G’schamster Diener und Forkhead-Box-Protein P2: Unterschied zwischen den Seiten
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[[Bild:FOXP2 with codons 01.png|thumb|[[Idiogramm]] des FOXP2-Gens. Es liegt auf dem q-Arm (langer Arm) von [[Chromosom 7 (Mensch)|Chromosom 7]]. Rechts in Blau die 17 Codons von FOXP2.]] |
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'''G'schamster Diener''' ist ein [[Liste von Austriazismen|österreichischer Ausdruck]], für ''Ihr gehorsamster Diener''. Diese Höflichkeitsfloskel wird besonders in [[Wien]] sowohl als Begrüßungs- wie auch als Verabschiedungsformel, ähnlich wie [[Servus]] benutzt. |
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[[Kategorie: Grußhandlung]] |
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Das '''FOXP2-Gen''' ([[Englische Sprache|engl.]] Abkürzung für ''Forkhead-Box P2'') ist ein zur Klasse der [[Forkhead-Box-Gen]]e zählendes [[Gen]]. |
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Das FOXP2-Gen spielt beim [[Spracherwerb]]<ref name="pmid10880297">C. Lai u.a., ''The SPCH1 region on human 7q31: genomic characterization of the critical interval and localization of translocations associated with speech and language disorder.'' In: ''Am J Hum Genet'', 67/2000, S.357–68. PMID 10880297</ref>, einschließlich [[Grammatik|grammatikalischer]] Fähigkeiten, eine große Rolle. Entdeckt wurde dieses Gen erstmals bei Untersuchungen eine Londoner Familie. |
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Der Name ''Forkhead-Box'' leitet sich von einer bei Fruchtfliegen (''[[Drosophila melanogaster]]'') beobachteten [[Mutation]] ab, die eine gabelartige Veränderung des Kopfes zur Folge hat. Mittlerweile wurde jedoch eine Vielzahl von FOX-Genen identifiziert, die in den unterschiedlichsten Organismen zum Teil völlig verschiedene Aufgaben haben. |
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== Grundlagen == |
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Als Gen bezeichnet man einen Abschnitt auf der [[Desoxyribonukleinsäure]] (DNA), der die Grundinformationen zur Herstellung einer biologisch aktiven [[Ribonukleinsäure]] (RNA) enthält. Bei diesem als [[Transkription (Biologie)|Transkription]] bezeichneten Herstellungsprozess wird eine Negativkopie in Form der RNA hergestellt. Von der [[mRNA]] wird während der [[Translation (Biologie)|Translation]] ein Protein übersetzt. Dieses Protein übernimmt im Körper eine ganz spezifische Funktion, die auch als [[Merkmal]] bezeichnet werden kann. Allgemein werden Gene daher als Erbanlage oder Erbfaktor bezeichnet, da sie die Träger von [[Erbinformation]] sind, die durch [[Reproduktion]] an die [[Nachkomme]]n weitergegeben werden. |
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Das FOXP2-Gen kodiert für einen [[Transkriptionsfaktor]]. Transkriptionsfaktoren sind [[Protein]]e, welche die [[Transkription (Biologie)|Ableserate]] anderer Gene beim Transfer von der DNA zur RNA steuern. Sie beeinflussen somit welche Proteine die entsprechende Zelle produziert.<ref>[http://www.mpg.de/bilderBerichteDokumente/dokumentation/pressemitteilungen/2007/pressemitteilung20071128/index.html ''Schlechte Gesangsschüler – Wissenschaftler schalten das Gen FOXP2 bei Zebrafinken stumm und kriegen was zu hören.''], Max-Planck-Gesellschaft, Pressemitteilung vom 4. Dezember 2007</ref> |
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Bild:Human male karyotpe high resolution.jpg|Die 23 Chromosomenpaare eines Menschen |
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Bild:Chromosom_01.svg|Schematische Darstellung eines Chromosoms |
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Bild:Transkription Translation 01.jpg|Schematische Darstellung der Transkription und Translation |
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== Bedeutung == |
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Unter den bisher bekannten Genen ist FOXP2 das wichtigste für eine spezifisch menschliche Eigenschaft. Mit Hilfe der [[Paläogenetik]] wurde festgestellt, dass diese Genvariante zwischen 100.000 und maximal 200.000 Jahre alt ist. Dieser Zeitpunkt deckt sich mit dem von [[Paläoanthropologie|Paläoanthropologen]] datierten Geburtstag der [[Art (Biologie)|Spezies]] [[Mensch]].<ref>[http://www.wissenschaft-online.de/artikel/602978 U. Bahnsen, ''Paläogenetik''] In: ''Zeit Wissen'', 34/2002</ref> Evolutionsgeschichtlich ist dies deutlich später als der ebenfalls per Paläogenetik ermittelte Zeitpunkt der Aufspaltung [[Evolutionärer Stammbaum|evolutionären Stammbaum]] zwischen ''[[Mensch|Homo sapiens]]'' und ''[[Neandertaler|Homo neanderthalensis]]'' vor etwa 500.000 Jahren. Aus diesen Daten wird deshalb nach dem gegenwärtigen Kenntnisstand geschlossen, dass der Neandertaler nicht über unsere Sprachfähigkeit verfügte.<ref>[http://www.bio-pro.de/de/region/rhein/magazin/03000/index.html E. D. Jarasch, ''Genetische Spuren der Menschwerdung''], vom 22. Dezember 2006</ref> |
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Einige [[Anthropologie|Anthropologen]] vertreten die Meinung, dass die schnelle Verbreitung des für den Spracherwerb so elementaren FOXP2-Gens für die These spricht, dass Sprache die treibende Kraft bei der Ausbreitung des Menschen auf der Erde war.<ref>J. Müller-Jung, ''[[Frankfurter Allgemeine Zeitung]]'', Ausgabe vom 15. August 2002</ref><ref>F. Carmine, ''Genomtechnologie und Stammzellforschung- ein verantwortbares Risiko?'' Govi-Verlag Eschborn, 2003, S.53. ISBN 3-774-11000-X</ref> Die Bezeichnung „Sprachgen“ für das FOXP2-Gen ist in den [[Medien]] weitgehend popularisiert worden, aber per se nicht korrekt, da beispielsweise auch Mäuse dieses Gen in ihrer DNA tragen.<ref>P. Schlobinski, ''Grammatikmodelle: Positionen und Perspektiven'',Vandenhoeck & Ruprecht, 2003, S.83–84. ISBN 3-525-26530-1</ref> Nach Ausschaltung des Gens, beispielsweise bei Mäusen ([[Knockout-Maus]]) oder durch Mutation beim Menschen, entfaltet es eine [[Pleiotropie|pleiotrope]] Wirkung. |
