„Humor“ – Versionsunterschied
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'''Humor''' (lat. humor = Feuchtigkeit) gilt auf den ersten Blick als eine Fähigkeit, ein [[Lachen (Ausdrucksform)|Lachen]] hervorrufen zu können. |
'''Humor''' (lat. humor = Feuchtigkeit) gilt auf den ersten Blick als eine Fähigkeit, ein [[Lachen (Ausdrucksform)|Lachen]] hervorrufen zu können. |
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Auch die Feldforschung der Ethnologie hat bisher keine Integration ihrer vielen Beobachtung erarbeiten können: Worüber man lacht, wer das Lachen wie auslöst, welche Wirkung ein Lachen im sozialen Kontext hat – die Antworten auf diese Fragen sind immer noch sehr heterogen. Eine besondere Schwierigkeit ist, dass das Lachen anderer Kulturkreise oft nur in der Kontaktsituation mit Ethnologen beobachtet werden konnte: Andere Ethnien lachten über die für sie erstaunlichen Verhaltensweisen der Ethnologen. Damit aber beeinflusste die jeweilige Herkunftskultur der Feldforscher während ihrer Beobachtungen immer schon die Zielkultur ihres Gegenstands und machte eine "objektive" Beobachtung unmöglich. |
Auch die Feldforschung der Ethnologie hat bisher keine Integration ihrer vielen Beobachtung erarbeiten können: Worüber man lacht, wer das Lachen wie auslöst, welche Wirkung ein Lachen im sozialen Kontext hat – die Antworten auf diese Fragen sind immer noch sehr heterogen. Eine besondere Schwierigkeit ist, dass das Lachen anderer Kulturkreise oft nur in der Kontaktsituation mit Ethnologen beobachtet werden konnte: Andere Ethnien lachten über die für sie erstaunlichen Verhaltensweisen der Ethnologen. Damit aber beeinflusste die jeweilige Herkunftskultur der Feldforscher während ihrer Beobachtungen immer schon die Zielkultur ihres Gegenstands und machte eine "objektive" Beobachtung unmöglich. |
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== Eine weite, pragmatische Definition == |
=== Eine weite, pragmatische Definition === |
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Mit einem Blick ausschließlich auf das Ergebnis von Humor könnte man sagen, dass Humor alles ist, was Lachen hervorbringt – sowohl das Lachen über sich selbst als auch das mehr oder weniger vernichtende Lachen über andere. |
Mit einem Blick ausschließlich auf das Ergebnis von Humor könnte man sagen, dass Humor alles ist, was Lachen hervorbringt – sowohl das Lachen über sich selbst als auch das mehr oder weniger vernichtende Lachen über andere. |
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Diese pragmatische Definition des Humors macht die das Lachen auslösenden und es qualifizierenden Vorgänge eher unsichtbar. Eine so weite Definition öffnet ein uferloses Begriffsfeld, in dem literarische Formen und bildnerische Gestaltungen, clownesque und andere Aufführungen, jüdischer, rheinischer und sonstiger Humor nebeneinander stehen, ohne dass die Unterschiede des Lachens deutlich werden. |
Diese pragmatische Definition des Humors macht die das Lachen auslösenden und es qualifizierenden Vorgänge eher unsichtbar. Eine so weite Definition öffnet ein uferloses Begriffsfeld, in dem literarische Formen und bildnerische Gestaltungen, clownesque und andere Aufführungen, jüdischer, rheinischer und sonstiger Humor nebeneinander stehen, ohne dass die Unterschiede des Lachens deutlich werden. |
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== Die enge, analytische Definition == |
=== Die enge, analytische Definition === |
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Im Allgemeinen wird im Deutschen unter Humor verstanden, "wenn man trotzdem lacht", eine [[Otto Julius Bierbaum]] (deutscher Schriftsteller, 1865 - 1910) zugeschriebene Formulierung. Wenn man dieses "Trotzdem" näher betrachtet, dann verbindet Humor Schwäche und Stärke auf eine eigentümliche Art und Weise: Ein Lachen ist nur dann ''Humor'', wenn es in einer Situation der Gefahr oder des Scheiterns auftritt, sich nicht gegen Dritte richtet und eine noch so kleine Hoffnung auf die Überwindung der Krise vermittelt. |
Im Allgemeinen wird im Deutschen unter Humor verstanden, "wenn man trotzdem lacht", eine [[Otto Julius Bierbaum]] (deutscher Schriftsteller, 1865 - 1910) zugeschriebene Formulierung. Wenn man dieses "Trotzdem" näher betrachtet, dann verbindet Humor Schwäche und Stärke auf eine eigentümliche Art und Weise: Ein Lachen ist nur dann ''Humor'', wenn es in einer Situation der Gefahr oder des Scheiterns auftritt, sich nicht gegen Dritte richtet und eine noch so kleine Hoffnung auf die Überwindung der Krise vermittelt. |
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* " 'Limonensaft ist in diesem Klima sehr gesund. Er enthält - nun, ich bin nicht ganz sicher, welche Vitamine er enthält.' Er reichte mir einen Becher, und ich trank. 'Na, wenigstens ist er nass', sagte ich." ([[Graham Greene]], [[Der stille Amerikaner]]) |
* " 'Limonensaft ist in diesem Klima sehr gesund. Er enthält - nun, ich bin nicht ganz sicher, welche Vitamine er enthält.' Er reichte mir einen Becher, und ich trank. 'Na, wenigstens ist er nass', sagte ich." ([[Graham Greene]], [[Der stille Amerikaner]]) |
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== Ironie, Spott, Zynismus und Witz == |
=== Ironie, Spott, Zynismus und Witz === |
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Ein Verständnis von Humor als einer Denkform des Trotzdem bewährt sich in der Abgrenzung zu anderen Formen des Lachens. Dabei sind die Äußerlichkeiten der Präsentation (ob gedruckt, gesprochen, gespielt oder gezeichnet) völlig unwichtig. Wesentlich dagegen ist, dass andere Formen des Lachens über eine vom Humor im engeren Sinn deutlich unterscheidbare Struktur verfügen: |
Ein Verständnis von Humor als einer Denkform des Trotzdem bewährt sich in der Abgrenzung zu anderen Formen des Lachens. Dabei sind die Äußerlichkeiten der Präsentation (ob gedruckt, gesprochen, gespielt oder gezeichnet) völlig unwichtig. Wesentlich dagegen ist, dass andere Formen des Lachens über eine vom Humor im engeren Sinn deutlich unterscheidbare Struktur verfügen: |
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Nach [[Sigmund Freud]]s großer Untersuchung ''Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten'' entsteht Witz durch Verschiebung des Sinns auf eine andere Ebene über den nicht gemeinten Nebensinn oder durch Verdichtung ''mit'' Ersatz (Durchdringung, z.B. zweier Redensarten) bzw. ''ohne'' Ersatz (Verwendung des Doppelsinns - was aber auch eine Art Verschiebung ist). |
Nach [[Sigmund Freud]]s großer Untersuchung ''Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten'' entsteht Witz durch Verschiebung des Sinns auf eine andere Ebene über den nicht gemeinten Nebensinn oder durch Verdichtung ''mit'' Ersatz (Durchdringung, z.B. zweier Redensarten) bzw. ''ohne'' Ersatz (Verwendung des Doppelsinns - was aber auch eine Art Verschiebung ist). |
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== Komische Personen == |
=== Komische Personen === |
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Wer andere zum Lachen bringt, gilt als [[Komik|komisch]]. Wer das Lachen gewerbsmäßig betreibt, schlüpft bisweilen in eine vordefinierte Rolle oder Maske. Diese komischen Personen bzw. Figuren haben oft zwei komplementäre Seiten: eine bedauernswerte Einfalt und eine genialische Kreativität. Mit diesen beiden Seiten geben sie der für den Humor konstitutiven ''Verbindung von Schwäche und Stärke'' ein menschliches Gesicht. Der Erfolg von Komiker-Paaren wie [[Oliver Hardy]] und [[Stan Laurel]] (alias "Dick und Doof") oder [[Dean Martin]] und [[Jerry Lewis]] hing davon ab, wie sie diese komplementären Rollen und ihre Verteilung untereinander in ihren Filmen oder auf der Bühne immer wieder neu erfanden. |
Wer andere zum Lachen bringt, gilt als [[Komik|komisch]]. Wer das Lachen gewerbsmäßig betreibt, schlüpft bisweilen in eine vordefinierte Rolle oder Maske. Diese komischen Personen bzw. Figuren haben oft zwei komplementäre Seiten: eine bedauernswerte Einfalt und eine genialische Kreativität. Mit diesen beiden Seiten geben sie der für den Humor konstitutiven ''Verbindung von Schwäche und Stärke'' ein menschliches Gesicht. Der Erfolg von Komiker-Paaren wie [[Oliver Hardy]] und [[Stan Laurel]] (alias "Dick und Doof") oder [[Dean Martin]] und [[Jerry Lewis]] hing davon ab, wie sie diese komplementären Rollen und ihre Verteilung untereinander in ihren Filmen oder auf der Bühne immer wieder neu erfanden. |
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Beim [[Clown|Zirkusclown]] wird eine alltägliche Absicht durch eine ungewollte Assoziation oder eine sich oft wiederholende äußere Störung behindert und führt zur Clownerie. Der kreative Sieg im Kampf gegen die Tücke des Objekts ist sein schließliches Umfunktionieren, die Erfindung eines neuen Zwecks. |
Beim [[Clown|Zirkusclown]] wird eine alltägliche Absicht durch eine ungewollte Assoziation oder eine sich oft wiederholende äußere Störung behindert und führt zur Clownerie. Der kreative Sieg im Kampf gegen die Tücke des Objekts ist sein schließliches Umfunktionieren, die Erfindung eines neuen Zwecks. |
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== Zur Geschichte des Humors == |
=== Zur Geschichte des Humors === |
