen weiblichen Körpers. Aufgrund der repetitiven Natur des Themas wurden ihm zahlreiche neurotische Störungen nachgesagt, von [[Sexueller Fetischismus|Fetischismus]], [[Voyeurismus]], über [[Sadomasochismus]] bis hin zu [[Pädophilie]], während andere wiederum seine Arbeiten schlicht als [[Surrealismus]] und „anarchistisch-erotische Inszenierungen“ bewerten und schätzen.
1618 erschien seine Geschichte des [[Zehnt]]en (''History of the tithe''), was ihm politische Schwierigkeiten brachte - er wurde vor den [[Privy Council]] zitiert und ihm wurde verboten, sich an Debatten über sein Werk zu beteiligen. Das führte zu Seldens politischem Engagement. Zunächst hielt er sich hier im Hintergrund und war beratend tätig, so in der Formulierung einer Petition des [[House of Commons]] vom 18. Dezember 1621, in deren Folge er kurz im Tower inhaftiert war. Ab 1623 war er im House of Commons und 1626 im zweiten Parlament von [[Karl I. (England)|Karl I]]. Auch seine juristische Karriere setzte sich fort, obwohl sie zwischendurch stockte, da er sich weigerte Dozent am Lyon´s Inn zu werden. Er spielte eine wichtige Rolle bei der Absetzung des [[George Villiers|Herzogs von Buckingham]]. Im Dritten Parlament von Karl I. war er an der Formulierung der [[Petition of Rights]] beteiligt. Als er sich mit anderen Parlamentariern 1629 gegen illegale Steuererhebungen des Königs wandte, kam er für acht Monate in den Tower und danach ins Marshalsea Gefängnis. Danach zog er sich nach Bedfordshire zurück als Statthalter (Steward) des [[Henry Grey, 8th Earl of Kent|Earl of Kent]]. 1640 war er wieder im Parlament (''Long Parlament'') für die Universität Oxford, wo er sich wieder in Opposition zum König zum Beispiel für den Erhalt der protestantischen Religion und gegen den Ausschluss der Bischöfe aus dem House of Lords einsetzte. Er erhielt die Aufsicht (Keeper of the Records and Rolls) über die Archive des Tower und war in der Parlamentskommission für die Admiralität.


1933 konstruierte Bellmer aus Teilen von Schaufensterpuppen, mit Holz, Metall und Gips fetischartige Puppen – als ganzer Körper oder Körperfragment, von denen er in verschiedenen Positionen Fotografien herstellte. 1934 erschien auf Bellmers Kosten ''Die Puppe,'' mit einem Essay Bellmers und zehn eingeklebten Fotografien. Bellmer schickte die Aufnahmen [[Paul Éluard]] und [[André Breton]] in Paris und achtzehn wurden im Dezember 1934 in der Zeitschrift ''[[Minotaure]]'' unter dem Titel ''Poupée: variations sur le montage d’une mineure articulée'' veröffentlicht.<ref>''Minotaure,'' Nr. 6, Winter, 1934-5, S.&nbsp;30–1.</ref> 1935 besuchte Bellmer Paris und wurde von Andre Breton empfangen. Im nächsten Jahr erschien ''La Poupée.''<ref>Übersetzt von dem Surrealisten Robert Valençay bei Guy Lévis-Mano, Paris 1936.</ref> Weitere Aufnahmen einer zweiten Puppe erschienen ebenfalls in ''Minotaure'' und in einem Heft der ''Cahiers d’art,'' das dem [[Surrealismus|surrealistischen]] Objekt gewidmet war.<ref>''Minotaure,'' Nr. 8, 1936, 10, 1937; ''Cahiers d’art,'' N. 11, 1936.</ref> Photos von Bellmers Puppen wurden im [[Museum of Modern Art]] in [[New York City|New York]] in seiner Surrealismus-Ausstellung gezeigt.
Seit dem Tod des Earl of Kent 1639 lebte er im selben Haus wie dessen Witwe Elizabeth Talbot (1582-1651) und heiratete diese möglicherweise heimlich. Er liegt in der Temple Church in London begraben.


