„Prader-Willi-Syndrom“ – Versionsunterschied
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Version vom 26. Juni 2005, 13:23 Uhr
Das Prader-Willi-Syndrom (PWS), auch unter den Synonymen Prader-Labhard-Willi-Franconi-Syndrom, Urban-Syndrom und Urban-Rogers-Meyer-Syndrom bekannt , ist eine vergleichsweise seltene, durch ein beschädigtes elterliches Chromosom 15 bedingte Behinderung. Die komplexe Besonderheit basiert auf einer angeborene Genmutation bzw. einem mutationsbedingten Fehler im Imprinting-Mechanismus des Chromosoms 15 und geht mit körperlichen, stoffwechselbezogenen und kognitiven Symptomen einher, welche durch eine Fehlfunktion des Zwischenhirns verursacht werden.
Häufigkeit
Das Prader-Willi-Syndrom tritt meist sporadisch und bei durchschnittlich einem von 15.000 bis 10.000 Kindern auf. Mädchen und Jungen sind etwa gleich häufig betroffen. In Einzelfällen sind familiäre Häufungen und Geschwisterfälle beschrieben. Bestehende Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen der aktuellen Auftrittswahrscheinlichkeit und einer intrazytoplasmatischen Spermieninjektion (ICSI) werden untersucht.
Ursachen
Das Prader-Willi-Syndrom wurde 1956 erstmals detailliert unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten von den Züricher Kinderärzten Andrea Prader, A. Labhard und Heinrich Willi beschrieben. Zum damaligen Zeitpunkt erläuterte man aber nur die einzelnen Symptome und konnte noch keine Aussagen zu den eigentlichen Ursachen machen.
Die ursprüngliche Erstbeschreibung der typischen Symptomatik geht wiederum auf Dr. John Langdon Haydon Langdon-Down zurück, der seinerzeit bereits Kinder mit dem Williams-Beuren-Syndrom beschrieb und durch die ausführliche Erstbeschreibung des nach ihm benannten Down-Syndroms bekannt wurde. Eine 21-jährige Frau mit Prader-Willi-Syndrom wurde von ihm bereits im Jahre 1864 beschrieben.
Im Jahre 1981 fand man heraus, dass es sich beim Prader-Willi-Syndrom um eine Genbesonderheit handelt und zwar um eine Unvollständigkeit des Chromosoms 15. Diese Chromosomenbesonderheit liegt bei mehr als 90% aller Menschen mit Prader-Willi-Syndrom vor.
In den letzten Jahren konnte man durch genauere genetische Markierungstechniken verschiedene Genkonstellationen bei Menschen mit Prader-Willi-Syndrom feststellen. Dabei unterscheidet man die paternale Deletion, bei der ein Stück des vom Vater geerbten Chromosoms 15 fehlt, und die maternale Deletion, bei der zwei mütterliche Chromosomen der Nummer 15 vorliegen und das des Vaters fehlt.
Kindern mit Prader-Willi-Syndrom fehlt also entweder ein kleines Stück im väterlichen Chromosom 15 (Mikrodeletion) oder sie haben zwei Chromosomen 15 von der Mutter und keines vom Vater geerbt (Uniparentale Disomie 15). Das Prader-Willi-Syndrom zählt somit zu den Besonderheiten, bei denen in der Regel ein Funktionsausfall eines Imprint-Gens als Ursache festzustellen ist.
In extrem seltenen Fällen kann es auch zu einer Deletion des mütterlichen Chromosoms 15 kommen, welches zur Ausbildung des Angelman-Syndroms führt. Gehäuft tritt diese genetische Besonderheit im verwandtschaftlichen Umfeld von Menschen mit Prader-Willi-Syndrom auf.
Die typischen Symptome des Prader-Willi-Syndroms treten bei beiden Gruppen auf, da in jedem Fall das genetische Material des Vaters unvollständig ist. Bis heute gibt es keine Erkenntnisse, wodurch genau der Gendefekt ausgelöst wird, er ist nicht vererbbar und scheint vollkommen spontan und ohne Einfluss bestimmter Umwelteinflüsse aufzutreten.
Die beobachtbaren Auswirkungen des Prader-Willi-Syndroms lassen sich zu einem Großteil auf eine fehlende Hormonfreisetzung (Gonadotropin-Releasing-Hormon) im Hypothalamus zurückführen, die durch die beschriebenen genetischen Besonderheiten verursacht werden. Die fehlerhafte Hormonfreisetzung beeinflusst andere hormonproduzierende Drüsen, beispielsweise die Schilddrüse, die Nebennieren und die Keimdrüsen (Hoden und Eierstöcke).
Auswirkungen und Merkmale
Die Folgen der fehlenden Genabschnitte sind vielfältig und können bei Menschen mit Prader-Willi-Syndrom in unterschiedlicher Weise zum Vorschein kommen.