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In der Kultur der [[Antike|griechischen Antike]] wurde im öffentlichen Bereich auf dem Theater, bei Festen und in den Straßen gelacht, in denen schlagfertige Männer Passanten oder einflussreiche Bürger ihrer Stadt verspotteten. Im privaten Bereich sind seit etwa 550 v. Chr. Spaßmacher belegt, die sich auf Sammlungen von Witzen in Schriftrollen als Berufsgrundlage stützten. Die Gewohnheit der Beleidigung war in der Kultur der Gelage tief verwurzelt, aber mit dem Zerfall der griechischen [[Polis ]] wurde das Lachen den Besitzenden gefährlich. Die großen Philosophen der Antike (auch [[Platon]], [[Aristoteles ]] und [[Pythagoras]]) forderten die Zähmung des "groben Lachens" zugunsten von feinerem Witz und kultivierter Ironie: Schon in Platons [[Akademie]] war das Lachen verpönt. |
In der Kultur der [[Antike|griechischen Antike]] wurde im öffentlichen Bereich auf dem Theater, bei Festen und in den Straßen gelacht, in denen schlagfertige Männer Passanten oder einflussreiche Bürger ihrer Stadt verspotteten. Im privaten Bereich sind seit etwa 550 v. Chr. Spaßmacher belegt, die sich auf Sammlungen von Witzen in Schriftrollen als Berufsgrundlage stützten. Die Gewohnheit der Beleidigung war in der Kultur der Gelage tief verwurzelt, aber mit dem Zerfall der griechischen [[Polis ]] wurde das Lachen den Besitzenden gefährlich. Die großen Philosophen der Antike (auch [[Platon]], [[Aristoteles ]] und [[Pythagoras]]) forderten die Zähmung des "groben Lachens" zugunsten von feinerem Witz und kultivierter Ironie: Schon in Platons [[Akademie]] war das Lachen verpönt. |
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Im deutschen [[Vormärz]] explodierte die Zahl der Karikaturen, Witzblätter und gedruckten Satiren trotz der Zensurbestimmungen der [[Karlsbader Beschlüsse]] von 1819. Humor "von unten" wurde ein wichtiges Mittel der demokratischen Bewegung im Kampf gegen Aristokratie und Absolutismus. Mit dem [[Parlamentarismus]] näherten sich Volkskultur und kultiviertes Lachen der Oberschichten wieder an und beeinflussen sich heute unter dem Einfluss der [[Massenmedien]] permanent. |
Im deutschen [[Vormärz]] explodierte die Zahl der Karikaturen, Witzblätter und gedruckten Satiren trotz der Zensurbestimmungen der [[Karlsbader Beschlüsse]] von 1819. Humor "von unten" wurde ein wichtiges Mittel der demokratischen Bewegung im Kampf gegen Aristokratie und Absolutismus. Mit dem [[Parlamentarismus]] näherten sich Volkskultur und kultiviertes Lachen der Oberschichten wieder an und beeinflussen sich heute unter dem Einfluss der [[Massenmedien]] permanent. |
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== Das Begriffsfeld des Humors == |
=== Das Begriffsfeld des Humors === |
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Das Feld der mit „Lachen“ und „Humor“ verbundenen Begriffe ist weit - und schwer zu ordnen. Diese Vielfalt und ihr Variantenreichtum sind ein Hinweis auf die anthropologische Funktion des Lachens: Über andere und über sich selbst zu lachen ist offenbar eine wichtige befristete Entlastung von der Mühsal des Lebens. Nach einer Bemerkung von [[Aristoteles ]] ist der Mensch das einzige Tier, das das Lachen entwickelt hat - Lachen und Menschsein gehörten für ihn zusammen. |
Das Feld der mit „Lachen“ und „Humor“ verbundenen Begriffe ist weit - und schwer zu ordnen. Diese Vielfalt und ihr Variantenreichtum sind ein Hinweis auf die anthropologische Funktion des Lachens: Über andere und über sich selbst zu lachen ist offenbar eine wichtige befristete Entlastung von der Mühsal des Lebens. Nach einer Bemerkung von [[Aristoteles ]] ist der Mensch das einzige Tier, das das Lachen entwickelt hat - Lachen und Menschsein gehörten für ihn zusammen. |
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* Regionale Formen: |
* Regionale Formen: |
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[[Britischer Humor]], [[Jüdischer Witz]], [[Rheinischer Humor]], [[Klein Erna|Klein-Erna-Witz]], ... |
[[Britischer Humor]], [[Jüdischer Witz]], [[Rheinischer Humor]], [[Klein Erna|Klein-Erna-Witz]], ... |
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== Humor als Kommunikationsmedium == |
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=== Kommunikationsmedien === |
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In systemtheoretischer Perspektive kann Humor als [[Symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien|Kommunikationsmedium]] verstanden werden (so Jörg ''Räwel'': Humor als Kommunikationsmedium, Konstanz 2005). Das Konzept kommunikativer Medien wurde durch den Soziologen [[Niklas Luhmann]] ausgearbeitet. Es ist ein theoretisches Konstrukt, das Luhmann hinsichtlich des grundsätzlichen Problems von [[Symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien|Kommunikation]] entwickelte, dass allen kommunikativen Zumutungen Ablehnung erfahren kann. Aufgrund der universellen Ja/Nein-Codierung der Sprache kann jede kommunikative Zumutung, etwa Eigentum abzugeben oder Befehlen zu gehorchen, abgelehnt, negiert werden. Grundsätzliches Problem wird damit, Kommunikation überhaupt nur eine Richtung zu geben, kommunikatives Handeln, trotz latent immer möglicher Zurückweisung, erwartbar zu machen. Die durch Luhmanns [[Systemtheorie (Luhmann)|soziologischer Systemtheorie]] ausgearbeiteten [[Symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien|symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien]], wie etwa Geld, Macht, Wahrheit, Liebe, ermöglichen, unwahrscheinliche Kommunikation – eben aufgrund der fortwährend möglichen Ablehnung jeglicher kommunikativen Zumutung – wahrscheinlich zu machen. So ermöglicht Geld innerhalb des [[Funktionale Differenzierung|Funktionssystems]] Wirtschaft durch die Operation von Zahlungen beispielsweise den ansonsten höchst unwahrscheinlichen Wechsel von Eigentum und stellt sich damit dem Problem der Verteilung von Waren. Macht, dem Funktionssystems Politik zugeordnet, erzwingt höchst unwahrscheinliche Handlungen, wie beispielsweise mit Bezug auf militärische Organisation zu plausibilisieren ist. Das Kommunikationsmedium Wahrheit innerhalb des Funktionssystems Wissenschaft stellt sich dem Problem der Zumutung neuen Wissens. Unter der Prämisse wissenschaftlicher Wahrheit lassen sich demnach durchaus auch contraintuitive, unanschauliche, abstrakte wissenschaftliche Erkenntnisse durchsetzen, wie sich etwa durch die [[Quantenphysik]] zeigt. Kommunikationsmedien gemein ist, dass sie mit spezifischen gesellschaftlichen Problemen korrespondieren (wie erwähnt: etwa die Durchsetzung ''neuen'' Wissens), deren sie sich funktional annehmen. Kommunikationsmedien sind über äquivalente Strukturen vergleichbar. So etwa "Präferenzcodes", nach denen sich der Informationsfluss der Medien bzw. Funktionssysteme ordnet, etwa wahr/unwahr in Bezug auf Wissenschaft, machtstärkend/machtschwächend in Bezug auf Politik). Oder zum Beispiel "symbiotische Symbole", die das Verhältnis der Medien als Formen von Kommunikation zur Körperlichkeit organisieren; diese wären etwa (körperliche) Bedürfnisse in Bezug auf Geld/Wirtschaft, Wahrnehmung in Bezug auf Wahrheit/Wissenschaft, (physische) Gewalt in Bezug auf Macht/Politik, oder Sexualität in Bezug auf Liebe als Kommunikationsmedium. Ein weiteres Strukturmerkmal ist etwa die "inflationäre" bzw. "deflationäre" Anwendung der Kommunikationsmedien (hier prominent: [[Inflation|Geld]]). |
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=== Humor === |
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Das systemtheoretische Konzept der (symbolisch generalisierten) Kommunikationsmedien lässt sich, wir folgen im Weiteren der Argumentation von Räwel (a.a.O.), auch auf den Humor anwenden. Zentrales Problem ist in systemtheoretischer Perspektive zunächst die Frage, welches gesellschaftliche Problem sich Humor zuordnen lässt; gefragt ist damit nach der gesellschaftlichen [[Funktionalismus (Gesellschaft)|Funktion]] des Humors. Humor, so Räwel (ebd., S. 34 ff), kann als eine Form der Kommunikation entgegen Erwartungen oder Konventionen als latent oder manifest gegebenen kommunikativen Strukturen verstanden werden. In einem einfachen Fall wäre demnach eine Humoreske in einer einfachen Negation zu sehen (etwa am Mittagstisch, sich auf konventionelle Erwartungen im Sinne von Höflichkeitsfloskeln beziehend: "Schatz, würdest Du mir bitte den Salzstreuer reichen?" – "Nein, Schatz"). In diesem Sinne wird in humoristischer Kommunikation in kommunikativen Erwartungen schon Unterschiedenes (als [[Konvention]] oder Typisierung) nochmals unterschieden, und sei es lediglich im Sinne einer einfachen Negation. Räwel fasst deshalb Humor, verstanden als Kommunikationsmedium, auch als ''Reflexionsmedium'' auf, welches Beobachtungen von (schon) Beobachtetem (im Sinne gegebener Erwartungen) erlaubt. Humoristische Kommunikation bezieht sich dann nicht auf gewissermassen vorgegebene lächerliche Objekte, die subjektiv wahrgenommen und erkannt werden können, vielmehr wird Humor in und durch ein Kommunikationsmedium erst konstruiert bzw. konstituiert. Spezifisch heisst dies, die sonst unwahrscheinliche Form von Kommunikation, entgegen konventioneller Erwartungen zu kommunizieren, wird durch den Humor wahrscheinlich gemacht. So werden beispielsweise auch "Streiche" selbst krasser Art, etwa als Beleidigungen, Sachbeschädigungen, Täuschungen vor "versteckter Kamera" (schon technisch demnach in der Disposition einer "Beobachtungsbeobachtung") hingenommen. Erwartungsenttäuschungen bleiben also folgenlos – gerade darin ist der Erfolg humoristischer Kommunikation zu sehen – und zeitigen normalerweise keine ernsthaften Konsequenzen (forciert: "War doch nur Spass gewesen!"). Ernsthafte, gar strafrechtliche Konsequenzen durch das Rechtssystem, welches generell Erwartungsenttäuschungen (im Sinne von Normübertretungen) sanktioniert, bleiben demnach die Ausnahme. Wenn Humor mit ernsthaften Konsequenzen verbunden ist (etwa Schadenersatzforderungen oder Unterlassungsklagen mit der etwa die Satirezeitschrift [[Titanic (Magazin)|Titanic]] überdurchschnittlich oft belegt wird), zeigt dies nur, dass das Medium unwahrscheinliche Formen von Kommunikation ''wahrscheinlich'' macht, nicht sicher. |