Nach dem Tod seiner Frau [[Emigration|emigrierte]] Bellmer 1938 nach Paris, wo er weiter an seinem Puppenthema arbeitete. Nach dem Krieg konnte das Buch ''Les Jeux de la poupée'' (Die Spiele der Puppe) realisiert werden, mit fünfzehn Aufnahmen Bellmers und vierzehn sie „illustrierenden“ kurzen Gedichten Paul Éluards.<ref>Hans Bellmer: ''Les jeux de la poupée: illustrés de textes par Paul Éluard.'' Les Editions premières, Paris 1949.</ref>
Selden publizierte rechtshistorische und historische Werke und hatte auch (seit seinem ''De diis Syriis'' von 1617) einen Ruf als Orientalist. Er galt als führender Gelehrter für hebräische und arabische Studien in England. Bekannt wurde er auch für ''Titles of Honor'' (1614) über historische Fragen der Etikette. Er spielte eine wichtige Rolle in Diskussionen um [[Naturrecht]] und [[Völkerrecht]] im 17. Jahrhundert. Bei seinen Studien zum Naturrecht stützte er sich insbesondere auf Bibel und Talmud. Im Gegensatz zu [[Hugo Grotius]] (''Mare Liberum'', 1609), der für die Öffnung der Meere gegen spanischen und portugiesischen Anspruch eintrat, vertrat er - beeinflusst von der beginnenden englischen Seeherrschaft - Positionen die davon wieder abrückten. Sein Buch ''Mare clausum'' entstand 1618, erschien aber erst 1635.

1953 begegnete er der an [[Schizophrenie]] und [[Depression]] leidenden Schriftstellerin [[Unica Zürn]], mit der er bis zu ihrem Lebensende zusammenarbeitete. Sie zogen in das Pariser Hotel L’Espérance, wo sie keine Freunde und wenig Kontakte hatten, kaum ausgingen, und sich immer mehr von der Außenwelt abschotteten. 1954 erschien in [[Frankreich]] die ''[[Geschichte der&nbsp;O]]'' mit einer [[Lithografie]] Bellmers auf der Titelseite. 1958 erhält Bellmer den William and Noma Copley Foundation-Preis. 1959 und 1964 wurde Bellmer zur [[documenta&nbsp;II]] und [[documenta&nbsp;III]] in [[Kassel]] eingeladen. 1970 stürzte sich Zürn aus der gemeinsamen Wohnung in Paris in den Tod. Bellmer starb 1975 vereinsamt in Paris.

Als wichtiger Vertreter des [[Phantastischer Realismus|phantastischen Realismus]] hatte er tiefgreifenden Einfluss auf Künstler wie [[Paul Wunderlich]] und [[Horst Janssen]].<ref>[http://www.hans-bellmer.com/ hans-bellmer.com]</ref>

== Ausstellung ==
* International Exhibition of Surrealism, London 1936
* International Exhibition of Surrealism, Paris 1937
* International Exhibition of Surrealism, New York 1937
* International Exhibition of Surrealism, Tokyo 1937
* Le Surréalisme en 1947, Galerie Maeght, Paris 1947
* International Exhibition of Surrealism, Saarbrücken 1951
* International Exhibition of Surrealism, Galerie Daniel Cordier, Paris 1959 <ref> Bellmer; William and Noma Copley Foundation, Percy Lund, Humphries & Co. Ltd. London and Bradford 1958 </ref>
* 2010: [[Neue Nationalgalerie]] Berlin; ''Double Sexus: Bellmer - Bourgeois''