Fast alle Neugeborenen mit einem Prader-Willi Syndrom zeigen eine ausgeprägte Muskelhypotonie (Verminderung der Muskelspannung), die sich teils schon während der Schwangerschaft bemerkbar macht. Viele Mütter berichten über verminderte Kindsbewegungen, oft ist eine Kaiserschnittentbindung aufgrund einer Beckenendlagenstellung des Kindes notwendig.
Im Neugeborenenalter zeigt sich eine durch die Muskelhypotonie bedingte Trinkschwäche. Diese kann derart ausgeprägt sein, dass eine Magensonde eingesetzt werden muss, da sonst eine ausreichende Nahrungsaufnahme nicht gewährleistet werden kann. Der Säugling schläft außerdem viel und bewegt sich während der Wachphasen vergleichsweise wenig.
Die Augen sind meist mandelförmig, Schielen (Strabismus) und Kurzsichtigkeit werden oft beobachtet. Ungewöhnlich ist ferner die unterdurchschnittliche Ausbildung der Geschlechtsorgane (Hypogenitalismus), bei Jungen wird häufig Hodenhochstand beobachtet.
Mit zunehmendem Alter werden die Kinder kräftiger und trinken besser, der Verlauf der motorischen Entwicklung (Sitzen, Krabbeln, Laufen usw.) bleibt aber verzögert.
Schon im Alter von ca. 2-3 Jahren entwickelt sich ein übermäßiges, zwanghaftes Hungergefühl, das körperliche Ursachen hat und nicht bewusst regulierbar ist. Dies führt, solange es nicht von außen streng kontrolliert wird, unweigerlich zu starkem Übergewicht (Adipositas), was durch die typische Bewegungsunlust verstärkt wird.
Erschwerend kommt eine grundsätzliche Trägheit und Schläfrigkeit hinzu, welche durch den unterdurchschnittlich niedrigen Blutdruck erklärt werden kann.
Aufgrund von Übergewicht und Muskelschwäche kann es in manchen Fällen zu einer Skoliose (Wirbelsäulen-Verkrümmung) kommen. Eine mangelhafte Muskelbeherrschung führt dazu, dass Kinder mit Prader-Willi-Syndrom kaum vor dem zweiten oder dritten Lebensjahr zu laufen beginnen.
Die Intelligenzleistungen sind eingeschränkt und reichen bis zur Grenze der sogenannten kognitiven Behinderung. Der Sprechbeginn ist verzögert, in Sprachgebrauch und Ausdrucksweise sind Probleme zu erwarten. In der Regel liegt eine Lernbehinderung vor, deren Auswirkungen sich insbesondere in den Bereichen des Kurzzeitgedächtnisses und der Abstraktionsfähigkeit zeigen. Beim Besuch der Grundschule sind von der kognitiven Leistung her üblicherweise keine Beeinträchtigungen zu erwarten, später wird eine Förderung in Sondereinrichtungen oder spezielle Hilfen nötig. Insbesondere im Kindesalter zeigen Menschen mit Prader-Willi-Syndrom viel Interesse an ihrer Umgebung und sind begierig darauf, viel zu wissen und Fragen beantwortet zu bekommen.
Die als direkte Folge der fehlenden Hormonfreisetzung unterentwickelten Geschlechtsorgane führen zu einer später einsetzenden und unvollständigen Pubertät, die mit wenigen Ausnahmen zur Unfruchtbarkeit führt. Der pubertäre Wachstumsschub bleibt aus, deshalb sind eine geringe Körpergröße (Männer durchschnittlich 1,55m, Frauen durchschnittlich 1,50m), eine veränderte Körperzusammensetzung (teilweise extreme Fettleibigkeit insbesondere an Bauch, Hüfte und Schenkel) und eine geringere Knochendichte häufig.
In dieser Phase gewinnen auch die für das Prader-Willi-Syndrom typischen Lern- und Verhaltensstörungen an Bedeutung: Die Kinder zeigen Schwierigkeiten bei der Kontaktaufnahme und Verhaltensauffälligkeiten, die gemäßigt schon ab dem dritten Lebensjahr zu erkennen sind. Diese manifestieren sich meist in massiven Trotzphasen und emotionaler Labilität, die Heranwachsenden neigen darüber hinaus zu Wutanfällen und Temperamentsausbrüchen.
Als Stärke von Kindern mit Prader-Willi-Syndrom gelten eine Reihe von Schlüsselqualifikationen: Sie werden häufig als einsichtig, freundlich, sozial, humorvoll, warmherzig und hilfsbereit beschrieben. Das Langzeitgedächtnis funktioniert meist sehr gut und abhängig vom allgemeinen Intelligenzgrad entwickeln viele Kinder mit Prader-Willi-Syndrom eine große Lust am Lesen.