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==== Funktion ==== |
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Funktional ermöglicht Humor die Katalyse von [[Variation]]en oder [[Mutation]]en als reflexive Kommunikation entgegen [[Erwartung (Soziologie)|Erwartungen]] als bereits vorhandenen kommunikativen [[Struktur (Soziologie)|Strukturen]] im Sinne von etwa Konventionen oder [[Stereotyp]]en. Humor sorgt damit auf gesellschaftlicher Ebene für Flexibilisierung, zeigt gewissermassen in "[[Pointe]]n" alternative Möglichkeiten, [[Innovation]]en, Abweichungen vom Üblichen auf (vgl. ebd., S. 37 ff.). Das [[Kontingenz (Soziologie)|Kontingenz]] erzeugende Potential des Humor kommt einer sich schnell wandelnden modernen funktional differenzierten Gesellschaft zu Gute, die potentiell Variationen (oder Mutationen) traditioneller Strukturen im Zuge einer forcierten gesellschaftlichen Evolution nutzen kann. Auf abstrakte Weise lässt sich der Humor demnach als ein Medium verstehen, in dem gesellschaftliche [[Evolution (Systemtheorie)|Evolution]] – als gesellschaftlicher Wandel unter der Bedingung von Variation, Selektionen und (Re-)Stabilisierung – selbst funktionalisiert ist. Der Humor ist in dieser gesellschaftsbezogenen Perspektive gewissermassen als ein Spielfeld gesellschaftlicher Evolution zu verstehen; ein selbst evolutionär erzeugtes Refugium, in dem sich Evolution als Evolution selber auf zunächst folgenlose Weise ausprobieren kann. |
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==== Strukturen ==== |
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Der informative Fluss wird in Kommunikationsmedien durch die Orientierung an einem ''Präferenzcode'' gesteuert. Nach Räwel ist der Präferenzcode des Kommunikationsmediums Humor "reflektiert/unreflektiert" (vgl. ebd., S. 52 ff.); ein Code, der durch den Präferenzcode "lustig/ernst" zweitcodiert ist. Die Zweitcodierung ermöglicht Humor Komplexitätsgewinne; so ist dem Humor möglich, etwa als "[[Galgenhumor]]", selbst ernste Themen dem präferierten Codewerte „lustig“ zuzuordnen. Über ''Programme'' ordnen Kommunikationsmedien Kommunikation dem präferierten Codewerte zu. Im Fall des Humor mögen dies etwa massenmedial verbreitete Comedies, Karnevalssitzungen, Satirezeitschriften, Bühnenshows im Sinne von Lustspielen oder Kabarett sein. Eine programmartige Struktur im Sinne einer technischen Lösung ist etwa die bekannte Einspielung von Lachjingles zu Pointen in (vor allem) us-amerikanischen Comedy-Serien. |
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Der Bezug zwischen Kommunikationsmedien und Körperlichkeit wird durch so genannte ''symbiotische Symbole'' geregelt (ebd., S. 60 ff.). Die [[soziologische Systemtheorie]] hat diese Beziehung explizit zu konzeptualisieren, da Körperlichkeit, ebenso wie die Psyche (im Sinne gedanklicher Operationen) als Umwelt sozialer Systeme, basierend auf kommunikativen Operationen, verstanden wird. In Bezug auf den Humor fungiert das ''Lachen'' als symbiotisches Symbol. Klar wird damit, dass Humor zwar mit Lachen korreliert; genauso wie (körperliche) Bedürfnisse mit dem symbolisch generalisierten Kommunikationsmedium Geld, (sinnliche) Wahrnehmung mit Wahrheit, (physische) Gewalt mit Macht oder Sexualität mit Liebe als Kommunikationsmedium korrelieren. Es wäre jedoch in dieser theoretischen Perspektive absurd, Lachen auch nur als Indikator humoristischer Kommunikation (etwa in empirischen Untersuchungen) zu verstehen. Würde, funktional äquivalent, etwa Sexualität als Indikator für Liebe verstanden, wäre mit Leichtigkeit empirisch zu validieren, dass Bordelle als Refugien der Liebe verstanden werden müssen. Auch (physische) Gewalt etwa kann kaum als Indikator für ein hohes Potential an Macht gesehen werden, vielmehr ist die Anwendung von Gewalt im Gegenteil oftmals Kennzeichen von Machtlosigkeit; Gewalt, belassen in Latenz, wirkt bedrohlicher. Das Verhältnis zwischen Kommunikationsmedien und symbiotischen Symbolen ist also komplex und deshalb keineswegs im Sinne einfacher Kausalschemata, die eine (gegenseitige) Indikation nahe legen könnten, zu verstehen. Humor demnach dadurch zu charakterisieren, dass er der Erzeugung von Lachen diente, ist demnach zumindest fragwürdig. |
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Ein interessantes Strukturmerkmal, dass erwähnt werden soll (vorgenommene Auswahl ist also nicht erschöpfend), ist, dass Kommunikationsmedien ''inflationär'' bzw. ''deflationär'' angewendet werden können (ebd., S. 64 ff.). Insbesondere vom Kommunikationsmedium des Geldes ist bekannt, dass das [[Vertrauen]] in ein Kommunikationsmedium auf wertmindernde Weise überzogen werden kann; ebenso können Chancen, die eine Kommunikationsmedium bietet, Kommunikation zu ermöglichen, ungenutzt bleiben und damit deflationären Tendenzen Auftrieb geben. Durch massenmediale Überflutung humoristischer Kommunikation in entsprechenden Formaten im Fernsehen, Zeitungen, Büchern und durch Bühnenshows ist gemeinhin davon auszugehen, dass Humor von inflationären Tendenzen bedroht ist; dies um so mehr, da Kommunikationsmedien darauf angelegt sind, in der Möglichkeit auch unwahrscheinliche Kommunikation wahrscheinlich zu machen, Vertrauen gewissermassen zu erzwingen. Deflationäre Tendenzen sind dann zu beobachten, wenn dem Humor Chancen verwehrt werden; dies mag etwa in politische repressiven Systemen der Fall sein, in denen Redefreiheiten eingeschränkt sind, wodurch ein Nährboden für die Entstehung [[Politischer Witz|politischer Witze]] entsteht, denen dann oft auf wohl wertüberschätzende Weise gar ein subversives Potential zugeschrieben wird. |
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==== Sachformen ==== |
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[[Ironie]], [[Sarkasmus]], [[Zynismus]], [[Satire]], [[Parodie]], [[Witz]], [[Nonsens]], [[Slapstick]] und visuelle (etwa [[Karikatur]]en) bzw. auditive Formen des Humors werden von Räwel (ebd., S. 92 ff.) als eine Auswahl von Sachformen des Humors benannt. Gemein ist diesen Formen, dass sie dem Kommunikationsmedium Humor insofern zugeordnet werden können, weil es sich um Formen handelt, die kommunikativ am Präferenzcodewert "lustig" (bzw. "reflektiert") orientiert sind. Herausforderung an Theorie ist dann, auszuarbeiten, wie sich die unterschiedlichen Formen unterscheiden. |
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Ironie und Sarkasmus etwa werden als Reflexivformen der Kommunikation verstanden (vgl. a.a.O, S. 94 ff.), die sich dadurch unterscheiden, dass einerseits Ironie Kommunikation in ''selbstreferentieller'' Weise (also in Orientierung an der "Mitteilung") unterscheidet. Etwa: "Schönes Wetter heute!" – wenngleich durch den Kontext klar ist (also schon unterschieden ist), dass ein "Sauwetter" herrscht. Ironie kann dann, im gewissermassen unangreifbaren "Anspielen"auf eine Sachlage, als Mitteilungsverstärker dienen. Sarkasmus hingegen unterscheidet in ''fremdreferentieller'' Weise (also in Orientierung an "Information") schon Unterschiedenes. Etwa: "Grossartiger Präsident, Mr. Bush, oder?" – wenngleich, je nach milieuspezifischem Kontext, Einigkeit darüber herrschen mag, dass dies nicht der Sachlage entspricht. Hier ist im ''Andeuten'' einer Sachlage auf effektive Weise möglich, mit humoristischen Mitteln Kritik zu üben; dadurch, dass die Kritik lediglich auf indirekte Weise erfolgt, ist es nämlich für etwaige Gegenkritik schwierig, überhaupt nur Anschluss zu finden. |
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Ob von Ironie oder Sarkasmus die Rede ist, hängt von individuellen Beobachtungsschemata ab. So lässt sich die Aussage: "Schönes Wetter, oder!", heutzutage nämlich durchaus auch als Sarkasmus verstehen. Dann zielt die Bemerkung auf die Wetterlage in ihrem informativen Gehalt und dient etwa der Kritik für einen von Personen verursachten Klimawandel. Im Sarkasmus zeigt sich demnach auch die Nähe von humoristischer und moralischer (Achtung bzw. Missachtung zuweisender) Kommunikation, die etwa auch in Bezug auf Satire einleuchtet. |
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Konventioneller Weise wird – gerade Merkmal von Konventionen – erwartungskonform kommuniziert bzw. gehandelt. Es ist also eine Ausnahme, die im Falle des Humors mit positiven Attributen, wie "kreativ", "innovativ", "originell" etc., belegt wird, wenn überraschender Weise entgegen Konventionen kommuniziert wird. Originelle humoristische Kommunikation muss demnach eine Ausnahme bleiben; man kann mit Humor, wenngleich heutzutage als Form der Kommunikation erwünscht und populär, eigentlich nicht rechnen. Die Form des ''Witzes'' (vgl. ebd., S. 112 ff) nimmt sich dieses Problems an. Witze machen humoristische Kommunikation – und damit originelle, innovative, überrasche Kommunikation gleichwohl plan- und berechenbar. Gerade dadurch unterscheidet sich die Form des Witzes von anderen Sachformen des Humors. Das reflexive Moment von Pointen ist in Witzen immer substantiell an einen schon vorhanden (zu variierenden) Kontext gebunden, und damit weitgehend dem Kontext spezifischer Situationen entbunden, wodurch Originalität und Überraschung gewissermassen planbar werden. |