== Literatur ==
== Literatur ==
* Peter Webb, Robert Short: ''Hans Bellmer.'' Quartet Books, New York 1985
* {{DNB-Portal|118796127}}
* Peter Webb, Robert Short: ''Death, Desie and the Doll: The Life and Art of Hans Bellmer.'' Solar Books, 2006.
* Reid Barbour: ''John Selden. Measures of the Holy Commonwealth in seventeenth century England'', Toronto 2003. ISBN 0-8020-8776-0
* Michael Semff/Anthony Spira (Hrsg.): ''Hans Bellmer''. Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2006, ISBN 978-3-7757-1793-9
* Paul Christianson: „Young John Selden and the Ancient Constitution, ca. 1610-18“, in: ''[[Proceedings of the American Philosophical Society]]'' Bd. 128, Nr. 4, 1984, S. 271-315.
* Marvin Altner: ''Hans Bellmer, die Spiele der Puppe. Zu den Puppendarstellungen in der bildenden Kunst von 1914-1938''. VDG-Verlag, Weimar 2005, ISBN 3-89739-467-7 (zugl. FU Dissertation, Berlin 2002)
* Jason P. Rosenblatt: ''Renaissance England's chief rabbi. John Selden'', Oxford 2006. ISBN 978-0-19-928613-3
* Pierre Dourthe: ''Hans Bellmer. Le principe de perversion''. Faur, Paris 1999, ISBN 2-909882-32-2
* Martha A. Ziskind: „John Selden. Criticism and Affirmation of the Common Law Tradition“, in: ''[[American Journal of Legal History]]'' Bd. 19, Nr. 1, 1975, S. 22-39. {{DOI|10.2307/844580}}
* Alex Grall (Hrsg.): ''Die Zeichnungen von Hans Bellmer''. Propyläen-Verlag, Berlin 1969
*[[Gerald J. Toomer]] ''John Selden - a life in scholarship'', Oxford University Press, 2009
* Therese Lichtenstein: ''Behind Closed Doors. The Art of Hans Bellmer''. University of California Press, New York 2001, ISBN 0-520-20984-2
* Sue Taylor: ''Hans Bellmer. The Anatomy of Anxiety''. MIT Press, Cambridge, Mass. 2002, ISBN 0-262-20130-5
* Malcolm Green: ''Introduction'', in ''The Doll'', Hans Bellmer, trans. Malcolm Green. Atlas Press, London 2006, ISBN 1-900565-14-5
* Gottfried Sello: [http://www.zeit.de/1967/19/den-puppen-verfallen/komplettansicht ''Den Puppen verfallen''.] In: ''[[Die Zeit]]'', Nr. 19/1967

== Weblinks ==
* {{DNB-Portal|118655213}}
* [http://de.photography-now.com/artists/K06150.html Abbildung von Hans Bellmer: ''La Poupée'', 1935–49 (Marvelli Gallery)]
* [http://www.tuxamoon.de/magazine/kultur/kunst/2008/06/14/die-vollkommenheit-der-linien/ Eckhard Fürlus: ''Die Vollkommenheit der Linien'']
* [http://www.musenblaetter.de/artikel.php?aid=1864 Jörg Aufenanger: Hans Bellmer und Unica Zürn]
* {{documenta Archiv|000000141| Hans Bellmer}}


==Einzelnachweise==
== Einzelnachweise ==
<references />
<references />


{{Normdaten|PND=118796127|LCCN=n/50/5935|VIAF=51728429}}
{{Normdaten|PND=118655213|LCCN=n/82/148785|VIAF=76311975}}


{{SORTIERUNG:Selden, John}}
{{SORTIERUNG:Bellmer, Hans}}
[[Kategorie:Engländer]]
[[Kategorie:Deutscher Grafiker]]
[[Kategorie:Rechtswissenschaftler (17. Jahrhundert)]]
[[Kategorie:Deutscher Maler]]
[[Kategorie:Philosoph (17. Jahrhundert)]]
[[Kategorie:Maler des Surrealismus]]
[[Kategorie:Religionswissenschaftler (17. Jahrhundert)]]
[[Kategorie:Fotograf]]
[[Kategorie:Philologe (Mittelalter und Frühe Neuzeit)]]
[[Kategorie:Deutscher Bildhauer]]
[[Kategorie:Deutschsprachiger Emigrant zur Zeit des Nationalsozialismus]]
[[Kategorie:Universalgelehrter]]
[[Kategorie:Geboren 1584]]
[[Kategorie:Künstler (documenta)]]
[[Kategorie:Gestorben 1654]]
[[Kategorie:Geboren 1902]]
[[Kategorie:Gestorben 1975]]
[[Kategorie:Mann]]
[[Kategorie:Mann]]


{{Personendaten
{{Personendaten
|NAME=Selden, John
|NAME=Bellmer, Hans
|ALTERNATIVNAMEN=
|ALTERNATIVNAMEN=
|KURZBESCHREIBUNG=englischer Jurist, Religionswissenschaftler und Gelehrter
|KURZBESCHREIBUNG=deutscher Fotograf, Bildhauer, Maler und Autor
|GEBURTSDATUM=16. Dezember 1584
|GEBURTSDATUM=13. März 1902
|GEBURTSORT=Salvington, Sussex, England
|GEBURTSORT=[[Kattowitz]]
|STERBEDATUM=30. November 1654
|STERBEDATUM=24. Februar 1975
|STERBEORT=Whitefriars
|STERBEORT=[[Paris]]
}}
}}