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== Aufbau == |
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[[Bild:PBB Protein FOXP2 image.jpg|thumb|right|Das aus dem FOXP2-Gen codierte FOXP2-Protein. Es besteht aus 715 Aminosäuren]] |
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[[Bild:Foxp2.jpg|thumb|Die berechnete Struktur des FOXP2-Proteins.]] |
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Das über das FOXP2-Gen kodierte FOXP2-[[Peptid]] besteht aus 715 [[Aminosäure]]n. Es untergliedert sich in vier Hauptbereiche: Einen Polyglutamin-Trakt, eine [[Zinkfingerprotein|Zinkfingerdomäne]], eine [[bZIP-Domäne]] („Leucin-Zipper“) und der ''Forkhead''-Domäne.<ref name="macdermot2005">[http://www.ajhg.org/AJHG/fulltext/S0002-9297(07)62902-4 K. D. MacDermot u.a., ''Identification of FOXP2 Truncation as a Novel Cause of Developmental Speech and Language Deficits.''] In: ''Am J Hum Genet'', 76/2005, S.1074–80. PMID 15877281</ref><ref>C. S. Lai u.a., ''A novel forkhead-domain gene is mutated in a severe speech and language disorder.'' In: ''Nature'', 413/2001, S.519–23. PMID 11586359</ref><ref>[http://www.jbc.org/cgi/content/full/278/27/24259B. Wang u.a., ''Multiple domains define the expression and regulatory properties of Foxp1 forkhead transcriptional repressors.''] In: ''J Biol Chem'', 278/2003, S.24259–68. PMID 12692134</ref> |
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Die ''Forkhead''-Domäne bindet an die DNA. Die Zinkfinger- und die bZIP-Domäne sind für Protein–Protein-Interaktionen wichtig und ebenfalls an der DNA-Bindung beteiligt.<ref>U. Wahn (Herausgeber), ''Pädiatrische Allergologie und Immunologie'', Elsevier Deutschland, S.895. ISBN 3-437-21311-3.</ref> |
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== Funktion == |
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=== Psycholinguistik === |
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Das FOXP2-Gen hat bei der Entwicklung der [[Psycholinguistik|Sprachfähigkeit]] (Psycholinguistik) eine zentrale Funktion. Deshalb führen Mutationen dieses Gens zu einem spezifischen Sprachproblem, insbesondere bei der [[Artikulation (Linguistik)|Artikulation]] und dem [[Sprachverständnis]].<ref name="mpg">[http://www.mpg.de/bilderBerichteDokumente/dokumentation/pressemitteilungen/2004/pressemitteilung20040330/genPDF.pdf Presseinformation der Max-Planck-Gesellschaft, ''Geschwätzige Zebrafinken''], vom 31. März 2004</ref> |
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Die [[Aminosäuresequenz|Sequenz]] des FOXP2-Proteins wurde im Laufe der [[Evolution]] nur minimal verändert. So lassen sich nahezu gleiche FOXP2-Proteine beispielsweise bei [[Singvogel|Singvögeln]], [[Fische]]n und [[Reptilien]] finden.<ref name="pmid15618302">D.M. Webb, J. Zhang, ''FoxP2 in song-learning birds and vocal-learning mammals.'' In: ''J Hered.'', 96/2005, S.212–6. PMID 15618302</ref><ref name="pmid16266802">C. Scharff, S. Haesler, ''An evolutionary perspective on FoxP2: strictly for the birds?'' In: ''Curr Opin Neurobiol'', 15/2004, S.694–703. PMID 16266802</ref> |
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Mit Ausnahme des Poly[[glutamin]]-Abschnittes unterscheidet sich das menschliche FOXP2-Protein von dem der [[Schimpanse]]n nur durch zwei, vom dem von [[Maus|Mäusen]] durch drei und dem eines [[Zebrafink]]en nur durch sieben [[Aminosäuren]]<ref name="pmid12192408">W. Enard u.a., ''Molecular evolution of FOXP2, a gene involved in speech and language.''. In: ''[[Nature]]'', 418/2002, S.869–72. PMID 12192408</ref><ref name="pmid15056606">I. Teramitsu u.a., ''Parallel FoxP1 and FoxP2 expression in songbird and human brain predicts functional interaction.'' In: ''J Neurosci.'', 24/2004, S.3152–63. PMID 15056695</ref><ref name="pmid15056696">S. Haesler u.a., ''FoxP2 expression in avian vocal learners and non-learners.''. In: ''J Neurosci.'', 24/2004, S.3164–75. PMID 15056696</ref> |
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Einige Forschungsgruppen nehmen daher an, dass der Unterschied in den beiden Aminosäuren zwischen Schimpanse und Mensch zur Sprachentwicklung beim Menschen geführt hat.<ref name="pmid12192408">W. Enard u.a. ''Molecular evolution of FOXP2, a gene involved in speech and language.'' In: ''Nature'', 418/2002, S.869–72. PMID=12192408</ref> |
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Diese These ist jedoch umstritten, da andere Arbeitsgruppen keinen Zusammenhang zwischen [[Art (Biologie)|Spezies]] mit erlernter [[Vokalisierung]] und solchen mit ähnlicher Mutation in FOXP2 feststellen konnten.<ref name="pmid15618302"/><ref name="pmid16266802"/> |
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Die beiden beim Menschen beobachteten Mutationen finden in einem [[Exon]] mit bislang unbekannter Funktion statt. |
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=== Schizophrenie === |