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==== Evolution des Humors ==== |
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Für die Frage, wie sich die spezifische Form des Humors entwickelte (vgl. ebd., S. 196 ff.), muss beobachtet werden, wie unterschiedliche gesellschaftliche Formen gemeinhin auf Erwartungsenttäuschungen (und damit auch: auf das Aufkommen von ''Neuem'') reagieren bzw. reagiert haben. Dass Innovation, Kommunikation entgegen Erwartungen einen positiven Stellenwert hat, wie dies heutzutage der Fall ist (was sich mit Leichtigkeit an [[Mode]]n oder moderner Kunst verdeutlichen lässt), ist keineswegs selbstverständlich. Auch heutzutage dient das Recht bzw. die Moral dazu, Erwartungsenttäuschungen negativ zu sanktionieren. Allerdings in unserer modernen funktional differenzierten Gesellschaft beschränkt auf das Recht als Funktionssystem bzw. Moral als Kommunikationsmedium. Werden diese Beschränkungen verletzt, wird dementsprechend schnell appelliert, die "Freiheit der Kunst" zu respektieren; auch lassen sich Kunst und Humor heutzutage kaum noch von moralischen Grundsätzen korrumpieren. |
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Es ist dies eine Entwicklung, die insofern relativ neu ist, da sie an den Umbruch der Gesellschaft von [[Stratifikation (Soziologie)|stratifikatorischer Differenzierung]] (als einer Gesellschaft, die hierarchisch, etwa in Ständen organisiert ist) zur modernen [[Funktionale Differenzierung|funktionalen Differenzierung]] gebunden ist. Ein Umbau der Gesellschaftsform, der in den letzten 200 bis 300 Jahren stattfand und wohl an die Verbreitung des Buchdrucks im 15./16. Jahrhundert gekoppelt ist. In der abstrakten Anonymität von Schriftlichkeit wurde es mithin relativ leicht möglich, Alternativen, Abweichungen vom Üblichen in Vorschlag und Verbreitung zu bringen. Moderne Formen des Humors, wie der [[Nonsens]], wurden im Zuge dieser Entwicklung erst zu Anfang des 19. Jahrhunderts entwickelt. |
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Bezogen auf ältere gesellschaftliche Formierungen – also stratifikatorisch oder segmentär differenzierten (etwa in [[Gentilgesellschaft|Stämmen]] organisierten) – muss von einer vorrangig negativen Reaktion auf Neues im Sinne von Erwartungsenttäuschungen ausgegangen werden; und damit weitgehender Abwesenheit des Humors. Kommunikation bzw. Verhalten entgegen Erwartungen wurde strengstens sanktioniert bzw. zumindest lächerlich gemacht. Plausibilisiert wird diese These einerseits dadurch, dass segmentär und stratifikatorisch differenzierte Gesellschaftsformen abertausende Jahre währenden, weitgehend stabilen Bestand hatten (so etwa das Pharaonenreich [[Altes Ägypten|Altägyptens]]); andererseits dadurch, dass die ältesten Formen des Humors – etwa die [[Satire]] – moralisch dominiert sind. Auch hier ging es weitgehend noch darum (anders etwa als in modernen Formen, wie dem [[Nonsens]]), Abweichung vom Erwarteten negativ zu sanktionieren – auszulachen oder zu verlachen. |
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Erst die sich durch schnellen Wandel auszeichnende Moderne machte es notwendig, eine positive Einstellung zu Neuheit, Abweichungen, Innovationen, Variationen zu entwickeln. Varianten des Üblichen wird heute grundsätzlich das Potential eingeräumt, im und für den schnellen gesellschaftlichen Wandel nützlich zu sein. In ohnehin auf Stabilität der hierarchischen Schranken ausgelegten stratifikatorisch differenzierten Gesellschaften wurde Humor allenfalls – wie dass [[Narr|Hofnarrentum]] zeigt (ebd., S. 206 ff.) – auf paradoxe Weise benutzt, um in einer für den Herrscher informativen Auflösung hierarchischer Ebenen die Rangordnung gleichwohl auf effektive Weise zu stabilisieren. |
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== Literatur == |
== Literatur == |
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* Sigmund ''Freud'' (1927): Der Humor, in: Freud, Studienausgabe. Hg. von Alexander Mitscherlich u. a. Frankfurt am Main 1969-75. Bd. 4, S. 275-282 |
* Sigmund ''Freud'' (1927): Der Humor, in: Freud, Studienausgabe. Hg. von Alexander Mitscherlich u. a. Frankfurt am Main 1969-75. Bd. 4, S. 275-282 |
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* Dieter ''Hörhammer'': Die Formation des literarischen Humors. Ein psychoanalytischer Beitrag zur bürgerlichen Subjektivität. München 1984 |
* Dieter ''Hörhammer'': Die Formation des literarischen Humors. Ein psychoanalytischer Beitrag zur bürgerlichen Subjektivität. München 1984 |
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* John ''Morreall'': The Philosophy of Laugher and Humor, Albany 1987 |
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* Jörg ''Räwel'': Humor als Kommunikationsmedium, Konstanz 2005 |
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* Joachim ''Ritter'': Über das Lachen. In: ders.: Subjektivität. Frankfurt/Main, 1974, 62-92. |
* Joachim ''Ritter'': Über das Lachen. In: ders.: Subjektivität. Frankfurt/Main, 1974, 62-92. |
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* Wolfgang ''Schmidt-Hidding'' (Hg.): Humor und Witz, München 1963 |
* Wolfgang ''Schmidt-Hidding'' (Hg.): Humor und Witz, München 1963 |
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* Irka ''Schneider'': Humor in der Werbung. Praxis, Chancen und Risiken, Saarbrücken 2005 |
* Irka ''Schneider'': Humor in der Werbung. Praxis, Chancen und Risiken, Saarbrücken 2005 |
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* Werner ''Thiede'': Das verheißene Lachen. Humor in theologischer Perspektive, Göttingen 1986 (ital. Übers. Turin/Mailand 1989) |
* Werner ''Thiede'': Das verheißene Lachen. Humor in theologischer Perspektive, Göttingen 1986 (ital. Übers. Turin/Mailand 1989) |
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*Michael ''Titze'': Therapeutischer Humor. Grundlagen und Anwendungen. Fischer. Frankfurt/Main, 1998 [4. Aufl. 2003] (Koautor: Christof T. Eschenröder), ISBN 3-596-12650-9 |
* Michael ''Titze'': Therapeutischer Humor. Grundlagen und Anwendungen. Fischer. Frankfurt/Main, 1998 [4. Aufl. 2003] (Koautor: Christof T. Eschenröder), ISBN 3-596-12650-9 |
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* Anton C. "Zijderfeld": Humor und Gesellschaft, Graz 1976 |
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== Siehe auch == |
== Siehe auch == |
Version vom 2. Januar 2007, 22:50 Uhr
Begriffliche Annährungen an den Humor
Humor (lat. humor = Feuchtigkeit) gilt auf den ersten Blick als eine Fähigkeit, ein Lachen hervorrufen zu können.
Als "humorvoll" werden Personen bezeichnet, die andere zum Lachen bringen. Eine andere und viel engere Auffassung wird allerdings ausgedrückt in der im Deutschen sprichwörtlichen Wendung "Humor ist, wenn man trotzdem lacht".
Bis heute ist keine umfassende Theorie des Humors entwickelt worden. Dabei spielt vermutlich die große Vielfalt des Lachens, seiner Zielrichtungen, seiner Verfahren und Anlässe eine Rolle. Man weiß inzwischen wenigstens, dass Lachen als ein Kulturphänomen an eine bestimmte historische, soziale und personelle Konstellation gebunden ist – aber zum Beispiel für historisch frühe Formen existieren mehr offene Fragen als Quellen.
Auch die Feldforschung der Ethnologie hat bisher keine Integration ihrer vielen Beobachtung erarbeiten können: Worüber man lacht, wer das Lachen wie auslöst, welche Wirkung ein Lachen im sozialen Kontext hat – die Antworten auf diese Fragen sind immer noch sehr heterogen. Eine besondere Schwierigkeit ist, dass das Lachen anderer Kulturkreise oft nur in der Kontaktsituation mit Ethnologen beobachtet werden konnte: Andere Ethnien lachten über die für sie erstaunlichen Verhaltensweisen der Ethnologen. Damit aber beeinflusste die jeweilige Herkunftskultur der Feldforscher während ihrer Beobachtungen immer schon die Zielkultur ihres Gegenstands und machte eine "objektive" Beobachtung unmöglich.
Eine weite, pragmatische Definition
Mit einem Blick ausschließlich auf das Ergebnis von Humor könnte man sagen, dass Humor alles ist, was Lachen hervorbringt – sowohl das Lachen über sich selbst als auch das mehr oder weniger vernichtende Lachen über andere.
Diese pragmatische Definition des Humors macht die das Lachen auslösenden und es qualifizierenden Vorgänge eher unsichtbar. Eine so weite Definition öffnet ein uferloses Begriffsfeld, in dem literarische Formen und bildnerische Gestaltungen, clownesque und andere Aufführungen, jüdischer, rheinischer und sonstiger Humor nebeneinander stehen, ohne dass die Unterschiede des Lachens deutlich werden.
Die enge, analytische Definition
Im Allgemeinen wird im Deutschen unter Humor verstanden, "wenn man trotzdem lacht", eine Otto Julius Bierbaum (deutscher Schriftsteller, 1865 - 1910) zugeschriebene Formulierung. Wenn man dieses "Trotzdem" näher betrachtet, dann verbindet Humor Schwäche und Stärke auf eine eigentümliche Art und Weise: Ein Lachen ist nur dann Humor, wenn es in einer Situation der Gefahr oder des Scheiterns auftritt, sich nicht gegen Dritte richtet und eine noch so kleine Hoffnung auf die Überwindung der Krise vermittelt.
