„Igel (Schach)“ – Versionsunterschied
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Als '''Igelstellung''' (kurz: ''Igel'') bezeichnet man eine [[Mittelspiel]]struktur beim [[Schach]], die durch eine bestimmte [[Bauer (Schach)|Bauernstruktur]] charakterisiert ist. Diese Struktur galt bis in die 1960er Jahre als unvorteilhaft, |
Als '''Igelstellung''' (kurz: ''Igel'') bezeichnet man eine [[Mittelspiel]]struktur beim [[Schach]], die durch eine bestimmte [[Bauer (Schach)|Bauernstruktur]] charakterisiert ist. Diese Struktur galt bis in die 1960er Jahre als unvorteilhaft, kam in den 1970er Jahren aufgrund der Erfolge einiger junger Großmeister in Mode und genießt heute allgemeine Anerkennung. Der Bezeichnung ''Igel'' für diese Struktur wurde in den 1970er Jahren von [[William Hartston]] geprägt. |
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== Stellungsmerkmale == |
== Stellungsmerkmale == |
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Die Igelstruktur entsteht aus der Eröffnung heraus nach dem Abtausch des c- gegen den d-Bauern. Die schwarzen Bauern stehen dabei auf a6, b6, d6 und e6. Weiße Bauern stehen auf c4 und meist auch auf e4. Weiß hat Raumvorteil; Schwarz manövriert mit seinen Figuren auf den letzten drei Reihen und wartet auf eine günstige Gelegenheit, b6-b5 oder d6-d5 spielen zu können. |
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Bei der Igelstruktur ist dadurch gekennzeichnet, dass eine Partie die |
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Auch wenn es bisher noch keine allgemein anerkannte Definition der Igelstellung gibt<ref>Bei Zeller 2000, S. 8 heißt es bezüglich der Definition der Igelstellung: "... die gestaltet sich nicht einfach, geschweige denn eindeutig". Dies wird auch an der 'Definition' deutlich, die Suba 2000, S. 43 bietet: "The Hedgehog is a manner of defence and counterattack that, to the classical eye, might appear unorthodox."</ref>, so lässt sich festhalten, dass zumindest folgende Merkmale erfüllt sein müssen, um von einer Igelstellung (aus schwarzer Sicht) sprechen zu können: |
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|Beispiel für eine Igelstellung |
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* der weiße d-Bauer wird gegen den schwarzen c-Bauern getauscht und zwar derart, dass Weiß anschließend über die [[Halboffene Linie|halboffene]] d-Linie, Schwarz hingegen über die halboffene c-Linie verfügt. Üblicherweise findet dieser Tausch auf dem Feld d4 (wenn Schwarz zuerst schlägt) oder c5 (wenn Weiß zuerst schlägt) statt |
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* die schwarzen Bauern (ausgenommen den bereits abgetauschten c-Bauern) ziehen zunächst nicht über die 6. Reihe hinaus |
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* der schwarze e-Bauer steht auf e6 |
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* der weiße c-Bauer steht auf c4 |
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== Historische Entwicklung == |
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Darüber hinaus ist es üblich, |
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* dass Schwarz den Damenläufer auf die Diagonale a8-h1 bringt, was gemeinhin mit einem [[Fianchetto]] nach b7 geschieht |
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* die Bauern vorerst auf h7 (h6), g7 (g6), f7, d6, b6 und a6 stellt bzw. belässt |