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Sprachstörungen sind eines der Hauptsymptome einer [[Schizophrenie]]. Aus diesem Grund bestand unmittelbar nach der Entdeckung des FOXP2-Gens der Verdacht, dass dieses Gen für die Anfälligkeit zur Ausbildung einer Schizophrenie eine gewisse Rolle spielen könnte. In einer vergleichenden Studie wurden 186 Patienten mit einer Schizophrenie (nach [[DSM-IV]], sie hörten fremde Stimmen) und 160 gesunde Probanden untersucht. Dabei wurden speziell Nukleotid[[polymorphie]]n des FOXP2-Gens analysiert. Es konnten dabei statistisch signifikante Unterschiede bezüglich des [[Genotyp]]us (P=0,007) und der [[Allel]]frequenzen (P=0,0027) zwischen schizophrenen Patienten mit Gehörhalluzinationen und der Kontrollgruppe, in der einzelnen Nukleotidpolymorphie rs2396753 gefunden werden. Das Ergebnis lässt den Schluss zu, dass das FOXP2-Gen einen Einfluss auf die Ausbildung einer Schizophrenie haben kann.<ref>J. Sanjuán u.a., ''Association between FOXP2 polymorphisms and schizophrenia with auditory hallucinations.'' In: ''Psychiatr Genet.'', 16/2006, S.67–72. PMID 16538183</ref> |
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== Entdeckung == |
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[[Bild:KE-Family pedigree 01.png|thumb|Der Stammbaum der ''KE family'']] |
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[[Bild:types_of_mutations_01.png|thumb|Synonyme, nicht-synonyme, ''nonsense'' und ''readthrough'' Mutationen.]] |
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1990 beschrieben britische Genetiker vom ''Institute of Child Health'' eine [[Erbkrankheit|erbliche]] [[Sprachstörung]], die drei Generationen einer Familie betrifft. Etwa die Hälfte der 30 Mitglieder, der in der Fachliteratur als '''''KE Family''''' bekannt gewordenen Familie, hat erhebliche Probleme mit [[Grammatik]], [[Satzbau]] und [[Wortschatz]].<ref>J. Cohen, ''Die Evolution der Sprache.'' In: ''Technology Review'',2/2008</ref> |
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''KE family'' ist das in der wissenschaftlichen Literatur verwendete [[Pseudonym]] für eine [[London]]er Familie [[Pakistan|pakistanischer]] Herkunft. |
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Der britische [[Genetik|Genetiker]] [[Anthony Monaco]] von der [[Universität Oxford]] entdeckte 1998 mit seiner Arbeitsgruppe in der ''KE family'' auf dem [[Chromosom 7 (Mensch)|Chromosom 7]] einen Abschnitt, den er mit den Sprachproblemen der Familie in Verbindung brachte. Durch genetische Untersuchungen der Familienmitglieder konnte er das sogenannte „Sprachgen“ FOXP2 erstmals identifizierent werden. |
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Die Mutation des FOXP2-Gens trat offensichtlich erstmals bei der Großmutter der Familie auf. Ihre Sprachstörungen sind so erheblich, dass selbst ihr Ehemann ihre Sätze nur mit Mühe enträtseln kann. Drei ihrer vier Töchter und einer der beiden Söhne haben ebenfalls Sprachschwierigkeiten. Von den 24 Enkelkindern zeigen zehn die gleichen Symptome. Die anderen Mitglieder der Familie aus dem Londoner Süden haben keinerlei Verständigungsprobleme.<ref>[http://www.wissenschaft-online.de/artikel/584585 U. Bahnsen, U. Willmann, ''Wie Gene die Lippen spitzen.''] In: ''[[Die Zeit]]'', Ausgabe 51/2001</ref> |
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Die bei den betroffenen Mitgliedern der ''KE family'' manifestierte Störung wird als ''verbale [[Dyspraxie|Entwicklungsdyspraxie]]'' ([[englische Sprache|engl.]] ''Developmental Verbal Dyspraxia'' oder abgekürzt ''DVD'') bezeichnet und unter dem [[Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme|ICD-10]] Code F83 („Kombinierte umschriebene Entwicklungsstörungen“) eingeordnet. Eine passende deutscher Umschreibung ist ''Unfähigkeit zum artikulierten Sprechen''. |
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2005 wurde an Kindern die nicht zur ''KE family'' gehören, aber auch an einer verbalen Dyspraxie leiden, eine sogenannte „[[Genmutation|''nonsense''-Mutation]]“ ebenfalls im FOXP2-Gen entdeckt. Eine ''nonsense''-Mutation ist eine sinnentstellende Mutation, bei der ein [[Stoppcodon]] entsteht. Ein Stoppcodon ist wiederum ein [[Basentriplett]] der [[Ribonukleinsäure|RNA]], das als [[Codon]] auf der [[mRNA]] für keine entsprechende Aminosäure codiert. Ein Stoppcodon bewirkt die Termination der [[Translation (Biologie)|Translation]], wodurch die [[Proteinbiosynthese]] beendet wird. Auch in diesen Fällen mit ''nonsense''-Mutation lassen sich die Sprach- und Sprechdefizite auf die Mutation zurückführen.<ref name="macdermot2005"/> |
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== Symptome bei einer FOXP2 Mutation == |
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=== Verbale Entwicklungsdyspraxie === |
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[[Bild:BrocasAreaSmall.png|thumb|Die Lage der Broca- und Wernicke-Areal im Cortex]] |
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Der allgemeine [[Phänotyp|Verhaltensphänotypus]] der von der verbalen Entwicklungsdyspraxie betroffenen Personen zeigt sich in einfachen Wort-Wiederholungstests. Dabei müssen Wörter (beispielsweise: ''Mörder'') und [[Nichtwörter]] (beispielsweise: ''Redröm'') nach Vorsagen wiederholt werden. Die von der Mutation betroffen Probanden haben dabei signifikant größere Probleme bei der Artikulation, als die nicht Betroffenen.<ref name="watkins2002">K. E. Watkins u.a., ''Behavioural analysis of an inherited speech and language disorder: comparison with acquired aphasia.'' In: ''Brain'', 125/2002, S.452–64. PMID 11872604</ref> Die Beeinträchtigung erhöht sich stufenweise mit der Kompliziertheit der zu artikulierenden Wörter. |