Auslöser eines humorvollen Lachens sind die Fehler, die einem - trotz anderer, die man sich schon geleistet hat - noch nicht unterlaufen sind. Diese künstliche Verdopplung der eigenen Schwäche überwindet symbolisch das Bedrohliche der Situation. In diesem Tiefstapeln des Widerstands steckt der optimistische Hinweis, dass man sich der Situation nicht ohne Widerstand ausliefert. Dieser symbolische Vorgriff vermittelt neue Hoffnung auf eine Lösung auch im wirklichen Leben. Im Humor macht man sich dümmer als man ist und wird dadurch stärker als man scheint.
Diese Selbst-Tröstung durch Lachen beschreibt Freud in einem Aufsatz (vgl. Literatur unten) über den Humor (1927): "Der Humor hat nicht nur etwas Befreiendes wie der Witz und die Komik, sondern auch etwas Großartiges und Erhebendes, welche Züge an den beiden anderen Arten des Lustgewinns aus intellektueller Tätigkeit nicht gefunden werden. Das Großartige liegt offenbar im Triumph des Narzißmus, in der siegreich behaupteten Unverletzlichkeit des Ichs. Das Ich verweigert es, sich durch die Veranlassungen aus der Realität kränken, zum Leiden nötigen zu lassen, es beharrt dabei, daß ihm die Traumen der Außenwelt nicht nahegehen können, ja es zeigt, daß sie ihm nur Anlässe zu Lustgewinn sind."
Humor wird erkannt an der Konstruktion eines offenbar unangemessenen, nebensächlichen Standpunkts oder einer unzulänglichen Verhaltensweise in einer Situation der Gefahr, des Scheiterns oder der Niederlage. Die Unangemessenheit wird sprachlich oder im Verhalten gewollt inszeniert und die Gefahr auf eine fadenscheinige Weise umspielt. So wird die Beschwernis als Luxus, das Unangenehme als Errungenschaft vorgeführt und nachträglich ein unsinniger Sinn konstruiert. Christopher Fry: "Humor ist eine Flucht vor der Verzweiflung, ein knappes Entkommen in den Glauben." Typische Formulierungen für die humorvolle Umdeutung einer ungewissen Lage sind: Wenigstens haben wir ... oder: Immerhin besser als ... Ein frühes Beispiel:
- 480 v.Chr. droht Xerxes I. den Griechen bei den Thermopylen: Ich habe so viele Speerwerfer, dass ihre Speere die Sonne verdunkeln werden! König Leonidas von Sparta lässt der Überlieferung nach antworten: Umso besser - dann kämpfen wir im Schatten!
Im Gegensatz zur Abwertung anderer in der Ironie, im Spott oder im Zynismus macht Leonidas diese humorvolle Bemerkung (auch) über sich selbst: Er stirbt sogar noch vor seinen Kriegern in jener Schlacht. Wichtig ist: Leonidas denkt als Betroffener, nicht als Besserwisser. Dieser Humor und Selbstironie scheinen nahe Verwandte zu sein, unterscheiden sich aber vielleicht darin, dass Humor an ein größeres Publikum adressiert ist. Im Gegensatz zu anderen Formen des Lachens stiftet Humor Gemeinschaft - Ironie, Spott und Zynismus dagegen sind Denkformen der Dekonstruktion und sozialen Eskalation, die nur über den Umweg sozialer Kämpfe integrieren. „Lieber einen Freund verlieren als einen Witz!“ – dieses auf Quintilian zurückgehende Motto mag manches Lachen meinen, aber eben keinen Humor. Weitere Beispiele:
- Madelaine erzählt ihrem Mann, dass ihr Psychiater sie vor ihren paranoiden Momenten gewarnt habe: "Jedenfalls werde ich dich nie langweilen", kündigt sie Herzog an. (Saul Bellow, Herzog)
- " 'Limonensaft ist in diesem Klima sehr gesund. Er enthält - nun, ich bin nicht ganz sicher, welche Vitamine er enthält.' Er reichte mir einen Becher, und ich trank. 'Na, wenigstens ist er nass', sagte ich." (Graham Greene, Der stille Amerikaner)
Ironie, Spott, Zynismus und Witz
Ein Verständnis von Humor als einer Denkform des Trotzdem bewährt sich in der Abgrenzung zu anderen Formen des Lachens. Dabei sind die Äußerlichkeiten der Präsentation (ob gedruckt, gesprochen, gespielt oder gezeichnet) völlig unwichtig. Wesentlich dagegen ist, dass andere Formen des Lachens über eine vom Humor im engeren Sinn deutlich unterscheidbare Struktur verfügen:
Ironie ist eine Denkform der Vergrößerung des Bruchs zwischen Selbstbild und Fremdbild, zwischen Absichten und Wirkungen, zwischen notwendigem und tatsächlichem Verhalten. Sie zielt immer auf andere als den Beobachter, konfrontiert Dritte mit ihren unerreichten Idealen oder mit einer durchsichtigen Um-Wertung des Faktischen. Distanzierende Nachahmung und kritische Verstärkung sind ihr Prinzip: Ironie führt die unhaltbare Seite sprachlich vor, zerrt das Ungenügen ans Licht und macht Über- oder Untertreibungen sichtbar durch "symbolische Fortsetzung". Und manchmal trifft auch zu, dass sie das Gegenteil von dem meint, was gesagt wird. Beispiele:
- Liesl Karlstadt : "Ich komme wegen dem Haus!" – Karl Valentin : "Es ist aber ein Häuschen." – Karlstadt: "Haus, Häuschen, Häuseleinchen. Steht es im Freien?"
- Der in seinen Enkel verliebte Großvater Sartres nahm Sartres Vater dessen frühen Tod mit nur zweiunddreißig Jahren übel: "Angesichts dieses verdächtigen Abscheidens fragte er sich, ob sein Schwiegersohn überhaupt jeh existiert habe..." (Jean Paul Sartre, Die Wörter)
- "Der Bassist trank seiner Stimme zu Liebe niemals etwas Schärferes als Milch." (James Joyce, Dubliner)
Selbstironie, die hier nur der Wortähnlichkeit wegen aufgeführt wird, ist eine Form der Verarbeitung des Mangels an eigener Größe. In ihr kommentiert sich der Beobachter selbst - insofern ist sie mit dem Humor im engeren Sinn nahe verwandt. Vielleicht ist Selbstironie eine Art von Humor, die den Kreis der Verantwortlichen auf den Beobachter eingrenzt. Beispiele:
- "Ich regiere unzählige Menschen, muss aber anerkennen, dass ich von Vögeln und Donnerschlägen regiert werde," meint Cäsar. (Thornton Wilder, Die Iden des März)
- Der Alte war ein Despot und "ich tat in seiner Gegenwart, als hätte er mich höchsteigenhändig aus einem Klumpen Lehm geschaffen..." (John Cheever, Der Schwimmer)
- Die Kinder haben gerade einen Mordanschlag überlebt und sind dabei zum ersten Mal ihrem geheimnisvollen Nachbarn und Retter begegnet: "Auf dem Heimweg sagte ich mir, daß Jem und ich nun bald erwachsen wären und nicht mehr viel zu lernen hätten, höchstens Algebra." (Harper Lee, Wer die Nachtigall stört)
In der Ironie des Schicksals bzw. der Ironie der Geschichte tritt ein Ereignis an die Stelle, die in der verbalen Ironie der Kommentator innehat. Das Leben entwertet - auf eine manchmal grausame Weise - ein Lebensprinzip oder die Illusion eines Protagonisten, der die Belehrung sehr zu seiner Überraschung in der Lage eines Opfers erleiden muss. Bei Friedrich Schlegel (1772 - 1829), einem Autor der deutschen Romantik, findet sich ein Hinweis auf einen gefühlvollen Freund der Natur, der in eine liebliche Grotte eintritt und von ihr reichlich mit Wasser bespritzet wird - was seine Zartheit vertreibt. Heutige Alltagsbeispiele: Ein Schwimmweltmeister, der ertrinkt; ein Herzensbrecher, dem das Herz bricht; ein Rennfahrer, der von einer Dampfwalze überrollt wird; ein Polizist, der bestohlen wird; ein Koch, der am Essen erstickt, usw.
Unter Spott versteht man heute im Allgemeinen einen abwertenden Vergleich in verletzender Absicht. Spott braucht ein Opfer für das Auslachen, das boshafte Veralbern oder Lächerlichmachen. Etymologisch bedeutete es zunächst nur: vor Abscheu ausspucken. Seit dem 18. Jh. wurde es für Vögel verwendet, die die Stimmen anderer Vögel nachahmen (Spottdrossel). Beispiele:
- "Der Mensch - ein Pulverpavian" (Christian Morgenstern).
- Ein Freier im Palast zum Bettler Odysseus: "Der Mann ist eine lebendige Laterne, so sehr schimmert sein Kahlkopf!" (Odyssee)
Wie auch beim Spott so hat sich im Laufe der Zeit die Bedeutung des Zynismus deutlich verändert. Der moderne Zynismus ist eine Theorie der Vergeblichkeit von ethischer Haltung und Moral. Seiner Meinung - oder vielleicht auch Erfahrung - nach sind Widerstand und Menschenwürde in dieser Welt von vornherein sinnlos. Für eine "zynische Karriere" ist er bereit, seine Seele meistbietend zu verkaufen. Der Zyniker predigt die Anpassung an Macht und Unterdrückung; er lacht über diejenigen, die ihr widerstehen - und über Humoristen.
Ursprünglich war mit Zynismus die Haltung des Diogenes von Sinope (ca. 399 - 323 v. Chr.) gemeint, der seine Abkehr von der zerfallenden Polis als Selbstbehauptung in der schamlosen Existenz des nackten Einzelnen lebte. Diogenes vegetierte "wie ein Hund", eben: "kynisch", was nicht "Bissigkeit" sondern ein Leben in Armut und Verachtung durch seine Mitbürger bedeutete.