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* und den Damenspringer nicht nach c6 zieht (wo er dem Damenläufer im Weg stünde und Gegenspiel auf der c-Linie erschwerte<ref>Instruktiv sind hierzu jene Partien, in denen Schwarz seinen zunächst nach c6 gespielten Damenspringer meist über e5 umgruppiert, um eine harmonischere Figurenaufstellung zu erhalten. Dies geschieht häufig in Eröffnungen, in denen der Sc6 zunächst richtig steht, aber sich in dem Moment als störend erweist, in dem sich die Struktur in einen Igel verwandelt. Vgl. hierzu die folgenden mit der [[Englische Symmetrievariante|Englischen Symmetrievariante]] eröffneten Partien: [http://www.chessgames.com/perl/chesslike.pl?gid=1472992]</ref>), sondern nach d7<ref>Vgl. hierzu das insbesondere in der Taimanov-Variante der Sizilianischen Verteidigung vorkommende Manöver, den im Igelsinne schlecht stehenden Sc6 über e5 oder b8 nach d7 umzugruppieren; siehe z. B. den schwarzen 11. Zug in [http://www.chessgames.com/perl/chessgame?gid=1305817 Sandipan - Nisipeanu, Pune 2004].</ref> sowie den Königsspringer nach f6 |
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* während Weiß seinen e-Bauern nach e4 zieht. |
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Bis in die 1960er Jahre galt die Igelstellung als unregelmäßige Struktur. Die allgemeine Meinung war, dass Schwarz eine gedrückte Stellung hat und zu passiver Verteidigung verdammt ist. Starke Spieler vermieden diese Struktur meist. Allerdings hat [[Friedrich Sämisch|Fritz Sämisch]] in den 1920er Jahren gegen [[Karel Opočenský]] und [[Alexander Alexandrowitsch Aljechin|Alexander Aljechin]] einen Igel-Aufbau gewählt. Eine Igelstellung stand auch bei einer 1967 in Moskau gespielten Partie der beiden Exweltmeister [[Michail Moissejewitsch Botwinnik|Michail Botwinnik]] und [[Wassili Wassiljewitsch Smyslow|Wassili Smyslow]] auf dem Brett. |
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Stellungen, die nur einen Teil der Mindestmerkmale erfüllen (z. B. weißer c-Bauer auf c2 statt c4 <ref>Vgl. zu den damit einhergehenden prinzipiellen Unterschieden insbesondere Zeller 2000, S. 12-13.</ref> oder schwarzer Bauer auf e7 statt e6 <ref>Vgl. z. B. hierzu den Partiekommentar von [[Daniel King]] zu [http://www.schuenemann-verlag.de/schach-magazin/training/TTExample/TestExample.pdf Krivoshey - Andersson, Bundesliga 2004].</ref>) werden gemeinhin als ''igelartig'' bezeichnet. |
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Als Pionier des Igelaufbaus gilt der jugoslawische Großmeister [[Ljubomir Ljubojević]]. Er führte diese Struktur 1973 als Erwiderung auf die [[Englische Eröffnung]] in die Großmeisterpraxis ein und war damit in diesem Jahr gegen [[Vlastimil Hort]], [[Lew Polugajewski]], [[Wolfgang Uhlmann]], [[Lajos Portisch]] und [[Arturo Pomar Salamanca|Arturo Pomar]] erfolgreich. Ljubojevics Erfolge überzeugten seinen Freund, [[Ulf Andersson]], ebenfalls so zu spielen. 1975 gelang es Andersson, [[Anatoli Jewgenjewitsch Karpow|Anatoli Karpow]] mit dem Igelaufbau dessen erste Niederlage als Weltmeister beizubringen.<ref>[http://www.chessgames.com/perl/chessgame?gid=1019693 Karpov - Andersson, Milano 1975]</ref> |
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Der Igel wird vor allem von den Schwarzspielern angewendet, gelegentlich auch von Weiß (siehe hierzu z. B. die Partie [[Robert James Fischer|Fischer]] – [[Ulf Andersson|Andersson]], Siegen 1970<ref>[http://www.chessgames.com/perl/chessgame?gid=1019452]: Strenggenommen handelt es sich hierbei lediglich um eine ''igelartige'' Position, da der schwarze c-Bauer auf c7 verbleibt und folglich nicht gegen den weißen d-Bauern abgetauscht wird.</ref>). |
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Bald nahmen zahlreiche Großmeister den Igel-Aufbau in ihr Repertoire auf, darunter [[Florin Gheorghiu]], [[Lajos Portisch]], [[Zoltan Ribli]], [[András Adorján (Schachspieler)|András Adorjan]] und [[Lew Polugajewski]]. Auch Karpow selbst verteidigte sich 1975 und 1977 zweimal mit dem Igel. Anfang der 1980er Jahre folgten die jungen Großmeister [[Lew Psachis]], [[Lubomir Ftacnik]] und [[Garri Kasparow]] diesem Modetrend. Beim Interzonenturnier 1979 in Riga musste Adorjan mit Schwarz gegen [[Tony Miles]] unbedingt gewinnen, um sich für die Kandidatenwettkämpfe zu qualifizieren. Er wählte den Igel und gewann eine Glanzpartie. Eine weitere spektakuläre und bekannte Partie gewann Ftacnik bei den Schacholympiade 1982 in Luzern gegen Polugajewski.<ref>[http://www.chessgames.com/perl/chessgame?gid=1045547 Polugajewski - Ftacnik, Luzern 1982]</ref> |