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=== Orofaziale Dyspraxie === |
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Die betroffenen Personen haben auch Schwierigkeiten in der willkürlichen Steuerung der [[Gesichtsmuskulatur]]; ein Symptom das ''orofaziale Dyspraxie'' genannt wird. Diese Schwierigkeiten können nicht einer allgemeinen Beeinträchtigung der [[Motorik]] zugeschrieben werden, da die motorische Leistung der [[Extremitäten]] der Patienten von normalen Einzelpersonen nicht zu unterscheiden ist.<ref name="watkins2002"/> Auch das Hörvermögen der Patienten ist normal ausgebildet. Der DVD-[[Phänotyp]]us ähnelt dem, der bei Patienten mit einer [[Broca-Aphasie]] (ICD-10: F80.1) beobachtet wird.<ref>A. R. Damasio, N. Geschwind, ''The neural basis of language.'' In: ''Annu Rev Neurosci'', 7/1984, S.127–47.</ref> Allerdings gibt es zwischen beiden [[Pathologie]]n wichtige Verhaltensunterschiede. So sind [[Aphasie#Broca-Aphasie|Aphasiker]] im Wortwiederholungstest deutlich besser als bei der Nichtwort-Wiederholung. Die von der FOXP2-Mutation betroffenen Mitglieder der ''KE family'' sind dagegen in beiden Tests gleichmäßig schlecht. Eine mögliche Erklärung hierfür ist, dass Aphasiker vor dem Ausbruch ihrer Erkrankung die Assoziation von Lautbildungsmustern zu den entsprechenden Wortbedeutungen erlernt haben. Im Gegensatz dazu hatten die betroffenen Mitglieder der ''KE family'' nie die Möglichkeit Wortartikulationsmuster zu erlernen. Deshalb scheitern sie auch zwangsläufig daran mit den Wortbedeutungen die Aufgaben des Wort-Wiederholungstest zu lösen.<ref name="haeslerdiss">[http://www.diss.fu-berlin.de/2007/47/ S. Haesler, ''Studien zur Evolution und Funktion des FoxP2-Gens in Singvögeln.''], Dissertation, FU Berlin, 2007</ref> |
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=== Weitere Symptome === |
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Zusätzlich zur verbalen und orofazialen Dyspraxie schneiden die von der Mutation betroffenen Mitglieder der ''{{lang|en|KE family}}'' bei Tests, welche die [[rezeptive Sprache]] (das Verständnis von Sprache) und die [[grammatische Sprache]] ermitteln, erheblich schlechter als ihre nicht betroffenen Verwandten ab. Das Defizit schließt die Unfähigkeit ein, Wörter richtig zu beugen oder Sätze zu bilden, um einfache Beziehungen von Objekten zu den entsprechenden Abbildungen herzustellen. Zudem zeigen die betroffenen Probanden in nicht-verbalen [[Intelligenztest]]s eine leichte, aber signifikant niedrigere Intelligenz als die Nicht-Betroffenen. Allerdings gibt es eine erhebliche Überschneidung zwischen beiden Gruppen.<ref name="alcock2000>{{lang|en|K. J. Alcock u.a., ''Oral dyspraxia in inherited speech and language impairment and acquired dysphasia.'' In: ''Brain Lang'', 75/2000}}, S.17–33. PMID 11023636</ref><ref name="vargha18998">{{lang|en|F. Vargha-Khadem u.a., ''Neural basis of an inherited speech and language disorder.'' In: ''Proc Natl Acad Sci U S A'', 95/1998}}, S.12695–700. PMID 9770548</ref><ref name="watkins2002"/><ref name="haeslerdiss"/> |
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== Ätiologie == |
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[[Bild:Telencephalon-Horiconatal.jpg|thumb|Horizontalschnitt durch das Vorderhirn. In Blau die Basalganglien.]] |
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Die durch die Mutation bedingten Störungen werden [[autosomal]] [[Dominanz (Genetik)|dominant]] [[Vererbung (Biologie)|vererbt]]. Die Mutation befindet sich auf dem langen Arm (q-Arm) von [[Chromosom]] 7 (7q31). Das Gen wurde ursprünglich, als man nur die Nummer des betroffenen Chromosoms lokalisieren konnte, „SPCH1“ genannt. Die von der Erbkrankheit betroffenen Mitglieder der KE-Familie haben eine nicht-synonyme [[Punktmutation]] in ihrer DNA. Die [[Nukleinbasen|Nukleinbase]] [[Guanin]] ist bei ihnen durch [[Adenin]] auf dem [[Exon]] 14 ersetzt. Dadurch wird in Position 553 des FOXP2-Proteins statt der Aminosäure [[Arginin]] die Aminosäure [[Histidin]] codiert. Die Mutation trägt daher die Bezeichnung R553H. ''R'' ist dabei im [[Einbuchstabencode]] die Bezeichnung für Arginin und ''H'' die für Histidin. Das gebildete Protein ist in Folge des Austausches der beiden Aminosäuren in seiner Funktion wirkungslos. |
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Mittels [[Bildgebende Verfahren|bildgebender Verfahren]] des [[Gehirn]]es von Mitgliedern der KE-Familie wurden Abnormitäten im ''[[Nucleus caudatus]]'', einem Bestandteil der [[Basalganglien]], festgestellt. Erste Einblicke in die neuralen Grundlagen konnten mit Hilfe der [[Funktionelle Magnetresonanztomographie|funktionellen Magnetresonanztomographie]] des Gehirnes gewonnen werden. Die von der Mutation betroffenen Mitglieder der ''KE family'' wiesen [[bilateral]]e strukturelle Defizite auf. Diese zeigten sich vor allem in einer reduzierten Dichte der [[Graue Substanz|Grauen Substanz]] („grauen Zellen“) im Bereich des ''[[Nucleus caudatus]]'' der [[Basalganglien]]<ref name="vargha18998"/><ref name="watkins2002"/>, des vorderen [[Kleinhirn]]s<ref>E. Belton u.a., ''Bilateral brain abnormalities associated with dominantly inherited verbal and orofacial dyspraxia.'' In: ''Hum Brain Mapp'', 18/2003, S.194–200. PMID 12599277</ref> und des [[Broca-Areal]]s.<ref name="haeslerdiss"/> Dagegen wurde bei diesen Patienten eine abnormal hohe Dichte an Grauer Substanz im [[Putamen]] und im [[Sprachzentrum|Wernicke-Areal]] gefunden. Interessanterweise [[Korrelation|korreliert]] das Volumen des ''Nucleus caudatus'' sehr gut mit der im Sprachtest gezeigten Leistung.<ref name="watkins2002"/> Dies ist ein [[Indiz]] für den Einfluss des ''Nucleus caudatus'' auf die Pathologie der DVD. |
