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„Privatisierung“ – Versionsunterschied

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Das [[Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland|Grundgesetz]] enthält keinen abgeschlossenen Katalog der Staatsaufgaben. Allerdings unterliegen nicht auf Vertrag beruhende Eingriffsrechte stets der staatlichen Aufsicht und bedürfen der [[Beleihung]] (z.B. TÜV). Eine weitere Grenze für Privatisierungen bietet in Deutschland der Funktionsvorbehalt des Art. 33 Abs. 4 Grundgesetz, der vorsieht, dass die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse in der Regel den [[Beamter|Beamten]] zu übertragen ist. Dies verhindert z.B., dass die polizeilichen Aufgaben im engeren Sinn privatisiert werden.
Das [[Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland|Grundgesetz]] enthält keinen abgeschlossenen Katalog der Staatsaufgaben. Allerdings unterliegen nicht auf Vertrag beruhende Eingriffsrechte stets der staatlichen Aufsicht und bedürfen der [[Beleihung]] (z.B. TÜV). Eine weitere Grenze für Privatisierungen bietet in Deutschland der Funktionsvorbehalt des Art. 33 Abs. 4 Grundgesetz, der vorsieht, dass die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse in der Regel den [[Beamter|Beamten]] zu übertragen ist. Dies verhindert z.B., dass die polizeilichen Aufgaben im engeren Sinn privatisiert werden.


Soweit das Grundgesetz z.B. über das [[Sozialstaatsprinzip]] Aufgaben der [[Daseinsvorsorge]] vorsieht, schreibt es nicht vor, dass diese durch den Staat erfolgen müssen. Die Bundeshaushaltsordnung fordert sogar, staatliche Leistungen dahingehend zu überprüfen, ob sie nicht privat wahrgenommen werden können. <ref>"Bei Aufstellung und Ausführung des Haushaltsplans sind die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zu beachten. Diese Grundsätze verpflichten zur Prüfung, inwieweit staatliche Aufgaben oder öffentlichen Zwecken dienende wirtschaftliche Tätigkeiten durch Ausgliederung und Entstaatlichung oder Privatisierung erfüllt werden können." [http://www.gesetze-im-internet.de/bundesrecht/bho/gesamt.pdf Bundeshaushaltsordnung § 7]</ref>
Soweit das Grundgesetz z.B. über das [[Sozialstaatsprinzip]] Aufgaben der [[Daseinsvorsorge]] vorsieht, schreibt es nicht vor, dass diese durch den Staat erfolgen müssen. Die Bundeshaushaltsordnung fordert sogar: "Bei Aufstellung und Ausführung des Haushaltsplans sind die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zu beachten. Diese Grundsätze verpflichten zur Prüfung, inwieweit staatliche Aufgaben oder öffentlichen Zwecken dienende wirtschaftliche Tätigkeiten durch Ausgliederung und Entstaatlichung oder Privatisierung erfüllt werden können." <ref>[http://www.gesetze-im-internet.de/bundesrecht/bho/gesamt.pdf Bundeshaushaltsordnung § 7]</ref>


Auch die zunehmende Europäisierung des Wirtschaftsrechts schränkt den Spielraum staatlicher Wirtschaftstätigkeit zunehmend ein, da Anbieter aus der EU bei gewerblicher Tätigkeit nicht diskriminiert werden dürfen.
Auch die zunehmende Europäisierung des Wirtschaftsrechts schränkt den Spielraum staatlicher Wirtschaftstätigkeit zunehmend ein, da Anbieter aus der EU bei gewerblicher Tätigkeit nicht diskriminiert werden dürfen.

Version vom 18. Februar 2008, 16:17 Uhr

Unter Privatisierung werden alle Prozesse verstanden, bei denen öffentliche Verfügungsrechte über ökonomische Güter in private Verfügungsrechte übergehen.

Arten der Privatisierung

Es wird zwischen verschiedenen Arten der Privatisierung von Verwaltungsaufgaben und öffentlichen Einrichtungen unterschieden:

  • formelle Privatisierung oder Organisationsprivatisierung: Die Umwandlung eines Unternehmens mit öffentlich-rechtlicher Rechtsform in ein Unternehmen mit privatrechtlicher Rechtsform (in Deutschland GmbH, AG).
  • echte bzw. materielle Privatisierung: die Umwandlung von staatlichem Eigentum in privates Eigentum, z. B. durch den Verkauf eines staatlichen Unternehmens an private Investoren.
  • funktionale Privatisierung: Die Übertragung von Aufgaben, die vorher von staatlichen Einrichtungen erfüllt wurden, auf private Unternehmen.

In der Praxis werden die verschiedenen Arten oft kombiniert oder nacheinander ausgeführt. Beispielsweise war die Umwandlung und Aufteilung der Deutschen Bundespost in drei AGs eine formelle, der Verkauf von Telekom-Aktien eine materielle und die Zulassung von privaten Telekommunikationsunternehmen eine funktionale Privatisierung.