[[ar:جون سلدن]]
[[en:Hans Bellmer]]
[[en:John Selden]]
[[es:Hans Bellmer]]
[[fr:John Selden]]
[[fr:Hans Bellmer]]
[[it:Hans Bellmer]]
[[ja:ジョン・セルデン]]
[[ja:ハンス・ベルメール]]
[[nl:John Selden]]
[[nl:Hans Bellmer]]
[[pl:Hans Bellmer]]
[[pt:Hans Bellmer]]
[[ro:Hans Bellmer]]
[[ru:Беллмер, Ханс]]
[[sv:Hans Bellmer]]
[[zh:汉斯·贝尔默]]

Version vom 29. November 2011, 15:50 Uhr

Hans Bellmer (* 13. März 1902 in Kattowitz (heute Katowice, Polen); † 24. Februar 1975 in Paris) war ein deutscher Fotograf, Bildhauer, Maler und Autor.

Leben und Werk

Gedenktafel am Haus Ehrenfelsstraße 8a, in Berlin-Karlshorst

Als Kind entwickelte Bellmer Furcht und Hass auf seinen tyrannischen Vater, der auch seine liebevolle Mutter vollkommen beherrschte. Er und sein jüngerer Bruder Fritz fanden Schutz vor dieser bedrückenden Familienatmosphäre in einem geheimen Garten, der mit Spielwaren und Andenken verziert worden war. Bellmer arbeitete nach dem Abitur auf Drängen des Vaters in einem Stahlwerk und im Kohlebergbau, 1923 wurde er an die Technische Hochschule zu Berlin geschickt, interessierte sich aber viel mehr für Politik, die Arbeiten von Karl Marx und Diskussionen mit den Künstlern der Dada-Bewegung. Bellmer lernte John Heartfield, George Grosz und Rudolf Schlichter kennen.

Auf Anraten von George Grosz brach er im Mai 1924 das Ingenieurstudium ab und begann eine Typografenlehre beim Malik-Verlag. Er gestaltete Buchumschläge und schuf Buchillustrationen, etwa für Mynona (Salomon Friedlaender)s Das Eisenbahnunglück oder der Anti-Freund (1925). Bellmer besuchte 1925-26 Paris, wo er in Kontakt zu den Dadaisten und Surrealisten kam. In Berlin-Karlshorst eröffnete er ein Atelier für Werbezeichnungen, das er 1933 aus politischen Gründen aufgab. 1928 heiratete er Margarete Schnell.

Ab den 1930er-Jahren bis zu seinem Tod befasste sich Bellmer fast ausschließlich mit erotischen Darstellungen der weiblichen Anatomie. Ob in Zeichnungen, Skulpturen, Fotografien oder seinen grafischen Arbeiten – im Mittelpunkt stand immer das erotisierende Bild eines oft geschundenen weiblichen Körpers. Aufgrund der repetitiven Natur des Themas wurden ihm zahlreiche neurotische Störungen nachgesagt, von Fetischismus, Voyeurismus, über Sadomasochismus bis hin zu Pädophilie, während andere wiederum seine Arbeiten schlicht als Surrealismus und „anarchistisch-erotische Inszenierungen“ bewerten und schätzen.

1933 konstruierte Bellmer aus Teilen von Schaufensterpuppen, mit Holz, Metall und Gips fetischartige Puppen – als ganzer Körper oder Körperfragment, von denen er in verschiedenen Positionen Fotografien herstellte. 1934 erschien auf Bellmers Kosten Die Puppe, mit einem Essay Bellmers und zehn eingeklebten Fotografien. Bellmer schickte die Aufnahmen Paul Éluard und André Breton in Paris und achtzehn wurden im Dezember 1934 in der Zeitschrift Minotaure unter dem Titel Poupée: variations sur le montage d’une mineure articulée veröffentlicht.[1] 1935 besuchte Bellmer Paris und wurde von Andre Breton empfangen. Im nächsten Jahr erschien La Poupée.[2] Weitere Aufnahmen einer zweiten Puppe erschienen ebenfalls in Minotaure und in einem Heft der Cahiers d’art, das dem surrealistischen Objekt gewidmet war.[3] Photos von Bellmers Puppen wurden im Museum of Modern Art in New York in seiner Surrealismus-Ausstellung gezeigt.