Ein Witz verursacht ein Lachen durch plötzliche Einsicht in einen unerwarteten Zusammenhang. Ein Witz beruht im Wesentlichen auf einer überraschenden Kombination und Assoziation. Er bedarf einer Gliederung in Einleitung, Überleitung und Pointe, vermittelt durch leitmotivische Wörter, die oft in doppelter Bedeutung benutzt werden. Während Ironie, Spott und Zynismus eine konkrete Einzelperson oder soziale Gruppe als Gegenüber oder Opfer erfordern, sind Dritte für einen Witz zwar möglich, aber nicht notwendig: "Frage: Was gibts für einen guten Witz? Antwort: Ein Jahr Gefängnis." Der Erfolg ist abhängig von der Klarheit der Form, der Kürze der Exposition und der Konfrontation der Bedeutungen oder der Figuren in direkter Rede.
Nach Sigmund Freuds großer Untersuchung Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten entsteht Witz durch Verschiebung des Sinns auf eine andere Ebene über den nicht gemeinten Nebensinn oder durch Verdichtung mit Ersatz (Durchdringung, z.B. zweier Redensarten) bzw. ohne Ersatz (Verwendung des Doppelsinns - was aber auch eine Art Verschiebung ist).
Komische Personen
Wer andere zum Lachen bringt, gilt als komisch. Wer das Lachen gewerbsmäßig betreibt, schlüpft bisweilen in eine vordefinierte Rolle oder Maske. Diese komischen Personen bzw. Figuren haben oft zwei komplementäre Seiten: eine bedauernswerte Einfalt und eine genialische Kreativität. Mit diesen beiden Seiten geben sie der für den Humor konstitutiven Verbindung von Schwäche und Stärke ein menschliches Gesicht. Der Erfolg von Komiker-Paaren wie Oliver Hardy und Stan Laurel (alias "Dick und Doof") oder Dean Martin und Jerry Lewis hing davon ab, wie sie diese komplementären Rollen und ihre Verteilung untereinander in ihren Filmen oder auf der Bühne immer wieder neu erfanden.
Historisch treten "komische Personen" in einer langen Reihe von den Spaßmachern der Antike bis zu unseren heutigen Kabarettisten und Comedians privat und in der Öffentlichkeit auf. Dabei wechselt ihr Humor von einem Lachen über sich selbst bis zu einem Angriff auf Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, auf gesellschaftliche Gruppen oder Institutionen.
Die komische Bühnenfigur im geistlichen Drama des Mittelalters heizte durch derbe Späße das Publikum an. Die Figur wurde in der Regel als ein hungriger Plebejer gespielt, der mit bösem Witz seine Interessen gegen die wohlhabenden Schichten der Städte durchsetzte. Aus dieser Figur wurde der Hanswurst, später unser Kasperle und noch später der Clown im Zirkus.
Im Sommernachtstraum Shakespeares ist Zettel, der Weber, die komische Figur: Ihm wird von Puck zeitweilig ein Eselskopf angehext, er spielt in dem "roten Bart, dem ganz gelben", und sagt als Pyramus: "Ein Stimm ich sehen tu; ich will zur Spalt und schauen, ob ich nicht hören kann meiner Thisbe Antlitz klar."
Einer der wichtigsten deutschen Schriftsteller nicht nur des Humors war Jean Paul (eigentlich: Johann Paul Friedrich Richter, 1763 – 1825), der eine ganze Reihe von "komischen Figuren" erschuf. Sein Feldprediger Schmelzle zum Beispiel ist durch eine Menge Laster geschlagen, die das Leben erschweren: Schmelzle leidet an einer unpraktischen Sichtweise, umständlichen Vorsorge und Rede, er versteigt sich zu durchsichtigen Übertreibungen und seine Logik schlägt Kapriolen. Schmelzle droht wegen dieser Schwächen fast zu unterliegen, kann aber – und das ist die erforderliche zweite Seite einer komischen Person - wegen seiner großen Kreativität wenigstens überleben.
Beim Zirkusclown wird eine alltägliche Absicht durch eine ungewollte Assoziation oder eine sich oft wiederholende äußere Störung behindert und führt zur Clownerie. Der kreative Sieg im Kampf gegen die Tücke des Objekts ist sein schließliches Umfunktionieren, die Erfindung eines neuen Zwecks.
Zur Geschichte des Humors
In der Kultur der griechischen Antike wurde im öffentlichen Bereich auf dem Theater, bei Festen und in den Straßen gelacht, in denen schlagfertige Männer Passanten oder einflussreiche Bürger ihrer Stadt verspotteten. Im privaten Bereich sind seit etwa 550 v. Chr. Spaßmacher belegt, die sich auf Sammlungen von Witzen in Schriftrollen als Berufsgrundlage stützten. Die Gewohnheit der Beleidigung war in der Kultur der Gelage tief verwurzelt, aber mit dem Zerfall der griechischen Polis wurde das Lachen den Besitzenden gefährlich. Die großen Philosophen der Antike (auch Platon, Aristoteles und Pythagoras) forderten die Zähmung des "groben Lachens" zugunsten von feinerem Witz und kultivierter Ironie: Schon in Platons Akademie war das Lachen verpönt.
Da es im römischen Recht ausdrücklich verboten war, einen Bürger (faktisch: einen Adligen) lächerlich zu machen, beschäftigte sich Cicero mehrfach ausdrücklich mit der Angemessenheit eines Witzes, der sonst die Karriere eines Redners schnell beenden konnte. Der Humor des Plautus dagegen war in seinen Komödien viel volksnäher und schon mehr einer des Karnevals.
Im Mittelalter und der Renaissance wurde der Humor mehr und mehr aus der höfischen Kultur und auch der Kirche verdrängt. Der Narr am Hofe des Königs verlor seine Funktion und Lachen galt in den Klöstern als der obzönste Weg, das Gelübde des Schweigens zu brechen - aber natürlich fanden sich in ihren Bibliotheken auch Sammlungen von Witzen. Humor wurde zu einem Thema der Volkskultur und der städtischen Feste (Karneval, Fastnacht). Zwischen etwa 1450 und 1750 kursierte eine Vielzahl von sog. Volks- oder Schwankbüchern mit Streichen, Witzen und schlagfertigen Antworten als Munition für kurzweilige Gespräche und Stegreif-Vorträge. Der Humor der Schwänke war oft spöttisch oder gehässig und richtete sich oft gegen Außenseiter der Gesellschaft. Auch Shakespeare verarbeitete Ideen aus zeitgenössischen Schwankbüchern.
Mit den Kämpfen zwischen Reformation und Gegenreformation wurde der Humor einerseits in Dienst genommen, um den ideologischen Gegner lächerlich zu machen, andererseits fürchtete die jeweilige Kirche, selbst Opfer des Lachens der anderen Seite zu werden und bemühte sich um Kontrolle und Mäßigung. Daher diskutierten auch Theologen, ob und welche Witze von der Kanzel erlaubt wären und ob Jesus jemals gelacht haben könnte.
In der Aufklärung wurde Humor anfangs als Vergehen gegen das Ideal der Ernsthaftigkeit und logischen Argumentation aufgefasst. Lachen war daher zunächst in der französischen Nationalversammlung verboten, wurde aber zunehmend als ein Mittel der politischen Auseinandersetzung akzeptiert.
Im deutschen Vormärz explodierte die Zahl der Karikaturen, Witzblätter und gedruckten Satiren trotz der Zensurbestimmungen der Karlsbader Beschlüsse von 1819. Humor "von unten" wurde ein wichtiges Mittel der demokratischen Bewegung im Kampf gegen Aristokratie und Absolutismus. Mit dem Parlamentarismus näherten sich Volkskultur und kultiviertes Lachen der Oberschichten wieder an und beeinflussen sich heute unter dem Einfluss der Massenmedien permanent.
Das Begriffsfeld des Humors
Das Feld der mit „Lachen“ und „Humor“ verbundenen Begriffe ist weit - und schwer zu ordnen. Diese Vielfalt und ihr Variantenreichtum sind ein Hinweis auf die anthropologische Funktion des Lachens: Über andere und über sich selbst zu lachen ist offenbar eine wichtige befristete Entlastung von der Mühsal des Lebens. Nach einer Bemerkung von Aristoteles ist der Mensch das einzige Tier, das das Lachen entwickelt hat - Lachen und Menschsein gehörten für ihn zusammen.
Die folgende Liste der Links ist unvollständig und behelfsmäßig, einige Zuordnungen könnten auch anders erfolgen. Am wichtigsten wird es in Zukunft sein, die hier sog. „Denkformen“ weiter gegeneinander abzugrenzen und ihre besonderen Methoden zu entschlüsseln; sind erst diese Verfahren begriffen, dann sind auch ihre Darstellungen in schriftlicher, mündlicher, usw. Form nicht länger ein analytisches Problem.
- Denkformen:
Hohn, Ironie, Komik, Parodie, Sarkasmus, Selbstironie, Spott, Witz, Zynismus, ...
- Schriftliche Formen:
Anekdote, Glosse, Limerick, Satire, komische Lyrik ...
- Mündliche Formen:
Running Gag (Dauerwitz), Kalauer, Krätzchen, Radio Eriwan, Scherz, Schlagfertigkeit, Trockener Humor, Zote, ...
- Verhaltensformen:
Albernheit, Chuzpe, Süffisanz, ...
- Darstellende Formen:
Clown, Comedy, Farce, Groteske, Kabarett, Komiker, Komödie, Slapstick, Sitcom, ...
- Bildliche Formen:
Cartoon, Comic, Karikatur, ...
- Ereignis- oder situationsgebundene Formen:
Aprilscherz, Fastnacht, Fasching, Galgenhumor, Ironie des Schicksals, Karneval, Schwarzer Humor, Therapeutischer Humor, ...
- Regionale Formen:
Britischer Humor, Jüdischer Witz, Rheinischer Humor, Klein-Erna-Witz, ...