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Wichtige Beiträge zur Popularisierung des Igels unter deutschen Vereinsspielern leisteten |
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[[Matthias Wahls]], der eine Serie von Zeitschriftenaufsätzen über den Igel geschrieben hat<ref>Vgl. Wahls 2002 ff.</ref> und [[Frank Zeller]], der die erste ausführliche Monographie zum Thema in deutscher Sprache geschrieben hat.<ref>Vgl. Frank Zeller: ''Sizilianisch im Geiste des Igels''. Kania, Schwieberdingen 2000. Vgl. außerdem Zeller 2004, S. 27-49.</ref> |
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== Entstehung == |
== Entstehung == |
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Igelstellungen entstehen nur dann, wenn beide Seiten damit einverstanden sind - Weiß hat die Möglichkeit, dem Igel auszuweichen, indem er entweder seinen c-Bauern nicht nach c4 stellt oder indem er frühzeitig d2-d4 spielt und c7-c5 mit d4-d5 beantwortet. Sie können aus verschiedenen Eröffnungen entstehen, wie zum Beispiel aus der [[Englische Eröffnung|Englischen Eröffnung]], aus [[Sizilianische Verteidigung|Sizilianisch]], aus [[Nimzowitsch-Indische Verteidigung|Nimzoindisch]] oder aus [[Damenindische Verteidigung|Damenindisch]]. Klassische Zugfolgen sind |
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Igelstellungen entstehen - aufgrund des dort charakteristischen frühzeitigen Tausches des schwarzen c-Bauern gegen den weißen d-Bauern - vor allem in der [[Englischer Igel|Englischen Eröffnung]] und der [[Sizilianische Verteidigung|Sizilianischen Verteidigung]]. Es sind aber viele Zugfolgen möglich; kaum eine Mittelspielposition kann über so viele verschiedene Eröffnungen erreicht werden wie die Igelstellung. Über das bereits erwähnte ''Englisch'' und ''Sizilianisch'', in dem allein schon sehr viele Varianten zum Igel führen können,<ref> Wahls 2002, Heft 10, S. 58-60 listet allein 19 verschiedene Sizilianisch-Igel auf.</ref> wären ferner die [[Nimzowitsch-Indische Verteidigung]], die [[Damenindische Verteidigung]],<ref> Vgl. hierzu z. B. die Blitzpartie [http://www.chessbase.de/2008/moskautalblitz/komplett.htm Ivanchuk - Carlsen, Moskau 2008].</ref>, die [[Bogoljubow-Indische Verteidigung]], die [[Königsindische Verteidigung]], [[Grünfeld-Indisch]] im Anzug, das [[Damenbauernspiel]], Anti-[[Benoni]] und einige unregelmäßige Spielanfänge (z. B. 1.b3 b6 2.c4 c5) zu nennen.<ref> Eine sehr ausführliche Auflistung der Spielanfänge, die zum Igel führen können, findet sich bei Wahls 2002, Heft 10, S. 58-60 und Heft 11, S. 46-48. Wahls betont, dass seine Auflistung, die über 50 verschiedenen Zugfolgen angibt, nicht vollständig ist.</ref> Hieran wird deutlich, dass es sich beim Igel nicht um eine eigenständige Eröffnung handelt, als die er manchmal fälschlich bezeichnet wird.<ref>"The Hedgehog cannot be an independent system because its set-up reqires mutual co-operation", heißt es dazu bei Suba 2000, S. 43, der ebenda daraus schließt: "It is more of a style than an opening". Entsprechend schreibt Wahls [http://www.wahls.co.uk/igel.htm]: "Der Igel ist keine durch eine bestimmte Zugfolge definierte Eröffnung (...)". - Das Missverständnis, dass es sich beim Igel um eine Eröffnung handle, wird u. a. auch durch den Mangel an kohärenter begrifflicher Präzision am Leben erhalten. So bezeichnet z. B. Wahls selbst - in Widerspruch zu seiner gerade zitierten Definition - den Igel mehrfach als Eröffnung: "Der Igel ist das Paradebeispiel einer Kontereröffnung" (Wahls 2003, S. 43). </ref> Einen eigenen [[ECO-Codes|Eröffnungscode]] (A 30) besitzt lediglich der sogenannte [[Englischer Igel|englische Igel]]<ref> Vgl. Jószef Pálkövi: ''Das Igel-System gegen die Englische Eröffnung.'' Heiden 1997.