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Die Basalganglien spielen bei der Bewegungsplanung und -sequenzierung eine entscheidende Rolle.<ref name="graybiel1995">A. M. Graybiel, ''Building action repertoires: memory and learning functions of the basal ganglia.'' In: ''Curr Opin Neurobiol.'', 5/1995, S.733-41. PMID 8805417</ref> Strukturelle Abweichungen in den [[Striatum|striatalen]] Regionen der Basalganglien (''Nucleus caudates'' und Putamen) bedeuten daher im Allgemeinen eine Beeinträchtigung der Kontrolle über die orofaziale Motorik (Mundmotorik). Unklar ist dagegen, weshalb spezifisch die Mundmotorik beeinträchtigt ist, ohne dass andere motorische Funktionen davon betroffen sind.<ref name="haeslerdiss"/> |
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== Einzelnachweise == |
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<references/> |
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== Literatur == |
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* S. Haesler u.a., ''FoxP2 expression in avian vocal learners and non-learners.'' In: ''J Neurosci'', 24/2004, S.3164–75. PMID 15056696 |
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* [http://www.pubmedcentral.nih.gov/picrender.fcgi?artid=2100148&blobtype=pdf S. Haesler u.a., ''Incomplete and inaccurate vocal imitation after knockdown of FoxP2 in songbird basal ganglia nucleus Area X.''] In: ''PLoS Biol.'', 5/2007 , e321. PMID 18052609 |
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* C.S. Lai u.a., ''A forkhead-domain gene is mutated in a severe speech and language disorder.'' In: ''Nature'', 413/2001, S.519–23. PMID 11586359 |
|||
* R.J. McCauley, ''Assessment of Language Disorders in Children.'', Lawrence Erlbaum Associates, 2001, S.118. ISBN 0-805-82562-2 |
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* C. Scharff u.a., ''An evolutionary perspective on FoxP2: strictly for the birds?'' In: ''Curr Opin Neurobiol.'', 15/2005, S.694–703. PMID 16266802 |
|||
* [http://news.nationalgeographic.com/news/2001/10/1004_TVlanguagegene.html B. P. Trivedi, ''Scientists Identify a Language Gene.''] In: ''National Geographic Today'', 4. Oktober 2001 |
|||
* F. Vargha-Khadem u.a., ''Praxic and nonverbal cognitive deficits in a large family with a genetically transmitted speech and language disorder.'' In: ''Proc Nat Acad Sci'', 92/1995, S.930-33. PMID 7846081 |
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* W. Bigenzahn, G. Böhme, ''Sprach-, Sprech-, Stimm- und Schluckstörungen.'' Elsevier Deutschland, ISBN 3-437-46950-9 |
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* [http://www.zeit.de/2001/51/200151_sprachgen.xml?page=all U. Bahnsen, U. Willmann, ''Wie Gene die Lippen spitzen.''] In: ''[[Die Zeit]]'', 21/2001. |
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* [http://www.zeit.de/zeit-wissen/2006/01/Spacherwerb_Titel.xml A. Leßmöllmann, ''Raus mit der Sprache!''] In: ''Zeit Wissen'', 1/2006. |
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== Weblinks == |
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{{Commonscat}} |
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* [http://www.innovations-report.de/html/berichte/biowissenschaften_chemie/bericht-99407.html Innovations-Report, ''Schlechte Gesangsschüler''] |
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* [http://www.3sat.de/3sat.php?http://www.3sat.de/nano/news/116441/index.html 3SAT, ''Ohne FoxP2-Gen lernen Zebrafinken schlechter singen''] |
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* [http://www.heise.de/tp/r4/artikel/13/13100/1.html K. Seefeldt, ''Der kleine Unterschied.''] In: ''Telepolis'', 16. August 2002 |
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* [http://ulseiler.ch/erbe/foxP2-Gen-SoZ-18-8-02-71.htm U. Bahnsen, ''Sprich oder stirb!''] In: ''Sonntagszeitung'', 18. August 2002 |
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* [http://www.evolutionpages.com/FOXP2_language.htm A. MacAndrew, ''FOXP2 and the Evolution of Language''] (engl.) |
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[[Kategorie:Transkriptionsfaktor]] |
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{{Schreibwettbewerb}} |
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[[ca:FOXP2]] |
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[[en:FOXP2]] |
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[[it:Forkhead box P2]] |
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[[pt:FOXP2]] |
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[[sk:FOXP2]] |
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[[sv:FOXP2-genen]] |
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[[zh:FOXP2]] |
Version vom 6. März 2008, 22:05 Uhr

Das FOXP2-Gen (engl. Abkürzung für Forkhead-Box P2) ist ein zur Klasse der Forkhead-Box-Gene zählendes Gen. Das FOXP2-Gen spielt beim Spracherwerb[1], einschließlich grammatikalischer Fähigkeiten, eine große Rolle. Entdeckt wurde dieses Gen erstmals bei Untersuchungen eine Londoner Familie.