Nach dem Tod seiner Frau emigrierte Bellmer 1938 nach Paris, wo er weiter an seinem Puppenthema arbeitete. Nach dem Krieg konnte das Buch Les Jeux de la poupée (Die Spiele der Puppe) realisiert werden, mit fünfzehn Aufnahmen Bellmers und vierzehn sie „illustrierenden“ kurzen Gedichten Paul Éluards.[4]

1953 begegnete er der an Schizophrenie und Depression leidenden Schriftstellerin Unica Zürn, mit der er bis zu ihrem Lebensende zusammenarbeitete. Sie zogen in das Pariser Hotel L’Espérance, wo sie keine Freunde und wenig Kontakte hatten, kaum ausgingen, und sich immer mehr von der Außenwelt abschotteten. 1954 erschien in Frankreich die Geschichte der O mit einer Lithografie Bellmers auf der Titelseite. 1958 erhält Bellmer den William and Noma Copley Foundation-Preis. 1959 und 1964 wurde Bellmer zur documenta II und documenta III in Kassel eingeladen. 1970 stürzte sich Zürn aus der gemeinsamen Wohnung in Paris in den Tod. Bellmer starb 1975 vereinsamt in Paris.

Als wichtiger Vertreter des phantastischen Realismus hatte er tiefgreifenden Einfluss auf Künstler wie Paul Wunderlich und Horst Janssen.[5]

Ausstellung

  • International Exhibition of Surrealism, London 1936
  • International Exhibition of Surrealism, Paris 1937
  • International Exhibition of Surrealism, New York 1937
  • International Exhibition of Surrealism, Tokyo 1937
  • Le Surréalisme en 1947, Galerie Maeght, Paris 1947
  • International Exhibition of Surrealism, Saarbrücken 1951
  • International Exhibition of Surrealism, Galerie Daniel Cordier, Paris 1959 [6]
  • 2010: Neue Nationalgalerie Berlin; Double Sexus: Bellmer - Bourgeois

Literatur

  • Peter Webb, Robert Short: Hans Bellmer. Quartet Books, New York 1985
  • Peter Webb, Robert Short: Death, Desie and the Doll: The Life and Art of Hans Bellmer. Solar Books, 2006.
  • Michael Semff/Anthony Spira (Hrsg.): Hans Bellmer. Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2006, ISBN 978-3-7757-1793-9
  • Marvin Altner: Hans Bellmer, die Spiele der Puppe. Zu den Puppendarstellungen in der bildenden Kunst von 1914-1938. VDG-Verlag, Weimar 2005, ISBN 3-89739-467-7 (zugl. FU Dissertation, Berlin 2002)
  • Pierre Dourthe: Hans Bellmer. Le principe de perversion. Faur, Paris 1999, ISBN 2-909882-32-2
  • Alex Grall (Hrsg.): Die Zeichnungen von Hans Bellmer. Propyläen-Verlag, Berlin 1969
  • Therese Lichtenstein: Behind Closed Doors. The Art of Hans Bellmer. University of California Press, New York 2001, ISBN 0-520-20984-2
  • Sue Taylor: Hans Bellmer. The Anatomy of Anxiety. MIT Press, Cambridge, Mass. 2002, ISBN 0-262-20130-5
  • Malcolm Green: Introduction, in The Doll, Hans Bellmer, trans. Malcolm Green. Atlas Press, London 2006, ISBN 1-900565-14-5
  • Gottfried Sello: Den Puppen verfallen. In: Die Zeit, Nr. 19/1967

Einzelnachweise

  1. Minotaure, Nr. 6, Winter, 1934-5, S. 30–1.
  2. Übersetzt von dem Surrealisten Robert Valençay bei Guy Lévis-Mano, Paris 1936.
  3. Minotaure, Nr. 8, 1936, 10, 1937; Cahiers d’art, N. 11, 1936.
  4. Hans Bellmer: Les jeux de la poupée: illustrés de textes par Paul Éluard. Les Editions premières, Paris 1949.
  5. hans-bellmer.com
  6. Bellmer; William and Noma Copley Foundation, Percy Lund, Humphries & Co. Ltd. London and Bradford 1958