Die Lebenserwartung von Menschen mit Prader-Willi-Syndrom ist zum Teil verkürzt, was vor allem durch die Fettsucht und die Folgeschäden der häufig zusätzlich auftretenden Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus) bedingt ist.
Schwierigkeiten im sozialen Umgang
Ein häufiger familiärer Streitpunkt bei einem Kind mit Prader-Willi-Syndrom ist die Frage nach dem Essen. Das starke Hungergefühl des betroffenen Kindes lässt sich nicht mit Vernunft in den Griff bekommen, da es biologischen Ursprungs ist. Oft stehlen Kinder mit Prader-Willi-Syndrom anderen Personen ihr Essen und vertilgen gar Abfälle oder Nichtessbares.
Als weitere Schwierigkeit kann sich die mitunter sehr hohe Emotionalität der Kinder herausstellen. Nur selten ist es Kindern mit Prader-Willi-Syndrom möglich, ihre Gefühle auf eine sozial akzeptierte Weise ausdrücken. Eine übertriebene und sehr starke Gefühlsäußerung ist die Folge. Eine niedrige Frustrationstoleranz kann in Folge ausschlaggebend für eine Krise sein.
Auch die Unfähigkeit, Veränderungen im Alltag zu akzeptieren, gibt immer wieder Grund zu Konflikten. Schon die vage Aussicht, dass der Tagesrhythmus gestört werden könnte, kann ein Kind mit Prader-Willi-Syndrom in Stress versetzen.
Diagnose
Um die anhand klinischer Kriterien vorgenommene Diagnose stellen zu können, müssen bei Patienten unter drei Jahren mindestens fünf der folgenden Kriterien (darunter mindestens vier Hauptkriterien) vorliegen. Bei Patienten über drei Jahren müssen insgesamt mindestens acht Kriterien (davon mindestens fünf Hauptkriterien) erfüllt sein.
Hauptkriterien sind:
- Muskuläre Hypotonie
- Fütterungsprobleme
- Massive Gewichtszunahme nach dem 12. Lebensmonat
- Charakteristisches Gesicht mit Dolichocephalie, mandelförmigen Augen und herabgezogenen Mundwinkeln
- Hypogonadismus
- Entwicklungsverzögerung
- Übermäßiger Appetit
- Deletion auf einem fünfzehnten Chromosom im Bereich 15q11-13
Nebenkriterien sind:
- Verminderte Kindsbewegungen während der Schwangerschaft
- Verhaltensauffälligkeiten
- Schlafapnoen
- Kleinwuchs
- Hypopigmentierung
- Kleine Hände und Füße
- Schmale Hände
- Fehlsichtigkeit
- Zäher Speichel
- Artikulationsprobleme
- Übermäßiges Hautkratzen
Therapie
Das Prader-Willi-Syndrom ist nicht ursächlich heilbar. Die Therapie erfolgt darum vorwiegend symptomatisch. Ob durch einen frühzeitigen Eingriff zum Ausgleich der fehlenden Hormone die Ausprägung des Prader-Willi-Syndroms gemildert werden kann, ist unter Experten noch umstritten. Jedoch gilt eine solche Wachstumshormontherapie in manchen Kreisen schon als erfolgreich, es wird auf eine Normalisierung von Körpergröße, Körperfettanteil und Muskelmasse im Rahmen von Studien verwiesen. Weiterhin sollen derartig behandelte Kinder im Laufe der Behandlung körperlich aktiver und zufriedener geworden sein, Verhaltensauffälligkeiten gingen zurück.
Es gibt verhaltenstherapeutische Methoden, welche positive Effekte auf das Verhaltensrepertoire von Menschen mit Prader-Willi-Syndrom haben können. Voraussetzung hierfür ist jedoch die Fähigkeit zu einer gewissen Selbstkontrolle über das zwanghafte Verhalten. Problematisch ist wie immer bei der konkreten Anwendung von lerntheoretischem Wissen, dass undifferenzierter Einsatz schnell zu einer Art Dressur verkommen kann.
Literatur
- T. Fährmann: Das Prader-Willi-Syndrom (2001).
- Marga Hogenboom: Menschen mit geistiger Behinderung besser verstehen. (2003). ISBN 3497016470
- Klaus Sarimski: Entwicklungspsychologie genetischer Syndrome (3. Auflage, 2003). ISBN 380171764X
- Susanne Reidelbach: Das PWS Kochbuch (2003).
- Claudia Färber: Analyse von Gensequenzen in der Prader-Willi-/Angelman-Syndrom-Region (2000). ISBN 3896757237
- Urs Eiholzer: Prader-Willi Syndrome (2001). ISBN 3805572565 (eng.)
Weblinks
- Prader-Willi-Syndrom Vereinigung Deutschland e.V.
- Österreichische Gesellschaft Prader-Willi-Syndrom
- Prader-Willi-Syndrom Vereinigung Schweiz
siehe auch: Liste der Syndrome