Der Name Forkhead-Box leitet sich von einer bei Fruchtfliegen (Drosophila melanogaster) beobachteten Mutation ab, die eine gabelartige Veränderung des Kopfes zur Folge hat. Mittlerweile wurde jedoch eine Vielzahl von FOX-Genen identifiziert, die in den unterschiedlichsten Organismen zum Teil völlig verschiedene Aufgaben haben.
Grundlagen
Als Gen bezeichnet man einen Abschnitt auf der Desoxyribonukleinsäure (DNA), der die Grundinformationen zur Herstellung einer biologisch aktiven Ribonukleinsäure (RNA) enthält. Bei diesem als Transkription bezeichneten Herstellungsprozess wird eine Negativkopie in Form der RNA hergestellt. Von der mRNA wird während der Translation ein Protein übersetzt. Dieses Protein übernimmt im Körper eine ganz spezifische Funktion, die auch als Merkmal bezeichnet werden kann. Allgemein werden Gene daher als Erbanlage oder Erbfaktor bezeichnet, da sie die Träger von Erbinformation sind, die durch Reproduktion an die Nachkommen weitergegeben werden.
Das FOXP2-Gen kodiert für einen Transkriptionsfaktor. Transkriptionsfaktoren sind Proteine, welche die Ableserate anderer Gene beim Transfer von der DNA zur RNA steuern. Sie beeinflussen somit welche Proteine die entsprechende Zelle produziert.[2]
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Die 23 Chromosomenpaare eines Menschen
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Schematische Darstellung eines Chromosoms
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Schematische Darstellung der Transkription und Translation
Bedeutung
Unter den bisher bekannten Genen ist FOXP2 das wichtigste für eine spezifisch menschliche Eigenschaft. Mit Hilfe der Paläogenetik wurde festgestellt, dass diese Genvariante zwischen 100.000 und maximal 200.000 Jahre alt ist. Dieser Zeitpunkt deckt sich mit dem von Paläoanthropologen datierten Geburtstag der Spezies Mensch.[3] Evolutionsgeschichtlich ist dies deutlich später als der ebenfalls per Paläogenetik ermittelte Zeitpunkt der Aufspaltung evolutionären Stammbaum zwischen Homo sapiens und Homo neanderthalensis vor etwa 500.000 Jahren. Aus diesen Daten wird deshalb nach dem gegenwärtigen Kenntnisstand geschlossen, dass der Neandertaler nicht über unsere Sprachfähigkeit verfügte.[4]
Einige Anthropologen vertreten die Meinung, dass die schnelle Verbreitung des für den Spracherwerb so elementaren FOXP2-Gens für die These spricht, dass Sprache die treibende Kraft bei der Ausbreitung des Menschen auf der Erde war.[5][6] Die Bezeichnung „Sprachgen“ für das FOXP2-Gen ist in den Medien weitgehend popularisiert worden, aber per se nicht korrekt, da beispielsweise auch Mäuse dieses Gen in ihrer DNA tragen.[7] Nach Ausschaltung des Gens, beispielsweise bei Mäusen (Knockout-Maus) oder durch Mutation beim Menschen, entfaltet es eine pleiotrope Wirkung.
Aufbau


Das über das FOXP2-Gen kodierte FOXP2-Peptid besteht aus 715 Aminosäuren. Es untergliedert sich in vier Hauptbereiche: Einen Polyglutamin-Trakt, eine Zinkfingerdomäne, eine bZIP-Domäne („Leucin-Zipper“) und der Forkhead-Domäne.[8][9][10] Die Forkhead-Domäne bindet an die DNA. Die Zinkfinger- und die bZIP-Domäne sind für Protein–Protein-Interaktionen wichtig und ebenfalls an der DNA-Bindung beteiligt.[11]
Funktion
Psycholinguistik
Das FOXP2-Gen hat bei der Entwicklung der Sprachfähigkeit (Psycholinguistik) eine zentrale Funktion. Deshalb führen Mutationen dieses Gens zu einem spezifischen Sprachproblem, insbesondere bei der Artikulation und dem Sprachverständnis.[12]
Die Sequenz des FOXP2-Proteins wurde im Laufe der Evolution nur minimal verändert. So lassen sich nahezu gleiche FOXP2-Proteine beispielsweise bei Singvögeln, Fischen und Reptilien finden.[13][14]
Mit Ausnahme des Polyglutamin-Abschnittes unterscheidet sich das menschliche FOXP2-Protein von dem der Schimpansen nur durch zwei, vom dem von Mäusen durch drei und dem eines Zebrafinken nur durch sieben Aminosäuren[15][16][17] Einige Forschungsgruppen nehmen daher an, dass der Unterschied in den beiden Aminosäuren zwischen Schimpanse und Mensch zur Sprachentwicklung beim Menschen geführt hat.[15] Diese These ist jedoch umstritten, da andere Arbeitsgruppen keinen Zusammenhang zwischen Spezies mit erlernter Vokalisierung und solchen mit ähnlicher Mutation in FOXP2 feststellen konnten.[13][14]
Die beiden beim Menschen beobachteten Mutationen finden in einem Exon mit bislang unbekannter Funktion statt.