Das Gegenteil der "Privatisierung" ist die Verstaatlichung.

Beispiele für Privatisierungen

Deutschland

Rechtliche Aspekte

Das Grundgesetz enthält keinen abgeschlossenen Katalog der Staatsaufgaben. Allerdings unterliegen nicht auf Vertrag beruhende Eingriffsrechte stets der staatlichen Aufsicht und bedürfen der Beleihung (z.B. TÜV). Eine weitere Grenze für Privatisierungen bietet in Deutschland der Funktionsvorbehalt des Art. 33 Abs. 4 Grundgesetz, der vorsieht, dass die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse in der Regel den Beamten zu übertragen ist. Dies verhindert z.B., dass die polizeilichen Aufgaben im engeren Sinn privatisiert werden.

Soweit das Grundgesetz z.B. über das Sozialstaatsprinzip Aufgaben der Daseinsvorsorge vorsieht, schreibt es nicht vor, dass diese durch den Staat erfolgen müssen. Die Bundeshaushaltsordnung fordert sogar: "Bei Aufstellung und Ausführung des Haushaltsplans sind die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zu beachten. Diese Grundsätze verpflichten zur Prüfung, inwieweit staatliche Aufgaben oder öffentlichen Zwecken dienende wirtschaftliche Tätigkeiten durch Ausgliederung und Entstaatlichung oder Privatisierung erfüllt werden können." [1]

Auch die zunehmende Europäisierung des Wirtschaftsrechts schränkt den Spielraum staatlicher Wirtschaftstätigkeit zunehmend ein, da Anbieter aus der EU bei gewerblicher Tätigkeit nicht diskriminiert werden dürfen.

Bedeutende Privatisierungen

In der Bundesrepublik Deutschland wurden mehrere große Einrichtungen und Sondervermögen des Bundes in private Eigentumsformen umgewandelt (ausgewählte Beispiele):

Große Teile des Staatseigentums der ehemaligen DDR wurden nach der Wiedervereinigung verkauft, vorwiegend durch die Treuhandanstalt. Diese wurde 1994 in mehrere Organisationen aufgeteilt, die wichtigste davon war die Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben.

Ein nicht unbedeutendes Feld der Privatisierung stellen auch die Kommunalbetriebe, vor allem im Bereich der Daseinsvorsorge dar [2].

Österreich

Ganz oder teilprivatisiert wurden über die Österreichische Industrieholding unter anderem die OMV AG, VA Tech AG, Böhler-Werke, VOEST-ALPINE STAHL AG, VAMED AG, AT & S, Austria Metall AG, Austria Tabak, Telekom Austria, Österreichische Staatsdruckerei, Dorotheum sowie die Österreichische Post.

Schweiz

In der Schweiz finden sich staatliche Unternehmen meistens auf Kantons- und Gemeindeebene, der Bund ist nur im Infrastruktur- und Rüstungsbereich unternehmerisch tätig geworden. Viele Bundesbetriebe und kantonale Unternehmen, vor allem im Infrastruktur- und Bankenbereich, wurden bisher nur in privatwirtschaftliche Rechtsformen umgewandelt, jedoch nicht privatisiert. Beispiele dazu sind die SBB, Swisscom, Schweizerische Post, Ruag.

Ökonomische Diskussion

Privatisierungen folgen der wirtschaftsliberalen Maxime, dass der Staat grundsätzlich nicht unternehmerisch tätig sein solle, sondern sich auf die Schaffung eines ordnungspolitischen Rahmens für einen funktionierenden Wettbewerb beschränken solle. Dies fördere Wirtschaftswachstum und Beschäftigung. Privat geführte Unternehmen seien effizienter als die Öffentliche Hand, öffentlich geführte Unternehmen hingegen oft hochsubventionierte Verlustgeschäfte. Der Markt könne Bedürfnisse besser erfüllen als eine oft schwerfällige (staatliche) Verwaltung. Durch die Konkurrenz verschiedener Anbieter steige die Qualität. Durch den Wettbewerb komme es zu Preissenkungen für Produkte und Dienstleistungen. Auch führe Privatisierung zu Innovationen und somit neuen Dienstleistungen und Produkten. In den privatisierten Bereichen entstehe auch eine neue Service-Kultur, die an die Stelle einer vormaligen Beamtenmentalität trete.