Humor als Kommunikationsmedium
Kommunikationsmedien
In systemtheoretischer Perspektive kann Humor als Kommunikationsmedium verstanden werden (so Jörg Räwel: Humor als Kommunikationsmedium, Konstanz 2005). Das Konzept kommunikativer Medien wurde durch den Soziologen Niklas Luhmann ausgearbeitet. Es ist ein theoretisches Konstrukt, das Luhmann hinsichtlich des grundsätzlichen Problems von Kommunikation entwickelte, dass allen kommunikativen Zumutungen Ablehnung erfahren kann. Aufgrund der universellen Ja/Nein-Codierung der Sprache kann jede kommunikative Zumutung, etwa Eigentum abzugeben oder Befehlen zu gehorchen, abgelehnt, negiert werden. Grundsätzliches Problem wird damit, Kommunikation überhaupt nur eine Richtung zu geben, kommunikatives Handeln, trotz latent immer möglicher Zurückweisung, erwartbar zu machen. Die durch Luhmanns soziologischer Systemtheorie ausgearbeiteten symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien, wie etwa Geld, Macht, Wahrheit, Liebe, ermöglichen, unwahrscheinliche Kommunikation – eben aufgrund der fortwährend möglichen Ablehnung jeglicher kommunikativen Zumutung – wahrscheinlich zu machen. So ermöglicht Geld innerhalb des Funktionssystems Wirtschaft durch die Operation von Zahlungen beispielsweise den ansonsten höchst unwahrscheinlichen Wechsel von Eigentum und stellt sich damit dem Problem der Verteilung von Waren. Macht, dem Funktionssystems Politik zugeordnet, erzwingt höchst unwahrscheinliche Handlungen, wie beispielsweise mit Bezug auf militärische Organisation zu plausibilisieren ist. Das Kommunikationsmedium Wahrheit innerhalb des Funktionssystems Wissenschaft stellt sich dem Problem der Zumutung neuen Wissens. Unter der Prämisse wissenschaftlicher Wahrheit lassen sich demnach durchaus auch contraintuitive, unanschauliche, abstrakte wissenschaftliche Erkenntnisse durchsetzen, wie sich etwa durch die Quantenphysik zeigt. Kommunikationsmedien gemein ist, dass sie mit spezifischen gesellschaftlichen Problemen korrespondieren (wie erwähnt: etwa die Durchsetzung neuen Wissens), deren sie sich funktional annehmen. Kommunikationsmedien sind über äquivalente Strukturen vergleichbar. So etwa "Präferenzcodes", nach denen sich der Informationsfluss der Medien bzw. Funktionssysteme ordnet, etwa wahr/unwahr in Bezug auf Wissenschaft, machtstärkend/machtschwächend in Bezug auf Politik). Oder zum Beispiel "symbiotische Symbole", die das Verhältnis der Medien als Formen von Kommunikation zur Körperlichkeit organisieren; diese wären etwa (körperliche) Bedürfnisse in Bezug auf Geld/Wirtschaft, Wahrnehmung in Bezug auf Wahrheit/Wissenschaft, (physische) Gewalt in Bezug auf Macht/Politik, oder Sexualität in Bezug auf Liebe als Kommunikationsmedium. Ein weiteres Strukturmerkmal ist etwa die "inflationäre" bzw. "deflationäre" Anwendung der Kommunikationsmedien (hier prominent: Geld).
Humor
Das systemtheoretische Konzept der (symbolisch generalisierten) Kommunikationsmedien lässt sich, wir folgen im Weiteren der Argumentation von Räwel (a.a.O.), auch auf den Humor anwenden. Zentrales Problem ist in systemtheoretischer Perspektive zunächst die Frage, welches gesellschaftliche Problem sich Humor zuordnen lässt; gefragt ist damit nach der gesellschaftlichen Funktion des Humors. Humor, so Räwel (ebd., S. 34 ff), kann als eine Form der Kommunikation entgegen Erwartungen oder Konventionen als latent oder manifest gegebenen kommunikativen Strukturen verstanden werden. In einem einfachen Fall wäre demnach eine Humoreske in einer einfachen Negation zu sehen (etwa am Mittagstisch, sich auf konventionelle Erwartungen im Sinne von Höflichkeitsfloskeln beziehend: "Schatz, würdest Du mir bitte den Salzstreuer reichen?" – "Nein, Schatz"). In diesem Sinne wird in humoristischer Kommunikation in kommunikativen Erwartungen schon Unterschiedenes (als Konvention oder Typisierung) nochmals unterschieden, und sei es lediglich im Sinne einer einfachen Negation. Räwel fasst deshalb Humor, verstanden als Kommunikationsmedium, auch als Reflexionsmedium auf, welches Beobachtungen von (schon) Beobachtetem (im Sinne gegebener Erwartungen) erlaubt. Humoristische Kommunikation bezieht sich dann nicht auf gewissermassen vorgegebene lächerliche Objekte, die subjektiv wahrgenommen und erkannt werden können, vielmehr wird Humor in und durch ein Kommunikationsmedium erst konstruiert bzw. konstituiert. Spezifisch heisst dies, die sonst unwahrscheinliche Form von Kommunikation, entgegen konventioneller Erwartungen zu kommunizieren, wird durch den Humor wahrscheinlich gemacht. So werden beispielsweise auch "Streiche" selbst krasser Art, etwa als Beleidigungen, Sachbeschädigungen, Täuschungen vor "versteckter Kamera" (schon technisch demnach in der Disposition einer "Beobachtungsbeobachtung") hingenommen. Erwartungsenttäuschungen bleiben also folgenlos – gerade darin ist der Erfolg humoristischer Kommunikation zu sehen – und zeitigen normalerweise keine ernsthaften Konsequenzen (forciert: "War doch nur Spass gewesen!"). Ernsthafte, gar strafrechtliche Konsequenzen durch das Rechtssystem, welches generell Erwartungsenttäuschungen (im Sinne von Normübertretungen) sanktioniert, bleiben demnach die Ausnahme. Wenn Humor mit ernsthaften Konsequenzen verbunden ist (etwa Schadenersatzforderungen oder Unterlassungsklagen mit der etwa die Satirezeitschrift Titanic überdurchschnittlich oft belegt wird), zeigt dies nur, dass das Medium unwahrscheinliche Formen von Kommunikation wahrscheinlich macht, nicht sicher.
Funktion
Funktional ermöglicht Humor die Katalyse von Variationen oder Mutationen als reflexive Kommunikation entgegen Erwartungen als bereits vorhandenen kommunikativen Strukturen im Sinne von etwa Konventionen oder Stereotypen. Humor sorgt damit auf gesellschaftlicher Ebene für Flexibilisierung, zeigt gewissermassen in "Pointen" alternative Möglichkeiten, Innovationen, Abweichungen vom Üblichen auf (vgl. ebd., S. 37 ff.). Das Kontingenz erzeugende Potential des Humor kommt einer sich schnell wandelnden modernen funktional differenzierten Gesellschaft zu Gute, die potentiell Variationen (oder Mutationen) traditioneller Strukturen im Zuge einer forcierten gesellschaftlichen Evolution nutzen kann. Auf abstrakte Weise lässt sich der Humor demnach als ein Medium verstehen, in dem gesellschaftliche Evolution – als gesellschaftlicher Wandel unter der Bedingung von Variation, Selektionen und (Re-)Stabilisierung – selbst funktionalisiert ist. Der Humor ist in dieser gesellschaftsbezogenen Perspektive gewissermassen als ein Spielfeld gesellschaftlicher Evolution zu verstehen; ein selbst evolutionär erzeugtes Refugium, in dem sich Evolution als Evolution selber auf zunächst folgenlose Weise ausprobieren kann.
Strukturen
Der informative Fluss wird in Kommunikationsmedien durch die Orientierung an einem Präferenzcode gesteuert. Nach Räwel ist der Präferenzcode des Kommunikationsmediums Humor "reflektiert/unreflektiert" (vgl. ebd., S. 52 ff.); ein Code, der durch den Präferenzcode "lustig/ernst" zweitcodiert ist. Die Zweitcodierung ermöglicht Humor Komplexitätsgewinne; so ist dem Humor möglich, etwa als "Galgenhumor", selbst ernste Themen dem präferierten Codewerte „lustig“ zuzuordnen. Über Programme ordnen Kommunikationsmedien Kommunikation dem präferierten Codewerte zu. Im Fall des Humor mögen dies etwa massenmedial verbreitete Comedies, Karnevalssitzungen, Satirezeitschriften, Bühnenshows im Sinne von Lustspielen oder Kabarett sein. Eine programmartige Struktur im Sinne einer technischen Lösung ist etwa die bekannte Einspielung von Lachjingles zu Pointen in (vor allem) us-amerikanischen Comedy-Serien.
Der Bezug zwischen Kommunikationsmedien und Körperlichkeit wird durch so genannte symbiotische Symbole geregelt (ebd., S. 60 ff.). Die soziologische Systemtheorie hat diese Beziehung explizit zu konzeptualisieren, da Körperlichkeit, ebenso wie die Psyche (im Sinne gedanklicher Operationen) als Umwelt sozialer Systeme, basierend auf kommunikativen Operationen, verstanden wird. In Bezug auf den Humor fungiert das Lachen als symbiotisches Symbol. Klar wird damit, dass Humor zwar mit Lachen korreliert; genauso wie (körperliche) Bedürfnisse mit dem symbolisch generalisierten Kommunikationsmedium Geld, (sinnliche) Wahrnehmung mit Wahrheit, (physische) Gewalt mit Macht oder Sexualität mit Liebe als Kommunikationsmedium korrelieren. Es wäre jedoch in dieser theoretischen Perspektive absurd, Lachen auch nur als Indikator humoristischer Kommunikation (etwa in empirischen Untersuchungen) zu verstehen. Würde, funktional äquivalent, etwa Sexualität als Indikator für Liebe verstanden, wäre mit Leichtigkeit empirisch zu validieren, dass Bordelle als Refugien der Liebe verstanden werden müssen. Auch (physische) Gewalt etwa kann kaum als Indikator für ein hohes Potential an Macht gesehen werden, vielmehr ist die Anwendung von Gewalt im Gegenteil oftmals Kennzeichen von Machtlosigkeit; Gewalt, belassen in Latenz, wirkt bedrohlicher. Das Verhältnis zwischen Kommunikationsmedien und symbiotischen Symbolen ist also komplex und deshalb keineswegs im Sinne einfacher Kausalschemata, die eine (gegenseitige) Indikation nahe legen könnten, zu verstehen. Humor demnach dadurch zu charakterisieren, dass er der Erzeugung von Lachen diente, ist demnach zumindest fragwürdig.