Schizophrenie
Sprachstörungen sind eines der Hauptsymptome einer Schizophrenie. Aus diesem Grund bestand unmittelbar nach der Entdeckung des FOXP2-Gens der Verdacht, dass dieses Gen für die Anfälligkeit zur Ausbildung einer Schizophrenie eine gewisse Rolle spielen könnte. In einer vergleichenden Studie wurden 186 Patienten mit einer Schizophrenie (nach DSM-IV, sie hörten fremde Stimmen) und 160 gesunde Probanden untersucht. Dabei wurden speziell Nukleotidpolymorphien des FOXP2-Gens analysiert. Es konnten dabei statistisch signifikante Unterschiede bezüglich des Genotypus (P=0,007) und der Allelfrequenzen (P=0,0027) zwischen schizophrenen Patienten mit Gehörhalluzinationen und der Kontrollgruppe, in der einzelnen Nukleotidpolymorphie rs2396753 gefunden werden. Das Ergebnis lässt den Schluss zu, dass das FOXP2-Gen einen Einfluss auf die Ausbildung einer Schizophrenie haben kann.[18]
Entdeckung


1990 beschrieben britische Genetiker vom Institute of Child Health eine erbliche Sprachstörung, die drei Generationen einer Familie betrifft. Etwa die Hälfte der 30 Mitglieder, der in der Fachliteratur als KE Family bekannt gewordenen Familie, hat erhebliche Probleme mit Grammatik, Satzbau und Wortschatz.[19] KE family ist das in der wissenschaftlichen Literatur verwendete Pseudonym für eine Londoner Familie pakistanischer Herkunft.
Der britische Genetiker Anthony Monaco von der Universität Oxford entdeckte 1998 mit seiner Arbeitsgruppe in der KE family auf dem Chromosom 7 einen Abschnitt, den er mit den Sprachproblemen der Familie in Verbindung brachte. Durch genetische Untersuchungen der Familienmitglieder konnte er das sogenannte „Sprachgen“ FOXP2 erstmals identifizierent werden.
Die Mutation des FOXP2-Gens trat offensichtlich erstmals bei der Großmutter der Familie auf. Ihre Sprachstörungen sind so erheblich, dass selbst ihr Ehemann ihre Sätze nur mit Mühe enträtseln kann. Drei ihrer vier Töchter und einer der beiden Söhne haben ebenfalls Sprachschwierigkeiten. Von den 24 Enkelkindern zeigen zehn die gleichen Symptome. Die anderen Mitglieder der Familie aus dem Londoner Süden haben keinerlei Verständigungsprobleme.[20] Die bei den betroffenen Mitgliedern der KE family manifestierte Störung wird als verbale Entwicklungsdyspraxie (engl. Developmental Verbal Dyspraxia oder abgekürzt DVD) bezeichnet und unter dem ICD-10 Code F83 („Kombinierte umschriebene Entwicklungsstörungen“) eingeordnet. Eine passende deutscher Umschreibung ist Unfähigkeit zum artikulierten Sprechen.
2005 wurde an Kindern die nicht zur KE family gehören, aber auch an einer verbalen Dyspraxie leiden, eine sogenannte „nonsense-Mutation“ ebenfalls im FOXP2-Gen entdeckt. Eine nonsense-Mutation ist eine sinnentstellende Mutation, bei der ein Stoppcodon entsteht. Ein Stoppcodon ist wiederum ein Basentriplett der RNA, das als Codon auf der mRNA für keine entsprechende Aminosäure codiert. Ein Stoppcodon bewirkt die Termination der Translation, wodurch die Proteinbiosynthese beendet wird. Auch in diesen Fällen mit nonsense-Mutation lassen sich die Sprach- und Sprechdefizite auf die Mutation zurückführen.[8]
Symptome bei einer FOXP2 Mutation
Verbale Entwicklungsdyspraxie

Der allgemeine Verhaltensphänotypus der von der verbalen Entwicklungsdyspraxie betroffenen Personen zeigt sich in einfachen Wort-Wiederholungstests. Dabei müssen Wörter (beispielsweise: Mörder) und Nichtwörter (beispielsweise: Redröm) nach Vorsagen wiederholt werden. Die von der Mutation betroffen Probanden haben dabei signifikant größere Probleme bei der Artikulation, als die nicht Betroffenen.[21] Die Beeinträchtigung erhöht sich stufenweise mit der Kompliziertheit der zu artikulierenden Wörter.