</ref>; dies hat seinen Grund vor allem darin, dass es sich beim [[Englische Symmetrievariante|Symmetrischen Englisch]] um die Eröffnung handelt, in der - insbesondere im Vergleich zu bloß igelartigen Strukturen - die 'reinsten' Igelstellungen entstehen.<ref> Vgl. John Watson: Geheimnisse der modernen Schachstrategie. Fortschritte seit Nimzowitsch. London 2002, S. 145.</ref> |
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1. Sf3 Sf6 2. c4 c5 3. g3 b6 4. Lg2 Lb7 5. 0-0 e6 6. Sc3 Le7 7. d4 cxd4 8. Dxd4 d6 |
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Die Igelstellung gilt aufgrund ihrer vielfältigen [[Strategie (Schach)|strategischen]] Pläne und zahlreichen [[Taktik (Schach)|taktischen]] Motive als schwierig zu spielende Mittelspielstruktur.<ref> Eine Übersicht der strategischen und taktischen Motive bieten Grabitz 1990 und Wahls 2002 ff.</ref> Insbesondere hinsichtlich präziser Zugfolgen wird vor allem vom Schwarzspieler ein erhöhtes Maß an Aufmerksamkeit verlangt. Hinzu tritt die ungewöhnliche psychologische Anforderung, sich innerhalb weniger Züge von einer scheinbar ruhigen Stellung, in der beide Seiten solide stehen und Zeit haben fürs Manövrieren und für [[Prophylaxe (Schach)|Prophylaxe]], auf eine offene Stellung voller Dynamik umzustellen, in der es ausschließlich um [[Initiative (Schach)|Initiative]] und [[Tempo (Schach)|Tempo]] geht. Diese radikale Änderung des Stellungscharakters leitet normalerweise (als Igelspieler) Schwarz ein, indem er das weiße Zentrum insbesondere mit den Bauernvorstößen d6-d5<ref> Vgl. z. B. [http://www.chessgames.com/perl/chessgame?gid=1019693 Karpov - Andersson, Milano 1975, 24. Zug von Schwarz].</ref> und b6-b5<ref> Vgl. z. B. [http://www.chessgames.com/perl/chessgame?gid=1067215 Karpov - Kasparov, Leningrad 1986, 24. Zug von Schwarz].</ref> (seltener e6-e5, f7-f5<ref> Vgl. z. B. [http://www.chessgames.com/perl/chessgame?gid=1067996 Karpov - Gheorghiu, Moskau 1977, 26. Zug von Schwarz].</ref>, g7-g5<ref> Angeblich stammt die Idee dieses Vorstoßes mit dem g-Bauern aus Fischers weißem Igel gegen Andersson; vgl. [http://www.chessgames.com/perl/chessgame?gid=1019452 Fischer - Andersson, Siegen, 16. Zug von Weiß]. Für die Umsetzung dieser Idee mit Schwarz vgl. [http://www.chessgames.com/perl/chessgame?gid=1315128 Anand - Morosewitsch, Calvià 2004, 21. Zug von Schwarz] und dazu Anands Partiekommentar in: ''Schach. Die Zeitschrift mit Tradition und Anspruch''. Heft 12, 2004, 58. Jg., S. 21-24.</ref> und h7-h5<ref> Vgl. z. B. [http://www.chessgames.com/perl/chessgame?gid=1045547 Polugajewski - Ftacnik, Luzern 1982, 17. Zug von Schwarz].</ref>) zu unterminieren beginnt. Der weiße Raumvorteil entpuppt sich dabei nicht selten als eine große Bürde, da er nur mit potentiell schwächenden Bauernzügen erreicht werden kann.<ref>Bei Suba 2000, S. 43 heißt es in diesem Zusammenhang, dass der Igel "may turn sailing dogmatism into painful ballast". Entsprechend lautet es bei Wahls [http://www.wahls.co.uk/igel.htm]: "Expandiert der Weiße in unbekümmerter Weise, können [die gebündelten Kräfte der Igelstellung] mit verheerender Wirkung freigesetzt werden".</ref> Gelingt es Schwarz umgekehrt allerdings nicht, diese potentiellen Schwächen auszunutzen oder zu provozieren, kann er häufig nur abwarten und keine eigene Initiative entwickeln. Insofern ist die Igelstellung vorwiegend bei Konterspielern beliebt, die den Gegner dazu verführen, seine Position zu überziehen, um ihn dann im Gegenangriff auszuspielen.<ref> Vgl. hierzu Wahls 2003, S. 43: "Der Igel ist das Paradebeispiel einer Kontereröffnung. (...) Die Idee hinter der Kontereröffnung ist übrigens sehr rational. 'Warum', sagt sich der Konterspezialist, 'soll ich einen Gegner angreifen, der vor Kraft kaum laufen kann? Ich warte lieber, bis er sich ausgetobt hat und mir seine Schwächen offenbart'". Vgl. ebd. auch Wahls' Ausführungen zum besonderen Verhältnis von Weiß und Schwarz im Igel.</ref>Dies ist auch der Hauptgrund, warum der Igel vorwiegend mit Schwarz angestrebt wird. |