Ein interessantes Strukturmerkmal, dass erwähnt werden soll (vorgenommene Auswahl ist also nicht erschöpfend), ist, dass Kommunikationsmedien inflationär bzw. deflationär angewendet werden können (ebd., S. 64 ff.). Insbesondere vom Kommunikationsmedium des Geldes ist bekannt, dass das Vertrauen in ein Kommunikationsmedium auf wertmindernde Weise überzogen werden kann; ebenso können Chancen, die eine Kommunikationsmedium bietet, Kommunikation zu ermöglichen, ungenutzt bleiben und damit deflationären Tendenzen Auftrieb geben. Durch massenmediale Überflutung humoristischer Kommunikation in entsprechenden Formaten im Fernsehen, Zeitungen, Büchern und durch Bühnenshows ist gemeinhin davon auszugehen, dass Humor von inflationären Tendenzen bedroht ist; dies um so mehr, da Kommunikationsmedien darauf angelegt sind, in der Möglichkeit auch unwahrscheinliche Kommunikation wahrscheinlich zu machen, Vertrauen gewissermassen zu erzwingen. Deflationäre Tendenzen sind dann zu beobachten, wenn dem Humor Chancen verwehrt werden; dies mag etwa in politische repressiven Systemen der Fall sein, in denen Redefreiheiten eingeschränkt sind, wodurch ein Nährboden für die Entstehung politischer Witze entsteht, denen dann oft auf wohl wertüberschätzende Weise gar ein subversives Potential zugeschrieben wird.
Sachformen
Ironie, Sarkasmus, Zynismus, Satire, Parodie, Witz, Nonsens, Slapstick und visuelle (etwa Karikaturen) bzw. auditive Formen des Humors werden von Räwel (ebd., S. 92 ff.) als eine Auswahl von Sachformen des Humors benannt. Gemein ist diesen Formen, dass sie dem Kommunikationsmedium Humor insofern zugeordnet werden können, weil es sich um Formen handelt, die kommunikativ am Präferenzcodewert "lustig" (bzw. "reflektiert") orientiert sind. Herausforderung an Theorie ist dann, auszuarbeiten, wie sich die unterschiedlichen Formen unterscheiden.
Ironie und Sarkasmus etwa werden als Reflexivformen der Kommunikation verstanden (vgl. a.a.O, S. 94 ff.), die sich dadurch unterscheiden, dass einerseits Ironie Kommunikation in selbstreferentieller Weise (also in Orientierung an der "Mitteilung") unterscheidet. Etwa: "Schönes Wetter heute!" – wenngleich durch den Kontext klar ist (also schon unterschieden ist), dass ein "Sauwetter" herrscht. Ironie kann dann, im gewissermassen unangreifbaren "Anspielen"auf eine Sachlage, als Mitteilungsverstärker dienen. Sarkasmus hingegen unterscheidet in fremdreferentieller Weise (also in Orientierung an "Information") schon Unterschiedenes. Etwa: "Grossartiger Präsident, Mr. Bush, oder?" – wenngleich, je nach milieuspezifischem Kontext, Einigkeit darüber herrschen mag, dass dies nicht der Sachlage entspricht. Hier ist im Andeuten einer Sachlage auf effektive Weise möglich, mit humoristischen Mitteln Kritik zu üben; dadurch, dass die Kritik lediglich auf indirekte Weise erfolgt, ist es nämlich für etwaige Gegenkritik schwierig, überhaupt nur Anschluss zu finden.
Ob von Ironie oder Sarkasmus die Rede ist, hängt von individuellen Beobachtungsschemata ab. So lässt sich die Aussage: "Schönes Wetter, oder!", heutzutage nämlich durchaus auch als Sarkasmus verstehen. Dann zielt die Bemerkung auf die Wetterlage in ihrem informativen Gehalt und dient etwa der Kritik für einen von Personen verursachten Klimawandel. Im Sarkasmus zeigt sich demnach auch die Nähe von humoristischer und moralischer (Achtung bzw. Missachtung zuweisender) Kommunikation, die etwa auch in Bezug auf Satire einleuchtet.
Konventioneller Weise wird – gerade Merkmal von Konventionen – erwartungskonform kommuniziert bzw. gehandelt. Es ist also eine Ausnahme, die im Falle des Humors mit positiven Attributen, wie "kreativ", "innovativ", "originell" etc., belegt wird, wenn überraschender Weise entgegen Konventionen kommuniziert wird. Originelle humoristische Kommunikation muss demnach eine Ausnahme bleiben; man kann mit Humor, wenngleich heutzutage als Form der Kommunikation erwünscht und populär, eigentlich nicht rechnen. Die Form des Witzes (vgl. ebd., S. 112 ff) nimmt sich dieses Problems an. Witze machen humoristische Kommunikation – und damit originelle, innovative, überrasche Kommunikation gleichwohl plan- und berechenbar. Gerade dadurch unterscheidet sich die Form des Witzes von anderen Sachformen des Humors. Das reflexive Moment von Pointen ist in Witzen immer substantiell an einen schon vorhanden (zu variierenden) Kontext gebunden, und damit weitgehend dem Kontext spezifischer Situationen entbunden, wodurch Originalität und Überraschung gewissermassen planbar werden.
Evolution des Humors
Für die Frage, wie sich die spezifische Form des Humors entwickelte (vgl. ebd., S. 196 ff.), muss beobachtet werden, wie unterschiedliche gesellschaftliche Formen gemeinhin auf Erwartungsenttäuschungen (und damit auch: auf das Aufkommen von Neuem) reagieren bzw. reagiert haben. Dass Innovation, Kommunikation entgegen Erwartungen einen positiven Stellenwert hat, wie dies heutzutage der Fall ist (was sich mit Leichtigkeit an Moden oder moderner Kunst verdeutlichen lässt), ist keineswegs selbstverständlich. Auch heutzutage dient das Recht bzw. die Moral dazu, Erwartungsenttäuschungen negativ zu sanktionieren. Allerdings in unserer modernen funktional differenzierten Gesellschaft beschränkt auf das Recht als Funktionssystem bzw. Moral als Kommunikationsmedium. Werden diese Beschränkungen verletzt, wird dementsprechend schnell appelliert, die "Freiheit der Kunst" zu respektieren; auch lassen sich Kunst und Humor heutzutage kaum noch von moralischen Grundsätzen korrumpieren.
Es ist dies eine Entwicklung, die insofern relativ neu ist, da sie an den Umbruch der Gesellschaft von stratifikatorischer Differenzierung (als einer Gesellschaft, die hierarchisch, etwa in Ständen organisiert ist) zur modernen funktionalen Differenzierung gebunden ist. Ein Umbau der Gesellschaftsform, der in den letzten 200 bis 300 Jahren stattfand und wohl an die Verbreitung des Buchdrucks im 15./16. Jahrhundert gekoppelt ist. In der abstrakten Anonymität von Schriftlichkeit wurde es mithin relativ leicht möglich, Alternativen, Abweichungen vom Üblichen in Vorschlag und Verbreitung zu bringen. Moderne Formen des Humors, wie der Nonsens, wurden im Zuge dieser Entwicklung erst zu Anfang des 19. Jahrhunderts entwickelt.
Bezogen auf ältere gesellschaftliche Formierungen – also stratifikatorisch oder segmentär differenzierten (etwa in Stämmen organisierten) – muss von einer vorrangig negativen Reaktion auf Neues im Sinne von Erwartungsenttäuschungen ausgegangen werden; und damit weitgehender Abwesenheit des Humors. Kommunikation bzw. Verhalten entgegen Erwartungen wurde strengstens sanktioniert bzw. zumindest lächerlich gemacht. Plausibilisiert wird diese These einerseits dadurch, dass segmentär und stratifikatorisch differenzierte Gesellschaftsformen abertausende Jahre währenden, weitgehend stabilen Bestand hatten (so etwa das Pharaonenreich Altägyptens); andererseits dadurch, dass die ältesten Formen des Humors – etwa die Satire – moralisch dominiert sind. Auch hier ging es weitgehend noch darum (anders etwa als in modernen Formen, wie dem Nonsens), Abweichung vom Erwarteten negativ zu sanktionieren – auszulachen oder zu verlachen.
Erst die sich durch schnellen Wandel auszeichnende Moderne machte es notwendig, eine positive Einstellung zu Neuheit, Abweichungen, Innovationen, Variationen zu entwickeln. Varianten des Üblichen wird heute grundsätzlich das Potential eingeräumt, im und für den schnellen gesellschaftlichen Wandel nützlich zu sein. In ohnehin auf Stabilität der hierarchischen Schranken ausgelegten stratifikatorisch differenzierten Gesellschaften wurde Humor allenfalls – wie dass Hofnarrentum zeigt (ebd., S. 206 ff.) – auf paradoxe Weise benutzt, um in einer für den Herrscher informativen Auflösung hierarchischer Ebenen die Rangordnung gleichwohl auf effektive Weise zu stabilisieren.
Literatur
- J. Bremmer, H. Roodenburg: Kulturgeschichte des Humors. Von der Antike bis heute, Darmstadt 1999
- Umberto Eco: The frames of comic ‘freedom’, in: Thomas A. Sebeok (Hg.), Carnival!, Berlin 1984, S. 1-9
- Sigmund Freud: Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten, Hamburg 1981
- Sigmund Freud (1927): Der Humor, in: Freud, Studienausgabe. Hg. von Alexander Mitscherlich u. a. Frankfurt am Main 1969-75. Bd. 4, S. 275-282
- Dieter Hörhammer: Die Formation des literarischen Humors. Ein psychoanalytischer Beitrag zur bürgerlichen Subjektivität. München 1984
- John Morreall: The Philosophy of Laugher and Humor, Albany 1987
- Jörg Räwel: Humor als Kommunikationsmedium, Konstanz 2005
- Joachim Ritter: Über das Lachen. In: ders.: Subjektivität. Frankfurt/Main, 1974, 62-92.
- Wolfgang Schmidt-Hidding (Hg.): Humor und Witz, München 1963
- Irka Schneider: Humor in der Werbung. Praxis, Chancen und Risiken, Saarbrücken 2005
- Werner Thiede: Das verheißene Lachen. Humor in theologischer Perspektive, Göttingen 1986 (ital. Übers. Turin/Mailand 1989)
- Michael Titze: Therapeutischer Humor. Grundlagen und Anwendungen. Fischer. Frankfurt/Main, 1998 [4. Aufl. 2003] (Koautor: Christof T. Eschenröder), ISBN 3-596-12650-9
- Anton C. "Zijderfeld": Humor und Gesellschaft, Graz 1976