Orofaziale Dyspraxie
Die betroffenen Personen haben auch Schwierigkeiten in der willkürlichen Steuerung der Gesichtsmuskulatur; ein Symptom das orofaziale Dyspraxie genannt wird. Diese Schwierigkeiten können nicht einer allgemeinen Beeinträchtigung der Motorik zugeschrieben werden, da die motorische Leistung der Extremitäten der Patienten von normalen Einzelpersonen nicht zu unterscheiden ist.[21] Auch das Hörvermögen der Patienten ist normal ausgebildet. Der DVD-Phänotypus ähnelt dem, der bei Patienten mit einer Broca-Aphasie (ICD-10: F80.1) beobachtet wird.[22] Allerdings gibt es zwischen beiden Pathologien wichtige Verhaltensunterschiede. So sind Aphasiker im Wortwiederholungstest deutlich besser als bei der Nichtwort-Wiederholung. Die von der FOXP2-Mutation betroffenen Mitglieder der KE family sind dagegen in beiden Tests gleichmäßig schlecht. Eine mögliche Erklärung hierfür ist, dass Aphasiker vor dem Ausbruch ihrer Erkrankung die Assoziation von Lautbildungsmustern zu den entsprechenden Wortbedeutungen erlernt haben. Im Gegensatz dazu hatten die betroffenen Mitglieder der KE family nie die Möglichkeit Wortartikulationsmuster zu erlernen. Deshalb scheitern sie auch zwangsläufig daran mit den Wortbedeutungen die Aufgaben des Wort-Wiederholungstest zu lösen.[23]
Weitere Symptome
Zusätzlich zur verbalen und orofazialen Dyspraxie schneiden die von der Mutation betroffenen Mitglieder der KE family bei Tests, welche die rezeptive Sprache (das Verständnis von Sprache) und die grammatische Sprache ermitteln, erheblich schlechter als ihre nicht betroffenen Verwandten ab. Das Defizit schließt die Unfähigkeit ein, Wörter richtig zu beugen oder Sätze zu bilden, um einfache Beziehungen von Objekten zu den entsprechenden Abbildungen herzustellen. Zudem zeigen die betroffenen Probanden in nicht-verbalen Intelligenztests eine leichte, aber signifikant niedrigere Intelligenz als die Nicht-Betroffenen. Allerdings gibt es eine erhebliche Überschneidung zwischen beiden Gruppen.[24][25][21][23]
Ätiologie

Die durch die Mutation bedingten Störungen werden autosomal dominant vererbt. Die Mutation befindet sich auf dem langen Arm (q-Arm) von Chromosom 7 (7q31). Das Gen wurde ursprünglich, als man nur die Nummer des betroffenen Chromosoms lokalisieren konnte, „SPCH1“ genannt. Die von der Erbkrankheit betroffenen Mitglieder der KE-Familie haben eine nicht-synonyme Punktmutation in ihrer DNA. Die Nukleinbase Guanin ist bei ihnen durch Adenin auf dem Exon 14 ersetzt. Dadurch wird in Position 553 des FOXP2-Proteins statt der Aminosäure Arginin die Aminosäure Histidin codiert. Die Mutation trägt daher die Bezeichnung R553H. R ist dabei im Einbuchstabencode die Bezeichnung für Arginin und H die für Histidin. Das gebildete Protein ist in Folge des Austausches der beiden Aminosäuren in seiner Funktion wirkungslos.
Mittels bildgebender Verfahren des Gehirnes von Mitgliedern der KE-Familie wurden Abnormitäten im Nucleus caudatus, einem Bestandteil der Basalganglien, festgestellt. Erste Einblicke in die neuralen Grundlagen konnten mit Hilfe der funktionellen Magnetresonanztomographie des Gehirnes gewonnen werden. Die von der Mutation betroffenen Mitglieder der KE family wiesen bilaterale strukturelle Defizite auf. Diese zeigten sich vor allem in einer reduzierten Dichte der Grauen Substanz („grauen Zellen“) im Bereich des Nucleus caudatus der Basalganglien[25][21], des vorderen Kleinhirns[26] und des Broca-Areals.[23] Dagegen wurde bei diesen Patienten eine abnormal hohe Dichte an Grauer Substanz im Putamen und im Wernicke-Areal gefunden. Interessanterweise korreliert das Volumen des Nucleus caudatus sehr gut mit der im Sprachtest gezeigten Leistung.[21] Dies ist ein Indiz für den Einfluss des Nucleus caudatus auf die Pathologie der DVD.
Die Basalganglien spielen bei der Bewegungsplanung und -sequenzierung eine entscheidende Rolle.[27] Strukturelle Abweichungen in den striatalen Regionen der Basalganglien (Nucleus caudates und Putamen) bedeuten daher im Allgemeinen eine Beeinträchtigung der Kontrolle über die orofaziale Motorik (Mundmotorik). Unklar ist dagegen, weshalb spezifisch die Mundmotorik beeinträchtigt ist, ohne dass andere motorische Funktionen davon betroffen sind.[23]
Einzelnachweise
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- ↑ Schlechte Gesangsschüler – Wissenschaftler schalten das Gen FOXP2 bei Zebrafinken stumm und kriegen was zu hören., Max-Planck-Gesellschaft, Pressemitteilung vom 4. Dezember 2007
- ↑ U. Bahnsen, Paläogenetik In: Zeit Wissen, 34/2002
- ↑ E. D. Jarasch, Genetische Spuren der Menschwerdung, vom 22. Dezember 2006
- ↑ J. Müller-Jung, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Ausgabe vom 15. August 2002
- ↑ F. Carmine, Genomtechnologie und Stammzellforschung- ein verantwortbares Risiko? Govi-Verlag Eschborn, 2003, S.53. ISBN 3-774-11000-X
- ↑ P. Schlobinski, Grammatikmodelle: Positionen und Perspektiven,Vandenhoeck & Ruprecht, 2003, S.83–84. ISBN 3-525-26530-1
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<ref>
-Tag. Der Name „pmid12192408“ wurde mehrere Male mit einem unterschiedlichen Inhalt definiert. - ↑ I. Teramitsu u.a., Parallel FoxP1 and FoxP2 expression in songbird and human brain predicts functional interaction. In: J Neurosci., 24/2004, S.3152–63. PMID 15056695
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Literatur
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- C. Scharff u.a., An evolutionary perspective on FoxP2: strictly for the birds? In: Curr Opin Neurobiol., 15/2005, S.694–703. PMID 16266802
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- W. Bigenzahn, G. Böhme, Sprach-, Sprech-, Stimm- und Schluckstörungen. Elsevier Deutschland, ISBN 3-437-46950-9
- U. Bahnsen, U. Willmann, Wie Gene die Lippen spitzen. In: Die Zeit, 21/2001.
- A. Leßmöllmann, Raus mit der Sprache! In: Zeit Wissen, 1/2006.
Weblinks
- Innovations-Report, Schlechte Gesangsschüler
- 3SAT, Ohne FoxP2-Gen lernen Zebrafinken schlechter singen
- K. Seefeldt, Der kleine Unterschied. In: Telepolis, 16. August 2002
- U. Bahnsen, Sprich oder stirb! In: Sonntagszeitung, 18. August 2002
- A. MacAndrew, FOXP2 and the Evolution of Language (engl.)