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1. e4 c5 2. Sf3 e6 3. d4 cxd4 4. Sxd4 Sc6 5. Sb5 d6 6. c4 Sf6 7. S1c3 a6 8. Sa3 Le7 9. Le2 0-0 10. 0-0 b6. |
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== Bedeutende Protagonisten == |
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Weiß kann den Igel auf verschiedene Arten bekämpfen: Mit den Läufern auf e2 und e3, mit den Läufern auf g2 und b2 oder mit den Läufern auf b2 und d3. |
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Als „Entdecker“ dieser Struktur gelten der schwedische [[Großmeister (Schach)|GM]] [[Ulf Andersson]] und der jugoslawische GM [[Ljubomir Ljubojević|Ljubomir Ljubojevic]], die zu Beginn der 1970er Jahre diesen Aufbau in zahlreichen Partien angewendet haben. Zwar kam die Struktur als solche bereits in weitaus älteren Partien vor (siehe z. B. [[Dawid Przepiórka|Przepiórka]] – [[Ernst Grünfeld|Grünfeld]], Debrecen 1925, in der Weiß eine Igelstellung hat<ref>[[Dawid Przepiórka|Przepiórka]] – [[Ernst Grünfeld|Grünfeld]], Debrecen 1925 [http://www.queensac.com/chessblog/bookgames/thehedgehog.htm].</ref>), aber erst aufgrund der immer regelmäßiger vorkommenden Partien in den 70er Jahren begann man ihre Besonderheiten zu verstehen. |
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Der Igel wurde und wird von nahezu allen Weltklassespielern der vergangenen Jahre gespielt.<ref> Vgl. hierzu die ausführliche Liste der Igelpartien, die auf der Diskussionsseite [http://de.wikipedia.org/wiki/Diskussion:Igelstellung] zu finden ist.</ref> Von den aktuellen Weltklassepielern [Stand: Januar 2007] wendet besonders der rumänische GM [[Liviu-Dieter Nisipeanu]] den Igel regelmäßig an.<ref>Vgl. z. B. [[Chanda Sandipan|Sandipan]] - Nisipeanu, Pune 2004 [http://www.chessgames.com/perl/chessgame?gid=1305817]und dazu den Partiekommentar von King 2004. Weitere Igelpartien Nisipeanus unter [http://www.chessgames.com/perl/chess.pl?pid=10915&playercomp=black&opening=A30-A39&title=Liviu%20Dieter%20Nisipeanu%20playing%20the%20English,%201%20c4%20c5%20as%20Black].</ref> |
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In der Igelstellung steht Weiß oft objektiv besser. Um aber die schwarze Verteidigung zu überwinden, muss er taktisch sehr präzise spielen, was viele Weißspieler überfordert. Andererseits ist der Igel für Schwarz sehr leicht zu spielen: Er verteidigt seine Position und wartet ab, bis Weiß aktiv wird oder bis sich eine günstige Gelegenheit für einen Vorstoß im Zentrum ergibt. Dann müssen sich beide Spieler vom ruhigen positionellen Manövrieren auf eine offene Stellung voller Dynamik, auf ein konkretes Spielen von Zug zu Zug umstellen. Neben der passiven Verteidigung und dem Warten auf die Vorstößen d6-d5 oder b6-b5 kann Schwarz in manchen Stellungen außerdem eine Expansion am Königsflügel mit Kg8-h8, Tf8-g8, g7-g5, Tg8-g6 und Tc8-g8 anstreben. |
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Zu den heutigen Experten der Igelstellung werden in Deutschland GM [[Matthias Wahls]] gezählt, der durch zahlreiche Zeitschriften-Aufsätze den Igel in der deutschen Schachöffentlichkeit zu einer großen Bekanntheit verholfen hat,<ref>Vgl. Wahls 2002 ff.</ref> sowie der [[Internationaler Meister|IM]] [[Frank Zeller]], der die erste ausführliche deutsche Monographie zum Thema geschrieben hat.<ref>Vgl. Frank Zeller: ''Sizilianisch im Geiste des Igels''. Kania, Schwieberdingen 2000. Vgl. außerdem Zeller 2004, S. 27-49.</ref> International werden neben den bereits erwähnten GM Andersson und Ljubojevic insbesondere GM [[Mihai Suba]]<ref>Vgl. Mihai Suba: ''The Hedgehog''. London 2000. Subas Buch behandelt hauptsächlich den [[Englischer Igel|englischen Igel]].</ref> als auch GM [[Florin Gheorghiu]]<ref> Igelpartien Gheorghius finden sich hier [http://www.chessgames.com/perl/chess.pl?pid=23006&playercomp=black&eco=A30].</ref> als Kenner dieses Aufbaus angesehen. |