Thorsten Beckers und Jan Peter Klatt kommen zum Ergebnis: "Empirische Studien bestätigen die Annahme, dass auf wettbewerblichen Märkten Unternehmen grundsätzlich nicht im öffentlichen Besitz sein sollten. Private Unternehmen bestehen tendenziell besser im Wettbewerb und weisen eine höhere Kosteneffizienz auf . Private Anbieter auf nicht-wettbewerblichen Märkten, die über Marktmacht verfügen, führen gemäß den Ergebnissen empirischer Studien allerdings nicht systematisch zu geringeren Kosten als öffentliche Unternehmen." Ursachen seien insbesondere die Verlagerung sozialpolitischer Aufgaben in privatisierte Unternehmen, fehlende Anreize zu effizienter Leistungserbringung und schlechte Regulierung von privatisierten Monopolunternehmen. [3]

Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge wie Gesundheit, Bildung, soziale Einrichtungen, Entsorgung von Abwasser und Müll, Versorgung mit Wasser und Energie, Kommunikation, Verkehr etc.) dürften nicht einer reinen Marktlogik überantwortet werden (Kommodifizierung), da sie Aufgaben erfüllten, die über ökonomische Fragen hinausgingen, und somit nicht nach Maßstäben von Rentabilität geführt oder beurteilt werden dürften. Private Anbieter wollen ihren Gewinn maximieren, so dass alle Kostenfaktoren wie beispielsweise Personal, Instandhaltung/Reparatur und Investitionen unter erhöhten Druck geraten. Dies führe nicht zu einer Verbesserung, sondern zu Verschlechterungen von Qualität und Verfügbarkeit, zu geringeren Löhnen und zur Verteuerung der privatisierten Dienstleistungen. Ist die Nachfrage nach einer Dienstleistung so gering, dass sie für einen Anbieter unrentabel ist, so unterbleibe sie.

Kritiker führen an, dass bei Privatisierungsvorhaben staatliche Monopole nicht einfach durch private Monopole ersetzt werden dürften. Durch geeignete Maßnahmen der Wettbewerbspolitik müsse verhindert werden, dass die Preise für privatisierte Produkte/Dienstleistungen steigen, da private Monopolhalter diese nun einfacher ihren Gewinn-Interessen anpassen können.

Im Bericht an den Club of Rome zu den Grenzen der Privatisierung beschreiben Wissenschaftler Privatisierungsbeispiele aus aller Welt, die teils positiv, teils negativ bewertet werden. Danach könne Privatisierung erfolgreich sein, wenn der Staat die Regeln bestimmt und Wettbewerb garantiert. "Gute Regulierung ist die Voraussetzung für erfolgreiche Privatisierung", meint Ernst Ulrich von Weizsäcker, Herausgeber des Berichts. [4]

Literatur

  • Hans Herbert von Arnim: Rechtsfragen der Privatisierung, Schriftenreihe des Karl-Bräuer-Institut des Bundes der Steuerzahler (Heft 82), Wiesbaden 1985
  • Tim Engartner: Privatisierung und Liberalisierung – Strategien zur Selbstentmachtung des öffentlichen Sektors. In: Christoph Butterwegge, Bettina Lösch, Ralf Ptak: Kritik des Neoliberalismus, VS–Verlag, Wiesbaden 2007, ISBN 978-3-531-15185-4, S. 87-134
  • Wolfgang Däubler: Privatisierung als Rechtsproblem, Luchterhand, Neuwied 1980, ISBN 3-472-08022-1
  • Jörg Huffschmid (Hrsg.): Die Privatisierung der Welt - Hintergründe, Folgen, Gegenstrategien; Reader des wissenschaftlichen Beirates von Attac, Hamburg : VSA-Verl. 2004, ISBN 3-89965-109-X
  • Jörn Axel Kämmerer: Privatisierung. Typologie, Determinanten, Rechtspraxis, Folgen, Tübingen: Mohr Siebeck, 2001, ISBN 978-3-16-147515-3
  • Florian Mayer: Vom Niedergang des unternehmerisch tätigen Staates: Privatisierungspolitik in Großbritannien, Frankreich, Italien und Deutschland, VS Verlag, Wiesbaden 2006, ISBN 3-531-14918-0
  • Michel Reimon/Christian Felber: Schwarzbuch Privatisierung. Ueberreuter 2003. ISBN 3-8000-3996-6
  • Werner Rügemer: Privatisierung in Deutschland - eine Bilanz, Westfälisches Dampfboot, Münster 2006, ISBN 3-89691-630-0
  • Thieme, H. Jörg (Hrsg.): Privatisierungsstrategien im Systemvergleich. 1993. ISBN 978-3-428-07773-1
  • Ernst Ulrich von Weizsäcker (Hrsg.): Grenzen der Privatisierung. Wann ist des Guten zu viel? Bericht an den Club of Rome. Hirzel, Stuttgart 2006, ISBN 978-3-7776-1444-1

Einzelnachweise

  1. Bundeshaushaltsordnung § 7
  2. Klaus-Peter Schmid: Alles muss raus, in: Die Zeit Nr. 26 vom 22. Juni 2006
  3. Thorsten Beckers/Jan Peter Klatt: (PDF) Privatisierung der Infrastruktur – Gefahr oder Allheilmittel?, TU Berlin, Forschungs-Centrum Netzindustrien und Infrastruktur (CNI)
  4. http://www.brandeins.de/home/inhalt_detail.asp?id=2422&MenuID=8&MagID=91&sid=su66249657780999&umenuid=1