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== Literatur == |
== Literatur == |
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*[http://www.wahls.co.uk/igel.htm Matthias Wahls über den Igel] |
*[http://www.wahls.co.uk/igel.htm Matthias Wahls über den Igel] |
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*[http://www.queensac.com/chessblog/bookgames/thehedgehog.htm Mihai Subas Partiensammlung zum Igel] |
*[http://www.queensac.com/chessblog/bookgames/thehedgehog.htm Mihai Subas Partiensammlung zum Igel] |
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== Beispielpartien == |
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Eine ausführliche Sammlung von Igelpartien findet sich auf der Diskussionsseite[http://de.wikipedia.org/wiki/Diskussion:Igelstellung]. |
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*[http://www.chessgames.com/perl/chessgame?gid=1019693 Karpov - Andersson, Milano 1975] |
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*[http://www.chessgames.com/perl/chessgame?gid=1045547 Polugajewski - Ftacnik, Luzern 1982 vgl. Partie-Kommentar bei Löffler/Ftacnik 2001] |
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*[http://www.skengen.de/texts/schachspalte02.html Strauss - Gurevich, USA 1985 mit Kommentar] |
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*[http://www.webstile.ch/schach/partien/Projects/kasparov_deepjunior04.htm Deep Junior - Kasparov, New York 2003 mit Kommentar] |
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*[http://www.rochadekuppenheim.de/meko/meko5/schach36.htm Braun - Sulskis, Wien 2005 mit Kommentar] |
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[[Kategorie:Schachstrategie]] |
[[Kategorie:Schachstrategie]] |
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Version vom 25. Februar 2009, 22:55 Uhr
Als Igelstellung (kurz: Igel) bezeichnet man eine Mittelspielstruktur beim Schach, die durch eine bestimmte Bauernstruktur charakterisiert ist. Diese Struktur galt bis in die 1960er Jahre als unvorteilhaft, kam in den 1970er Jahren aufgrund der Erfolge einiger junger Großmeister in Mode und genießt heute allgemeine Anerkennung. Der Bezeichnung Igel für diese Struktur wurde in den 1970er Jahren von William Hartston geprägt.
Stellungsmerkmale
Die Igelstruktur entsteht aus der Eröffnung heraus nach dem Abtausch des c- gegen den d-Bauern. Die schwarzen Bauern stehen dabei auf a6, b6, d6 und e6. Weiße Bauern stehen auf c4 und meist auch auf e4. Weiß hat Raumvorteil; Schwarz manövriert mit seinen Figuren auf den letzten drei Reihen und wartet auf eine günstige Gelegenheit, b6-b5 oder d6-d5 spielen zu können.
| a | b | c | d | e | f | g | h | ||
| 8 | 8 | ||||||||
| 7 | 7 | ||||||||
| 6 | 6 | ||||||||
| 5 | 5 | ||||||||
| 4 | 4 | ||||||||
| 3 | 3 | ||||||||
| 2 | 2 | ||||||||
| 1 | 1 | ||||||||
| a | b | c | d | e | f | g | h |
Historische Entwicklung
Bis in die 1960er Jahre galt die Igelstellung als unregelmäßige Struktur. Die allgemeine Meinung war, dass Schwarz eine gedrückte Stellung hat und zu passiver Verteidigung verdammt ist. Starke Spieler vermieden diese Struktur meist. Allerdings hat Fritz Sämisch in den 1920er Jahren gegen Karel Opočenský und Alexander Aljechin einen Igel-Aufbau gewählt. Eine Igelstellung stand auch bei einer 1967 in Moskau gespielten Partie der beiden Exweltmeister Michail Botwinnik und Wassili Smyslow auf dem Brett.
Als Pionier des Igelaufbaus gilt der jugoslawische Großmeister Ljubomir Ljubojević. Er führte diese Struktur 1973 als Erwiderung auf die Englische Eröffnung in die Großmeisterpraxis ein und war damit in diesem Jahr gegen Vlastimil Hort, Lew Polugajewski, Wolfgang Uhlmann, Lajos Portisch und Arturo Pomar erfolgreich. Ljubojevics Erfolge überzeugten seinen Freund, Ulf Andersson, ebenfalls so zu spielen. 1975 gelang es Andersson, Anatoli Karpow mit dem Igelaufbau dessen erste Niederlage als Weltmeister beizubringen.[1]
Bald nahmen zahlreiche Großmeister den Igel-Aufbau in ihr Repertoire auf, darunter Florin Gheorghiu, Lajos Portisch, Zoltan Ribli, András Adorjan und Lew Polugajewski. Auch Karpow selbst verteidigte sich 1975 und 1977 zweimal mit dem Igel. Anfang der 1980er Jahre folgten die jungen Großmeister Lew Psachis, Lubomir Ftacnik und Garri Kasparow diesem Modetrend. Beim Interzonenturnier 1979 in Riga musste Adorjan mit Schwarz gegen Tony Miles unbedingt gewinnen, um sich für die Kandidatenwettkämpfe zu qualifizieren. Er wählte den Igel und gewann eine Glanzpartie. Eine weitere spektakuläre und bekannte Partie gewann Ftacnik bei den Schacholympiade 1982 in Luzern gegen Polugajewski.[2]
Wichtige Beiträge zur Popularisierung des Igels unter deutschen Vereinsspielern leisteten Matthias Wahls, der eine Serie von Zeitschriftenaufsätzen über den Igel geschrieben hat[3] und Frank Zeller, der die erste ausführliche Monographie zum Thema in deutscher Sprache geschrieben hat.[4]
Entstehung
Igelstellungen entstehen nur dann, wenn beide Seiten damit einverstanden sind - Weiß hat die Möglichkeit, dem Igel auszuweichen, indem er entweder seinen c-Bauern nicht nach c4 stellt oder indem er frühzeitig d2-d4 spielt und c7-c5 mit d4-d5 beantwortet. Sie können aus verschiedenen Eröffnungen entstehen, wie zum Beispiel aus der Englischen Eröffnung, aus Sizilianisch, aus Nimzoindisch oder aus Damenindisch. Klassische Zugfolgen sind
1. Sf3 Sf6 2. c4 c5 3. g3 b6 4. Lg2 Lb7 5. 0-0 e6 6. Sc3 Le7 7. d4 cxd4 8. Dxd4 d6
und
1. e4 c5 2. Sf3 e6 3. d4 cxd4 4. Sxd4 Sc6 5. Sb5 d6 6. c4 Sf6 7. S1c3 a6 8. Sa3 Le7 9. Le2 0-0 10. 0-0 b6.
Weiß kann den Igel auf verschiedene Arten bekämpfen: Mit den Läufern auf e2 und e3, mit den Läufern auf g2 und b2 oder mit den Läufern auf b2 und d3.
Strategische und psychologische Motive
In der Igelstellung steht Weiß oft objektiv besser. Um aber die schwarze Verteidigung zu überwinden, muss er taktisch sehr präzise spielen, was viele Weißspieler überfordert. Andererseits ist der Igel für Schwarz sehr leicht zu spielen: Er verteidigt seine Position und wartet ab, bis Weiß aktiv wird oder bis sich eine günstige Gelegenheit für einen Vorstoß im Zentrum ergibt. Dann müssen sich beide Spieler vom ruhigen positionellen Manövrieren auf eine offene Stellung voller Dynamik, auf ein konkretes Spielen von Zug zu Zug umstellen. Neben der passiven Verteidigung und dem Warten auf die Vorstößen d6-d5 oder b6-b5 kann Schwarz in manchen Stellungen außerdem eine Expansion am Königsflügel mit Kg8-h8, Tf8-g8, g7-g5, Tg8-g6 und Tc8-g8 anstreben.
Literatur
- David Cummings: The Hedgehog. In: ders.: Symmetrical English, Everyman, London 2001, S. 7-27. ISBN 1-85744-292-X
- Magnus Georg Grabitz: Schach für Igel. Die „Fabel“-hafte Einführung in ein aktuelles Mittelspielsystem. Düsseldorf 1990, ISBN 3-7919-0332-2
- Efstratios Grivas: Straight into the Endgame. In: New in Chess Yearbook, Nr. 81, 2006.
- Anatoli Karpow: [Partieanalysen zu Karpow - Ftacnik, Thessaloniki 1988[1]; Kortschnoi - Greenfeld, Beer Sheva 1990[2]; Anand - Milov, Biel 1997[3]; Karpov - Adams, Wijk aan Zee 1998 [4]; Kramnik - Kasparov, London 2000 [5]. In: ders.: Englisch...richtig gespielt. Beyer, Hollfeld ²2003, S. 95-112, 129-132 und 136-143. ISBN 3-88805-479-6
- Garry Kaspararov: 'Hedgehog' System; In: ders.: Revolution in the 70s. Everyman Chess, 2007
- Alexander Khalifman: The Hedgehog & Double Fianchetto Systems. In: ders.: 1.Sf3 - Opening for White according to Kramnik. Chess Stars, Sofia 2001. Bd. 2, Kap. 3, S. 64-119. ISBN 954-8782-18-9
- Daniel King: Test und Training [Partiekommentar zu Sandipan - Nisipeanu, Pune 2004]. In: Schach Magazin 64, Nr. 23, 2004, S. 635-637, ISSN 0721-9539
- Stefan Löffler/Lubomir Ftacnik: Verschollen im Informator [Lubomir Ftacnik über seine Igel-Partie gegen Polugajewski, Luzern 1982 [6]. In: Karl. Die kulturelle Schachzeitung, 2, 2001, S. 50-53.
- Mihail Marin: Symmetrical Hedgehog. In: New in Chess Yearbook, Nr. 35, 1995.
- Mihail Marin: Symmetrical Hedgehog. In: New in Chess Yearbook, Nr. 44, 1997.
- Jószef Pálkövi: Das Igel-System gegen die Englische Eröffnung. Heiden 1997.
- Mihai Suba: Dynamic Chess Strategy. Oxford, Pergamon 1991. ISBN 0-08-037141-8
- Mihai Suba: The Hedgehog. London 2000, ISBN 0-7134-8696-1
- Paul van der Sterren: Symmetrical Hedgehog. In: New in Chess Yearbook, Nr. 16, 1990.
- Paul van der Sterren: Symmetrical Hedgehog. In: New in Chess Yearbook, Nr. 43, 1997.
- Matthias Wahls: Der Igel [Aufsatz-Serie]. In: Schach. Die Zeitschrift mit Tradition und Anspruch, 2-11 (2002), 1-4, 6-8, 10-11 (2003), 1, 3, 6-7, 10 (2004), 2, 5, 10, 12 (2005), ISSN 0048-9328
- Frank Zeller: Sizilianisch im Geiste des Igels. Kania, Schwieberdingen 2000, ISBN 3-931192-15-6
- Frank Zeller: Ein Beitrag zur Igelpraxis. In: ders.: Einblicke in die Meisterpraxis. Eröffnungsvorbereitung und Psychologie, Angriff und Verteidigung: Fischers Lc4-Sizilianisch, Igelstrategien und vieles mehr. Kania, Schwieberdingen 2004, S. 27-40. ISBN 3-931192-27-X
- Frank Zeller: Die klassische Formation gegen den Igelspieler. In: ders.: Einblicke in die Meisterpraxis. Eröffnungsvorbereitung und Psychologie, Angriff und Verteidigung: Fischers Lc4-Sizilianisch, Igelstrategien und vieles mehr. Kania, Schwieberdingen 2004, S. 41-49. ISBN 3-931192-27-X
Einzelnachweise
- ↑ Karpov - Andersson, Milano 1975
- ↑ Polugajewski - Ftacnik, Luzern 1982
- ↑ Vgl. Wahls 2002 ff.
- ↑ Vgl. Frank Zeller: Sizilianisch im Geiste des Igels. Kania, Schwieberdingen 2000. Vgl. außerdem Zeller 2004, S. 27-49.